Warum feiert man den 11. 11.?
MARTIN, Bischof von Tours, ist ein Heiliger der katholischen Kirche. Weshalb feiert man seinen Gedenktag am 11. 11.? Er gehört zu den ersten Nichtmärtyrern, die als Heilige verehrt und mit offiziellem kirchlichem Kult gefeiert wurden.
Am 8. November 397 u. Z. starb er, und am 11. November wurde er begraben — aber nicht vergessen. Der Tag seiner Beisetzung wird vor allem in katholischen Gegenden als Martinstag gefeiert, und vielerorts wird an diesem Tag der Karneval inauguriert.
Wie ist es aber möglich, daß am Martinstag so viel heidnisches Brauchtum gepflegt wird, wenn doch der Heilige ein so christlicher Mann gewesen sein soll?
Der eigentliche Ursprung des Martinstages
Manche bringen die vielfältigen Volksbräuche mit dem Wodanskult in Verbindung, und dies nicht ohne Grund. So gingen z. B. viele Bräuche des alten, dem Wodan geweihten Herbstdankfestes auf den Gedächtnistag des heiligen Martin über1. Edith Delamare schreibt diesbezüglich: „Die mannigfachen Volksbräuche, die sich um das Fest des Heiligen am 11. November ranken, werden oft durch Entlehnungen aus dem altgermanischen Wodanskult erklärt. Durch die Tapferkeit des Offiziers [denn Martin war ein Offizier vor seiner Bekehrung] und seinen unerschrockenen Einsatz war Martin ein gutes Vorbild, die neubekehrten Germanen zum Dienst für den Christus-König zu begeistern ... Die Erklärung des Martinsbrauchtums aus früheren volkstümlichen Festen zum Ernteausklang und Winteranfang ist wesentlich wahrscheinlicher. Aus dem alten Brauch, der Dunkelheit der immer kürzer werdenden Tage den Kampf anzusagen, entstand der Martinsumzug mit den Martinslaternen2.“
Ob die Bräuche des 11. 11. auf den Wodanskult zurückzuführen sind oder ausschließlich den Wechsel zwischen Sommer und Winter darstellen, ist unwesentlich. Albert Reinhardt schlußfolgert diesbezüglich: „Dieses Brauchtum der Jahreszeiten ist aus dem Wechsel des Geschehens in der Natur, aus Glaube und Gemüt erwachsen. Sein ursprünglicher Sinn wurde später durch das Christentum umgedeutet, manche der einst heidnischen Formen wurden mit christlichem Geiste erfüllt und so die alten Jahresfeste der Germanen mit den hohen kirchlichen Feiern und Heiligenkulten immer mehr verschmolzen3.“
So spielten im Volksglauben beim Beginn eines neuen Zeitabschnittes oft böse Geister eine Rolle. „Böse, unsichtbare Wesen, die beim Anfang jedes neuen Zeitabschnittes umgehen, werden durch Lärmumzüge maskierter Burschen, mit Peitschenknallen und Glockengeläute oder durch Feuer, das auf den Feldern angezündet wird, vertrieben4.“ Dieser Brauch könnte die Grundlage für die Martinsfeuer gewesen sein, die auf den Feldern angezündet wurden. Von diesen wiederum holte man sich Feuer für die Lichter, die in ausgehöhlte Kürbisse gesteckt wurden, um auf diese Weise den Martinssegen weiterzutragen.
Der Sommer ist zu Ende — der Winter beginnt. Jetzt ist die Zeit gekommen, das Vieh „von den Bergen in die heimatlichen Ställe zu treiben. „Martini, stell ini“ ist in der Schweiz schon sprichwörtlich geworden. Der Hirte bringt die Martinsgerte mit, die als Segenszweig dient. Im Frühling holt er sie wieder hervor und schlägt die Tiere damit; das soll bewirken, daß der Segen auf sie überströmt. Vom Winter bis zum Frühling stehen die Almhütten leer. Eine gute Gelegenheit — so erzählt es der Volksmund — für die Almgeister, in den Hütten Einzug zu halten und es sich bequem zu machen. Da gibt es den „Hüttlaputz“, den „Alperer“, den „Ochsener“ und viele andere mehr. Der Lungauer Almgeist (Salzburg) ist das „Kasmandl“. Mit viel Geschrei, Peitschenknallen und Schellengetön bringen ihn maskierte junge Burschen auf die Alm. Hoch oben auf einer Stange tragen sie einen ausgehöhlten Kürbis mit einem Licht darin, den „Kasmandl“ oder Totenkopf. Im Frühjahr wird er dann wieder „ausgeklöckt“.
