Wie hat die Religion einer Verbrüderung entgegengewirkt?
IM GROSSEN und ganzen verlieren die Leute heutzutage mehr und mehr das Vertrauen in die Religion. Dennoch glauben viele, sie lehre die Menschen Liebe und Brüderlichkeit. Natürlich hat es stets in allen Religionen einzelne gegeben, die edel gehandelt haben. Doch was verraten die Tatsachen über die Religionen der Welt im allgemeinen? Inwieweit sind die Religionen beispielsweise für Kriege — das Gegenteil von Liebe und Brüderlichkeit — verantwortlich?
Was die Geschichtsbücher darüber berichten, ist haarsträubend. Sie erzählen von furchtbaren Leiden, von Greueltaten und Blutvergießen, wofür die falschen Religionen verantwortlich gemacht werden müssen oder wozu sie mindestens ihren Segen gegeben haben. Über die blutigen Kreuzzüge im Mittelalter, die die Christenheit durchführte, lesen wir in dem Buch Kaiser, Ritter und Scholaren (S. 55): „Ohne Hemmungen konnten sie [die Kreuzfahrer] zügellos und grausam sein. Sie raubten und plünderten andere Christen aus und verübten unglaubliche Schandtaten an ihren mohammedanischen Gegnern.“
Im Jahre 1208 organisierte Papst Innozenz III. einen besonderen Kreuzzug gegen die Anhänger einer nach ihrem Gründer, dem Kaufmann Petrus Waldes aus Lyon, benannten religiösen Laienbewegung. Petrus Waldes griff den Reichtum und das Wohlleben des Klerus an. Wie der Historiker H. G. Wells schreibt, predigte Papst Innozenz III. einen Kreuzzug gegen die Waldenser und „erlaubte damit jedem beschäftigungslosen Lumpen, der sich in das Kreuzesheer einreihen ließ, mit Feuer, Schwert und Dolch alle erdenkbaren Grausamkeiten an den friedlichsten Untertanen des Königs von Frankreich zu verüben. Die Erzählungen von den ... Greueln dieses Kreuzzuges sind schrecklicher zu lesen als irgendeine Märtyrergeschichte.“
Eine Folge dieses Kreuzzuges war die Schaffung einer neuen Kircheninstitution, der päpstlichen Inquisition, die unter der Leitung des Dominikanerordens organisiert wurde. Der Kommentar des Historikers H. G. Wells darüber lautet: „Nun aber saßen auf Hunderten von Marktplätzen Europas die Würdenträger der Kirche und sahen zu, wie die Leiber ihrer Gegner ... verbrannten und hinsanken. Und mit diesen Opfern sank die große Mission der Kirche an die Menschheit in Staub und Asche.“
Solche Greueltaten sowie verschiedene Mißbräuche führten zu Beginn des 16. Jahrhunderts zur Reformation. Aber wie die katholische Kirche Jahrhunderte zuvor, so wurden auch die Protestanten bald in die Politik verwickelt. Im Jahre 1618 kam es dann zwischen den Protestanten und den Katholiken zum Dreißigjährigen Krieg. Bald weitete er sich zu einem europäischen Religionskonflikt aus. „Dieser Krieg wurde mit einer beispiellosen Grausamkeit geführt. ... die Entsittlichung hatte hemmungslose Ausschweifung zur Folge“ (A History of Europe von H. Fischer).
Wir haben nur einige wenige der vielen Kriege erwähnt, die die Religion in der Vergangenheit verschuldet oder unterstützt hat. Und wie steht es heute?
Religion und Kriege heute
Seit Jahrhunderten besteht zwischen den Katholiken und den Protestanten Irlands eine bittere Feindschaft. Die Auseinandersetzungen in Nordirland in den vergangenen Jahren haben auf beiden Seiten großes Elend verursacht und viele Opfer gefordert. Wegen ihrer nationalistischen Gesinnung und ihrer Einmischung in die Politik sind die Kirchen zum großen Teil für diese Leiden verantwortlich.
