Warum die Hoffnung auf eine „Generation des Friedens“ wächst
GEGENWÄRTIG finden befremdende Ereignisse statt. Ihre wahre Bedeutung liegt viel tiefer, als es zunächst den Anschein hat.
Zweifellos weißt du über die überraschende Reihe von Änderungen, die in der kurzen Zeit von weniger als einem Jahr in der Welt eingetreten sind, Bescheid. Hierzu gehört folgendes:
● Nach zweiundzwanzig Jahren erlangte das kommunistische China — das mehr als ein Fünftel der gesamten Erdbevölkerung beherrscht — schließlich die Mitgliedschaft in der Organisation der Vereinten Nationen. Ende 1971 wurde es eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der UN.
● Zum erstenmal in der Geschichte besuchte ein Präsident der Vereinigten Staaten das chinesische Festland, indem er im Februar 1972 eine „Reise für den Frieden“ unternahm. Hindernisse für Handel, Reisen und Nachrichtenübermittlung, die diese Nationen jahrzehntelang voneinander getrennt haben, verschwinden nach und nach.
● Es wurde ein entscheidendes Vier-Mächte-Abkommen unterzeichnet, um freiere und engere Beziehungen zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland herbeizuführen, die seit dem Zweiten Weltkrieg voneinander getrennt sind.
● Auf einer Gipfelkonferenz, die im Mai 1972 in Moskau stattfand, ratifizierten die Führer der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten offiziell eine Reihe von Abkommen. Zu diesen Abkommen gehört folgendes:
ein gemeinsamer amerikanisch-sowjetischer Raumflug, der für 1975 geplant ist,
Austausch wissenschaftlicher und technologischer Daten,
Zusammenarbeit zur Lösung von Problemen auf medizinischem und volksgesundheitlichem Gebiet,
gemeinsame Forschungen und beiderseitige Bemühungen zum Schutz der Umwelt vor zunehmender Verschmutzung,
ein Vertrag, der die Vermeidung gefährlicher Zusammenstöße zwischen Schiffen der beiden Staaten auf hoher See zum Ziel hat,
und, was von besonderer Bedeutung ist, ein Rüstungskontrollvertrag zur Einschränkung des kostspieligen Atomwettrüstens.
Nach der Unterzeichnung dieser Abkommen begannen die beiden Supermächte bald, sie durch bedeutende Handelsabkommen zu ergänzen, wozu der Kauf amerikanischen Getreides im Werte von 750 Millionen Dollar durch die Russen gehörte. Auch wurden Verhandlungen für ein Abkommen über mehrere Millionen Dollar zum Abschluß gebracht, das zwischen der Sowjetunion und einer amerikanischen Ölgesellschaft getroffen werden sollte, um bei der Erschließung russischer Öl- und Erdgasfelder technische Hilfe zu leisten.
● Im Juni 1972 begann dann für die Großmächte eine Zeit noch nie dagewesener diplomatischer Arbeit. Ihre Vertreter eilten kreuz und quer von einer Hauptstadt in die andere. Es wurden Hoffnungen auf eine Lösung des langen und blutigen Indochina-Konfliktes wach. Indien und Pakistan hielten eine Gipfelkonferenz ab, um ihre Differenzen zu beseitigen. Auf einer in Seoul (Korea) abgehaltenen Konferenz des Rates asiatischer und pazifischer Staaten, dem neun Nationen angehören, bekundeten die meisten Mitgliedstaaten eine veränderte Haltung gegenüber dem kommunistischen China. Die Regierungen Nord- und Südkoreas überraschten die Welt mit der Ankündigung eines Abkommens über die Grundlagen zur Vereinigung jenes geteilten Landes.
Eine neue Entwicklung?
Die dramatischen Schritte der Vereinigten Staaten, Chinas und der Sowjetunion zu einem rapprochement, wie die Franzosen es nennen (einer Annäherung zu freundlichen Beziehungen), haben in der ganzen Welt Kommentare ausgelöst. In vielen Ländern sind Stimmen zu hören, die die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß tatsächlich auf Weltebene eine neue Entwicklung stattfindet.
In einem Leitartikel in der Zeitschrift Life hieß es: „Wir scheinen gerade jetzt an der Schwelle von etwas Großem zu stehen, und das gilt für alle drei Nationen; wir scheinen bereit zu sein, unsere leidenschaftlichen Ideologien zugunsten des gesunden Menschenverstandes und des Allgemeinwohls einzutauschen.“
Robert Stephens schrieb in der Zeitung The Observer (London), Präsident Nixon habe „seine internationalen Ziele hochgesteckt“ und wolle „nichts Geringeres, als die Grundlagen einer neuen Weltordnung zu legen“.
Der sowjetische Premierminister Kossygin bezeichnete die Ergebnisse der Moskauer Gipfelkonferenz als einen „Sieg für alle friedliebenden Menschen, weil Sicherheit und Frieden, das gemeinsame Ziel“ seien.
