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  • Was ist mit den Gefängnissen nicht in Ordnung?
    Erwachet! 1972 | 8. April
    • Was ist mit den Gefängnissen nicht in Ordnung?

      VON jeher ist es im Verlaufe der Geschichte das anerkannte Recht der Gesellschaft gewesen, Verbrechen zu bestrafen. Heute kommen Schwerverbrecher in fast allen Ländern ins Gefängnis, einige lebenslänglich.

      Wie viele sehen jedes Jahr auf diese Weise das Innere eines Gefängnisses? Allein in den Vereinigten Staaten sind es etwa 2 500 000. An irgendeinem bestimmten Tag warten ungefähr 1 250 000 Personen auf ihre Gerichtsverhandlung oder verbüßen Strafen in Gefängnissen, Besserungsanstalten, Arbeitslagern und Kliniken oder werden bedingt entlassen oder erhalten eine Bewährungsfrist. Es kümmern sich etwa 120 000 Personen um sie. Was kostet dies den Steuerzahler? Etwa eine Milliarde Dollar jährlich.

      In den letzten Jahren ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch Großaufruhr und Blutvergießen auf die Gefängnisse gelenkt worden. In den USA führte diese Krise im September 1971 explosionsartig zu dem blutigsten Zusammenstoß, den es in diesem Jahrhundert in einem Gefängnis gegeben hat.

      Der Schauplatz war die Staatliche Strafanstalt Attica in New York, in der 1 200 rebellierende Insassen 38 Wärter und Angestellte gefangenhielten. Nach vier Tagen stürmten mehr als 1 000 staatliche Polizisten und Nationalgardisten das Gefängnis. Die Schießerei, die dann folgte, forderte schließlich folgenden Tribut: 32 Gefangene und 10 Wärter und Angestellte, die als Geiseln festgehalten worden waren, wurden getötet und über 200 Insassen verletzt. Neun der Geiseln wurden unabsichtlich durch die Kugeln der eindringenden Hüter des Gesetzes getötet.

      Da sich die Gefängnisse an vielen Orten in Schwierigkeiten befinden, sind folgende Fragen aktuell: Wie sind die heutigen Gefängnisse aufgekommen? Erfüllen sie das, wozu sie gedacht sind? Hilft das Gefängnisleben Verbrecher zu bessern? Wie steht es mit den Opfern der Verbrechen — wer entschädigt sie? Gibt es eine bessere Möglichkeit, etwas hinsichtlich der Verbrechen gegen die Gesellschaft zu tun? Wird es je eine Zeit geben, in der keine Gefängnisse mehr nötig sind?

      Wie sind sie aufgekommen?

      Es mag dich überraschen, daß Gefängnisse, wie es sie heute gibt, etwas verhältnismäßig Neues sind. In alter Zeit gab es sehr wenige Gefängnisse. Vor dem achtzehnten Jahrhundert war es nicht üblich, Leute zur Bestrafung für ein Verbrechen einzusperren. Nur besondere Straffällige wurden in Gefängnissen bestraft, wo sie vielleicht in Ketten lagen, oder sie mußten in der Haft Zwangsarbeit verrichten oder wurden sonstwie brutal behandelt, während sie in Gewahrsam waren.

      Früher waren Gefängnisse im allgemeinen nur Orte, an denen Personen in Gewahrsam gehalten wurden, die eines Verbrechens beschuldigt wurden, aber noch nicht vor Gericht gestanden hatten. Nach ihrer Verhandlung wurden sie, wenn sie für schuldig erklärt wurden, zu einer Strafe verurteilt. Aber mit wenigen Ausnahmen handelte es sich dabei nicht um eine Gefängnisstrafe. Entweder wurden sie hingerichtet, meistens durch Enthauptung oder Erhängen, oder sie wurden körperlich gezüchtigt, was Prügel, Brandmarkung oder Verstümmelung einschließen konnte.

      Einige Verbrecher wurden bestraft, indem man sie in den Stock legte, der aus einem Holzgestell bestand, das mit Löchern versehen war, in die die Beine und manchmal die Handgelenke gesteckt wurden. Auf diese Weise war der Schuldige, der so sitzen mußte, dem öffentlichen Spott ausgesetzt, und dann wurde er freigelassen. Der Pranger war etwas Ähnliches; an einem Pfosten war ein Holzrahmen mit Löchern für den Kopf und die Hände des Straffälligen angebracht, der in stehender Haltung verharren mußte. Dadurch wurde er ebenfalls eine kurze Zeit dem öffentlichen Spott ausgesetzt, und danach wurde er freigelassen. Manchmal wurden Verbrecher verurteilt, als Sklaven zu arbeiten, oft auf Galeeren. Dies waren Schiffe, die zum Antrieb mit Ruderbänken ausgestattet waren. Der Straffällige mußte, meistens in Ketten, eine Zeit am Ruder verbüßen.

      In den Vereinigten Staaten und in England wurde Anfang des achtzehnten Jahrhunderts die Todesstrafe auf über zweihundert verschiedene Straftaten angewandt. Für geringere Verbrechen wurden die Straffälligen körperlich gezüchtigt, zum Beispiel durch Prügel, Verstümmelung oder indem sie in den Stock gelegt wurden. Aber danach wurden sie freigelassen. Nur sehr wenige verbüßten eine Strafe, die heute als Gefängnisstrafe bekannt ist.

      Im alten Israel sah das Gesetz, das Gott durch Moses gab, überhaupt keine Gefängnisse vor. Personen wurden nur dann vorübergehend in Gewahrsam gehalten, wenn ein Fall besonders schwierig war und noch erst geklärt werden mußte. (3. Mose 24:12; 4. Mose 15:34) Aber in der frühen Geschichte des alten Israel verbüßte niemand jemals eine Gefängnisstrafe.

      Die Anwendung dieser frühen Methoden auf Verbrecher bedeutete, daß sehr wenig öffentliche Gelder für Straffällige ausgegeben wurden. Es brauchten wenig Gefängnisse oder Wärter unterhalten zu werden.

      Änderung der Auffassung über die Bestrafung

      Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert begann sich die Methode der Behandlung von Gesetzesübertretern aufgrund von Reformbewegungen zu ändern. Durch diese Reformen wurde die Todesstrafe für viele Verbrechen allmählich abgeschafft. In den letzten Jahren haben viele Länder ganz auf die Todesstrafe verzichtet. Auch die körperliche Züchtigung wurde allmählich abgeschafft. An die Stelle der Todesstrafe und der körperlichen Züchtigung traten Gefängnisstrafen.

      Das bedeutete, daß es in den Gefängnissen nun Platz für viele Menschen geben mußte, in einigen Fällen für eine lange Zeit. Daher mußten viele Gefängnisse errichtet werden, in denen diese Straffälligen Platz hatten. Einige Gefängnisse, die in den Vereinigten Staaten erbaut wurden, hießen Zuchthäuser, auf englisch „penitentiaries“, was wörtlich etwa „Bußhäuser“ bedeuten würde, da man dachte, der Verbrecher würde dort bußfertig werden.

