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  • Wir wollen unsere fremdsprachigen Nachbarn besser kennenlernen
  • Erwachet! 1979
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  • Aller Anfang ist schwer
  • Bei uns ist es doch ganz anders!
  • Der Aufenthalt in Deutschland hat sich gelohnt
Erwachet! 1979
g79 22. 6. S. 24-26

Wir wollen unsere fremdsprachigen Nachbarn besser kennenlernen

Ein Bericht, wie er dem „Awake!“-Korrespondenten in der Bundesrepublik Deutschland erzählt wurde

ALS der Sonderzug aus Barcelona in den Kölner Hauptbahnhof einlief, schrieb man den 23. März 1962. Es war ein sehr kalter Tag. Dabei hatten wir die spanische Mittelmeerküste bei herrlichem Sonnenschein verlassen. Erstaunt starrten wir die Schneehaufen an, die durch Räumen der Straßen und Gehsteige entstanden waren. Mit diesem Eindruck fing damals mein Leben als spanischer Gastarbeiter in Deutschland an.

Für unsere Ankunft war alles gut organisiert. Schon im Zug hatte jeder von uns eine gelbe Ausweiskarte erhalten, die auf die Firma hinwies, bei der zu arbeiten wir uns verpflichtet hatten. Nachdem wir gegessen hatten, wurden wir nach Bestimmungsorten aufgeteilt. Ich sollte zu einer Automobilfabrik in Osnabrück.

Während der Busfahrt gingen mir viele Gedanken durch den Sinn. Erst sieben Monate verheiratet, dachte ich natürlich an meine junge Frau; ich hatte den festen Entschluß, sie so schnell wie möglich nachkommen zu lassen. Als wir in Osnabrück eintrafen, schaute ich alles mit Interesse an, denn diese Stadt sollte ab jetzt mein neuer Wohnsitz sein.

Aller Anfang ist schwer

Für die ersten Monate wohnte ich in einem von der Firma eingerichteten Wohnheim. Mein Zimmer mußte ich mit sieben Arbeitskollegen teilen. Das Inventar war einfach: vier Etagenbetten, ein Tisch, einige Stühle, Schränke für Kleidung und Lebensmittel und eine Kochgelegenheit.

Das Leben im Wohnheim kann recht unangenehm sein. Zufolge menschlicher Gegensätze kommt es leicht zu Mißverständnissen und Schwierigkeiten, besonders dann, wenn acht Personen auf engem Raum zusammen leben müssen. Sogar das Schlafen wird zu einem Problem. In der Fabrik, in der wir beschäftigt waren, wurde in zwei, manchmal sogar in drei Schichten gearbeitet. Im Wohnheim herrschte deshalb zu jeder Zeit, Tag und Nacht, ein ständiges Kommen und Gehen. Das fortwährende Zuschlagen von Türen, das Laufen des Wassers in den Toiletten und das Dröhnen des Fahrstuhls machte es fast unmöglich, ruhig zu schlafen.

Beim Einkaufen kam es oft zu komischen Situationen. Wie hättest du, ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein, dem Fleischer klargemacht, daß du Schweinefleisch, Hammelfleisch oder eine andere Fleischsorte kaufen willst? Manchmal blieb mir nichts anderes übrig, als das Grunzen der Schweine oder das Blöken der Schafe nachzuahmen. Schwieriger war es, deutlich zu machen, daß ich ein Huhn oder ein Hähnchen kaufen wollte. Aber die Inhaberin der Fleischerei sorgte rasch für Abhilfe; sie stellte kleine Kunststofftiere zu den jeweiligen Fleischsorten hin. Das erleichterte den Einkauf, bis man die notwendigsten Ausdrücke in Deutsch gelernt hatte.

Damit meine Frau bald nachkommen konnte, benötigte ich dringend eine passende Wohnung. Eine zu finden war nicht einfach. Weil viele Hauseigentümer Vorurteile gegen Ausländer hatten, mußte ich einige Absagen hinnehmen. Andere Vermieter wollten unsere Notsituation ausnutzen und forderten deshalb überhöhte Mietpreise. Schließlich fand ich jedoch eine nette Wohnung zu einem angemessenen Mietpreis. Jetzt konnte Maria kommen. Den Tag unseres Wiedersehens konnten wir kaum erwarten.

Am Anfang machte die Kälte auch meiner Frau ziemlich zu schaffen. Außer im Norden Spaniens kennt man nach deutschen Begriffen keinen Winter. Bis vor wenigen Jahren gab es in den meisten Häusern, besonders in den Dörfern, kaum Öfen oder Zentralheizung. An kalten Wintertagen setzte man sich um den brasero, ein mit spezieller Holzkohle gefülltes Kohlenbecken, das sich zumeist unter einem Tisch befindet. Da der brasero oft die einzige Wärmequelle im Haus war, kam die ganze Familie besonders abends am Tisch zusammen. Diese Gemütlichkeit und Zusammengehörigkeit findet man bei den kinderreichen Familien auf den Dörfern noch heute.

Wir stellten uns schnell auf das kältere Wetter ein und kauften uns warme Winterkleidung. Allerdings haben wir Männer uns immer noch nicht an das Tragen einer Kopfbedeckung gewöhnen können. Sicherlich hast du in Deutschland selten einen Spanier gesehen, der einen Hut trägt, nicht wahr?

Das Sprichwort „Aller Anfang ist schwer“ ist wahr. Heute kann ich über all diese Schwierigkeiten lachen, obwohl es mir damals nicht immer zum Lachen zumute war. Sehr geschätzt habe ich das Entgegenkommen und das Verständnis einheimischer Kollegen und verschiedener Nachbarn. Das hat uns allen, die wir uns in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden mußten, gutgetan. Die negativen Erfahrungen, die wir mit intoleranten und manchmal recht hochmütigen Personen machten, vergaßen wir schnell wieder.

