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Die Rassenfrage erschüttert die Kirchen des „Bibelgürtels“Erwachet! 1973 | 8. Juni
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Die Rassenfrage erschüttert die Kirchen des „Bibelgürtels“
ANFANG des neunzehnten Jahrhunderts waren Kirchen der gleichen Religionsgemeinschaft sowohl im Norden als auch im Süden der Vereinigten Staaten vertreten. Auch die Sklaverei gab es in beiden Teilen des Landes. Aber die Negersklaverei hatte im Norden keinen Erfolg, wo man sich mehr auf Handel, Industrie und auf die Expansion nach Westen konzentrierte. Im Süden jedoch, wo der Anbau von Baumwolle die Grundlage der Wirtschaft bildete, bot die Sklaverei billige Arbeitskräfte.
Als die zwei Teile des Landes wegen der Sklavenfrage politisch gespaltet wurden, wurden sie auch auf religiösem Gebiet getrennt. Die Kirchen im Norden verurteilten die Sklaverei als „unheilig“, während sie von den Kirchen im Süden als „heilig“ bezeichnet wurde. Religiöse Südstaatler rissen Bibeltexte aus dem Zusammenhang und versuchten damit zu beweisen, daß es richtig sei, die Schwarzen als Sklaven zu halten. Im Jahre 1844 kam es in der Methodistenkirche zwischen dem Norden und dem Süden zu einer Spaltung wegen der Sklavenfrage; ein Jahr später unter den Baptisten. Im Jahre 1861, dem Jahr, in dem der Bürgerkrieg ausbrach, gab es dann eine Spaltung unter den Presbyterianern entlang der politischen Mason-Dixon-Linie.
Nach den Worten von E. M. Poteat jr., Prediger der Pullen Memorial Baptist Church in Raleigh (Nordkarolina), waren die Kirchen des Südens sogar selbst am Sklavenhandel beteiligt. Er sagt: „Nicht nur hielten christliche Männer Sklaven zur Verherrlichung Gottes, sondern auch die Kirchen selbst förderten das Königreich der Himmel häufig dadurch, daß sie Sklaven vermieteten, die Leibeigene des Hauses Gottes geworden waren.“
So wurde die Negersklaverei in den Südstaaten tief eingewurzelt. Man sollte jedoch nicht vergessen, daß die Kirchen die Sklaverei im Norden, wo es sie schon einmal gegeben hatte, genauso leidenschaftlich unterstützt hätten wie ihre Schwesterkirchen im Süden, wenn die Sklaverei dort den gleichen wirtschaftlichen Erfolg gehabt hätte.
Rassenvorurteile nach dem Bürgerkrieg
Nachdem die Südstaaten am Abschluß des Bürgerkrieges im Jahre 1865 eine Niederlage erlitten hatten, hielten die dortigen Geistlichen an etwas fest, was sie besonders auszeichnete — an dem Protestantismus des „Bibelgürtels“. „Wenn wir unsere politische Unabhängigkeit nicht erlangen können, dann laßt uns wenigstens eine geistige Unabhängigkeit schaffen“, forderte ein Methodistenprediger in Mississippi am Ende der Konföderation. In dem Buch Southern White Protestantism in the Twentieth Century (Protestantismus der Südstaaten im zwanzigsten Jahrhundert) von K. K. Bailey heißt es: „Die Führer der Südstaaten waren davon überzeugt, daß die Religion des Weißen im Süden reiner sei als die der gleichen Konfession im Norden.“
Die Sklaven mögen nach dem Bürgerkrieg rechtlich die Freiheit erlangt haben, aber die Neger blieben Ausgestoßene der Gesellschaft. Extremisten im Süden erhielten die Vorherrschaft der Weißen aufrecht. Sogar Methodisten- und Baptistenprediger wurden in den gefürchteten Ku-Klux-Klan aufgenommen, der gleichberechtigte Neger ständig belästigte. Der größte Teil der schwarzen Bevölkerung des Südens litt noch Jahrzehnte nach der im Jahre 1863 verkündeten Befreiung aller Sklaven unter den Fesseln der Armut und des Analphabetentums.
