Ist das ein christlicher Brauch?
Vom „Awake!“-Korrespondenten in El Salvador
AN JENEM Abend war es so warm und feucht, wie es in den Tropen üblich ist. Als meine Frau und ich auf unserem Heimweg um eine Ecke bogen, wurde auf einmal unsere Unterhaltung unterbrochen. An unser Ohr drangen Klänge, die anscheinend von einer fiesta herrührten.
Als wir uns dem Haus näherten, von dem der Lärm ausging, bemerkten wir die üblichen Anzeichen für eine wilde Party. Einige waren laut und streitsüchtig, da sie zuviel getrunken hatten. Auf dem Gehweg vor dem Haus sah man Männer streiten. Doch irgend etwas war bei diesem Treffen anders. Alle Anwesenden waren in Schwarz gekleidet. Als wir die Straße überquert hatten, um der Menschenmenge aus dem Weg zu gehen, konnten wir in diesem Haus etwas sehen. An einem Ende eines Zimmers befand sich ein kleiner Sarg, offenbar ein Kindersarg. Der Sarg war mit Blumenkränzen (coronas) geschmückt. Davor hatte man Kerzen aufgestellt.
All das erregte unsere Neugier. Ein Mann, der auf unserer Straßenseite ging, bemerkte offensichtlich unser Erstaunen, ging auf uns zu und erklärte: „Es una vela“, was bedeutet: „Das ist eine Totenwache.“ Dann fügte er hinzu: „Sie werden sich die ganze Nacht über dort aufhalten.“
Das gab zu vielen Fragen Anlaß: Welchen Sinn hat es, die ganze Nacht über bei einem Toten zu wachen? Warum schmückt man den Sarg mit Blumenkränzen und stellt brennende Kerzen davor? Ist es passend, daß die Trauernden sich betrinken und eine Party feiern, wenn man berücksichtigt, daß jemand gestorben ist? Ist es ein christlicher Brauch, nachtsüber Totenwache zu halten?
Wir finden einige Antworten
Als wir an jenem Abend nach Hause gingen, waren wir entschlossen, auf diese Fragen einige Antworten zu suchen. Bei unseren Nachforschungen stützten wir uns sowohl auf Interviews mit Personen, die hier in El Salvador ansässig sind, als auch auf Nachschlagewerke. Was stellten wir fest?
In der spanischsprachigen Enciclopedia Ilustrada Cumbre wird erwähnt, daß der Zweck der Totenwache darin besteht, dem Verstorbenen Ehre zu erweisen und mit seiner Familie zusammen zu sein. Die Leiche befindet sich nicht immer in einem Sarg. Manchmal liegt sie noch auf dem Totenbett. Sie ist gewöhnlich von religiösen Gegenständen und einigen Wachskerzen umgeben. Gelegentlich werden bei der Totenwache auch Kräuter und Räucherwerk verbrannt, oder man legt rings um den Sarg Blumen. Ähnlich wie bei der Totenwache, die wir damals sahen, stellt in der Regel die betreffende Familie für die anwesenden Trauernden die Mahlzeit und das Getränk.
Wir stellten fest, daß die Bräuche bei der Totenwache je nach der Gegend etwas unterschiedlich sind. In lateinamerikanischen Ländern beispielsweise setzt man ein totes Kind in einen Stuhl und verkleidet es als Engel. Das geschieht in dem Glauben, daß die „unsterbliche Seele“ des Kleinkindes direkt in den Himmel kommen wird. In Übereinstimmung damit lasen wir in El Diario de Hoy, der Tageszeitung von El Salvador, über die Bräuche nach dem Tod von Kindern folgendes:
„Die Einwohner dieser Gemeinden glauben, daß die Kinder unmittelbar danach in den Himmel fliegen und zu ,kleinen Engeln Gottes‘ verwandelt werden. Wie Kenner der Sachlage sagen, ist dieser Brauch des Singens bei einer Totenwache oder Beerdigung eine seltene Mischung von Christentum und unbekannten Traditionen der Eingeborenen [Indianer].“
Nichtchristlicher Ursprung
Die zuletzt erwähnte Formulierung „eine seltene Mischung von Christentum und unbekannten Traditionen der Eingeborenen [Indianer]“ hebt einen wichtigen Punkt hervor. Die Totenwachen sind nicht christlichen Ursprungs. Das wird in einem Artikel der Encyclopedia Britannica über Totenwachen in England bestätigt:
„Dieser Brauch scheint, zumindest was England betrifft, älter zu sein als das Christentum und scheint anfangs im wesentlichen keltisch gewesen zu sein. Zweifellos wurzelt er im Aberglauben, in der Furcht vor bösen Geistern, die die Leiche verletzen oder beseitigen könnten, und vielleicht auch noch in der praktischen Absicht, Ratten und anderes Ungeziefer fernzuhalten. ... Mit der Einführung des Christentums kam noch das Gebet zur Totenwache hinzu, die bis dahin durch Trauergesänge und Erzählungen aus dem Lebenslauf des Toten gekennzeichnet war. In der Regel wurde die Leiche, auf deren Brust ein Teller Salz lag, unter den Tisch gelegt, auf dem für die Totenwächter ein Getränk stand. Diese privaten Totenwachen arteten bald in Trinkgelage aus.“
Nicht nur die Totenwache ist nicht christlichen Ursprungs, sondern auch die Begleitzeremonien wie der Gebrauch von Kränzen und brennenden Kerzen sowie der Brauch, tote Kinder wie „Engel“ zu kleiden, sind mit dem Christentum unvereinbar. Wieso? Da es viele als Hinweis dafür auffassen, daß der Mensch eine unsterbliche Seele hat, die nach dem Tode weiterlebt.
