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Flug nach Lyon auf Rädern!Erwachet! 1983 | 22. März
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Flug nach Lyon auf Rädern!
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Frankreich
„BILLETS, s’il vous plaît!“ Ein Fahrkartenkontrolleur, der eine marineblaue Uniform mit einer eleganten Mütze trägt, möchte deine Fahrkarte sehen. Seine Anwesenheit erinnert dich daran, daß du nicht im Flugzeug sitzt, sondern in Frankreichs Train à Grande Vitesse, kurz TGV (Hochgeschwindigkeitszug) genannt, dem schnellsten Zug der Welt. Hast du Paris erst einmal ein ganzes Stück hinter dir gelassen, so reist du mit einer Geschwindigkeit von 260 Kilometern in der Stunde nach Lyon, Frankreichs drittgrößter Stadt und wichtigster Station auf der Strecke in die Alpen und nach Italien einerseits und nach Marseilles und zur Riviera andererseits.
Doch wozu entwickelt man im heutigen Zeitalter des Überschallflugs und der Raumfähren eine solch revolutionäre Form des Schienenverkehrs? Aus welchem Grund ließ sich die SNCF, die staatliche französische Eisenbahngesellschaft, auf dieses neue Unternehmen ein?
Eine neue Hauptstrecke
Die Strecke Paris—Lyon ist schon immer eine der am meisten befahrenen Frankreichs gewesen. Obwohl sie zu über einem Drittel viergleisig (ansonsten zweigleisig) verläuft, genügte sie besonders während der Stoßzeiten nicht mehr den Anforderungen. Als man den im Ausland erzielten Fortschritt bemerkte — wie er besonders in Japans erfolgreichem „Hikari“-Zug auf der Tokaidolinie seinen Ausdruck fand —, entschied man sich für eine völlig neue Trasse.
Von Anfang an stand fest, daß die neue Eisenbahnlinie von Paris nach Lyon ausschließlich dem Personenverkehr dienen sollte und daß das rollende Material für Hochgeschwindigkeitsleistungen geeignet sein mußte. Am meisten überrascht, daß die neue Trasse durch keinerlei Tunnel führt. Vielleicht fragst du dich aber: Wie kommen die Züge über die Berge?
Dies bringt uns zu einer höchst bedeutsamen Eigenschaft des TGV — er ist ein „Federgewicht“, viel leichter als ein herkömmlicher Zug. Jede aus acht Wagen bestehende Einheit ist mit sehr starken Elektromotoren ausgestattet, so daß der Zug viel größere Steigungen als ein schwerer Güterzug oder sogar als ein gewöhnlicher Personenzug bewältigen kann. Die Steigungen betragen bis zu 3,5 Prozent, wohingegen sie bei normalen Trassen nicht mehr als 1 Prozent ausmachen. Das macht sich besonders dann bemerkbar, wenn der Zug einen Berg hinunterrast. Du denkst eher, du sitzt in einem Flugzeug, das zur Landung ansetzt, als in einem Zug.a Dank seiner hohen Geschwindigkeit kann der Zug größtenteils durch eigene Antriebskraft die Steigungen bezwingen. Wie du dir auch vorstellen kannst, kostet der Bau einer Linienführung ohne Tunnel wesentlich weniger Geld.
Der Zug und die Trasse
Der orange- und anthrazitfarbene Zug mit seiner langen schnittigen Schnauze ist tiefer aufgehängt als Standardmodelle. Die Drehgestelle sind nämlich zwischen den Wagen angebracht, nicht an jedem Ende. Deshalb sitzt kein Passagier über den Rädern, so daß man ruhiger und angenehmer reist. Außerdem kann man dadurch leichter ein- und aussteigen.
Auch andere Faktoren, die mit der jetzigen Trasse zu tun haben, tragen zu einer komfortablen Reise bei. Die Schienen sind zu sehr langen Abschnitten zusammengeschweißt und sitzen auf dicken Gummipolstern in Laschen, die an den Querschwellen befestigt sind. Zudem ist die Bettung beträchtlich tiefer als üblich.
Vergiß nicht, dir einen Platz reservieren zu lassen!
Stehen ist im TGV aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt; deshalb muß man sich einen Platz reservieren lassen. Das Reservierungssystem wurde in Frankreich bereits vor mehreren Jahren auf Computer umgestellt und ist jetzt in nur leicht abgeänderter Form für den neuen Zug in Gebrauch. Selbstverständlich kannst du die Platzreservierung immer noch in einem Bahnhof oder in einem Reisebüro vornehmen, doch beim TGV kannst du das auch vor dem Bahnsteig tun.
