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Verkehrswege über die Schweizer AlpenErwachet! 1978 | 22. Oktober
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Verkehrswege über die Schweizer Alpen
Vom „Awake!“-Korrespondenten in der Schweiz
DIE Alpen sind der Blickfang auf einer Europakarte. Sie bilden einen riesigen Wall von Genua bis Wien. An dem 1 200 Kilometer langen Gebirgszug, der erst nach Westen, dann nach Norden und in der Schweiz nach Osten gerichtet ist, haben sieben Länder Anteil: Frankreich, Italien, die Schweiz, die Bundesrepublik, Liechtenstein, Jugoslawien und Österreich. In Österreich erreichen die Alpen ihre maximale Breite von ungefähr 200 Kilometern.
Eine gute Landkarte läßt erkennen, daß mehrere Gipfel der Schweizer Alpen über 4 000 Meter hoch sind, der höchste Gipfel der Alpen, der Montblanc (4 810 m), liegt allerdings auf französischem Gebiet. Die Alpen bedecken mehr als drei Fünftel der Gesamtfläche der Schweiz, und ungefähr ein Zehntel der Schweizer Alpen ist vergletschert.
Im Herzen der Alpen erhebt sich das Gotthardmassiv, bekannt als „der Wasserspeicher Europas“, denn drei große Ströme entspringen dort: der Rhein (er fließt in die Nordsee), die Rhone (sie ergießt sich ins Mittelmeer) und der Tessin (wichtigster Nebenfluß des Po, der in die Adria mündet). Verfolgt man den Lauf dieser Ströme, so fällt einem auf, daß die Alpentäler, die sie durchfließen, die Ost-West-Verbindung erleichtern. Die Rhone und der Rhein gliedern die Schweizer Alpen in vier Hauptgebirge, zwei auf jeder Seite des Gotthard. Aber die Quertäler, die den Transitverkehr zwischen dem Norden und dem Süden ermöglichen, sind für die Überquerung der Schweizer Alpen von größter Bedeutung.
Die Alpenübergänge
Lange vor unserer Zeitrechnung wurden die Alpen von Süden noch Norden überquert — hauptsächlich von Händlern. Das Straßennetz in den Schweizer Alpen stammt aber aus der Zeit der Römer. Sie waren die ersten, die aus militärischen Gründen Paßstraßen in den Alpen anlegten. Der Große St. Bernhard in der Westschweiz war für sie der Mons Jovis oder der Jupiterberg. Sie errichteten dort zu Ehren dieses altrömischen Gottes einen Tempel.
Der geschichtsträchtige Große St. Bernhard war ein schwieriger Paß, dennoch zogen viele Truppen darüber. Besonders bekannt ist Napoleons Übergang über die Alpen an dieser Stelle im Jahre 1800. Heute führt eine schöne Autostraße über den rund 2 470 Meter hohen Paß, der von Juni bis Mitte Oktober befahrbar ist und Martigny (Schweiz) mit Aosta (Italien) verbindet. Welch ein rauhes Klima in diesem grandiosen hochalpinen Gebiet herrscht, zeigt die Tatsache, daß ein See in der Nähe der Paßhöhe 265 Tage im Jahr zugefroren ist.
Die Gotthardstraße im Herzen der Alpen ist die Lebensader der Schweiz. Sie verbindet die deutschsprachige Zentralschweiz mit der italienischsprachigen Südschweiz. Die heutige Gotthardstraße wurde zwischen 1820 und 1830 gebaut, und seither ist man immer wieder bemüht, die Straßenführung zu verbessern und die Straße zu verbreitern. Da sie die kürzeste Verbindung zwischen dem Norden und dem Süden Europas bildet, ist sie in den wenigen Monaten, in denen der Paß offen ist, sehr stark befahren. Manchmal entstehen kilometerlange Autokolonnen. Gewöhnlich ist der 2 108 Meter hohe Gotthardpaß von November bis Juni nicht befahrbar, doch für die Osterfeiertage wird er mit Hilfe von großen Schneepflügen geräumt.
Wer im Auto über den Gotthardpaß fährt, findet die Gegend vielleicht etwas trist, obschon die Paßstraße über ein Gebirgsmassiv führt, das acht große Gletscher trägt. Vom Gotthardmassiv strahlen 17 Täler in alle Richtungen aus. Dieses Gebirgsmassiv im Herzen der Alpen, für die Schweizer seit Jahrhunderten das Sinnbild ihrer Freiheit und Unabhängigkeit, hat seinen Namen von Godehard, dem heiliggesprochenen Bischof von Hildesheim (Deutschland), zu dessen Ehren im Jahre 1230 am Gotthardpaß eine Kapelle errichtet wurde.