Infolgedessen erhielten die ausgestoßenen Schwarzen nicht genügend Bildung, um die Bibel lesen zu können. Da sie gewöhnlich nicht in den Kirchen der Weißen willkommen waren, richteten sie ihre eigenen Gottesdienste ein, in denen zunächst nur erzählt und gesungen wurde. Sie schrieben ihre eigenen Lieder, die „Spirituals“. Die Predigten, die gehalten wurden, bestanden oft nur aus einer biblischen Erzählung, die vom Vater an den Sohn weitergegeben und dabei sehr ausgeschmückt worden war.
Aber selbst wenn die Weißen den Negern erlaubt hätten, in ihre Kirchen zu kommen, hätten es nur wenige getan. So sagt der Autor des Buches Deep South (Tiefer Süden): „Da das Christentum, wie es durch die angelsächsischen Baptisten und Methodisten verkörpert wurde, die einzige ihnen bekannte Religion war und da es so eng mit dem weißen Herrn und Grundbesitzer verbunden war, befürchteten sie, sie könnten gezwungen werden, die Ewigkeit dort zu verbringen, wo sie der Gott der weißen Rasse weiterhin der gleichen Grausamkeit und Ungerechtigkeit aussetzen würde, die sie immer gekannt hatten.“
Die Geschichte der Vereinigten Staaten zeigt, daß der Neger wenig mit einem Gott zu tun haben wollte, der die weiße Rasse bevorzugte. Statt dessen haben die meisten ihre eigene Form der fundamentalistischen Religion bevorzugt.
Die Auswirkungen der heutigen Veränderungen in den Kirchen der Südstaaten
Dann begann sich im Jahre 1954 auf dramatische Weise der ganze Stand der Dinge im Süden zu ändern. Das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten machte der Rassentrennung in den Schulen ein Ende. Seitdem haben die Schwarzen den „Bibelgürtel“ aufgerüttelt. Die Mauern, die Sinn und Geist der Farbigen einhundert Jahre lang versklavt hielten, stürzen nun zusammen, und hervor kommt eine Generation von Negern, die im College erzogen wurde und die Gleichheit mit den Weißen fordert und sich dafür einsetzt.
Die alten religiösen Argumente zugunsten der Vorherrschaft der Weißen in den Südstaaten haben durch die Gesetzgebung des Bundes und durch die staatlich unterstützten Protestbewegungen an Kraft verloren. Viele Leute haben die Kirchen verlassen, die früher rassistische Ansichten vertreten haben. Jedoch sind von den radikalen Veränderungen der vergangenen paar Jahre die Kirchen der Schwarzen im Süden nicht unberührt geblieben.
Die Kirchen der Schwarzen sind vielmehr Sammelplätze zur Organisierung von Protesten und Demonstrationen geworden. Farbige Prediger, die sich im Kampf um soziale Gerechtigkeit hervortun, suchen sogar politische Ämter auf allen Ebenen, vom Stadtrat bis zum Senat, zu erlangen.
Außerdem ist der Durchschnittsneger zufolge der Forderungen nach Gleichheit materialistischer geworden. In der Zeitschrift U.S. News & World Report heißt es dazu: „Schwarze Geistliche spüren einen Anstieg der religiösen Gleichgültigkeit unter Leuten, für die die Kirche der Schwarzen einmal die Hauptstütze im Leben war“ (25. September 1972). Es ist wahr, viele Schwarze im Süden sind immer noch tief religiös und achten die Bibel. Aber die plötzlichen Veränderungen auf gesellschaftlichem und religiösem Gebiet bewirken, daß eine neue Geisteshaltung aufkommt. Wie ein Weißer bemerkte, hat der Neger im Süden jetzt „kein besonderes Schuldgefühl, wenn er sich entschließt, die Kirche zu verlassen und Agnostiker oder Atheist zu werden“.