Bei uns ist es doch ganz anders!

Wenn man länger in einem fremden Land wohnt, nimmt man viele der Lebensgewohnheiten der Menschen dort unwillkürlich an. Ich trinke jetzt zum Beispiel Buttermilch, obwohl ich sie in Spanien nicht kannte. Ich werde nie vergessen, wie ich einmal — mit echtem spanischen Temperament, wird mir nachgesagt — die Milch, die ich gekauft hatte, reklamierte. Für mich war sie alt und verdorben; dabei war es in Wirklichkeit Buttermilch. Heute kaufe ich immer noch bei demselben Milchmann, der mich ab und zu mit einem Lächeln an diesen Vorfall erinnert.

Als ich zum ersten Mal frischen Salat in der Firmenkantine aß, dachte ich, man hätte Salz mit Zucker verwechselt. Anstatt mit Milch und Zucker, wie es in dieser Gegend Deutschlands üblich ist, richtet man in meiner Heimat grünen Salat mit Essig und Salz an. Beim Kochen verwenden wir viel Öl, besonders Olivenöl. Auch darf Knoblauch nicht fehlen.

Unseren Zeitplan haben wir völlig umstellen müssen. In der Regel beginnt der Arbeitstag in Spanien erst gegen 9 Uhr. Mittags wird, zumindest in der Sommerzeit, eine mehrstündige siesta oder Mittagsruhe eingelegt. Bei der Wärme ist das eine willkommene Pause. Somit endet der Arbeitstag erst in den frühen Abendstunden. Die Industriebetriebe haben sich aber schon weitgehend nach dem Zeitplan umgestellt, der in Deutschland üblich ist.

Eine für mich ulkige Gewohnheit war, daß man sich immer die Hand gibt — bei der Begrüßung sowie beim Abschied. In meiner Heimat geben wir uns nur dann die Hand wenn wir eine Person nach längerer Zeit wieder begrüßen oder wenn wir uns von ihr für längere Zeit verabschieden. Bei Nahestehenden ist es durchaus üblich, sie zu umarmen oder ihnen einen Kuß auf die Wange zu geben. Ansonsten reicht zur täglichen Begrüßung ein einfaches hola!

Noch etwas, was einem Spanier in Deutschland sofort auffällt: die ruhige Art, sich zu unterhalten. In Spanien reden wir viel lauter miteinander, was aber nicht bedeutet, daß wir uns nicht verstehen würden. Ein temperamentvolles Gespräch unter Spaniern ist nicht unbedingt eine heftige Auseinandersetzung.

In Spanien spielt sich das tägliche Leben viel mehr auf der Straße ab, als dies in Deutschland der Fall ist. Oft bestehen ganze Straßenzüge nur aus einer Art Reihenhaus. Von Haustür zu Haustür sind es nur wenige Schritte, so daß sich ein enges Zusammenleben, sowohl räumlich als auch in nachbarschaftlicher Beziehung, ergibt. Geht man abends durch die engen Straßen, so sieht man, besonders in den Dörfern im Süden, die Nachbarn vor ihren schneeweiß getünchten Häusern sitzen, die mit bunten Topfblumen geschmückt sind. Oder man sieht durch die geöffnete Haustür die ganze Familie im patio oder Innenhof beisammensitzen.

Der erste Eindruck, den ein Spanier vom deutschen Alltag erhält, ist, daß dieser ziemlich eintönig verläuft, denn in Deutschland lebt man mehr für sich. Zu Anfang habe ich sehr darunter gelitten. Am Wochenende blieb ich in meinem Zimmer allein und versuchte durch irgendwelche Beschäftigungen, mein Heimweh zu überbrücken. Oft konnte ich aber die Tränen nicht zurückhalten.

Der Aufenthalt in Deutschland hat sich gelohnt

Es waren hauptsächlich materielle Beweggründe, die mich nach Deutschland geführt hatten. Allerdings bin ich heute materiellen Dingen gegenüber ganz anders eingestellt. Während meines Aufenthalts in Deutschland habe ich gelernt, daß es andere Dinge gibt, die weit wertvoller sind. Besonders seit dem Jahr 1968, als Maria und ich zum ersten Mal von Jehovas Zeugen besucht wurden, habe ich dies immer deutlicher erkannt.

In Spanien ist die katholische Religion dominierend. Deshalb waren Maria und ich Katholiken, wenn auch nur dem Namen nach. Aber die veränderten Lebensbedingungen im Ausland, die besseren finanziellen Verhältnisse und die größere allgemeine Freiheit führen sogar bei strenggläubigen Katholiken oft dazu, daß sie im Praktizieren ihres Glaubens nachlassen. Da wir uns aber sehr für die Botschaft der Bibel interessierten, begannen wir, sie systematisch zu studieren. Seit 1972 besuchen wir selbst unsere spanischen Landsleute und erzählen ihnen von der wunderbaren biblischen Wahrheit, die viel wertvoller ist als irgendwelcher irdischer Besitz.

Viele unserer Landsleute sind bereits in ihre Heimat zurückgekehrt. Die meisten von uns wollen irgendwann zurück, was an und für sich verständlich ist, nicht wahr? Heimat bleibt Heimat! Trotzdem werden wir uns oft an die Zeit in Deutschland erinnern und an die vielen Freunde, die wir hier gewonnen haben. Wir hoffen, daß einige von ihnen uns einmal im sonnigen Süden besuchen werden. Sie werden sich bestimmt wohl fühlen, selbst ohne Buttermilch und süßen Salat!

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