      Diese ersten Gefängnisse waren jedoch oft Schreckenskammern. Anfangs wurden sowohl die Verurteilten als auch diejenigen, die auf ihre Verhandlung warteten (einschließlich der Unschuldigen), Männer und Frauen, Alte und Junge, Gesunde und Kranke, nicht vorbestrafte Personen und verstockte Verbrecher zusammen eingesperrt. Die Gefängnisse waren gewöhnlich von Ungeziefer verseucht, schmutzig und überfüllt. Sie wurden rasch zu Zentren körperlicher und sittlicher Entartung. Über ein typisches Gefängnis in England hieß es in der Zeitschrift The Gentleman’s Magazine aus dem Jahre 1759:

      „Es ist in all seinen Teilen zu einer Schule der Verderbtheit geworden. Sobald der unbeschäftigte Anfänger in die Besserungsanstalt eingeliefert wird, kommt er in die Gesellschaft von Straßenräubern, Einbrechern, Taschendieben und umherbummelnden Prostituierten, er wird Zeuge der abscheulichsten Gottlosigkeit und liederlichsten Unzüchtigkeit und läßt im allgemeinen jede gute Eigenschaft, die er mit hereingebracht hat, zusammen mit seiner Gesundheit zurück.“

      Im Jahre 1834 fuhr ein Beamter nach der Insel Norfolk Island, einer Sträflingskolonie etwa 1 400 Kilometer nordöstlich von Sydney (Australien). Er wurde dorthin geschickt, um einige Männer zu trösten, die hingerichtet werden sollten. Über sein Erlebnis schrieb er:

      „Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß die Männer, die sterben sollten, einer nach dem anderen, während ich ihren Namen aussprach, auf die Knie fielen und Gott dankten, daß sie von jenem schrecklichen Ort [durch Hinrichtung] erlöst werden sollten, während die anderen, deren Urteilsvollstreckung ausgesetzt werden sollte, stumm dastanden und weinten. Es war die schrecklichste Szene die ich je erlebt habe.“

      Noch im zwanzigsten Jahrhundert sind die Verhältnisse in den Gefängnissen selbst in den Vereinigten Staaten oft abscheulich gewesen. Nach einer Gefängnisinspektion Anfang der 1920er Jahre war ein Beamter über die Behandlung der Gefangenen so entsetzt, daß er erklärte: „Wir hatten es mit Greueltaten zu tun.“

      Statt also für die Untersuchungshaft dazusein, wurden die Gefängnisse während des größten Teils der letzten Jahrhunderte immer mehr zu Strafanstalten. Die Haft, die Verhältnisse, die Einstellung gegenüber den Gefangenen, all das war eine schreckliche Qual. Aber die meisten Menschen akzeptierten dies anscheinend als die bessere Methode, andere vor der Verübung von Verbrechen abzuschrecken und auch den, der eine Strafe verbüßt hatte, davor abzuschrecken, weitere Verbrechen zu begehen. Man glaubte, er würde diese Qual nicht noch einmal mitmachen wollen. Aber es wurde wenig oder gar nichts versucht, die Straffälligen zu bessern, damit sie nützlichere Glieder der Gesellschaft würden.

      In dieser Phase der Behandlung von Gesetzesübertretern wurden Gefängnisse also als bedauerliches, aber notwendiges Übel betrachtet. Wenn andere die Härten verdammten, unter denen Gefangene zu leiden hatten, hörte man häufig als Antwort: „Sie hätten aufpassen sollen, damit sie nicht dorthin gekommen wären.“

      Doch erwiesen sich die Gefängnisse entsprechend dieser Auffassung als ein besseres Abschreckungsmittel gegen Verbrechen? Waren sie besser als die früheren Methoden, nämlich die Todesstrafe und die körperliche Züchtigung?

  • Erfüllen Gefängnisse ihren Zweck?
    Erwachet! 1972 | 8. April
    • Erfüllen Gefängnisse ihren Zweck?

      NEIN, die Auffassung, eine Gefängnisstrafe hindere Menschen daran, Verbrechen zu begehen, erwies sich nicht als richtig. Die Verbrechen nahmen sogar zu.

      Auch war eine Gefängnisstrafe denen, die sie verbüßt hatten, nicht zum Nutzen. Gewöhnlich hatte das Gefängnis eine negative Wirkung. Das war eine Ironie, denn die Gesellschaft sperrte den Straffälligen ein, weil er für die betreffende Gesellschaft ein schlechter Mensch war, aber die bedauernswerte Umgebung machte den Straffälligen gewöhnlich noch schlechter. Dann wurde er entlassen und kam in die Gesellschaft zurück, und oft gelangte er schließlich wieder ins Gefängnis, und zwar für eine noch längere Zeit!

      In neuerer Zeit erfuhr der Grundgedanke hinsichtlich der Gefängnisse einen weiteren bedeutenden Wechsel. Der neue, von aufrichtigen Reformern geförderte Gedanke war der, die Wiedereingliederung, die Besserung der Gefangenen, zu einem Hauptziel im Gefängnisleben zu machen.

      James Bennett, siebenundzwanzig Jahre lang Direktor von Bundesgefängnissen in den Vereinigten Staaten, sagte über die Abschaffung der körperlichen Züchtigung gemäß dieser neuen Auffassung: „Den Beamten in den Bundesstrafanstalten ist es jedoch streng verboten, irgend etwas anzuwenden, was einer eigenmächtigen Handlungsweise gleichen oder was als körperliche Züchtigung ausgelegt werden könnte. Sie tun es nicht, teils, weil es unerwünscht ist, und auch, weil es nicht so wirkungsvoll ist wie der Entzug von Vergünstigungen, ein Arbeitsplatzwechsel oder das Absagen geschätzter Besuche.“

      Gefangene, die nicht zur Zusammenarbeit bereit waren, konnten auch „Punkte für gute Führung“ verlieren, durch die sie zu einem früheren Zeitpunkt für eine bedingte Entlassung in Frage gekommen wären.

      Aber worauf sollte sich die Wiedereingliederung — außer auf die Abschaffung von Brutalität und auf verbesserte Lebensbedingungen — noch stützen? Angeblich sollte sie einen Gefangenen durch eine richtige Ausbildung lehren, sich von seinem eigensinnigen Lauf abzuwenden. Dazu sollte gehören, ihm neue Fachkenntnisse beizubringen, damit er ein nützlicheres Glied der Gesellschaft würde.

      Ist dies tatsächlich geschehen? Werden diese Ziele durch die heutigen Gefängnisse erreicht?

