Arbeitslos? Wie man das Problem lösen kann
„ICH sage Ihnen, ich mußte es einfach tun“, sagte Leonard Harris letzten Dezember einem Fernsehreporter. „Ich habe kleine Kinder, die nichts zu essen haben, und unser Kühlschrank ist leer.“
Harris hatte schon sechs Monate lang keine feste Anstellung mehr gehabt, und so raubte er die Northwestern Bank in Charlotte (Nordkarolina, USA) aus. „Ich wollte es nicht“, sagte seine Frau. „Aber er meinte, er müsse es für seine Familie tun.“
Arbeitslosigkeit kann schwerwiegende Folgen haben. Im letzten Jahr stieg die Zahl der Ladendiebstähle sprunghaft in die Höhe. Die Geschäftsleute in den USA wurden dadurch um über 5 000 000 000 Dollar geschädigt. James Eichler von der Firma Burns International Security Services schlußfolgert: „Angesichts einer zweistelligen Inflationsrate und einer hohen Arbeitslosenquote ist es fast sicher, daß bei noch viel mehr Leuten die Versuchung zum Stehlen einfach zu groß werden wird.“
Wie schlimm ist die Arbeitslosigkeit? Wie groß sind die Probleme der Menschen, die keine Arbeit finden können?
Eine erschreckende Tendenz
Die Arbeitslosenzahlen nehmen bedrohliche Ausmaße an. Im letzten Oktober waren 3 Prozent der Arbeitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland arbeitslos; im Februar waren es schon 5,2 Prozent. In den USA stieg diese Zahl zwischen Oktober und Januar von 6 auf 8,2 Prozent.
Anfang 1975 hatten siebeneinhalb Millionen Arbeitskräfte in den USA keine Arbeit, was eine Zunahme von zwei Millionen Arbeitslosen in drei Monaten bedeutet. In diesem Land gibt es jetzt die höchste Zahl von Arbeitslosen seit 1940, als es sich gerade von der großen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre erholt hatte. Bisweilen legen ganze Firmen Kurzarbeit ein oder entlassen viele ihrer Beschäftigten, z. B. in der Autobranche.
Doch die Arbeitslosigkeit trifft jeden Wirtschaftszweig und jede Arbeitnehmerschicht. Selbst leitende Angestellte, die 4 000 DM und mehr im Monat verdienen, verlieren ihren Arbeitsplatz, manchmal gleich zwei oder drei von einer Firma.
Von weiterer Bedeutung ist, daß die Amerikaner niemals zuvor emporschnellende Inflation und hohe Arbeitslosenzahlen zusammen erlebt haben. So fällt es selbst Leuten mit gutem Arbeitsplatz häufig schwer, mit dem Geld auszukommen. Einer der arbeitspolitischen Berater Präsident Fords wies auf das Dilemma hin, als er sagte: „Je mehr Erfolg wir haben, die Inflation zu dämpfen, desto wahrscheinlicher ist es, daß die Arbeitslosigkeit steigt.“
Die steigende Arbeitslosigkeit führt zu einem harten Wettbewerb um die freien Stellen. „Es ist ein erschreckender Anblick, zuzusehen, wie die Reichen gegen die Armen antreten“, klagte William F. Haddad von der New Yorker Handelskammer. Akademiker mit abgeschlossener Ausbildung, so hieß es, bewerben sich jetzt zusammen mit Sozialhilfeempfängern und Schulversagern um die sinkende Zahl von Arbeitsplätzen für Berufsanfänger.
Auch andere Länder sind von der steigenden Arbeitslosigkeit betroffen. In Australien hat sie den höchsten Stand seit der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre erreicht. Frankreich hat die höchste Zahl von Arbeitslosen seit dem Zweiten Weltkrieg. Im Dezember gab es bei den westeuropäischen Autoherstellern fast 300 000 Arbeitslose, und dies hat verheerende Folgen, da jeder zehnte Arbeitsplatz in Europa von der Autoindustrie abhängt.
