‘Du bist meine Hoffnung, o Jehova, meine Zuversicht von meiner Jugend an’
Von Herman Mikkelsen erzählt
IM Jahre 1897 — ich war damals zwölf Jahre alt — wohnten wir auf der kleinen dänischen Insel Bornholm. Ein Freund unserer Familie namens Swen Swenson hatte ein Buch gelesen, das von der Watch Tower Society veröffentlicht worden war und den Titel „Millennium-Tagesanbruch“ trug. Kurz darauf stürmte er in unsere Wohnung. Mit der einen Hand hielt er das Buch hoch, mit der anderen hämmerte er auf sein Knie, und in sichtlicher Erregung rief er aus: „Hier habe ich ein Buch, das bestimmt die Wahrheit enthält, und ich muß Großmutter Pedersen [der Mutter meiner Mutter] sagen, daß sich Großvater nicht in einem Höllenfeuer befindet, wie es der Prediger bei der Beerdigung gesagt hat.“
Großmutter war darüber so glücklich, daß sie ausrief: „Meine Gebete sind erhört worden!“
Damit begann in unserer Wohnung ein Bibelstudium, das ungefähr vierundzwanzig Stunden dauerte und ohne Unterbrechung durchgeführt wurde. Als meinem Vater während der Nacht einige Male die Augen zufielen, fragte Swenson jeweils: „Schläfst du? Hast du gehört, was ich gesagt habe?“, und weiter ging es.
Am Morgen besuchte uns mein Großvater väterlicherseits, ein Lehrer in der lutherischen Kirche. Es dauerte nicht lange, bis Bibelstellen angeführt wurden, die zeigten, daß die Kirche Dinge lehrte, die im Widerspruch zur Bibel standen. Großvater versuchte, für die Kirche einzutreten, vermochte sich aber nicht zu behaupten, da Swen die Bibel hatte und ein Buch, das sie erklärte. Wir begannen, unsere Hoffnung und Zuversicht auf Jehova zu setzen.
Unsere Familie bekundete ein lebhaftes Interesse an der göttlichen Wahrheit, doch Großvater Mikkelsen wollte seine Kirche nicht verlassen. Trotzdem besuchte Swen ihn immer wieder. Eines Abends sagte Großvater zu Großmutter: „Ich möchte bloß wissen, weshalb Swenson heute abend nicht da ist.“ Sie antwortete: „Du solltest froh sein; ihr streitet euch ja doch immer.“ Er erwiderte aber: „Nein! Er hat recht; ich kann es nur nicht leiden, daß er die Kirche verurteilt.“ So ging Großvater weiterhin zur Kirche, erzählte aber den Kirchenmitgliedern die Dinge, die er aus der Bibel gelernt hatte, wie zum Beispiel, daß die „Hölle“ das Grab sei, nicht ein Ort feuriger Qual.
Als er schließlich eines Tages zur Kirche kam, verwehrten ihm zwei kräftige junge Männer den Zutritt. Er war nicht mehr willkommen! Als Swenson das erfuhr, sagte er zu meinem Großvater: „Das ist das allererste Mal, daß die Kirche dir etwas Gutes getan hat!“
Von da an dienten wir alle vereint Jehova und hatten regelmäßig unsere Zusammenkünfte in Großvaters Wohnung. Auf diese Weise lernte ich ‘von meiner Jugend an, Jehova zu meiner Zuversicht’ zu machen. — Ps. 71:5.
EREIGNISSE BIS ZUR TAUFE
Im Jahre 1910 wanderte ich in die Vereinigten Staaten aus, und im Jahre 1912 heiratete ich das Mädchen aus Dänemark, mit dem ich verlobt war. Ich besaß die von der Watch Tower Society herausgegebene Buchserie, betitelt „Schriftstudien“, in Dänisch. Meine Frau beschloß, alle Bücher anhand der Bibel zu studieren, um zu beweisen, daß sie Irrlehren enthielten. Je mehr sie darin las, desto mehr sagte ihr das Gelesene zu, und bald erkannte sie, daß es die Wahrheit war. Wir studierten beide diese Bücher regelmäßig und strengten uns auch an, die englische Sprache zu erlernen.