Aber warum sollte man in diesen Schritten zur Sicherung internationalen Friedens und internationaler Sicherheit einen Unterschied zu früheren Bemühungen sehen? Was ist daran außergewöhnlich?
Denke zum Beispiel an das, was 1918 stattfand, als der Erste Weltkrieg endete. Erschüttert über das beispiellose Blutbad jenes Krieges, beschlossen die Nationen: „Das darf nie wieder geschehen.“ Daher gründeten sie den Völkerbund, um „Weltfrieden und internationale Sicherheit zu garantieren“. Aber neunzehn Jahre später versagte er, und es brach ein noch größerer Konflikt aus. In dem Buch Swords into Plowshares (Schwerter zu Pflugscharen) weist Professor I. L. Claude jr. darauf hin, daß ein wichtiger Grund für dieses Versagen darin bestanden habe, daß „der Völkerbund geschaffen wurde, um den Ausbruch ... [eines weiteren] Ersten Weltkrieges zu verhindern“, wie „die französische Maginotlinie ebenfalls gebaut wurde, um die Schlachten ... [eines weiteren] Ersten Weltkrieges zu gewinnen“. In dem Gedanken an die Vergangenheit sahen sie nicht die neuen Verhältnisse voraus, die den zweiten Weltkonflikt herbeiführten.
Nachdem der Zweite Weltkrieg die Zerstörungen des Ersten Weltkrieges in den Schatten gestellt und mit den Atombombenexplosionen in Japan geendet hatte, wurde der Völkerbund in Form der Organisation der Vereinten Nationen wieder ins Leben gerufen. Auch diese Organisation sollte gemäß ihrer Charta „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit“ unter den Nationen aufrechterhalten. Aber schon nach einigen Jahren waren die Großmächte, die sie hauptsächlich gegründet hatten — die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion und China —, ernsthaft gespalten, und der Osten war vom Westen durch den „Eisernen Vorhang“ getrennt.
Worin unterscheiden sich somit die gegenwärtigen Friedensbemühungen?
Worin der Unterschied besteht
Zunächst ist dieser Friedensdrang, anders als bei der Gründung des Völkerbundes und der UN, nicht in der Hitze eines Weltkonfliktes oder während der unmittelbaren Nachwirkungen eines Weltkrieges eingetreten, in denen die Schrecken eines solchen Gemetzels noch frisch im Sinn gewesen wären und als treibende Kraft gedient hätten. Diese Friedensbemühungen werden in einer Zeit relativen Friedens verfolgt, um die Lage zu „entschärfen“, die unter Umständen zur Explosion führen und einen uneingeschränkten Nuklearkrieg auslösen könnte.
Dies bedeutet auch, daß in diesem Fall nicht etwa, irgendwelche siegreichen Nationen den besiegten und geschwächten Feinden, die keinen erfolgreichen Widerstand leisten können, ihre eigene Friedensregelung aufdrängen. Gerade dies hat viele veranlaßt, über die jüngsten Entwicklungen Erstaunen zum Ausdruck zu bringen.
Einerseits sehen sie, daß die Vereinigten Staaten, die China an Reichtum und als Atommacht weit überlegen sind, eine versöhnliche Haltung einnehmen. Sie sehen, daß der Präsident der Vereinigten Staaten gewissermaßen nach Peking „pilgert“, und zwar in dem Versuch, die volkreichste Nation der Erde aus ihrer Isolierung herauszuholen, um neue Wege der Verständigung und der Handelsbeziehungen zu beschreiten.
Andererseits erklärten sich die Vereinigten Staaten anläßlich des „Moskauer Gipfels“ bereit, einen Zustand „nuklearer Gleichheit“ mit der zweiten Supermacht der Welt, der Sowjetunion, zu akzeptieren. In den 1960er Jahren bestanden die Vereinigten Staaten auf „nuklearer Überlegenheit“. Jetzt ist bei ihnen nur noch von „genügender nuklearer Stärke“ die Rede.
Die Moskauer Gipfelkonferenz wurde in der Zeitschrift Time als „die bisher seltsamste Gipfelkonferenz“ bezeichnet, und es wurde darauf hingewiesen, daß sie stattfand, obwohl die Vereinigten Staaten erst kurz zuvor Nord-Vietnams Häfen vermint hatten und ständig die dortigen Eisenbahnlinien zerstörten. Doch die sowjetische Presse bagatellisierte diesen uneingeschränkten amerikanischen Versuch, die Waffenlieferungen an die Verbündeten der Kommunisten zu unterbinden, und rückte die Beharrlichkeit der Russen in den Vordergrund, die Gipfelkonferenz als bedeutende Leistung in ihrem Trachten nach Frieden fortzusetzen.
Es gibt bei diesen Friedensbewegungen jedoch einen noch charakteristischeren Faktor, dessen Bedeutung nur von wenigen erkannt wird. Welches ist dieser weitgehend unbemerkte, aber bedeutsame Faktor?
Er hängt mit der Religion zusammen.
Du magst einwenden: „Aber was hat die Religion mit alledem zu tun? Wo tritt sie auf den Plan?“ Betrachte folgende Beweise.