      Verhältnisse in den Gefängnissen

      Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Verhältnisse in den Gefängnissen im allgemeinen viel besser sind, wenn man sie mit den Schrecken vor einigen Jahrhunderten vergleicht. Sind die Verhältnisse aber so, daß sie sich gut auf die Menschen auswirken, indem sie ihre geistige Einstellung verbessern?

      Senator Edward Brooke aus Massachusetts erklärte, die Verhältnisse in den Gefängnissen seien fast überall beklagenswert und führten zur Entmenschlichung. William Anderson, ein Mitglied des amerikanischen Repräsentantenhauses aus Tennessee, erklärte: „Das amerikanische System der Bestrafungen ist für die ganze Nation eine Schande.“

      Bundessachverständige, die einen Rundgang durch ein Zuchthaus im westlichen Teil des Staates Virginia machten, nannten es „eine vollständige Katastrophe“ und, „was die Haft betrifft“, einen „bösen Traum“. Gewalttat war weitgehend unkontrolliert. Rauschmittel und Alkohol waren verbreitet. Ein Staatsanwalt sagte über das Gefängnis: „Es ist völlig sinnlos, einen Mann in dieses Gefängnis zu schicken, denn er wird noch schlimmer herauskommen.“

      Die in San Francisco erscheinende Zeitung Chronicle berichtete über den Fall eines Zeugen Jehovas, der als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen im Gefängnis war. Eines Tages beobachtete dieser friedliebende Mann eine Unruhe in einer anderen Zelle. Später kamen die Wärter und schlugen die Gefangenen, auch den Zeugen Jehovas! In der Zeitung hieß es: „Sie würgten und schlugen ihn auf den Hals und brachten ihn dann ans Ende des Ganges, wo ,die anderen Gefangenen so brutal und unmenschlich geschlagen wurden, daß er es nicht mit ansehen konnte‘ und er den Kopf abwandte.“ Er erhob die Beschuldigung, daß ihn ein Wärter auch mit einem Knüppel ins Auge und an die Schläfe geschlagen habe. Dann kam er in Einzelhaft und erhielt keine ärztliche Betreuung. Doch hatte er mit der ursprünglichen Unruhe gar nicht einmal etwas zu tun gehabt.

      Da keine Angehörigen des anderen Geschlechts da sind, greift ferner in Männergefängnissen die Homosexualität und in Frauengefängnissen die lesbische Liebe um sich. Massenangriffe durch Homosexuelle sind häufig. In dem Buch I Chose Prison (Ich wählte das Gefängnis) erklärt ein ehemaliger Bundesgefängnisbeamter hierüber: „Niemand hat gezeigt, wie das Problem gelöst werden kann.“

      In Kanada berichtet die in Windsor erscheinende Zeitung Star, nach einer Untersuchung des Problems seien dreiundzwanzig Richter über das, was sie festgestellt hätten, „entsetzt“ gewesen. In der Zeitung hieß es: „Ehemalige Insassen haben vor offiziellen Kommissionen berichtet, es sei einem jungen Mann in den meisten Gefängnissen im ganzen Land fast unmöglich, unzüchtigen Belästigungen dauernd zu entgehen. ,Es geschieht ständig‘, sagt John Tennant, der 13 Jahre hinter Gittern verbracht hat. ,Ich habe gesehen, wie junge Burschen Nacht für Nacht von drei oder vier Insassen angegriffen wurden.‘“

      Auch für Frauen kann das Gefängnisleben verderblich sein. Die beschränkte Bewegungsfreiheit, die Kleinigkeiten des Gefängnislebens, die strenge Zeiteinteilung, der seltene Kontakt mit Personen, die sie lieben, die Gefahr sexueller Unsittlichkeit, all das ist äußerst bedrückend.

      Krishna Nehru Hutheesing, die Schwester des früheren indischen Premierministers, sagte über ihren Aufenthalt in einem indischen Gefängnis aufgrund politischer Anklagen vor einigen Jahren: „Das Fehlen menschlicher Kontakte, die unverschämte Art, wie man mit uns sprach, und die dort herrschende bedrückende Atmosphäre wurden für mich manchmal unerträglich.“ Sie sprach von einem Leben „voller Drohungen, Gewalttat, Gemeinheit und Korruption, und stets fluchten die einen und verhielten sich die anderen kriecherisch. Jemand, der überhaupt empfindsam war, befand sich in einem Zustand ständiger Verkrampfung, in dem seine Nerven aufs äußerste gespannt waren.“

      Über Kinder, die von Familiengerichten in Besserungsanstalten geschickt wurden, berichtete die New York Times vom 27. Juli 1971: „In der Besserungsanstalt wird es mit Kindern eingesperrt, die jemand getötet, ausgeraubt oder überfallen haben und andere Verbrechen verübt haben. Homosexualität ist verbreitet. In dem Versuch, ein Problem zu lösen, hat das Gericht das Kind in eine Situation gebracht, die nur zu weiteren Problemen führen kann.“

      Wie steht es mit der Besserung?

      Es ist klar, daß all diese Verhältnisse nicht zu jemandes Besserung beitragen. Aber wie steht es mit Programmen der Wiedereingliederung, zum Beispiel mit der Aneignung neuer Fachkenntnisse? Können sie jenen anderen, negativen Einflüssen entgegenwirken?

      Selbst unter Gefängnisbeamten lautet die übereinstimmende Antwort nein. Sie geben offen zu, daß wenige nützliche Kenntnisse erworben werden, daß die Arbeit langweilig und eintönig ist und daß es wirklich kein vernünftiges Programm zur Verbesserung der Geistesverfassung des Gefangenen gibt, die der Schlüssel zur Besserung wäre.

      In der New York Post vom 18. September 1971 wurden folgende Worte des Oberrichters Burger vom Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten angeführt: „Nur wenige Gefängnisse haben heute ein Mindestprogramm für den Unterricht oder die Berufsausbildung, um den Gefangenen vorzubereiten, damit er als nützlicher, sich selbst versorgender Mensch wieder in die Gesellschaft zurückkehrt.“

      Die in England erscheinende Wochenzeitung Guardian Weekly brachte einen Brief eines Gefangenen, der dort kurze Zeit zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden war. Er schrieb: „Es war so überfüllt, daß es ungesund war, und die sanitären Einrichtungen waren so unzureichend, daß man es nur mit dem Wort ,Dreck‘ in seiner schlimmsten Bedeutung beschreiben kann. ... Eine Gefängnisstrafe mag eine Demütigung, eine Erniedrigung und ein Schimpf für jemandes Stolz und Charakter sein ... Keineswegs und in keiner Art oder Form ist sie jedoch eine Besserungszeit für den Verbrecher oder eine Schutzmaßnahme gegen weitere Verbrechen.“

      Diese Bewertung wird überall durch Beweise unterstützt. Die heutigen Gefängnisse sind kein Abschreckungsmittel gegen Verbrechen, da diese in fast jedem Land der Erde explosionsartig zunehmen. Und die Gefängnisse bewirken nicht das, was die Reformer erwartet hatten; sie bewirken nicht, daß Verbrecher nach ihrer Rückkehr in die Gesellschaft ein nützlicheres Leben führen. In dem Nachrichtenmagazin U.S. News & World Report vom 27. September 1971 hieß es: „Das Versagen der Gefängnisse, Verbrecher zu bessern, wird durch die Statistik bewiesen, die zeigt, daß etwa 80 Prozent aller schweren Verbrechen von ,Rückfälligen‘ begangen werden.“

      [Bild auf Seite 7]

      Kinder, die in Besserungsanstalten geschickt werden, werden oft in eine Situation gebracht, die nur zu weiteren Problemen führen kann.