Im Jahre 1917 kamen meine beiden Schwestern in die Vereinigten Staaten. Sie und ihre Ehemänner waren an der göttlichen Wahrheit interessiert. Eines Tages erzählten sie mir, daß ein Kongreß der Internationalen Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden, stattfinden sollte. Auf diesem Kongreß in Fresno (Kalifornien), ungefähr zweiunddreißig Kilometer von dem Ort entfernt, in dem wir wohnten, traf ich einen Beauftragten der Gesellschaft, A. H. Macmillan. Er sagte, daß die im Wachtturm erscheinenden Erklärungen über Gottes Wort dem Licht der Morgendämmerung glichen, das immer heller leuchte, bis es Tag werde. Meine Frau stieß mich leise an, als ob sie sagen wollte: „Hast du das gehört!“ Ich hatte es gehört, und dieses Licht hat bis jetzt fünfundsiebzig Jahre lang meinen Weg erleuchtet. Von diesem kleinen Kongreß an bis heute haben wir uns nie von Jehovas liebevoller Organisation entfernt.
Das Heimbibelstudium, das wir während der Kriegsjahre durchführten, bewog uns zur Hingabe an Jehova. Die Gelegenheit, diese Hingabe zu symbolisieren, bot sich uns jedoch erst beim Besuch eines reisenden Beauftragten der Watch Tower Society. So wurden wir, meine Frau und ich, im Jahre 1920 an dem Tag, an dem die Feier zum Gedächtnis an den Tod Jesu stattfinden sollte, getauft. Am Abend erlebten wir zum erstenmal ein Gedächtnismahl; wir nahmen die Symbole, und indem wir unsere Hoffnung und Zuversicht auf Jehova setzten, nahmen wir die „Berufung Gottes nach oben durch Christus Jesus“ an. — Phil. 3:14.
VORRECHTE ALS DIENSTLEITER
Im Jahre 1922 wurde ich zum Dienstleiter der Versammlung in Reedley ernannt, einem kleinen ländlichen Städtchen, in dessen Nähe wir wohnten. Im darauffolgenden Jahr wurde ich jedoch durch einen anderen Bruder, der ernannt wurde, ersetzt, und darüber ärgerte ich mich. Ich brachte meine Empfindungen meiner Frau gegenüber zum Ausdruck, doch sie zeigte keinerlei Mitleid mit mir. Ihre Worte waren: „Dienen wir Menschen, oder dienen wir Jehova? Sollten wir nicht dafür dankbar sein, daß wir das Vorrecht haben, Jehova zu dienen, und sollten wir nicht mit unserer ganzen Kraft allen anderen Brüdern beistehen, das auch zu tun?“ Auf der Stelle sah ich ein, daß sie recht hatte, und verscheuchte meinen Groll. Jehova schenkte uns überaus große Freude; ich war ihm dafür dankbar, daß er mir die Gelegenheit gegeben hatte, mich einer Prüfung meiner Demut zu unterziehen, und daß ich diese Prüfung bestehen konnte.
Im Jahre 1924 zogen wir um, und zwar auf eine Farm in der Nähe von Fresno, und kurz darauf wurde ich dort zum Dienstleiter ernannt. Das kam für mich und für viele andere völlig überraschend. Ich war neu in der Versammlung, sprach immer noch mit starkem Akzent und war kein so guter Redner wie einige andere Brüder. Jedenfalls war ich ernannt worden, und nun bewegte mich die Frage: Was kann getan werden, um die „Zeugnisversammlung“ (jetzt Dienstzusammenkunft genannt) zu verbessern?
Bei dieser Zusammenkunft pflegten wir Zeugnis in bezug auf die Entwicklung eines christlichen „Charakters“ zu geben, und es wurde nicht viel über die öffentliche Predigttätigkeit gesagt. Bis dahin hatte jeder von uns das Bulletin (jetzt Königreichsdienst) für sich gelesen; es enthielt Anregungen, wie man die Wahrheiten des Wortes Gottes anderen mitteilen konnte. Ich war sehr aufgeregt, als ich mich nach Beginn der „Zeugnisversammlung“ erhob und alle bat, ihr Bulletin herauszunehmen. Zwar hatten es nur zwei bei sich, doch wir machten anhand des Bulletins weiter, und es war eine segensreiche Zusammenkunft. Von diesem Zeitpunkt an verwendeten wir das Bulletin.