Du kannst sogar mit Verteilerautomaten „sprechen“, die dir mitteilen, ob in dem Zug, mit dem du fahren möchtest, noch ein Platz frei ist, ob in Stoßzeiten ein zusätzlicher Zug eingesetzt wird und (wenn der Zug voll besetzt ist) wann der nächste TGV geht. Die Platzreservierung ist bis fünf Minuten vor Abfahrt noch möglich. Wer allerdings erst in letzter Minute eine Fahrkarte löst, hat keine Möglichkeit mehr, sich einen Platz in einem bevorzugten Nichtraucherwagen auszusuchen.
Alles einsteigen!
Setz dich, und mach es dir bequem! Nach der blauen oder grünen Polsterung zu schließen, befinden wir uns in einem Zweite-Klasse-Wagen, denn in der ersten Klasse sind die Sitze entweder orangefarben oder braun. Die Leselampe, Einzelsitzplätze und der Mittelgang lassen dich glauben, du säßest in einem Flugzeug, und die Täuschung wäre perfekt, wenn nicht die Landschaft bei Tempo 260 an dir vorbeifliegen würde.
Hast du Hunger? Je nach Tageszeit kann man in der ersten Klasse bei Stewards und Stewardessen warme Mahlzeiten bestellen. Vergiß nicht: Du bist auf dem Weg nach Lyon, einem Mekka französischer Kochkunst! Passagiere in der zweiten Klasse können in eine Snackbar gehen, die es in der Mitte jedes der aus acht Wagen bestehenden Züge gibt.
Sicherheit
Computer werden nicht nur zur Platzreservierung eingesetzt; der Computer im Gare de Lyon, dem Ausgangsbahnhof in Paris, wo du in den TGV eingestiegen bist, hat die allgemeine Überwachung und den Betrieb des Netzes übernommen. In den normalen Verkehrszeiten reguliert das PAR (Poste d’Aiguillage et de Régulation, Schalt- und Kontrollsystem) den Abstand der Züge und übermittelt dem Lokomotivführer Anweisungen; letzteres geschieht entweder durch eine automatische ferngesteuerte Übermittlung oder, falls nötig, über Telefon und Funk. Bei solch hohen Geschwindigkeiten wäre es für den Lokführer sehr schwer, entlang der Strecke aufgestellte Signale zu beachten.
Auf dieser Strecke gibt es keine Bahnübergänge mehr. Auch ist an allen Stellen, wo eine Straße über die Bahnlinie hinwegführt, eine Sicherheitsvorrichtung aus Drahtgeflecht angebracht, durch die jeder schwere Gegenstand wahrgenommen wird, der auf die Strecke fallen mag. In diesem Fall würde ein Alarmton ausgelöst, und alle sich nähernden Züge würden zum Halten gebracht werden. Die ganze Strecke ist außerdem auf beiden Seiten durch einen Drahtzaun geschützt.
Flugzeug oder Eisenbahn?
Die Reise mit dem TGV ist nicht teurer als mit den normalen Zügen und bringt zudem viele Vorteile mit sich. Zum Beispiel konkurrieren die Preise für den TGV stark mit den Preisen für Kurzstreckenflüge. Wenn die gesamte Trasse in diesem Jahr fertiggestellt sein wird, dauert die Reise vom Zentrum von Paris bis zum Zentrum von Lyon (426 Kilometer) nur zwei Stunden. Gegenwärtig ist man mit dem Flugzeug oft länger unterwegs, wenn man die Fahrt zum und vom Flughafen mitrechnet.
Da die Neubaustrecke die gleiche Spurweite wie das gesamteuropäische Schienennetz aufweist, braucht deine Reise nicht in Lyon aufzuhören, sondern du kannst nach Genf weiterreisen und in naher Zukunft auch nach Lausanne, Grenoble und sogar nach Nizza, das an der Riviera liegt. Um diese Bestimmungsorte zu erreichen, verläßt der TGV Paris auf der neuen Linie und biegt später auf die alte ab. Natürlich muß er dort mit der Geschwindigkeit heruntergehen, doch die Fahrzeit zwischen Paris und diesen anderen Städten wird immer noch verkürzt.
Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern
Gemäß Untersuchungen, die man auf diesem Gebiet in der ganzen Welt vorgenommen hat, sind die Tage des Verkehrsmittels Eisenbahn anscheinend keineswegs gezählt. Die Energiekrise hat dem Schienenverkehr einen neuen Auftrieb verschafft, denn der Wirkungsgrad der Eisenbahn liegt höher als bei irgendeinem anderen Beförderungsmittel zu Lande. In der Bundesrepublik Deutschland wird das Hauptstreckennetz ausgebaut; einige Züge erreichen bereits eine Geschwindigkeit von 200 km/h. Auch Italien hat eine neue Schnellstrecke, Direttissima genannt, die Rom mit Florenz verbindet.