  • Welche Lösungen werden geboten?
    Erwachet! 1972 | 8. April
    • Welche Lösungen werden geboten?

      WAS nun, wenn Gefängnisse im allgemeinen doch keine Besserung der Straffälligen bewirken und sie bestimmt kein Abschreckungsmittel gegen die Ausbreitung von Verbrechen sind? Was sollte mit denen geschehen, die Verbrechen begehen?

      Die Antworten von Beamten, Polizisten und vom einfachen Mann weichen voneinander ab. Es gibt kein übereinstimmendes Bild. Die Autoritäten widersprechen sich selbst.

      Strenger oder nachsichtiger?

      E i n e Richtung ist dafür, mit dem „Verwöhnen“ der Gefangenen Schluß zu machen. Diejenigen, die diese Ansicht vertreten, sagen, die Bestrafung sollte schlimmer und die Gefängnisstrafen sollten schwerer sein.

      Gemäß der Londoner Times heißt es in der in Großbritannien erscheinenden Zeitschrift Police Review, daß „die Zeit gekommen ist, gewisse Verbrecher zu erhängen, zu verprügeln, hungern zu lassen oder verschiedenes mit ihnen zu tun, damit sie es zu spüren bekommen“. Es heißt darin, die Menschen hätten es „allmählich satt“, daß man mit den Verbrechern so nachsichtig verfahre.

      Selbst einige Verbrecher sind mit der Anwendung körperlicher Züchtigung einverstanden — vorausgesetzt, daß dies eine Verkürzung der Strafen bedeutet. Einer von ihnen, der in Alcatraz gewesen war, sagte zu einem Gefängnisbeamten: „Es gibt drei Gründe, weshalb Leute ins Gefängnis geschickt werden: zur Bestrafung, zur Wiedereingliederung und zum Schutz der Öffentlichkeit. Manchmal glaube ich, daß die beiden letzten Gründe beim Fällen der Urteile übersehen werden. Wenn ein Mann drei oder fünf oder zehn Jahre getrennt von seiner Familie und von seinen Freunden verbringt, wobei er anständig behandelt, aber unterdrückt wird, eingeschlossen in einer Zelle, aller Annehmlichkeiten des normalen Lebens beraubt und gezwungen, einer eintönigen Routine zu folgen — ist das nicht zuviel?“

      Was empfiehlt er? Dieser Gefangene sagte: „Ich glaube, die meisten Gefangenen würden zu einer Gefängnisreform nein sagen — sie würden sagen: ,Macht weiter, macht es in den Gefängnissen hart, wirklich rauh, ja brutal, aber verkürzt die Strafen, damit es dann auch vorbei ist.‘ Niemand würde auf den Gedanken kommen, einen Mann Tag für Tag und Monat für Monat wegen derselben Straftat auszupeitschen. Aber eine jahrelange Gefängnisstrafe ist schlimmer.“

      Doch gibt es andere, die genau das Gegenteil sagen. Sie sagen, das Gefängnisleben sei schon zu brutal. Sie möchten, daß mehr Steuergelder in die Gefängnisse gesteckt werden, um daraus Stätten zu machen, an denen die Gefangenen anständig leben könnten und produktive, anregende Arbeit erhalten würden. Sie wollen das Los der Gefangenen leichter und glücklicher gestalten.

      Offensichtlich besteht keine Übereinstimmung in, dieser Angelegenheit. Aber eines sollte unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen. In den letzten Jahrhunderten ist nahezu alles, was mit Gefängnissen zu tun hat, versucht worden. Das, was einige jetzt empfehlen — mehr Brutalität oder weniger Brutalität, längere Strafen oder kürzere Strafen, Reformen oder keine Reformen —, ist schon ausprobiert worden. Und im allgemeinen war es ein Fehlschlag. Erscheint es vernünftig, wieder von vorn anzufangen und es mit vergangenen Fehlschlägen noch einmal zu versuchen?

      Gefängnisse selbst in Zweifel gezogen

      Daher beginnen jetzt einige Autoritäten, das gesamte Gefängniswesen in Zweifel zu ziehen. Sie fragen sich, ob die überwältigende Mehrheit derer, die sich in Gefängnissen befinden, überhaupt dort sein sollte.

      In dem Buch The Ethics of Punishment (Die Ethik der Bestrafung) heißt es: „Nach mehr als 150 Jahren der Gefängnisreform ist das hervorragende Merkmal der gegenwärtigen Bewegung ihre Skepsis hinsichtlich der Gefängnisstrafe überhaupt und ihre Suche nach neuen, angemesseneren Methoden der Behandlung außerhalb der Gefängnismauern.“

      James Bennett, ehemaliger Leiter von Bundesstrafanstalten, sagte über das Gefängnisleben: „Dadurch werden Männer während einer äußerst langen Zeitspanne von ihrer Familie und von ihren Freunden getrennt. Sie werden für ihr ganzes Leben mit einem Schandmal versehen. Sie werden auf einer trostlosen Fläche von ein paar Morgen eingeschlossen, wo die Stunden eintönig verrinnen. Sie werden mit billigen Uniformen bekleidet, denen nichts Persönliches mehr anhaftet. Ihr Privatleben wird zerstört, und sie werden mit Burschen zusammengesteckt, die sie vielleicht nicht ausstehen können. Sie sind normaler Geschlechtsbeziehungen beraubt und geraten in die Versuchung der Homosexualität. Eine Gefängnisstrafe mag so schlimm sein, daß sie auf eine feinere Art von Quälerei hinausläuft, die viel härter ist als körperliche Züchtigung.“

      Andere sind derselben Meinung. Ein Rechtsanwalt, der auf einer Tagung von Gefängnisleitern war, schreibt über deren Ansichten folgendes:

      „Jeder dieser Männer leitete ein größeres Gefängnis; sie alle waren erfahrene Leute auf diesem Gebiet; keiner war ,zimperlich‘, gegenüber dem Verbrechertum ,weich‘ oder hinsichtlich der Verbrecher naiv.