Bis heute ist der Nahe Osten der Mittelpunkt von Auseinandersetzungen, bei denen die Religion eine Rolle spielt. Seit Jahren kämpfen im Libanon „Christen“ und „Nichtchristen“ gegeneinander, und noch ist kein Ende dieses Blutvergießens abzusehen. Ähnlich war es in Indien, als im Jahre 1947 die Engländer das Land in die Unabhängigkeit entließen und verschiedene nichtchristliche Gruppen sich gegenseitig abschlachteten.
Was bei diesen und bei anderen Auseinandersetzungen passierte, bei denen die Religion eine wichtige Rolle spielte, ist allgemein bekannt. Aber solche Greuel haben sich nicht nur die großen Religionen der Welt zuschulden kommen lassen, sondern auch kleinere Gruppen. Besonders eine erregte 1978 in der ganzen Welt Aufsehen und rief Empörung hervor. Damals nahmen sich in Guyana auf Betreiben des Sektenführers Jim Jones rund 900 seiner Anhänger das Leben.
Doch das Ausmaß dieser Katastrophe war gering im Vergleich zu dem des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. In diesen beiden Kriegen fügten sich Millionen Angehörige der Christenheit sowie Juden, Buddhisten, Hindus und andere gegenseitig entsetzliche Verluste an Menschenleben zu und stürzten einander in großes Elend. Aber auf beiden Seiten der kriegführenden Parteien betete die Geistlichkeit um den Segen Gottes.
Es gelingt den Religionen der Welt nicht, die Menschen zu verbrüdern, weil sie alle einen grundsätzlichen Fehler machen: Sie veranlassen das Volk, menschlichen Führern und ihren Lehren anzuhangen, anstatt das zu tun, was Gott uns in seinem Wort, der Bibel, zu tun heißt (Joh. 12:43).
Bei diesen weltlichen Religionen kann es sich somit nicht um die wahre Religion handeln. Ein inspirierter Bibelschreiber sagte deutlich: „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst [Fußnote: Religion] vor Gott und dem Vater ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Drangsal besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt erhalten“ (Jak. 1:27, Elberfelder Bibel, Fußnotenwiedergabe). Diese Worte atmen einen Geist der Liebe und der Brüderlichkeit. Dagegen denke man an die Millionen, die durch Gewalttätigkeiten und Verfolgung — inszeniert von der unreinen, falschen Religion — zu Witwen und Waisen gemacht worden sind. Und der Grund dafür ist, daß diese Religion sich ‘mit der Welt befleckt hat’.
Das alles läßt deutlich erkennen, daß wir nie erwarten dürfen, die Systeme der falschen Religion, an deren Spitze die Kirchen der Christenheit stehen, wären imstande, alle Menschen zu verbrüdern. Jahrhundertelang besaßen sie die Macht und Gelegenheit, es zu tun. Aber was wir sehen, ist eine Welt, die unter Kriminalität, Terrorismus und Kriegen leidet, eine Welt, die durch Politik, Nationalismus, Rassismus und Tausende von Religionsgemeinschaften gespalten ist.
Bedeutet das, daß die Sache aussichtslos ist? Ist die Situation so schlimm, daß sich der Traum von einer Verbrüderung der Menschen nie erfüllen wird? Viele Leute stimmen vielleicht dem Text eines Schlagers zu, dessen Titel lautet „Warum?“: „Für die Verbrüderung der Menschheit gab es ein Rezept, doch leider ging es dann verloren, und jetzt ist keiner da, der sich danach auf die Suche macht.“
Sei aber nicht entmutigt. Das Rezept für die Verbrüderung der Menschheit ist nicht verlorengegangen, ja den Kern der Weltbrüderschaft gibt es sogar schon.
[Bild auf Seite 7]
„Heilige Kriege“ haben Gott in Verruf gebracht