Space shuttle — ein neuer Weg in der Raumfahrt
MIT donnerndem Getöse, das meilenweit den Erdboden erschütterte, erhob sich das erste wiederverwendbare Raumschiff, Columbia, von seinem Startplatz in Cape Canaveral (Florida) und schoß himmelwärts. Das war am 12. April, genau 20 Jahre nach dem ersten bemannten Raumflug des russischen Kosmonauten Juri Gagarin. Nach 54 1⁄2 Stunden und 36 Erdumkreisungen tauchte das Raumschiff unter enormer Hitzeentwicklung in die Atmosphäre ein, um zur richtigen Zeit und am richtigen Punkt auf einem Trockensee in Kalifornien zu landen.
Dieses spektakuläre Meisterwerk war das Ergebnis einer zehnjährigen Entwicklung und einer Investition von 10 Milliarden Dollar. Es wurde als „Beginn einer neuen Ära in der Weltraumforschung“ gepriesen. Andere beschrieben es als eine „Spritze“ für eine Nation, die an ihrem eigenen technologischen Können zweifelt. Wieder andere nahmen es mit gemischten Gefühlen auf, indem sie sagten, es sei „eine enorme Geldverschwendung“.
Warum diese unterschiedlichen Reaktionen? Was ist eigentlich das Space shuttle, und welchem Zweck sollte es dienen? Ist es den Aufwand wert?
Wozu ein Space shuttle?
Bisher wurden alle Raumfahrzeuge von „Wegwerfraketen“ in den Weltraum befördert, die später in der Atmosphäre verbrannten oder ins Meer fielen. Die kostspieligen Raumfahrzeuge als solche kamen schon nach dem ersten Flug ins Museum. Aber mit dem Space Transport System (STS) — die offizielle Bezeichnung des Space shuttle — verhält es sich anders. Der Kern des Systems besteht aus einer Flotte von Raumfähren, deren erste die Columbia ist, die nach dem Schiff benannt wurde, das im Jahre 1790 als erstes US-Schiff die Welt umsegelte. Das Space shuttle ist als ein Weltraum-Lkw oder Luftfrachtschiff bezeichnet worden, das immer wieder, bis zu 100mal, Ausflüge in den Weltraum machen kann. Durch diese neue Methode werden Raumflüge theoretisch wesentlich wirtschaftlicher.
Was kann es leisten?
Dank einer Nutzlast von 30 Tonnen kann die Raumfähre Satelliten in den Weltraum befördern, die der Nachrichtenübertragung, der Wissenschaft und dem Militär dienen. Auch Geräte wie Teleskope, Kameras und sogar komplette Labors können transportiert werden. Sie kann außerdem Spezialisten aufnehmen, die im Weltraum Experimente durchführen, Himmel und Erde erforschen und defekte Geräte warten, reparieren oder sogar bergen. Später wird sich die Möglichkeit bieten, Menschen und Materialien in eine Umlaufbahn zu bringen, um Raumstationen zu bauen für die Nutzung der Sonnenenergie oder für die Herstellung von Bauteilen in der Schwerelosigkeit des Raums. Um all das zu bewerkstelligen, baut die NASA gegenwärtig drei weitere Raumfähren für je 500 Millionen Dollar — die Challenger, die Discovery und die Atlantis. Dadurch können bis Mitte der 80er Jahre vielleicht 30 bis 40 Flüge pro Jahr geplant werden und um 1990 vielleicht sogar 50 Flüge.
Eine nähere Betrachtung der Raumfähre
Die 37 m lange, 72 Tonnen schwere Columbia, deren Deltaflügel eine Spannweite von 23 m haben, wirkt wie ein massiges Düsenflugzeug. Am Heck sind drei der hervorragendsten Raketentriebwerke angebracht, die je gebaut worden sind. Sie können insgesamt mehr Energie erzeugen, als man für die Stromversorgung des gesamten Staates New York braucht. Und doch sind sie ohne die Düsentrichter nur eineinhalb Meter lang. Die Treibstoffpumpe, so groß wie ein Ölfaß, bringt die Leistung von 28 Diesellokomotiven. Bei der Entwicklung dieser Hochleistungstriebwerke ging man bis an die Grenzen der heutigen Technik, und die Triebwerksprobleme waren einer der Hauptgründe für die Verzögerung des Jungfernfluges der Columbia, der ursprünglich für Anfang 1978 geplant war.
