Des großen Schöpfers gedenken in der Jugendzeit
Erzählt von Ralph Leffler
„GEDENKE deines [großen, NW] Schöpfers in den Tagen deiner Jugendzeit, ehe die Tage des Übels kommen, und die Jahre herannahen, von welchen du sagen wirst: Ich habe kein Gefallen an ihnen“, ermahnt uns die Bibel gemäß Prediger 12:1.
Ich bin dafür sehr dankbar, daß ich schon früh gelernt habe, des großen Schöpfers und Gottes, Jehovas, zu gedenken. Der christliche Einfluß im Elternhaus und die von der Watch Tower Bible and Tract Society herausgegebenen Schriften Charles T. Russells, die ich las, waren mir dabei eine große Hilfe.
DER EINFLUSS IN JUNGEN JAHREN
Ich bin 1890 geboren und auf der Farm meines Vaters im amerikanischen Staat Ohio aufgewachsen. Meine Eltern waren arbeitsame, gottesfürchtige Menschen. Meine Mutter war schon von Jugend auf in der Bibel gut bewandert und schärfte ihren Kindern die Gedanken dieses Buches immer wieder ein.
Schon in der Schulzeit und auch als Jugendlicher lernte ich viel von den reisenden Vertretern der Watch Tower Society, die nach Tiffin, meiner Heimatstadt, gesandt wurden, um Vorträge über die Bibel zu halten. Sie taten viel, um mir schon in jungen Jahren zu zeigen, wie weise es ist, seines Schöpfers zu gedenken.
In den Jahren 1896 bis 1900 trat in der religiösen Überzeugung meiner Eltern ein großer Wechsel ein. Sie waren bis dahin fromme Lutheraner gewesen; doch die Lehren dieser Kirche hatten sie nicht befriedigt. In jenen Jahren erhielten sie die Bücher Der göttliche Plan der Zeitalter, Die Zeit ist herbeigekommen und Dein Königreich komme! sowie viele von der Watch Tower Society herausgegebene Traktate. Sie lasen diese Schriften nicht nur einmal, sondern mehrmals durch und hörten sich auch die bibelerklärenden Vorträge der reisenden Vertreter der Watch Tower Society an. Meine Eltern waren bald davon überzeugt, daß sie die biblische Wahrheit gefunden hatten. Was sie bis dahin hier alles gelernt hatten, war vernünftig, annehmbar und gab ihnen eine innere Befriedigung. Die falschen Lehren vom Höllenfeuer für die Bösen, von der Unsterblichkeit der Menschenseele und dem Dreieinigkeitsmythos, nach dem drei Personen e i n e Gottheit sein sollten, gab es für sie nicht mehr. Statt dessen wußten sie nun, daß Jehova Gott, der Schöpfer, allen Menschen, die zu einer genauen Erkenntnis der biblischen Wahrheit gelangen und ihr gehorchen, wunderbare Segnungen in Aussicht stellt. Sie traten sehr bald aus der lutherischen Kirche aus.
Meine Eltern — besonders die Mutter — konnten diese wunderbaren Wahrheiten nicht für sich behalten. Sie sprachen mit jedem, der ihnen zuhörte, darüber. Am meisten war ihnen jedoch daran gelegen, ihre Kinder über diese erhabenen Wahrheiten zu belehren. Das taten sie auch. Ihre Belehrung, das Lesen der Zeitschrift Der Wachtturm und ähnlicher Publikationen sowie die bibelerklärenden Vorträge, die wir hörten, führten schließlich dazu, daß sich außer mir zwei meiner drei Brüder und auch meine vier Schwestern Gott hingaben und sich taufen ließen.
Die Verbindung mit Menschen, die den gleichen kostbaren Glauben hatten, half mir sehr, des großen Schöpfers, Jehovas, in den Tagen meiner Jugend zu gedenken. Wir waren damals in Tiffin eine kleine Gruppe von ungefähr fünfzehn Personen, die jeden Sonntag zweimal und während der Woche einmal an einem Abend zusammenkamen. Wie oft fuhren doch meine Eltern oder einige meiner Geschwister und ich mit unserem Zweispänner oder mit dem Einspänner Sommer und Winter den gut fünfzehn Kilometer weiten Weg hin und zurück, um diesen Zusammenkünften beizuwohnen.