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts erkannte der deutsche Kaiser, daß der Gotthardpaß in der europäischen Politik und im Nord-Süd-Handel eine entscheidende Rolle spielen würde. Den Schweizern wurde es jedoch bald klar, daß es im Interesse ihrer Unabhängigkeit war, fremde Armeen vom Paß fernzuhalten. Sie eigneten sich 1331 die Südseite des Passes an, um zu verhindern, daß Warenzüge ausgeraubt und Händler und Pilger überfallen wurden. Aus einem aus dem Jahre 1370 stammenden Dokument geht hervor, daß Ausländer und Einheimische ohne Gefahr für „Leib und Gut“ vom Gotthard nach Zürich reisen konnten. Schon 1240 wurde in einer Chronik über den Gotthard gesagt, er sei der „übliche Weg der Pilger, die vom Norden nach Rom ziehen“.
Jahrhundertelang benutzten die Reisenden drei bis viereinhalb Meter breite Saumpfade, die mit flachen Granitsteinen und Granitplatten gepflastert waren. Der Gotthardpaß barg außerdem viele Gefahren — Schneefälle, Lawinen, Steinschlag, Gewitter und Stürme. Dadurch gab es Verzögerungen, und manch ein Reisender verlor dabei sein Leben oder die Händler ihre Waren. Im Winter blieb der Paß monatelang geschlossen. Der Gotthard war der gefährlichste aller Alpenpässe.
Vom Jahre 1831 an, als die Straße, an der man zehn Jahre gebaut hatte, fertig war, kamen auch schwere Postkutschen über den Gotthardpaß. Für die etwas mehr als 150 Kilometer von Flüelen bis Lugano brauchte man rund 22 Stunden. Am 31. Mai 1882, als ein Eisenbahntunnel durch den Gotthard eröffnet wurde, fuhr die Postkutsche zum letzten Mal über den Paß, und weil der Verkehr jetzt durch den Tunnel ging, herrschte auf der Paßhöhe zwischen den verschneiten Gipfeln tiefe Stille, aber nicht für immer.
Heute sind die Alpenstraßen, obschon sie in gutem Zustand sind, wegen des starken Verkehrs während der Sommermonate und der zahllosen Kurven gefährlich. Im Herbst und im Frühjahr kommen noch Schnee und Eis hinzu. Zufahrtsstraßen können durch Erdrutsche oder Lawinen plötzlich unbefahrbar werden. Der Autofahrer kann sich jedoch bei einem der Automobilklubs nach den Straßenverhältnissen erkundigen, oder er erhält darüber Auskunft, wenn er eine bestimmte Telefonnummer wählt. Im Jahre 1975 sind die Schweizer Pässe länger als in anderen Jahren geschlossen gewesen, weil es im Mai noch so stark geschneit hatte.
Die Simplonstraße ist die älteste Kunststraße der Alpen. Napoleon gab den Befehl zum Bau dieses Passes, der die Beförderung von Kanonen ermöglichen sollte. Man wählte diesen Paß, weil er verhältnismäßig niedrig ist (2 005 m) und die Schneedecke im Verhältnis zu anderen Pässen nicht so mächtig ist. Die acht Meter breite Straße hat eine maximale Steigung von 9 Prozent. Jetzt ist dieser Paß das ganze Jahr offen, früher allerdings war er von Dezember bis Mai zugeschneit. Niemand wird sich der Schönheit dieser Paßstraße verschließen können, die den geographischen Gegebenheiten sehr gut angepaßt und reich an malerischen Szenerien ist.
Im Jahre 1974 umfaßte das Alpenstraßennetz der Schweiz rund 1 100 Kilometer. Etwa die Hälfte dieser Straßen sind gut ausgebaut. Es gibt so viele Paßstraßen, daß man sie gar nicht alle beschreiben kann. Doch bevor wir von einer anderen Möglichkeit sprechen, die Alpen zu überqueren, sollten wir noch die gelben Postautos erwähnen, die die kurvenreichen Bergstraßen befahren. Ihre Dreiklanghupe erinnert jeden daran, daß diese Postbusse immer Vorfahrt haben.
Eisenbahnverbindungen
Mit dem Aufkommen der Eisenbahn entwickelte sich der Gotthard bald zu „Europas Drehscheibe“. Im Jahre 1869 wurde zwischen der Schweiz und Italien ein Staatsvertrag über die Gotthardlinie abgeschlossen, und auch Deutschland unterzeichnete einen Vertrag. Zehn Jahre lang wurde an dem 15 Kilometer langen Gotthardtunnel gearbeitet, dessen Scheitelhöhe 1 154 Meter beträgt. Seit der Eröffnung dieses Tunnels im Jahre 1882 donnern Tag und Nacht Züge hindurch.