Die Raumfähre ist auf dem Startplatz an einem riesigen, 15 Stockwerk hohen Treibstofftank befestigt, der über 700 Tonnen flüssigen Sauerstoff und Wasserstoff faßt. Dieser Treibstoff wird von den drei Haupttriebwerken der Raumfähre in nur neun Minuten verbraucht. Und doch reichen diese leistungsfähigen Triebwerke nicht aus, um die ganze Masse in den Weltraum zu befördern. Deshalb sind zu beiden Seiten des Treibstofftanks zwei Feststoffraketen angebracht. Sie sehen wie zwei überdimensionale Bleistifte aus und sind mit 900 Tonnen Aluminiumpulver gefüllt — der gleiche Treibstoff wie in Feuerwerkskörpern. Sie liefern fünfmal soviel Schub wie die Haupttriebwerke und sind die größten Feststoffraketen, die je gebaut wurden, und die ersten, die für den bemannten Raumflug eingesetzt wurden.
Der Start
Die Haupttriebwerke der Raumfähre wurden gezündet. Sekunden später setzte der Schub der Zusatzraketen ein, und das Raumschiff begann — zuerst langsam — zu steigen. Nach zwei Minuten hatten die Zusatzraketen ihren letzten Treibstoffvorrat verbraucht und wurden durch kleine Sprengsätze vom Außentank getrennt. Während sie erdwärts fielen, öffneten sich drei riesige Fallschirme, um den Aufschlag dieser 18 Millionen Dollar teuren Raketen auf dem Wasser des Ozeans zu dämpfen. Sie wurden von den beiden eigens dafür gebauten Schiffen Liberty und Freedom an Land gezogen, die im Zielgebiet bereits warteten, und werden etwa 20mal bei einem Kostenaufwand von je 13 Millionen Dollar wieder verwendet werden.
Neun Minuten nach dem Start war der Treibstoff im Außentank verbraucht, und die Raumfähre hatte eine Höhe von 115 km erreicht. Der Tank mußte nun ausgekoppelt werden, so daß die Schwerkraft ihn zur Erde zurückholen konnte. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verbrannte er zu Trümmern, die in den Indischen Ozean fielen. Der 3 Millionen Dollar teure Tank ist das einzige Teil, das nicht wieder verwendet wird. Eine Überholung würde mehr kosten als der Tank selbst.
Nun war die Columbia ganz selbständig, ohne Antrieb. Nachdem die beiden bisher unbenutzten Steuertriebwerke gezündet worden waren, gelangte die Columbia in eine Umlaufbahn von 240 km Höhe.
In der Umlaufbahn
Die beiden Piloten im Cockpit haben 1 400 Schalter und Relais und drei Bildschirme vor sich, die mit den fünf Bordcomputern verbunden sind. In Wirklichkeit übernahmen die Computer von der neunten Minute vor dem Start bis kurz vor der Landung die Steuerung der Raumfähre. Das System wird als vierfach redundant bezeichnet: Die vier Hauptcomputer verarbeiten die gleichen Informationen und müssen zu ein und demselben Ergebnis kommen. Bei Unstimmigkeiten wird gewählt, und die Mehrheit entscheidet. Wenn das Problem dadurch nicht gelöst werden kann, wird der fünfte Computer, der Reservecomputer, eingeschaltet, der das letzte Wort hat. Die Datenspeicher fassen 134 Millionen Bits, und in kritischen Momenten des Fluges führen sie 325 000 Operationen pro Sekunde durch.
Eines der Hauptziele des ersten Fluges bestand darin, im Weltraum die Türen des Frachtraums zu testen. An der Innenseite der Türen sind vier Kühler angebracht, die nach draußen in den Weltraum geklappt werden müssen, damit die durch die elektronischen Einrichtungen entstandene Wärme abgeleitet werden kann. Nach diesem Test und einigen Kontrollen des Navigationssystems war die Columbia bereit, zur Erde zurückzukehren.
Wiedereintritt
Um zu verhindern, daß mit der Columbia beim Wiedereintritt in die Atmosphäre dasselbe geschieht wie mit dem Außentank, sind 70 Prozent ihrer Oberfläche durch etwa 31 000 keramikbeschichtete Silikonfliesen gegen eine Temperatur von 1 400 °C geschützt, die durch die Reibung beim Wiedereintritt entsteht. Die Herstellung dieses Schutzschildes war eine ebenso große Herausforderung wie der Bau der drei Haupttriebwerke. Die Fliesen, von denen keine der anderen gleicht, wurden von Computern entworfen und ausgeschnitten und von Hand wie ein riesiges Puzzle an den Rumpf geklebt. Die enormen Probleme bei der Anbringung und der Erprobung der Fliesen waren ein weiterer Grund für die Verzögerung des Projekts.
Nachdem die Columbia auf eine Höhe von etwa 130 km abgesunken war, wurden die Fliesen feuerrot, und der Flammenschein um das Raumschiff schnitt jegliche Funkverbindung ab. Die Columbia war in diesem kritischen Flugstadium 16 Minuten lang allein, und das Bodenkontrollpersonal hielt den Atem an.