Vor kurzem hieß es, in Großbritannien gebe es 2,7 Prozent Arbeitslose. Diese Zahl schließt aber nur die ganztägig beschäftigten Hauptverdiener ein, die ihren Arbeitsplatz ohne eigenes Verschulden verloren haben, wogegen in den USA in der Arbeitslosenzahl alle eingeschlossen sind, die Arbeit suchen, aber keine finden können. In Wirklichkeit ist daher — so behauptet der Arbeitsexperte Raymond S. Livingstone — die Arbeitslosigkeit in Großbritannien schlimmer als in den USA.
Die Auswirkung auf den Menschen
Manche Arbeitslose nehmen Zuflucht zum Stehlen, doch es gibt noch andere schädliche Folgen. Der Arbeitslose verliert oft sein Selbstwertgefühl, fühlt sich hilflos und einsam. „Ohne Arbeit zu sein haut einen um“, bemerkte ein arbeitsloser Leiter für Öffentlichkeitsarbeit aus New York. „Ich war ein paar Monate lang äußerst niedergeschlagen.“ Ein Arbeiter der Stadt New York setzte sich am 17. Januar mitten auf einer verkehrsreichen Kreuzung selbst in Flammen, aus Angst, entlassen zu werden. Es hieß, er sei verzweifelt über die Aussicht gewesen, seine alte Mutter nicht mehr versorgen zu können.
Allgemein wird beobachtet, daß männliche Arbeitslose buchstäblich verfallen, sowohl körperlich wie geistig. Während der großen Wirtschaftskrise der 30er Jahre, als etwa 25 Prozent der arbeitenden Bevölkerung der USA keine Anstellung hatten, konnte man diese Auswirkungen gut beobachten. Ein Mann erinnert sich: „Es war herzzerreißend, mit ansehen zu müssen, wie mein Vater sich veränderte. Ich mußte zusehen, wie aus einem optimistischen und dynamischen Geschäftsmann, der auf seinen Erfolg stolz war, ein gebrochener Mann wurde, der von dem Gefühl, versagt zu haben, übermannt wurde.“
Heute ist die Furcht weit verbreitet, daß eine weitere vernichtende Wirtschaftskrise kommen könnte. Das US-Arbeitsministerium gab bekannt, daß in der letzten Dezemberwoche 1974 weitere 813 600 Amerikaner ihren Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung anmeldeten — die höchste Zahl in einer Woche seit der Einführung dieser Unterstützung gegen Ende der großen Wirtschaftskrise.
Der Staat versucht zu helfen
Offenbar aus einem Verständnis der Tragweite des Problems heraus forderte der US-Arbeitsminister Peter J. Brennan im Januar dazu auf, man möge doch Verständnis für die zahlreicher werdenden Millionen von Arbeitslosen haben. Er wies darauf hin, daß viele von ihnen nie zuvor „das tragische Schicksal der Arbeitslosigkeit erlebt“ hätten.
Doch die Lage ist bei weitem nicht so kritisch wie während der großen Wirtschaftskrise, als viele entlassene Arbeitskräfte befürchten mußten, am nächsten Tag nichts zu essen zu haben oder die Miete für den nächsten Monat nicht aufbringen zu können. Heute gibt es Kurzarbeitergeld, Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenhilfe, Lohnfortzahlung durch die Firma und — im äußersten Fall — Sozialhilfe. Beispielsweise erhielten Arbeiter bei General Motors, die entlassen werden mußten, im letzten Jahr 95 Prozent ihres normalen Lohns in Form von Lohnfortzahlung und Arbeitslosenunterstützung, und dies acht Monate lang.
In Deutschland wird Arbeitslosengeld für höchstens 312 Tage an Personen gezahlt, die in der Arbeitslosenversicherung versichert sind. Es beträgt bis zu 80 Prozent des letzten Nettoarbeitsverdienstes. Danach wird Arbeitslosenhilfe gewährt, die etwas geringer als das Arbeitslosengeld ist, dafür aber keiner zeitlichen Begrenzung unterliegt und auch an Personen gezahlt wird, die nicht in der Arbeitslosenversicherung versichert sind.
Angesichts von Millionen neuen Arbeitslosen, die Unterstützung erhalten, befürchtet man, daß die Mittel ausgehen werden. Schon jetzt mußten einige US-Bundesstaaten von der Bundesregierung der USA Geld leihen, um den Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Und die Bundesregierung selbst ist mit vielen Milliarden Dollar verschuldet! Wir leben wirklich in kritischen Zeiten, in denen es auf besonnenes und nüchternes Denken und Handeln ankommt.