      Ich fragte den Gefängnisdirektor, der neben mir saß, wieviel Prozent derer, die seiner Aufsicht unterstellt wären, im Gefängnis sein müßten. ,Nach welchen Maßstäben?‘ fragte er. ,Zum Schutz der Gesellschaft vor persönlichem Schaden‘, erwiderte ich. ,Etwa 10 bis 15 Prozent‘, sagte er. Wir befragten die anderen Gefängnisdirektoren im Raum; keiner war anderer Meinung.

      Danach habe ich bei Besuchen in zahlreichen Gefängnissen überall im Land und im Ausland immer dieselbe Frage gestellt. Ich habe nie eine andere Antwort bekommen.“

      Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der Vereinigten Staaten, vertritt weitgehend denselben Standpunkt. Er legt besonderen Wert auf „eine Anschauung, gemäß der die Haft, wann immer möglich, vermieden werden soll, und zwar durch vorbeugende Maßnahmen, Gemeinschaftsbehandlung und Bewährungsüberwachung“.

      Nach jahrelangen Versuchen und Fehlschlägen kommen somit immer mehr Beamte zu der Schlußfolgerung, daß Gefängnisse weder ein Abschreckungsmittel gegen Verbrechen sind noch zur Besserung der Straffälligen dienen. Sie bewirken einfach nicht das, was man sich erhofft hat, und man benötigt etwas anderes. Aber über den Maßstab zur Schaffung einer Ersatzlösung besteht keine Übereinstimmung.

      Es hängt mehr damit zusammen

      Man sollte jedoch auch nicht voreilig schlußfolgern, das Versagen der Gefängnisse im allgemeinen sei die Grundursache für das explosionsartig zunehmende Verbrechertum. Das ist nicht der Fall, obwohl durch das Versagen der Gefängnisse eine schlimme Situation tatsächlich noch schlimmer wird.

      Es hängt etwas viel Grundsätzlicheres damit zusammen. Es gibt eine grundlegende Krankheit, die die Menschheit im allgemeinen durchdringt. Die zum Bersten vollen Gefängnisse spiegeln diese Krankheit der Gesellschaft lediglich wider.

      Lange Zeit, besonders vom Ersten Weltkrieg an, haben negative Einflüsse die Nationen durchsetzt. Es gibt Massengewalttaten und -zerstörungen im Kriege, Rassenvorurteile, wachsende Elendsviertel, Ghettos, Armut und Selbstsucht und Heuchelei auf höchster Ebene im politischen, religiösen und wirtschaftlichen Leben. Allzuviel Toleranz hinsichtlich der Moral hat hohe Grundsätze noch mehr zerstört und hat Neigungen zum Verbrechertum gefördert.

      Wie es in der Bibel passend heißt, erntet man, was man sät. Da die Sinne nun seit mehr als einem halben Jahrhundert von solchen negativen Einflüssen bombardiert werden, sollte es einen wirklich nicht überraschen, daß es so viele Gesetzesübertreter gibt.

      Ferner wird in einem vom amerikanischen Justizministerium herausgegebenen Bericht bemerkt, „daß 75 % aller wegen Raubes verhafteten Personen unter 25 Jahre alt waren“. Es wird darin gezeigt, daß hiervon „33 % Jugendliche waren“. Viele junge Leute begehen daher Verbrechen, ehe sie überhaupt ein Gefängnis von innen gesehen haben. Dem Gefängnisleben kann also nicht die größte Schuld für die Zunahme der Verbrechen gegeben werden. Sie werden durch die Mängel der Gesellschaft verursacht.

      Auch liegt es nicht nur an einigen wenigen, die in Verbrechen verwickelt sind und die das Verbrechertum unterstützen. Die Verantwortung liegt bei einem großen Teil der Bevölkerung. Ralph Salerno, ehemaliger Präsidentenberater in Fragen des organisierten Verbrechertums, sagte vor einer kanadischen Zuhörerschaft:

      „Die Leute, die beim Angebot von Waren und Dienstleistungen von Gestalten, die Verbrecherringen angehören, wetten und bieten, sind dieselben, die Ihren und meinen Meinungsforschern sagen, sie wünschten Recht und Ordnung und Gerechtigkeit.

      Möchten ... [Sie], daß das organisierte Verbrechertum morgen früh um 8 Uhr aufhört? Sie veranlassen jeden Kanadier und ich jeden Amerikaner, damit aufzuhören, die ungesetzlichen Unternehmungen des organisierten Verbrechertums zu unterstützen, und es gibt sein Geschäft auf. Sie brauchen keine Polizisten. Sie brauchen ehrliche Bürger. Sie müssen die Heuchelei bekämpfen.“

      Die Reformbemühungen innerhalb der Gefängnisse versagen somit aus genau demselben Grund, aus dem außerhalb des Gefängnisses Verbrecher hervorgebracht werden. Die Lehren, Standpunkte und Handlungen der Welt wirken dem gesunden Denken entgegen. Angesichts der Nahrung, die die Menschen jetzt für ihren Sinn bekommen, ist es nicht realistisch, zu erwarten, daß Gefängnisreformen etwas nützen oder die Verbrechen abnehmen werden. Worin besteht die Lösung? Was kann hinsichtlich der Gefängnisse selbst getan werden? Wird überhaupt jemals etwas in bezug auf die Verhältnisse geschehen, durch die Gesetzesübertreter hervorgebracht werden?

      [Herausgestellter Text auf Seite 12]

      SCHUTZ VOR VERBRECHEN IST TEUER

      In den Vereinigten Staaten gibt es etwa 500 000 Polizisten. Die jährlichen Gesamtkosten übersteigen 4 000 000 000 $, worin die Gehälter für Richter und Gefängnispersonal und die Kosten für Gebäude und Einrichtungen nicht eingeschlossen sind. Das Anfangsgehalt eines einzelnen Polizisten beträgt jetzt in vielen Städten etwa 8 500 $.

      [Bild auf Seite 11]

      Ehemaliger Leiter von Bundesstrafanstalten (USA): „Eine Gefängnisstrafe mag so schlimm sein, daß sie auf eine feinere Art von Quälerei hinausläuft, die viel härter ist als körperliche Züchtigung.“

  • Worin besteht die Lösung?
    Erwachet! 1972 | 8. April
    • Worin besteht die Lösung?

      DIE Zahl der Gefängnisinsassen nimmt weiter zu. Die Verbrechen ebenfalls. Offensichtlich muß doch etwas anderes unternommen werden. Aber was?

      Es sind verschiedene Dinge zu berücksichtigen. Darunter ist etwas, was im Bereich der Menschen liegt. Etwas anderes liegt außerhalb ihrer Macht, wird aber unweigerlich geschehen.

      Was gehört zu den Dingen, die die Menschen und Regierungen ändern könnten, wenn sie es wollten?