Dann plötzlich kam der Überschallknall — zwei laute Stöße, die ankündigten, daß die Columbia den Wiedereintritt sicher überstanden hatte und jetzt zum Landeflug ansetzte. Etwa eine Minute lang verfolgten 10 000 Augenpaare mit Spannung, wie die 72 Tonnen schwere Raumfähre in einem siebenmal steileren Winkel als ein Linienflugzeug auf die Landebahn zukam. Das Fahrwerk klappte heraus, und Sekunden später setzte die Raumfähre mit einer Geschwindigkeit von 345 km/h auf dem Trockensee auf. „Willkommen zu Hause, Columbia! Wunderschön, Wunderschön!“ rief der Sprecher der Flugüberwachung. So endete der erste Flug der Raumfähre.
Bald nach der Landung begann man, die Columbia für die nächste Reise vorzubereiten, die 6 Monate später beginnen würde. Danach sollen 7tägige Testflüge im Jahre 1982 unternommen werden, die dann die Experimentalphase des Projekts abschließen.
Ist es den Aufwand wert?
Der wirtschaftliche Vorzug des Space shuttle beruht auf dem Plan, zwischen den Jahren 1979 und 1990 etwa 50mal im Jahr eine Raumfähre zu starten. Würde man nur 30 Flüge pro Jahr machen, dann wären die Kosten eines Fluges etwa ebenso hoch wie die einer herkömmlichen Rakete. Gegenwärtig sind nicht mehr als 20 Flüge pro Jahr nötig, und ob noch ein größerer Bedarf eintreten wird, bleibt abzuwarten. Etwa ein Drittel der Flüge ist vom Militär gebucht, und es wurde auch gesagt, daß das Projekt ohne das Militär schon im Sand verlaufen wäre. Viele befürchten, es handle sich dabei um eine militärische Eskalation in zivilem Gewand.
Selbst vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sind einige enttäuscht. Joseph Veverka, Vorsitzender der NASA-Arbeitsgruppe für Kometforschung, sagte, daß „das Programm der Raumforschung in unserem Land fast zerstört worden ist“. Dem ist so, weil „das Geld zur Vollendung [der Raumfähre] von wissenschaftlichen Projekten abgezogen wurde“. Die NASA wird in die unrühmliche Rolle eines „Weltraumfernfahrers“ für die Fracht anderer Leute gezwängt, da ihr für die Entwicklung anderer Projekte wenig Geld übriggeblieben ist.
Obwohl das Programm des Space shuttle als „wertvoll und produktiv“ gepriesen wurde, sagte eine Gruppe von Wissenschaftlern im Bulletin of the American Academy of Arts and Sciences (Mitteilungsblatt der amerikanischen Akademie der Wissenschaften und Künste), daß es „weder fundamentalen Grundsätzen der Physik, kurzfristigen biologischen Problemen noch Fragen vernünftig angewandter Technik“ zugute kommt. „Im Gegenteil“, meinte Lester R. Brown, Direktor des Worldwatch Institute in Washington, „es bestehen dringende Probleme, die ignoriert werden.“ Er führte Beispiele an wie die Erosion von Ackerboden und die nationale Verschuldung.
Zweifellos ist der fast makellose Flug der Columbia eine große technische Leistung. Deshalb sind viele der Auffassung, daß der neue Weg in der Raumfahrt, den das Space shuttle erschließt, für die Menschheit eine bessere Zukunft bedeuten wird. Doch wenn der durch den ersten Flug geweckte Optimismus verflogen ist, wird genügend Gelegenheit bestehen, die Zukunft dieses kompliziertesten Fluggeräts, das der Mensch je gebaut hat, neu zu überdenken und zu werten.
[Bilder auf Seite 25]
Space shuttle
Die drei Haupttriebwerke können 23mal soviel Energie erzeugen wie das Kraftwerk am Hoover Dam.
Satelliten, Raumlabors und andere Geräte aus dem Frachtraum werden im Weltraum ausgesetzt.
Nach 9 Minuten wird der 7 000 000 DM teure Treibstofftank abgetrennt.
Die Bordcomputer führen bis zu 325 000 Operationen pro Sekunde aus.
Bremsraketen verlangsamen die Raumfähre auf 22 000 km/h, bevor sie im 40-Grad-Winkel in die Atmosphäre eintaucht.
Beim Wiedereintritt hält die Schutzschicht aus Silikon einer Temperatur von über 1 400 °C stand.
Zusatzraketen erzeugen einen Schub, der dem von 25 Jumbo-Jets entspricht.
Setzt mit 315 km/h auf vorgegebener Landebahn auf.