Was du selbst tun kannst
Wenn dir irgendeine Art Unterstützung zusteht, ist es nicht mehr als recht, dich darum zu bemühen, sobald du arbeitslos wirst. Manche Firmen zahlen Beschäftigten, die sie entlassen, eine Abfindung. Du kannst dich auch vergewissern, ob du alle anderen Firmenleistungen erhältst, die Kurzarbeitern oder Entlassenen zustehen. Und natürlich solltest du sofort zum Arbeitsamt gehen und herausfinden, auf welche Unterstützung du Anspruch hast.
Sobald du entlassen wirst oder mit der Kurzarbeit beginnst, untersuche die Finanzlage deiner Familie und arbeite einen neuen Ausgabenplan aus. Für viele Familien mag es sogar das beste sein, dies als Vorsichtsmaßnahme schon vor dem Ernstfall zu tun. Wieviel Arbeitslosenunterstützung wirst du erhalten? Wie hoch wird die Lohnfortzahlung sein? Wie lange wird gezahlt? Hast du Geld gespart? Könntest du einige Luxusgüter verkaufen?
Dann zähle alle notwendigen Ausgaben zusammen. Wie hoch sind sie pro Woche oder pro Monat? Kannst du diese Ausgaben bestreiten, wenn du sie auf das Notwendigste beschränkst und vielleicht dein Sparguthaben oder andere Mittel mit einbeziehst? Wie lange würde es reichen? Manche Familien mögen zu dem Ergebnis kommen, daß sie es noch nicht einmal für eine kurze Zeit durchhalten würden.
Zögere darum nicht, dich nach anderen Unterstützungsmöglichkeiten umzusehen, wie dies der Universitätsprofessor Dr. Joseph Petty rät. Er sagt: „Leider denken zu viele Beschäftigte, sie würden Almosen annehmen, wenn sie [die in den USA erhältlichen] Anrechtscheine auf verbilligte Lebensmittel beantragten. Dabei liegt hier dasselbe Prinzip zugrunde wie bei einer Versicherung. Wer Steuern gezahlt und damit diese Leistungen finanziert hat, für den ist es jetzt an der Zeit, selbst Leistungen zu beanspruchen.“
Die Familie sollte während der harten Zeit zusammenarbeiten. Die Frau oder vielleicht sogar die Kinder mögen die Familie auf irgendeine Weise finanziell unterstützen können. Ein Chemieingenieur sagte: „So lange, bis ich eine Arbeit gefunden hatte, steuerten meine Töchter die Hälfte des Geldes, das sie sich als Babysitter verdienten, für die Familie bei. Nie zuvor in ihrem Leben haben sie sich so erwachsen und so wichtig gefühlt.“
Achte auf die Gefahren
Aber leider reißt die Erwerbslosigkeit viele Familien auseinander. Der arbeitslose Ehemann wird oft reizbar und verschlossen oder sogar verbittert. Die Frau wird unter der Belastung kritisch und zeigt — vielleicht unbewußt —, daß sie ihren Respekt verliert. Die Spannungen nehmen zu. Gemäß einer Untersuchung reicht in drei von vier Familien, in denen ein Glied länger als neun Monate arbeitslos ist, ein Partner die Scheidung ein!
Es hat sich gezeigt, daß diejenigen mit ihrer Arbeitslosigkeit am besten fertig werden, die das Gefühl haben, daß ihre Familie sie liebt und daß sie der Familie etwas bedeuten. Die Ehefrau sollte daher ihren Mann unterstützen und ermutigen. Sie sollte ihm zeigen, daß sie ihn genauso achtet wie immer.
Doch der arbeitslose Familienvater muß selbst etwas unternehmen. Alfred Slote, der Probleme der Arbeitslosigkeit untersucht hat, sagt: „Man sollte sich sofort nach einer Stellung umsehen.“ Man muß einsehen, daß es nicht einfach ist, eine Arbeit zu finden, und genauso hart daran arbeiten, einen Arbeitsplatz zu erhalten, wie man an allem anderen bisher gearbeitet hat. Was man tun kann, um eine Arbeit zu bekommen, und welche Arten von Arbeit in Frage kommen, wird in kommenden Ausgaben von Erwachet! behandelt werden.