      Gleiches Recht erforderlich

      Etwas, was sie ändern könnten, ist der heutige Mangel an Einheitlichkeit. Die Strafe für ein Vergehen ist an einem Ort nicht immer dieselbe wie an einem anderen. Das läßt die Achtung vor dem Gesetz schwinden und verbittert die Straffälligen.

      Zum Beispiel soll ein Frauenschänder im amerikanischen Bundesstaat Connecticut eine Gefängnisstrafe von durchschnittlich einem Jahr und neun Monaten verbüßen. Aber auf der anderen Seite der Staatsgrenze, in New York, sollen es durchschnittlich vier Jahre und zwei Monate sein. Ein Mörder in Texas verbüßt im Durchschnitt etwa zwei Jahre und neun Monate. Aber in Ohio bekommt der gleiche Straffällige im allgemeinen fünfzehn Jahre und zwei Monate.

      Ein zweiunddreißigjähriger Mann, der arbeitslos war und dessen Frau gerade eine Fehlgeburt gehabt hatte, fälschte einen Scheck über 58.40 Dollar. Er war nicht vorbestraft, und als ehemaliger Kriegsteilnehmer war er ehrenhaft entlassen worden. Der Richter verurteilte ihn zu fünfzehn Jahren Gefängnis. Im selben Jahr fälschte ein anderer zweiunddreißigjähriger Mann, ebenfalls arbeitslos, einen Scheck über 35.20 Dollar. Er war jedoch vorher zweimal im Gefängnis gewesen, einmal sechs Monate lang, weil er nicht für seine Frau und sein Kind gesorgt hatte. Doch der Richter, der diesen Fall verhandelte, verurteilte ihn nur zu dreißig Tagen. Der Mann mit dem besseren Ruf wurde 180mal so schwer bestraft!

      In Atlanta wurde ein Mann mittleren Alters, Schatzmeister einer Kreditanstalt, zu nur 117 Tagen verurteilt, weil er 24 000 Dollar veruntreut hatte. Im Gefängnis traf er einen anderen Veruntreuer in seinem Alter, der, obwohl er nicht vorbestraft war und obwohl er ein gutes Familienleben führte, eine zwanzigjährige Gefängnisstrafe verbüßte, auf die eine Bewährungsfrist von fünf Jahren folgen sollte. Eine Nackttänzerin in Texas wurde zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie im Besitz von Marihuana war. Aber drei Wissenschaftler einer Arzneimittelfirma, die sich schuldig bekannten, Arzneimittelangaben gefälscht zu haben, wodurch Hunderte von Menschen Schaden davontrugen, erhielten eine Strafe von sechs Monaten, deren Vollzug aufgeschoben wurde.

      Solche Fälle zeigen, wie notwendig ein einheitliches, unparteiisches Recht ist, bei dem die Vergangenheit der Straffälligen berücksichtigt wird. Aber diese Art Unparteilichkeit, diese Art einer einheitlichen Gerechtigkeit, zeigt sich vom Standpunkt des Menschen aus nirgends am Horizont.

      Wie steht es mit den Opfern?

      Etwas Wesentliches, was bei der Behandlung von Verbrechern fast ganz fehlt, ist die Berücksichtigung ihrer Opfer. Jemand kann zum Krüppel gemacht, beraubt, betrogen, vergewaltigt werden, und doch wird nur wenig getan, um das Opfer zu entschädigen. Statt dessen erhält der Straffällige eine Gefängnisstrafe, und später scheint sich das Mitgefühl größtenteils dem Verbrecher zuzuwenden, während das unschuldige Opfer oft vergessen wird.

      Welche andere Möglichkeit gibt es anstelle dieses unausgeglichenen Zustandes? Ronald Goldfarb, ein Jurist aus Washington (D. C.). schlug folgendes vor:

      „Ein voll ausgebautes Programm der Entschädigung der Opfer ist eine wichtige Alternative zur Gefängnisstrafe. Über 80 Prozent der Verbrechen sind Eigentumsdelikte und durch die Bestrafung des Straffälligen geschieht wenig, um das Opfer zu schützen oder zu entschädigen.

      In den meisten Fällen scheint es meiner Meinung nach so zu sein, daß zum Beispiel das Opfer eines Diebstahls und die Gesellschaft im allgemeinen um ihrer Ruhe als Gesamtheit willen vor allem eine Wiedergutmachung für das Opfer wünschen.

      Wenn mir jemand 100 Dollar stiehlt, habe ich sehr wenig davon, daß der Dieb für ein Jahr ins Gefängnis geschickt wird. Ich hätte lieber meine 100 Dollar zurück, vielleicht noch etwas mehr als Entschädigung für meinen Verdruß.“

      Wie soll dies seiner Meinung nach geschehen, wenn der Verbrecher kein Geld hat? Er sagt: „Der Verbrecher, der kein Geld hat, könnte seine Strafe an einem öffentlichen Bauprojekt verbüßen, um das Geld zur Bezahlung der Kosten zu verdienen, die durch sein Verbrechen entstanden sind. In einem außergewöhnlichen Fall könnte dem Straffälligen das Recht entzogen werden, außerhalb des Gefängnisses unter Bewährungsüberwachung zu arbeiten, aber auch von ihm sollte verlangt werden, daß er im Gefängnis arbeitet, um sein Opfer zu entschädigen.“

      Ließe sich ein solches System bei einigen derer, die jetzt im Gefängnis sind, anwenden? Anscheinend ja, denn die meisten sind keine Verbrecher, die man als „hartnäckige Fälle“ bezeichnen würde. Ja, der Gefängnisleiter Bennett erklärte:

      „Eine der falschen Auffassungen über Gefängnisse ist die, daß sie voll von sadistischen Mördern, verwegenen bewaffneten Räubern, abenteuerlichen Einbrechern und schlauen Betrügern seien Tatsächlich machen die ,schweren Fälle‘ nicht mehr als ein Zehntel aus ...

      Die übrigen sind solche, von denen ich sagen würde, daß sie ,in der Patsche sitzen‘, und der typische Gefangene hat aus einem einzigen Verbrechen nie mehr als fünfzig Dollar herausgeschlagen. Es ist ein junger Autodieb, der auf der Suche nach seinem Eldorado davonfährt, oder ein Dummkopf, der zehn Jahre Gefängnis riskiert, um zehn Dollar aus einer Ladenregistrierkasse herauszuholen.“

      Immer mehr Beamte vertreten die Meinung, daß man, ohne die Gesellschaft zu gefährden, viele dieser Gefangenen gar nicht hätte ins Gefängnis einzuliefern brauchen. Ja, einige Gefangene dieser Art sind bereits in einem „offenen Gefängnis“, wie man sie in Schweden und in einigen anderen Ländern ausprobiert hat. Diese Anstalten haben keine Mauern, keine Gitter, keine bewaffneten Wärter, die ihre Runde machen. Die Gefangenen sind dort gewissermaßen auf Ehrenwort, und sie kommen nach der Arbeit wieder in ihr Zimmer zurück. Einige Autoritäten meinen, daß die meisten Gefängnisse, was Gefangene dieser Art betrifft, praktisch geräumt werden könnten, wenn mit der Arbeit eine Entschädigung für das Opfer verbunden wäre. Sie meinen, man brauche nur den hartnäckigen Verbrecher im Gefängnis festzuhalten.