In England hat man das Problem auf andere Weise zu lösen versucht: mit dem APT (Advanced Passenger Train), der so gebaut ist, daß er auf bereits vorhandenen normalen Trassen fahren kann. Britische Forscher haben einen kippbaren Zug entwickelt, der sich wie ein Motorrad in die Kurve legt, so daß seine Höchstgeschwindigkeit um 20 bis 40 Prozent höher liegt als bei den schnellsten Zügen, die heute diese Schienenwege befahren.
Die Japaner sind keineswegs ins Hintertreffen geraten, denn sie planen, ihr Netz von Schinkansen-Hochgeschwindigkeitszügen, die bereits 210 km/h erreichen, zu vergrößern. In Anbetracht der klimatischen Probleme, mit denen sie in den kälteren Regionen zu kämpfen haben, haben sie sich sogar ein System ausgedacht, nach dem sie die Schienen mit heißem Wasser besprühen, damit der planmäßige Betrieb aufrechterhalten werden kann.
Einstweilen aber ist Frankreich der Inhaber des „Blauen Bandes“ für den schnellsten Reisezug. Falls du also eines Tages einmal Frankreich besuchen solltest und eine Reise in den Süden machen möchtest, sei es geschäftlich oder zum Vergnügen, dann vergiß nicht, daß du auch nach Lyon fliegen kannst — auf Rädern!
[Fußnote]
a Zum Vergleich: Der Gleitweg eines Flugzeugs bei der Landung weist im allgemeinen eine Neigung von 2,5 Prozent auf.
[Karte/Bild auf Seite 16]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
PARIS
DIJON
LYON
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Eine faszinierende BeziehungErwachet! 1983 | 22. März
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Eine faszinierende Beziehung
Es gibt einen Schmetterling, der eine faszinierende Beziehung zu den Roten Waldameisen unterhält. Wie kommt sie zustande?
Im Frühsommer legt das Weibchen des europäischen Arion-Bläulings (Maculinea arion) seine Eier an Thymian ab. Die geschlüpfte Raupe ernährt sich bis nach der zweiten Häutung hauptsächlich von seinen Blüten. Dann läßt sie sich zu Boden fallen und fängt an, nach einer anderen Futterquelle zu suchen.
Wenn eine Rote Waldameise auf die Raupe stößt, verhalten sich die beiden Tiere, als würden sie sich kennen. Die Ameise beginnt, mit ihren Fühlern und Beinen die Raupe zu betasten. Darauf läßt diese aus einer Öffnung am Rücken des zehnten Körpersegments den Honigtau, eine zuckerhaltige Flüssigkeit, austreten. Die Ameise saugt ihn begierig auf, und weitere Ameisen kommen herzu, um sich ebenfalls daran zu laben.
Das Anschwellen der Brustsegmente der Raupe ist für die erste Ameise das Zeichen dafür, ihre neue Bekannte in das Ameisennest zu tragen. Sie packt die Raupe direkt hinter den vergrößerten Segmenten und schleppt sie fort. Die Raupe verbringt eine längere Zeit in einer Kammer, in der die Ameisenbrut untergebracht ist, und diese bildet nun ihre neue Nahrung. Dafür erhalten die Ameisen den begehrten Honigtau.
Im Frühjahr des folgenden Jahres verpuppt sich die Raupe, und drei Wochen später krabbelt ein ausgewachsener Schmetterling mit schlaffen, zerknitterten Flügeln durch die Gänge des Ameisennestes. Keine Ameise hindert ihn daran. Draußen, in der Sonne, werden die Flügel des Schmetterlings straff, so daß er fliegen kann.
Die außergewöhnliche Beziehung zwischen Ameisen und diesem Schmetterling gibt Anlaß zu Fragen, die für alle, die die Evolutionstheorie vertreten, schwierig zu beantworten sind. Woher weiß die Ameise, daß die Raupe am Rücken des zehnten Körpersegments eine Öffnung hat, und was veranlaßt die Raupe, Honigtau abzusondern? Woher weiß sie, was die notwendige Voraussetzung dafür ist, daß eine Ameise sie wegträgt? Warum greifen die Ameisen nicht ein, wenn der ausgewachsene Schmetterling aus ihrem Nest ins Freie kriecht? Auf diese Fragen gibt es eine Antwort, aber nur für den, der die Wahrheit folgender Worte anerkennt: „Gott ging daran, ... jedes geflügelte fliegende Geschöpf ... und alle sich regenden Tiere des Erdbodens nach ihrer Art“ zu erschaffen (1. Mose 1:20-25). Nein, kein blinder Zufall, sondern sinnvolle Konstruktion!
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