In den Jahren kurz vor der Jahrhundertwende und auch noch viele Jahre danach wurde auf folgende drei Arten Zeugnis abgelegt: durch die Verteilung von Bibeltraktaten am Sonntagvormittag vor den Kirchen, durch den Vollzeitpredigtdienst (damals noch Kolporteurdienst genannt) und durch öffentliche Vorträge, die in gemieteten Sälen gehalten wurden. In Begleitung von älteren Gliedern unserer Versammlung begann ich zuerst mit dem Verteilen von Traktaten vor den Kirchen in Tiffin. Hier und da ärgerte sich ein Geistlicher über unser unerschrockenes Vorgehen, aber wir sagten: „Wir suchen nur den Weizen.“ — Matth. 13:24-30.
Glaubensstärkend waren für mich auch die reisenden Evangelisten der Watch Tower Society, die Tiffin besuchten und von denen einige auch unsere Gäste waren. Ich erinnere mich noch vor allem an die Besuche J. F. Rutherfords, W. E. Van Amburghs, A. H. Macmillans und H. H. Riemers. Auch Kolporteure waren oft bei uns zu Gast. Einer von ihnen war mir eine besonders große Hilfe. Er half mir bei meinen Schularbeiten, erzählte mir biblische Geschichten und festigte meinen Glauben.
DIE AUFREGENDEN JAHRE DES ERSTEN WELTKRIEGES
Im Winter 1913/14 war ich in Washington, D. C., als Kolporteur tätig. Am Silvester hielt die Versammlung Washington eine Zusammenkunft ab. Es wurden Lieder gesungen und Ansprachen gehalten. Das langersehnte Jahr 1914 war gekommen. Voll Erwartung und Spannung sahen wir den Ereignissen des kommenden Jahres entgegen, denn dieses Jahr war von der biblischen Chronologie unverkennbar als ein Wendepunkt in der Weltgeschichte gekennzeichnet worden. Gemäß den inspirierten Prophezeiungen der Bibel sollte das Jahr 1913 das letzte normale Jahr sein; von da an sollten auf der Erde ganz andere Verhältnisse herrschen.
Wie die im 24. Kapitel des Matthäusevangeliums aufgezeichnete Prophezeiung Jesu erwarten ließ, brach damals ein Krieg aus, der zwar klein begann, aber bald die ganze Welt in Brand setzte. Der Erste Weltkrieg der Geschichte tobte. So endeten im Jahre 1914 die „Zeiten der Heiden“ oder der Nationen und begann für das gegenwärtige alte System der Dinge die „Zeit des Endes“!
Im Jahre 1917 wurden auch die Vereinigten Staaten vom Strudel dieses Krieges erfaßt. Dann kam die Aushebung zum Militärdienst und die Einberufung zu den Waffen. Nun stand ich vor einem schwerwiegenden Problem: Wie sollte ich mich zur Einberufung zu den Waffen verhalten? Es gab drei Möglichkeiten: der Einberufung zu folgen und Waffen zu tragen, der Einberufung nicht zu folgen und die Konsequenzen in Kauf zu nehmen oder das Tragen von Waffen zu verweigern und statt dessen einen waffenlosen Dienst zu leisten.
Als ich mich damals entscheiden mußte, hatte ich den Grundsatz, nach dem sich Christen in Konflikten zwischen weltlichen Nationen streng neutral verhalten sollen, noch nicht so klar verstanden wie heute, achtundvierzig Jahre später. Jahre zuvor hatte ich in meinem Herzen jedoch schon den Entschluß gefaßt, nie zu den Waffen zu greifen, weder in Kriegs- noch in Friedenszeiten. Gottes Gesetz ist in dieser Hinsicht eindeutig: „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden.“ (1. Mose 9:6) Ein weiteres unmißverständliches Gebot lautet: „Du sollst nicht töten.“ (5. Mose 5:17) Nein, ich hätte niemals Gottes Gesetze übertreten und Waffen tragen können.
Im Juli 1918 war ich unterwegs nach Camp Jackson in Südkarolina. Als ich dort eintraf, erhob sich für mich die große Frage: Werden sie meine Weigerung, Waffen zu tragen, annehmen und mir gestatten, statt dessen einen waffenlosen Dienst zu leisten? Ich brauchte nicht lange auf die Antwort zu warten. Ich kam in eine kleine Zelle in Einzelhaft. Von Zeit zu Zeit besuchte mich der Feldgeistliche in meiner Zelle und versuchte, mich umzustimmen. Als ich meine Bibel gebrauchen wollte, um seine Argumente zu widerlegen, verwehrte er es mir. Sein Lieblingsargument war, die Bibel berichte über viele Kriege, und deshalb solle auch ich zu den Waffen greifen. Das stimmt, aber jene Kriege der alten Israeliten wurden unter der Leitung Gottes geführt. Sie gingen nicht von Menschen aus wie der gegenwärtige Krieg. Um ihm das zu beweisen, machte ich ihn darauf aufmerksam, daß es bei den Deutschen und ihren Verbündeten Soldaten gebe, auf deren Koppelschloß die Inschrift stehe: „Gott mit uns“, während die Soldaten der Armeen, die gegen sie kämpften, Münzen mit der Inschrift „Auf Gott vertrauen wir“ bei sich trügen. Sollte Gott geteilt sein? Sollte er gegen sich selbst kämpfen? „Nein“, sagte ich, „dieser Krieg ist nicht Gottes Krieg, sondern ein Krieg der Menschen.“
Schließlich sah man ein, daß ich meinen Standpunkt aufrichtig vertrat, und teilte mich im Oktober 1918 einem waffenlosen Dienst zu. Ende Oktober war ich unterwegs nach Frankreich und traf am Tag vor der Unterzeichnung des Waffenstillstandes (11. November) dort ein. Zu meiner Freude hörte ich am Mittag des folgenden Tages einen Franzosen rufen: „Finie la guerre“ (Der Krieg ist zu Ende).