Allerdings waren einige darüber nicht erfreut, da das Bulletin Nachdruck auf den Predigtdienst legte. Man unternahm daher Schritte, mich abzusetzen. Als uns der reisende Beauftragte der Gesellschaft das nächste Mal besuchte, wurde die Angelegenheit überprüft. Er hielt uns allen eine sehr eindringliche Ansprache über unsere Verantwortung, die gute Botschaft zu predigen. Dies verhalf uns zu einer ausgewogeneren Ansicht, so daß wir nicht mehr nur daran dachten, daß wir eine christusähnliche Persönlichkeit entwickeln sollten, sondern auch daran, daß wir anderen die gute Botschaft verkündigen sollten.
WIR TRETEN IN DEN VOLLZEITPREDIGTDIENST EIN
Im Jahre 1929 bewarben wir, meine Frau und ich, uns um den Vollzeitpredigtdienst unter der Leitung der Watch Tower Society und erhielten eine Zuteilung für Roseburg (Oregon). Wir besaßen eine Ford-Limousine, Modell T, in der wir aber nicht schlafen konnten, weil wir drei Söhne hatten. So kauften wir einen alten „Star“-Lastkraftwagen, bauten ihn zum Wohnwagen um und machten uns auf den Weg in das uns zugeteilte Gebiet. Mit wenig Geld in der Tasche kamen wir an; so tauschten wir viele Dinge, die wir zum Essen benötigten, gegen biblische Literatur ein. Eine Frau fragte, ob sie von mir eine Bibel bekommen könne. Ich sagte ja und bot ihr an, ihr im Tausch gegen etwas anderes eine Bibel und ein Buch zu geben. Sie sagte: „Dafür können Sie alle meine Hühner haben.“ Wir nahmen nur ein Huhn.
Eine Straße in unserem Gebiet führte ungefähr hundert Kilometer in die Berge. Sie war sehr abschüssig und kurvenreich. An gewissen Stellen fielen die Felsen steil und tief ab. Wäre ein Rad am Rand der schmalen Straße abgeglitten, so wären wir ziemlich tief hinuntergestürzt. Wir hofften auch stets, daß uns niemand aus der anderen Richtung entgegenkäme.
Wir machten noch viele andere interessante Erfahrungen. Als ich mich einmal einer Hütte näherte, schrie jemand: „Verschwinden Sie hier, sonst bringe ich Sie um!“ Ich ging weiter freundlich auf den Mann zu: Dann legte er das Gewehr an, zielte auf mich und rief: „Hören Sie mich? Ich meine es ernst!“
Ruhig antwortete ich: „Ich bin Ihr Freund; geben Sie mir eine Gelegenheit, Ihnen etwas zu erzählen.“
Er sagte: „Ja, ja, genau der richtige Freund; so einen habe ich mir schon immer vor die Flinte gewünscht. Ich habe drei große Schlachten im Krieg [im Ersten Weltkrieg] mitgemacht, und vor jeder Schlacht seid ihr Dreck ... [er gebrauchte ein Wort für Feldgeistliche] herausgekommen und habt uns gesegnet. Einmal blieben nur vier von uns am Leben, und wie ihr Burschen sagt, hat Gott alle anderen in den Himmel geholt. In einer Schlacht habe ich stets nach einigen von ihnen [Feldgeistliche] gesucht, aber ich habe nie einen gefunden, sonst hätte ich auch ein paar von ihnen in den Himmel befördert.“
Er hatte mittlerweile sein Gewehr heruntergenommen und sagte dann weiter: „Einmal war es sehr heiß während einer Schlacht, und wir hatten kein Wasser mehr. Da sah ich bei einem toten Kameraden eine Feldflasche. Zur selben Zeit sah sie auch ein anderer. Er schaute mich an, und ich schaute ihn an — und ich erschoß ihn; ich tötete ihn wegen einer Flasche Wasser, meinen eigenen Kameraden. Ich weiß, daß ich dafür in der Hölle schmoren werde.“ Es war ein Vorrecht, diesem Mann die Wahrheit über die „Hölle“ zu sagen und mit ihm über die gute Botschaft zu sprechen, die von den wahren Dienern Gottes gepredigt wird.