In der Bibel wird der Tod indes in einem ganz anderen Licht dargestellt. Die Worte, die Jesus über einen Freund äußerte, der gestorben war, sind aufschlußreich. Wir lesen: „‚Lazarus, unser Freund, ist zur Ruhe gegangen, doch begebe ich mich dorthin, um ihn aus dem Schlaf zu wecken.‘ Daher sagten die Jünger zu ihm: ,Herr, wenn er zur Ruhe gegangen ist, wird es besser mit ihm.‘ Jesus hatte jedoch von seinem Tod gesprochen. Sie aber meinten, er rede von der Ruhe des Schlafes. Nun sagte Jesus daher freiheraus zu ihnen: ,Lazarus ist gestorben‘“ (Joh. 11:11-14).
Jesus verglich den Tod mit dem Schlaf. Während des Schlafs ist man ohne Bewußtsein. In ähnlicher Weise versichert die Bibel: „Was die Toten betrifft, sie sind sich nicht des geringsten bewußt“ (Pred. 9:5; Hiob 3:11-13; Ps. 146:3, 4).
Bedeutet das, daß wir niemals unsere verstorbenen Angehörigen wiedersehen werden? Im Gegenteil, Jesus gab das Versprechen: „Wundert euch nicht darüber, denn die Stunde kommt, in der alle, die in den Gedächtnisgrüften sind, seine Stimme hören und herauskommen werden“ (Joh. 5:28, 29). Jesus bewies während seines Dienstes hier auf Erden, welche Macht er in dieser Hinsicht hat. In der Bibel wird von drei Fällen berichtet, in denen Jesus Tote auferweckte (Luk. 7:11-17; 8:41, 42, 49-56; Joh. 11:1-44). Interessanterweise kamen die Verstorbenen nach ihrer Auferstehung wieder als Menschen ins Leben zurück. Auf diese Weise bewies Jesus die Gewißheit der Auferstehungshoffnung und nicht ein Weiterleben einer unsterblichen Seele in einem unsichtbaren Reich.
Unsere Nachforschungen waren wirklich aufschlußreich. Insgesamt gesehen, konnten wir feststellen, daß die nächtlichen Totenwachen in vorchristlichen, nichtbiblischen Religionen wurzeln. Außerdem fördert dieser Brauch die verkehrte Ansicht, daß nach dem Tod eine unsterbliche Seele in einem unsichtbaren Reich weiterlebt. Während der Totenwachen werden zufolge des übermäßigen Alkoholgenusses und des hemmungslosen Verhaltens, das oft zu beobachten ist, auch biblische Grundsätze verletzt (Röm. 13:13, 14; 1. Petr. 4:3).
Es ist natürlich eine gute Sache, die Hinterbliebenen zu besuchen, sie zu trösten und ihnen zu helfen. Ob man nun zu diesem Zweck in dem Haus des Verstorbenen einen Besuch abstattet oder etwas anderes tut, ist eine persönliche Angelegenheit. Ausgedehnte Trauerzeiten einzuhalten oder nachtsüber Totenwache zu halten ist jedoch kein christlicher Brauch.