Dann folgte eine Zeit des Wartens. Um die Männer zu beschäftigen, bis sie nach Hause fahren konnten, wurden im Lager Schulen errichtet. Ich wurde beauftragt, einer Klasse Unterricht in Rundfunktechnik und in den Grundbegriffen der Elektrizitätslehre zu erteilen. Das kam mir in späteren Jahren im Predigtwerk sehr zugute.
Im Mai 1919 war ich wieder unterwegs nach Amerika und nach Hause. Ich freute mich sehr, wieder mit der Versammlung Tiffin verbunden zu sein und mit ihr zusammenzuarbeiten.
DIE ANKÜNDIGUNG DES KÖNIGREICHES ÜBER DEN RUNDFUNK
Einige Jahre später, im Jahre 1923, als ich an der Oberschule von Alliance (Ohio) als Lehrer für Rundfunktechnik beschäftigt war, erhielt ich zu meiner freudigen Überraschung einen Brief vom Büro des Präsidenten der Watch Tower Society in Brooklyn (New York). Hastig öffnete ich ihn. Was mochte es sein? In dem Brief hieß es unter anderem: „Wie wir erfahren haben, bist Du Lehrer für Radiotechnik ... Wärst Du daher bereit, auf diesem Gebiet Deine ganze Zeit in den Dienst des Herrn zu stellen?“ Mir war klar, daß Jehova die Hand im Spiel hatte. Hätte ich mich weigern können, diese Gelegenheit zu ergreifen? Niemals! Mitte Oktober traf ich im Bethel in Brooklyn ein. Die erste Arbeit, die mir dort zugewiesen wurde, war Geschirrspülen. Hatte ich in der Armee nicht genug Geschirr gespült? Doch dann erinnerte ich mich an die Bibelstelle: „Der Herr, euer Gott, stellt euch auf die Probe, um zu erkennen, ob ihr den Herrn, euren Gott, von ganzen Herzen und von ganzer Seele liebet.“ (5. Mose 13:3, ZB) „Ja“, dachte ich, „das ist eine weitere Prüfung.“
Nachdem ich einen Monat Geschirr gespült hatte, begann ich mit meiner Arbeit in Verbindung mit dem Rundfunk. Die Gesellschaft hatte auf Staten Island in New York bereits ein Grundstück für eine Radiostation gekauft und darauf bereits einige Gebäude errichtet. Eine vollständige Sendeanlage mit einer Leistung von 500 Watt wurde in der Stadt gekauft, und ich richtete sie in kürzester Zeit ein. Am Sonntag, dem 24. Februar, abends, wurde die erste Sendung ausgestrahlt. Der Sender war unter der Bezeichnung WBBR bekannt. Er war dreiunddreißig Jahre ununterbrochen in Betrieb, und seine Sendungen waren gebührenfrei.
Eines Tages kam J. F. Rutherford, der Präsident der Watch Tower Society, mit einer Karte der Vereinigten Staaten zu mir aufs Zimmer. Er legte die Karte auf den Tisch, zeigte mit dem Finger auf verschiedene Stellen und sagte: „Hier und hier und hier beabsichtige ich weitere Sendestationen zu errichten. Wärst du bereit, den Bau dieser Stationen zu übernehmen?“ „Ich würde mich sehr darüber freuen“, erwiderte ich.