RÜCKKEHR NACH KALIFORNIEN UND GLAUBENSPRÜFUNGEN
Im Jahre 1929 befand sich das Land in einer Finanzkrise, und wir waren gezwungen, den Vollzeitpredigtdienst aufzugeben und nach Kalifornien zurückzukehren. Hier verweigerte mein neunjähriger Sohn im Oktober 1935 aufgrund seines biblisch geschulten Gewissens die Teilnahme an der Fahnengrußzeremonie in der kleinen Dorfschule. Das schlug in der Gemeinde wie eine Bombe ein. Plötzlich wurden wir von den Leuten des Ortes gemieden. Nachbarn, die sonst freundlich gewesen waren, scheuten sich nun, uns anzublicken, wenn sie uns auf der Straße begegneten. In Geschäften lehnte man es ab, Waren an uns zu verkaufen, und wir mußten nach Fresno gehen, um einzukaufen.
Im Februar 1936 wurde unser Sohn schließlich von der Schule verwiesen. Im Jahre 1938 geschah dasselbe mit vielen weiteren Kindern von Zeugen Jehovas, und so eröffneten wir in unserer Wohnung eine Privatschule, „Königreichsschule“ genannt. In dieser Schule wurden alle Klassen, von der ersten bis zur achten, unterrichtet, und vierzehn Kinder wohnten von Montag bis Freitag bei uns. Über das Wochenende wurden sie von ihren Eltern nach Hause geholt. Diese Schule bestand bis zum Jahre 1943, dem Jahr, in dem das Oberste Bundesgericht sich in Sachen des obligatorischen Fahnengrußes selbst revidierte und die Kinder der Zeugen wieder die öffentlichen Schulen besuchen konnten.
Das Gebiet, das meine Frau und ich bearbeiteten, erstreckte sich einhundertsechzig Kilometer weit, von der Sierra Nevada im Osten bis in die Coast Range Mountains im Westen. Im Süden unseres Gebietes lag die Stadt Lindsay. Die dortige kleine Gruppe von Zeugen wurde von den Beamten der Stadt sehr schlecht behandelt. Daher beschloß die gesamte Versammlung Fresno, dorthin zu gehen und an e i n e m Tag der ganzen Stadt Zeugnis zu geben. Wir waren mit unserem Predigtdienst kurz nach Mittag fertig. Zwei Häuserblocks waren jedoch noch nicht bearbeitet worden, weil die Polizei gedroht hatte, uns zu verhaften, falls wir vorsprechen würden. Wir, mein Sohn und ich sowie ein anderer Zeuge und dessen Sohn, erklärten uns bereit hinzugehen. Als ich zu einem der Häuser kam, erschien ein Polizeibeamter an der Tür und rief: „Sie können Gift darauf nehmen, daß ich daran interessiert bin. Ich habe gerade zwei von euch Burschen zur Stadt hinausgetrieben, und wenn ihr nicht auf der Stelle verschwindet, werfe ich euch ins Gefängnis.“
In diesem Augenblick sah er die anderen Zeugen. Er schrie: „Kommt hierherüber!“ und verhaftete uns alle. Er brachte uns in einen kleinen Gerichtssaal. Der Richter war freundlich und bat uns, Platz zu nehmen. Doch einige Minuten später vernahmen wir Schritte. Der Polizeibeamte erschien mit sechs Männern. Er ging auf mich zu und fuhr mich an: „Wir sind Vertreter der Amerikanischen Legion, und wir sind gekommen, dafür zu sorgen, daß Sie so schnell wie möglich die Stadt verlassen.“
Darauf sagte der Richter: „Das ist die Amerikanische Legion, die Jungen, die den Ozean überquerten, um für euch zu kämpfen und zu sterben.“ Ich entgegnete: „Herr Richter, ich lehne es ab anzuerkennen, daß irgend jemand, außer Christus Jesus, für mich gestorben ist.“ Dann versuchte ich zu erklären, daß wir in erster Linie Jehova Gott untertan sind. Aber der Richter schrie: „Verlassen Sie den Raum!“ Als wir weggingen, schlugen zwei Männer den beiden Jungen die Büchertaschen aus der Hand, so daß ihre biblischen Schriften umherflogen. Wir hoben sie auf und gingen.