„Im Harz bäckt man an diesem Tage ,Trollbrezeln‘. In Niedersachsen ist es Sitte, daß die Kinder am Vorabend von St. Märten im Dorf umherziehen, Martinslieder singen und um Nüsse und Äpfel oder auch um Wurst, Speck und Schinken betteln. Wer ihnen davon spendet, wird mit einem Danklied belohnt; wer ihnen aber die Gabe vorenthält, mit einem Spottgedicht bedacht, in dem dem Geizhals alles Böse gewünscht wird und es am Schlusse heißt: ,Eine Eule fliege in sein Haus, die kratze ihm die Augen aus‘ oder auch ,Und wenn Sie uns nich geben will, schitt wi gliks up’n Süll‘. Am Rhein erstreckt sich die Bitte der Kinder auch auf ein Stück Holz ,für die Martinsfeuer‘. Noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts loderten hier überall diese Feuer empor, die ohne Zweifel auch den heidnischen Ursprung des Festes erkennen lassen; jetzt ist jedoch diese Sitte so ziemlich in Abgang gekommen. In Niedersachsen hat sich die Erinnerung an die alte heidnische Gewohnheit, mittels Feuer und Licht die Dämonen fernzuhalten, noch in dem Brauch erhalten, daß die Kinder am Martinsabend mit brennenden Lichtern und ausgehöhlten, von innen beleuchteten Kürbissen durch die Straßen ziehen und dazu bestimmte Lieder singen5.“ Heute tragen sie allerdings meistens Lampions.
Aber auch für andere Sitten und Gebräuche ist der Martinstag ein wichtiger Zeitpunkt. In vielen Gegenden ist er als Tag des Schlachtens bekannt. Auch der köstliche Haustrunk wird reif. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, sind die Hauptkennzeichen des Martinstages reichliches Essen und Trinken, wobei besonders die Gans zu ihrem Recht kommt. „Mit der Zeit ist das Gansessen mit dem heiligen Martin so eng verbunden worden, wie einst die Opferfeste mit einem göttlichen Wesen: man ißt und trinkt mit dem Heiligen zusammen und festigt so die Gemeinschaft mit ihm6.“ „Die Gans, der Vogel der Göttin Freya, spielte bei dem Opferschmaus der alten Germanen eine wichtige Rolle; sie wurde den Göttern als Dank für den guten Ausfall der Ernte dargebracht7.“ In vielen Gegenden stellte man auch anhand des Brustbeins der Martinsgans fest, wie der kommende Winter ausfallen würde.
„In den Ländern, wo man Weinbau trieb, bestand das Dankopfer in der Darbringung von Wein (Most) der soeben beendeten Lese. Die christliche Kirche legte sich diesen heidnischen Brauch wiederum in ihrer Weise zurecht, daß sie die Legende verbreitete, der heilige Martin habe in gleicher Weise wie Christus Wasser in Wein verwandelt8.“
So könnten noch viele ähnliche Bräuche beschrieben werden, die da und dort, je nach Gegend und Sitte, voneinander abweichen. Eins aber bleibt und ist unverkennbar: der gleiche heidnische Ursprung. Wer aber kennt ihn heute? Wer fragt danach? Man feiert die Feste, wie sie fallen — und dazu gehört auch, je nachdem, als was man diesen 11. 11. nun betrachtet, der Martinstag. Man liebt das Fest der Feier wegen — der Ursprung ist vergessen.
Quellen:
1 Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage, 13. Band (1906), Seite 367, Stichwort: Martin von Tours. Meyers Konversations-Lexikon, 11. Band (1889), Seite 295. Meyers Konversations-Lexikon, 11. Band (1877), Seite 267.
2 Edith Delamare: St. Martin, Tapferkeit und Erbarmen. Seite 137, 138.
3 Albert Reinhardt: Das volkstümliche Jahr. Seite 7.
4 Eugen Fehrle: Feste und Bräuche im Jahresablauf europäischer Völker. Seite 16.
5 Dr. Georg Buschan: Die Sitten der Völker. „Das deutsche Volk in Sitte und Brauch“, Seite 115, 116.
6 Eugen Fehrle: Feste und Bräuche im Jahresablauf europäischer Völker. Seite 19.
7 Dr. Georg Buschan: Die Sitten der Völker. „Das deutsche Volk in Sitte und Brauch“, Seite 114.
8 Ebenda, Seite 115.