      Hat es jemals eine Zeit gegeben, in der eine ganze Nation ein ähnliches System anwandte, bei dem der Straffällige Schadenersatz leisten mußte, statt eingesperrt zu werden? Ja. Hat es sich bewährt? Ja. Es wurde auf nationaler Ebene vom alten Israel angewandt.

      Wie das Recht in Israel angewandt wurde

      Die Gesetze, die für das alte Israel maßgebend waren, hatte Gott durch Moses erlassen. Da Gott den Menschen gemacht hat, mußte er am besten wissen, wie dem gesamten Bereich des menschlichen Tuns, einschließlich der Behandlung von Straffälligen, Rechnung zu tragen wäre.

      Wie bereits erwähnt, sah das Gesetz, das Gott durch Moses erließ, keine Gefängnisstrafen vor. Es sah andere bestimmte Strafen für Verbrechen vor. Bei Eigentumsdelikten wie Diebstahl, Zerstörung oder Betrug wurde der Straffällige nie eingesperrt. Statt dessen bestand die grundlegende Strafe darin, daß die Opfer entschädigt werden mußten.

      Hatte zum Beispiel jemand einen Stier oder ein Schaf gestohlen und fand man das Tier bei ihm, so mußte er Ersatz leisten, indem er dem Opfer zwei Stiere oder zwei Schafe gab. Die Strafe war das Doppelte des Gestohlenen oder des verursachten Schadens. Hatte der Dieb den Stier oder das Schaf bereits geschlachtet oder verkauft, so stieg der Schadenersatz: Für den Stier mußte er fünf Stiere erstatten, für das Schaf vier Schafe. Wurde etwas anderes, also kein Vieh, gestohlen, so wurde doppelter Schadenersatz verlangt. — 2. Mose 22:1-9.

      Was aber, wenn der Straffällige keinen Ersatz für das Gestohlene leisten konnte? Dann wurde er in die Sklaverei verkauft, und der Preis wurde als Entschädigung verwendet. Er diente seinem Herrn, bis er seine Schuld abgearbeitet hatte. Das Gesetz verlangte jedoch, daß man ihn als Sklaven freundlich behandelte wie einen Lohnarbeiter. Auf diese Weise wurden das Opfer und auch derjenige entschädigt, der den Sklaven bezahlte, da dieser wiederum für ihn arbeitete. — 2. Mose 22:3.

      Heute wird jemand, der einen anderen überfällt, entweder zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, oder die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Aber sein Opfer mag einen wochen- oder monatelangen Arbeitsausfall haben. Wer zahlt dem Opfer die Rechnungen, während es arbeitsunfähig ist? Der Straffällige nicht. An einigen Orten mag das Opfer keinerlei Einkommen haben und wird so zu einer Last für die Allgemeinheit.

      Aber unter dem Gesetz, das Gott dem alten Israel gab, mußte der Straffällige dem Opfer Ersatz für den Arbeitszeitverlust leisten: „Wenn Männer hadern, und einer schlägt den anderen mit einem Steine oder mit der Faust, und er stirbt nicht, sondern wird bettlägerig: ... so soll der Schläger ... sein Versäumnis [Fußnote: sein Stillsitzen] erstatten und ihn völlig heilen lassen.“ — 2. Mose 21:18, 19.

      Das soll nicht heißen, daß bei der heutigen verwickelten und verwirrenden Lage der Dinge genau dieselben Methoden angewandt werden könnten. Aber bestimmt wäre eine Methode, durch die der Straffällige das Opfer entschädigen würde, besser, als wenn der Straffällige eine Gefängnisstrafe bekäme und das Opfer nicht entschädigt würde, wie es jetzt der Fall ist.

      Wie ist es mit der Todesstrafe?

      Heute besteht die Neigung, keine Todesstrafe zu verhängen, auch wenn es sich um gefühllos gewordene Mörder handelt. Statt dessen kommen die Schuldigen ins Gefängnis.

      Nach einigen Jahren Gefängnis werden einige entlassen. Manchmal bringen sie wieder jemand um. Der französische Präsident Pompidou erwähnte vor kurzem einen Fall, in dem Gefangene in einem französischen Gefängnis zwei Geiseln töteten. Bei dieser Gelegenheit berichtete er auch von einem Mann, der seine Frau getötet hatte, eine Zeitlang als „Muster“-Häftling im Gefängnis war, entlassen wurde, die Fürsorgerin des Gefängnisses heiratete — und sie zwei Jahre später tötete.

      Ein anderer Mörder prahlte, daß er zweiundzwanzig Menschen ermordet habe. Er schwor, einen Gefängniswärter zu ermorden, damit es dreiundzwanzig wären. Während er in Leavenworth (Kansas) im Gefängnis war, machte er diese Drohung wahr. Er ermordete einen Wärter.

      Allzuoft sieht das Bild so aus. Entlassene Mörder bringen wieder Menschen um. Und allzuoft werden die unschuldigen ersten Opfer sowie die unschuldigen späteren Opfer aus unangebrachtem Mitgefühl für den Mörder übersehen.

      Was besagte das Gesetz, das Gott dem alten Israel hinsichtlich solcher Straftaten gab? Der überführte Mörder sollte unbedingt zu Tode gebracht werden. Das diente als Strafe und auch als Abschreckungsmittel. Und es gab diesbezüglich keine Unklarheit. Es war nicht so, daß ein Gericht diesen Entscheid und ein anderes irgendeinen anderen Entscheid gefällt hätte. Die Angelegenheit wurde im ganzen Land einheitlich gehandhabt, da überall dieselben Gesetze angewandt wurden. — 2. Mose 12:49.

      Somit bestand im alten Israel nie die Möglichkeit, daß Mörder freigelassen wurden, so daß sie weitere Unschuldige hätten töten können. Sie, die Schuldigen, sollten den Preis bezahlen.

      Unabsichtliche Totschläger wurden anders behandelt, wenn sie auch nicht in Gefängnisse kamen. Aber da sie jemandem das Leben genommen hatten, mußten sie eine bestimmte Zeit lang in einem zu diesem Zweck abgesonderten Gebiet wohnen. Dort konnten sie den normalen Beschäftigungen des Lebens nachgehen, aber sie durften bei Todesstrafe nicht weggehen. Es wurde ihnen also eine Beschränkung auferlegt, aber auch eine barmherzige Vorkehrung eingeräumt. — 4. Mose 35:6-32.