An einem Samstagnachmittag wurden meine Frau und eine andere Zeugin in Reedley verhaftet, weil sie die falsche Religion dadurch bloßgestellt hatten, daß sie Plakate mit den Aufschriften „Religion ist eine Schlinge und ein Gimpelfang“ und „Dient Gott und Christus, dem König“ getragen hatten. Als man sie vor den Richter brachte, einen Mann, den wir seit vielen Jahren kannten, sagte dieser: „Aber Frau Mikkelsen, wie kann eine ehrbare Frau wie Sie ein solches Plakat tragen?“ Sie antwortete: „Sie in Ihrer Stellung wissen doch besser als ich, daß das, was das Plakat besagt die Wahrheit ist.“ Er lachte schallend. Dann rief er den Polizisten und sagte: „Nehmen Sie Frau Mikkelsen, und bringen Sie sie wieder dahin, wo Sie sie angetroffen haben, und lassen Sie sie gehen.“
Als im Jahre 1939 unsere Wohnung für die Zusammenkünfte der Versammlung zu klein wurde, mieteten wir einen kleinen Laden, ungefähr drei Häuser von der Polizeistation in Reedley entfernt. Trotz dieser Lage bekamen wir es mit Gangstern zu tun. Sie bombardierten uns mit Früchten und faulen Eiern. Sie rasten mit Autos und Motorrädern hin und her, schlugen Lärm und versuchten, unsere Zusammenkünfte zu stören, doch die Polizei unternahm nie etwas dagegen. Ein Zeuge, Oscar Roth, ein gebrechlicher Mann von siebzig Jahren, wurde eines Abends auf dem Heimweg von einem Gangster überfallen und schwer geschlagen. Seine Rippen waren gebrochen und seine Augen grün und blau geschlagen. Wenige Wochen später versuchte derselbe Mann, diesen Zeugen mit seinem Lastkraftwagen zu überfahren. Bruder Roth hörte ihn jedoch kommen und konnte noch rechtzeitig hinter einen Baum springen, den der Lastkraftwagen auch prompt rammte. Zu alledem wurde dann Bruder Roth noch vor Gericht zitiert und angeklagt, den Lastkraftwagen dieses Mannes beschädigt zu haben! Immerhin kamen die Gangster mit dieser Anklage nicht durch.
Da wir von unserem Nachbarn, der Polizei, keine Hilfe erhielten, wandten wir uns direkt an den Gouverneur von Kalifornien. Der Gouverneur antwortete: „Ich bin sicher, daß so etwas nicht mehr vorkommen wird. Sollte es aber doch der Fall sein, so lassen Sie es mich bitte wissen, damit ich mich der Sache annehmen kann.“ Von da an unterstützte uns die Polizei.
Bis zum Frühjahr des Jahres 1941 waren wir auf mehr als einhundert Zeugen angewachsen, und es wurde uns empfohlen, in Selma, einem Ort, in dessen Nähe wir wohnten, eine neue Versammlung zu gründen. Ich wurde als Dienstleiter in Selma eingesetzt. In den vierziger Jahren wuchs die Versammlung gewaltig an. Wir hatten viele junge Leute und waren eine sehr lebendige und glückliche Versammlung. Eines meiner liebsten Andenken ist ein Bild von sechzehn Jungen, Teenagern, die auf ihren Fahrrädern sitzen, ihre Büchertaschen in der Hand, bereit, am Sonntagvormittag zum Predigen der guten Botschaft von Gottes Königreich auszuziehen. Unser Gebiet war größtenteils Landgebiet, und da das Benzin rationiert war, bedienten wir uns der Fahrräder. Auch ich besaß ein Fahrrad und fuhr jeweils mit.