Im November 1924 war ich unterwegs nach Chicago, um den Bau einer weiteren Sendestation der Gesellschaft in Angriff zu nehmen. Wir hatten bei Batavia, einem Vorort von Chicago (Illinois), ein Grundstück gefunden. Sämtliche Arbeiten wurden an Wochenenden von freiwilligen Hilfskräften aus den umliegenden Versammlungen ausgeführt. An einigen Wochenenden waren bis zu fünfzig Männer am Werk — Zimmerleute, Maurer, Klempner, Elektriker —, die alle von früh bis spät arbeiteten wie die Bienen. Ich installierte einen 5000-Watt-Sender, und im Vorsommer 1925 konnte mit den Sendungen, die der Verkündigung der Königreichsbotschaft dienten, begonnen werden. WORD (Wort) war die Bezeichnung dieses Senders. Wie passend!
Nachdem ich fünf Jahre die Station WORD bedient hatte, wurde ich beauftragt, Sendeanlagen auf anderen Stationen einzurichten. Diese Stationen gehörten nicht direkt der Gesellschaft, wurden aber von ihren Vertretern geleitet. Für die Station WHK I in Cleveland (Ohio) richtete ich einen 5000-Watt-Sender ein und für die Stationen WAIU, Columbus (Ohio), KROW, Oakland (Kalifornien), und CKCX, Toronto (Kanada), je einen 1000-Watt-Sender. In Kanada unterhielten die Versammlungen in Saskatoon (Saskatchewan) und Edmonton (Alberta) Radiostationen, die die gute Botschaft von Gottes Königreich ausstrahlten. An all diese Orte wurde ich gesandt, um auszuhelfen. Im Jahre 1935 nahm ich meine Arbeit als Radiotechniker bei WBBR wieder auf und blieb dort zweiundzwanzig Jahre, bis die Sendungen (1957) eingestellt wurden.
Als meine Arbeit in Verbindung mit dem Rundfunk beendet war, rief mich der Präsident der Watch Tower Society, N. H. Knorr, nach Brooklyn ins Bethel, damit ich in der Druckerei der Gesellschaft weiter einen Anteil an der erdenweiten Verkündigung der ewigen guten Botschaft haben könne. Hier kann man 800 weitere Gott hingegebene Prediger sehen, Männer und Frauen, jüngere und ältere, weiße und schwarze, die alle harmonisch zusammenarbeiten und eifrig dazu beitragen, daß der Name und das Vorhaben des großen Schöpfers, Jehovas, auf der ganzen Erde bekanntgemacht werden. Meine Sehkraft läßt immer mehr nach, und gegenwärtig bin ich auf Urlaub, aber dennoch ist für mich der Dienst für Jehova Gott das Wichtigste im Leben.
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, kann ich sagen, daß ich es von meiner Jugendzeit bis heute nie einen Augenblick bereut habe, daß ich mich in jungen Jahren dazu entschlossen habe, des großen Schöpfers, Jehovas, zu gedenken und die Nichtigkeit dieser alten Welt zu meiden. Es waren Jahre des Friedens, der Freude und Zufriedenheit. Es hat mir nie an dem zum Leben Notwendigen gemangelt. Jehova hat stets reichlich für meine Bedürfnisse gesorgt. Natürlich war ich nicht immer auf Rosen gebettet. Es gab auch Prüfungen, Schwierigkeiten, Bedrängnisse und Probleme. Ich fand aber immer mit der Zeit einen Ausweg, weil ich mich stets an den weisen Rat des Wortes Gottes gehalten habe: „Vertraue auf Jehova mit deinem ganzen Herzen, und stütze dich nicht auf deinen Verstand. Erkenne ihn auf allen deinen Wegen, und er wird gerade machen deine Pfade.“ — Spr. 3:5, 6.
Wir sind aber noch nicht am Ende. „Wer ... bis ans Ende ausgeharrt haben wird, der wird gerettet werden“, sagte Jesus. (Matth. 24:13) Was die Zukunft noch alles bringen wird, wird uns die Zeit lehren. Eines ist sicher: Wir leben in den letzten Tagen dieses alten Systems der Dinge, das im „Krieg des großen Tages Gottes, des Allmächtigen“, nun bald gewaltsam vernichtet wird. Unmittelbar nach dieser Vernichtung wird Gottes Königreich in Gerechtigkeit über die gereinigte Erde zu herrschen beginnen und wird die Harmagedon-Überlebenden, ihre Nachkommen und später auch die Millionen von Auferstandenen, die heute noch in den Gedächtnisgrüften ruhen, mit unbeschreiblichen Segnungen überschütten.
Wie froh bin ich, daß ich diese wunderbaren Wahrheiten schon in meiner Jugend kennengelernt habe und mithelfen durfte, sie in den vergangenen fünfundsechzig Jahren auch anderen zukommen zu lassen. Ich bin in der Tat sehr gesegnet worden, weil ich meines Schöpfers schon in den Tagen meiner Jugendzeit gedachte!