Die Schweizer sind stolz auf „ihre“ Gotthardlinie, die wie fast das ganze übrige schweizerische Eisenbahnnetz vollständig elektrifiziert ist. Die Reisenden bewundern einerseits die großartigen Kunstbauten (die Brücken und Kehrtunnels), und andererseits können sie sich an der schönen Alpenwelt, die sie in vier oder fünf Stunden in einem bequemen Zug durchqueren, nicht satt sehen. Auf der Nordseite des Gotthardtunnels ist das Wetter oft trüb oder gar regnerisch. Doch welch eine Überraschung, auf der anderen Seite des Tunnels einen strahlendblauen Himmel anzutreffen! Und nach wenigen Kilometern erblickt der Reisende Reben, Edelkastanien und Feigen sowie Pfirsichbäume — alles Pflanzen, die nördlich der Alpen nicht so ohne weiteres wachsen, während sie hier, im milden südlichen Klima, üppig gedeihen. Eine Fahrt mit der Gotthardbahn ist ein unvergeßliches Erlebnis.
Im Jahre 1906 wurde der Simplontunnel, der länger ist als der Gotthardtunnel, eröffnet. Mit dem Bau dieses Tunnels, der eine direktere Verbindung zwischen Frankreich und Italien über die Schweiz schaffen sollte, begann man 1898. Der erste, eingleisige 19,8 Kilometer lange Tunnel wurde 1906 dem Verkehr übergeben. Von 1912 bis 1922 wurde ein knapp 20 Meter längerer Paralleltunnel angelegt. Zufolge des Ersten Weltkrieges konnte er erst 1922 eröffnet werden. Der Scheitel des Simplontunnels, des längsten Tunnels der Alpen, liegt 700 Meter über dem Meer, und die maximale Höhe des Gesteins über der Tunnelröhre beträgt 2 135 Meter. Der Bau dieses Tunnels war besonders schwierig, weil die Arbeiten wegen des Einsickerns von Wasser mehrere Male unterbrochen werden mußten.
Nicht wenige Schweizer denken wehmütig an den „Simplon-Orientexpreß“ zurück. Dieser internationale Zug wurde 1919 in Betrieb genommen und für einen Teil der Strecke London — Istanbul eingesetzt. Er benötigte etwa 60 Stunden, um die längste europäische Eisenbahnstrecke von 3 000 Kilometern — von Paris via Schweiz (durch den Simplontunnel), Italien, Jugoslawien und Bulgarien bis Istanbul (Türkei) — zu bewältigen.
Straßentunnels
Von den verschiedenen Alpenstraßentunnelprojekten sind zwei bereits verwirklicht: der mit privaten Mitteln erbaute Große-St.-Bernhard-Tunnel und der Straßentunnel am San-Bernardino-Paß. Der 1964 eingeweihte St.-Bernhard-Tunnel ist 5,8 Kilometer lang und ist ein Mauttunnel. Der San-Bernardino-Tunnel, etwa 6 Kilometer lang, wurde am 1. September 1967 eröffnet. Da dieser Tunnel zum schweizerischen Nationalstraßennetz gehört, ist er gebührenfrei.
Gegenwärtig ist man dabei, den Gotthard-Straßentunnel zu erbauen. Der Straßentunnel liegt ganz in der Nähe des Eisenbahntunnels. Er wird eine Länge von mehr als 16 Kilometern haben und so der längste Straßentunnel der Welt werden. Er sollte 1977 fertig werden, doch da verschiedene Schwierigkeiten auftraten, konnte der Zeitplan nicht eingehalten werden.
Bis zur Eröffnung weiterer Straßentunnels bleibt den Autofahrern jedoch die Möglichkeit, die Alpen zu überqueren, indem sie einen Autoreisezug benutzen. Dieser nimmt die Autos sozusagen „huckepack“ — Fahrer und Mitfahrer können im Fahrzeug sitzen bleiben — und befördert die Wagen in 15 Minuten durch den Tunnel.
Dem Reisenden, der es eilig hat, stehen natürlich auch mehrere Fluglinien zur Verfügung, und die Flugzeuge fliegen sozusagen bei jedem Wetter. Es werden täglich mehr als 250 Flüge ausgeführt. Doch wenn jemand die Alpenfahrt wirklich genießen möchte, kommt er voll und ganz auf seine Rechnung, wenn er dazu den Zug oder das Auto benutzt.
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Der Größte und der KleinsteErwachet! 1978 | 22. Oktober
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Der Größte und der Kleinste
● Der größte lebende Vertreter der Hirschfamilie ist der in Alaska beheimatete Riesenelch. Er erreicht oft eine Schulterhöhe von mehr als zwei Metern. Der kleinste Hirsch wird Pudu genannt. Der Pudu kommt in Chile vor und wird kaum mehr als 30 Zentimeter groß.
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