Dadurch, daß die Rassenschranken allmählich aufgehoben werden und die Schwarzen mehr Macht bekommen, ist bewirkt worden, daß die fundamentalistische Religion, die der Weißen und auch die der Schwarzen, im „Bibelgürtel“ an Boden verliert. Doch welche anderen Faktoren haben ebenfalls dazu beigetragen, daß in die früher so feste religiöse Front der Südstaaten ein Keil getrieben wurde?
[Karte auf Seite 5]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
DER BIBELGÜRTEL
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Unkenntnis der Bibel führt zu weiteren VerlustenErwachet! 1973 | 8. Juni
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Unkenntnis der Bibel führt zu weiteren Verlusten
WÄHREND der 1950er Jahre erfuhren die amerikanischen Kirchen ein schnelles Wachstum. Die Gemeinden wurden immer größer. Neue Sekten trennten sich von den großen Konfessionen. Nirgendwo war der rosige Traum, „die Welt zum Königreich Christi zu bekehren“, rosiger als im Gebiet des „Bibelgürtels“. Aber beginnend mit den 1960er Jahren verlor die Religion an Zugkraft. Wie wir schon gesehen haben, sind im Süden viele Kirchenmitglieder und Geistliche durch ihr Interesse an gesellschaftlichen und politischen Fragen auf ein Nebengleis geraten.
Doch was geschah mit denen, die in den Kirchen aufrichtig nach geistiger Nahrung suchten? Hat man sie deutlich gelehrt, daß die Bibel das Wort Gottes ist, und hat man ihnen gezeigt, wie es als Wegleitung im Leben benutzt werden kann? Kirchenführer geben darauf eine deutliche Antwort. Zum Beispiel gibt Carl Bates, ehemaliger Präsident der Southern Baptist Convention, zu: „Wir haben eine Generation von Baptisten großgezogen, die über unsere Lehren fast völlig unwissend sind.“ Und der Baptist Dr. K. L. Chafin sagt: „Sie wissen nicht, wie sie ihren Glauben erklären sollen.“
Warum die Unkenntnis der Bibel unter Kirchenmitgliedern?
Aber warum sind die Kirchenmitglieder „fast völlig unwissend“ und können nicht „ihren Glauben erklären“, der sich auf die Bibel stützen sollte? Könnte es sein, daß die Geistlichen ihrer Herde nichts Wesentliches aus der Bibel zu bieten haben? Glauben die Geistlichen in den Südstaaten wirklich, daß die Bibel „von Gott inspiriert“ ist, wie es der Apostel Paulus glaubte? — 2. Tim. 3:16.
Um die Antwort einer Kirche zu erhalten, könntest du einmal das zwölfbändige Werk Broadman Bible Commentary betrachten, einen Bibelkommentar, der von Baptistengelehrten zusammengestellt wurde. Dieses Werk zieht die Glaubwürdigkeit der Bibel so sehr in Frage, daß seine Veröffentlichung in Kreisen der Baptisten der Südstaaten mehrere Jahre lang einen Aufruhr verursacht hat. Aber jetzt greifen immer weniger Geistliche diesen Kommentar an. So kann man in der Zeitschrift Christian Century über die Geschäftsversammlung der Southern Baptist Convention im Jahre 1972 folgendes lesen:
„Die Streitfrage, die den Beratungen der SBC den ohrenbetäubendsten Schlag zu versetzen drohte — die jahrelangen Untersuchungen in Verbindung mit dem 12bändigen Werk ,Broadman Bible Commentary‘ und seinen Herausgebern —, nahm ein jämmerliches Ende ... [Konservative] brachten eine Resolution ein, in der sie forderten, daß das Werk widerrufen und neu geschrieben werden solle, weil es nicht mit dem Glauben der Baptisten an die absolute Unfehlbarkeit der Bibel übereinstimme.“
Waren die meisten Delegierten dafür, einen
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