ZURÜCK IN DEN VOLLZEITPREDIGTDIENST
Stets hatte ich gehofft, in den Vollzeitpredigtdienst zurückzukehren, doch wurde meine Frau krank und war dann an den Rollstuhl gefesselt. Es schien unmöglich zu sein, daß ich je wieder ein Vollzeitprediger der guten Botschaft werden könnte. Dann, nach fünf Jahren im Rollstuhl, wurde meine Frau wiederhergestellt, und trotz ihres Alters von über sechzig Jahren begann sie wieder zu gehen. Ich konnte mich um den Vollzeitpredigtdienst bewerben. Noch einmal konnten wir gemeinsam in den Predigtdienst von Haus zu Haus gehen. Das war vor mehr als zwanzig Jahren.
Vor zwei Jahren begann sich der Gesundheitszustand meiner Frau zu verschlechtern. Als wir von der Feier des Abendmahls des Herrn nach Hause kamen, sagte sie: „Das war unsere fünfzigste Gedächtnismahlfeier, und ich glaube, es war meine letzte.“ Zehn Monate später, nach etwas mehr als neunundfünfzig Jahren, in denen wir verheiratet waren und Jehova gemeinsam gedient hatten, beendete meine Frau in voller Zuversicht auf Jehova ihren irdischen Lauf.
Ich stehe jetzt im siebenundachtzigsten Lebensjahr und betrachte es als ein Vorrecht, drei Generationen von Zeugen Jehovas erlebt zu haben. Einer meiner Söhne half mit, die Marshallinseln für die gute Botschaft zu erschließen, und ein anderer, der ein Aufseher ist, wohnt in meiner Nähe, so daß ich ihn besuchen kann. Ich habe viele christliche Brüder, die ich von der Zeit an, da sie auf ihren Fahrrädern saßen, heranwachsen sah und die jetzt in verschiedenen Versammlungen Aufseher sind. Mein Verstand ist immer noch klar und mein Körper immer noch so kräftig, daß ich in der Lage bin, meinen Wagen zu fahren und andere mit in den Predigtdienst zu nehmen. Vor allem aber bin ich dafür dankbar, daß ich Jehova noch als Vollzeitprediger dienen kann.
Wenn ich jetzt auf die fünfundsiebzig Jahre zurückblicke, die ich mit Jehovas liebevoller Organisation verbunden bin, bereitet es mir Freude zu wissen, daß ich an ihrer Ausdehnung einen Anteil gehabt habe. Ich erinnere mich noch an das riesige Gebiet, das sich vom Gebirge im Osten bis zum Gebirge im Westen erstreckte, quer durch den halben Bundesstaat Kalifornien, und daran, daß wir manchmal glaubten, wir könnten das niemals alles schaffen. Aber stets setzten wir unsere Zuversicht auf Jehova, und er sorgte für all die Hilfe, damit wir das Werk verrichten konnten. Denn heute gibt es dort wenigstens ein Dutzend Versammlungen und Hunderte von tatkräftigen Zeugen Jehovas. Sehr vielen von ihnen durften wir zu einer genauen Erkenntnis der Wahrheit verhelfen. Es ist für mich eine Genugtuung, zu wissen, daß unser gesamtes Gebiet mit der guten Botschaft von Gottes Königreich bearbeitet wird.
Mir ist auch bekannt, daß es nun auf der kleinen Insel Bornholm (Dänemark) einige Versammlungen gibt, und ich wünschte, sie wären zum Teil aus jenen Zusammenkünften hervorgegangen, die im Hause meines Großvaters stattfanden, wo ich vor so langer Zeit den Namen Jehovas zum erstenmal gehört habe. „Du bist meine Hoffnung, o Souveräner Herr Jehova, meine Zuversicht von meiner Jugend an.“ — Ps. 71:5.