      Ebenfalls von großem Interesse ist es, wie man in Israel mit unverbesserlichen Verbrechern verfuhr, selbst in Fällen, in denen ihr Verbrechen ursprünglich nicht die Todesstrafe verdient hätte. Wenn sich Personen absichtlich weigerten, sich an das Gesetz zu halten, wenn sie unverbesserlich waren, so wurden sie zu Tode gebracht. Auf diese Weise wurde zweierlei bewirkt. In 5. Mose 17:12, 13 heißt es: „Du sollst das Böse [durch Hinrichtung] aus Israel hinwegschaffen. Und das ganze Volk soll es hören und sich fürchten und nicht mehr vermessen sein.“ Ja, Verbrecher, die nicht bereuten, wurden ‘hinweggeschafft’, hingerichtet. Dies diente als Strafe, als Abschreckungsmittel und auch als Schutz für die Unschuldigen, die gesetzestreu leben wollten.

      Es gab im alten Israel also keine Gefängnisstrafen. Teure Gefängnisse und die hohen Steuern, die nötig sind, um sie instand zu halten, waren unbekannt. Und solange die Herrscher und das Volk diese Gesetze befolgten, hatte die Nation Gedeihen. Aber als sie es versäumten, diese göttlichen Gesetze zu achten und hochzuhalten, begann die Nation zur Gesetzlosigkeit herabzusinken. Schließlich führte der Zerfall zur Vernichtung der Nation.

      Dauernde Reform

      Der Schlüssel zu einer wahren Reform ist die Erziehung. Erziehung worin? In den richtigen Maßstäben für das Leben, in der richtigen Moral und in der richtigen Einstellung. Wer kann die Gewähr dafür geben, daß ein gewisses Muster der Erziehung richtig ist, daß es für die Menschen das beste ist? Nur auf die Unterweisung, die von Gott kommt, könnte dies überhaupt zutreffen.

      Das soll nicht heißen, daß man erwarten sollte, daß die Vorkehrungen des alten Israel zur Behandlung von Straffälligen heute von den Nationen übernommen würden. Keine dieser Nationen unterwirft sich der Herrschaft Gottes. Daher kann man nicht erwarten, daß sie Gottes Gesetze und Grundsätze voll anwenden würden. Je näher sie einer solchen Handlungsweise jedoch kommen, desto gerechter und menschlicher werden sie die Gesetze geltend machen können und desto wirkungsvoller wird dies zur Abschreckung vor Verbrechen dienen.

      Auf jeden Fall ist eine wirkliche Reform selbst in diesem verderbten System der Dinge doch für den einzelnen möglich. Es gibt heute Menschen, die zweifellos die Änderung des Sinnes vornehmen, die zu richtigem Denken und zu einem rechten Wandel führt. Wie? Indem sie den Rat der Bibel befolgen: „Formt euch nicht mehr nach diesem System der Dinge, sondern werdet durch die Neugestaltung eures Sinnes umgewandelt, damit ihr euch selbst vergewissern könnt, was der gute und annehmbare und vollkommene Wille Gottes ist.“ — Röm. 12:2.

      Selbst ehemalige Verbrecher haben dies getan. Sie haben sich durch ihr Studium der Gesetze Gottes, wie sie in seinem Wort, der Bibel, aufgezeichnet sind, vollständig gebessert. Daß sie sich die bessere Lebensweise zu eigen gemacht haben, die Gott empfiehlt, hat dazu geführt, daß sie gesetzestreu geworden sind, und das ist für ein Volk von Vorteil.

      Was würde geschehen, wenn dies große Menschenmengen täten? Nun, wir brauchen darüber nicht im ungewissen zu sein. Dies ist nicht lediglich eine theoretische Frage. Tatsächlich tun dies heute große Menschenmengen! In 207 Ländern in der ganzen Welt haben Jehovas Zeugen, und zwar über 1 500 000, Gottes hervorragende Gesetzessammlung für das Leben angenommen. Sie können bezeugen, daß sie wirksam und von praktischem Wert ist. Und ein Beweis hierfür ist die Tatsache, daß Jehovas Zeugen, als Gruppe gesehen, in ihren Reihen praktisch keine Verbrechen kennen. Das ist ein Grund, weshalb sich ihnen in den letzten Jahren Hunderttausende angeschlossen haben und weiter anschließen.

      Aber Jehovas Zeugen stehen den Dingen realistisch gegenüber. Sie wissen, daß dieses System der Dinge in seiner Gesamtheit unverbesserlich ist. Daher rechnen sie überhaupt nicht damit, die Welt zu bekehren, so daß jeder Gottes Gesetzessammlung für das menschliche Verhalten annehmen würde. Gott hat sogar selbst das Ende dieses gesetzlosen Systems der Dinge angeordnet. Die Geschichte hinsichtlich seiner Verfahrensweise mit den Menschen enthält auch folgende prophetische Gewähr: „Die Übeltäter werden ausgerottet werden ... Die Gerechten werden das Land besitzen und werden darin wohnen immerdar.“ — Ps. 37:9, 29.

      Die Zeit wird bald kommen, in der Gott diesem System ein Ende bereiten wird. Dann wird er menschlichen Regierungen alle Gewalt entreißen. (Dan. 2:44) Ihre einander widersprechenden Gesetzessammlungen werden mit einem Schlag verschwinden.

      Danach werden nur Gottes Gesetze für die Menschen maßgebend sein. Diese Gesetze werden gerecht, liebevoll und einheitlich sein und sich nicht nur auf die Ideale des Gesetzes stützen, das dem alten Israel gegeben wurde, sondern auf die Grundsätze des Christentums, wie Jesus es gelehrt hat. Gottes hervorragende Maßstäbe werden von einer liebevollen, aber stabilen und unbestechlichen Regierung durchgesetzt werden, von Gottes himmlischem Königreich, das unter Christus steht, dem Königreich, um das zu beten Christen gelehrt worden sind. — Matth. 6:10.

      In jener neuen Ordnung werden jedem Bewohner die hervorragenden Gesetze Gottes gelehrt werden. Wie nie zuvor werden dann die Worte zutreffen: „Die Erde wird voll sein der Erkenntnis Jehovas, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken.“ (Jes. 11:9) Was wird das Ergebnis sein? Die gesetzestreuen Menschen unter der neuen Ordnung „werden sich ergötzen an Fülle von Wohlfahrt“. — Ps. 37:11.

      Wird es in jener neuen Ordnung Gefängnisse geben? Nein, statt dessen könnten wir erwarten, daß bei irgendwelchen Straftaten ähnlich wie im alten Israel ohne Verwendung von Gefängnissen vorgegangen wird. Diejenigen, die ihr Vertrauen in Gottes Verheißungen setzen und sich schon jetzt an seine Gesetze halten, werden es zweifellos erleben, daß es einmal keine Gefängnisse mehr gibt.

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