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Der Puma — Überall und nirgendwoErwachet! 1998 | 22. April
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Der Puma — Überall und nirgendwo
Von unserem Korrespondenten in Brasilien
DER Himmel über dem südamerikanischen Regenwald zeigte sich in der schwer zu beschreibenden Farbe, die er annimmt, bevor die Tropennacht jegliche Farbe verschluckt. Da! Wie aus dem Nichts erschien lautlos der Puma. Vorsichtig trat er auf die Lichtung und hielt inne.
Einen Augenblick lang verharrte die große Katze völlig regungslos — von ihrer Schwanzspitze einmal abgesehen, die sich wie ein Scheibenwischer ganz langsam hin- und herbewegte. Sobald der Puma merkte, daß er beobachtet wurde, sprang er über die Lichtung und preschte in den Wald. An jenem Nachmittag vor einigen Jahren wurde mir klar, warum Sportschuhe, schnelle Autos und sogar Kampfflugzeuge nach ihm benannt worden sind. Amerikas zweitgrößte Katze, der Puma oder Kuguar, ist eindeutig für Geschwindigkeit geschaffen.a
Geballte Muskelkraft
Mit seinem schlichten, gelbbraunen Fell könnte man den Puma fast für eine Löwin halten. Allerdings ist sein Gesicht nicht so viereckig wie das seiner afrikanischen Verwandten. Der Kopf des Pumas ist eher rundlich und klein mit zwei ebenso runden, kleinen Ohren obenauf. Von der Seite sieht der Kopf stromlinienförmig und länglich aus. Der Puma guckt einen mit großen grünen Augen an. Das Fleckchen weißes Fell um sein Maul herum läßt ihn so aussehen, als hätte er seine Schnauze tief in eine Schale mit Milch gesteckt und vergessen, sie abzuwischen. Sein überschlanker, geschmeidiger Körper kann 1,5 Meter lang oder noch länger werden, den kräftigen Schwanz mit der schwarzen Schwanzspitze nicht mitgerechnet.
Durch die langen, kräftigen Hinterbeine ist der Rumpf höher als die Schultern. Die starken Beine geben dem rund 60 Kilogramm schweren, muskulösen Tier die nötige Sprungkraft, um sich raketenartig vom Boden abzustoßen. Man hat Pumas gesehen, die mit einem einzigen Sprung 5 Meter hoch gesprungen sind. Das wäre ungefähr so, als würde man stabhochspringen, nur daß man dabei den Stab wegläßt!
Auch wenn der Puma irgendwo herunterspringt, sieht das eindrucksvoll aus. Man weiß von Sprüngen aus einer Höhe von 18 Metern. Das ist fast doppelt so hoch wie die Plattform, von der die Turmspringer bei der Olympiade ihre Sprünge ausführen, allerdings steht dem Puma kein gefülltes Schwimmbecken zur Verfügung. Dennoch kommt die Katze so auf dem Boden auf, daß sie sofort wieder abspringen kann, als ob sie auf einem Trampolin gelandet wäre.
„Es ist ein kraftvolles, beeindruckendes Tier“, sagt der Wildbiologe Kenneth Logan. „Wenn man erfährt, wie diese Katzen leben, kann man nur den Hut vor ihnen ziehen.“ Bezeichnenderweise scheinen sie praktisch überall zu sein, und doch sieht man sie nirgendwo.
Nahezu überall, dennoch nirgendwo zu sehen
Als sich die ersten Siedler in der Neuen Welt niederließen, war der Puma auf dem ganzen Kontinent vom Atlantik bis zum Pazifik verbreitet. Er bewohnte die Berge genauso wie das Sumpfland, die Prärie und den Dschungel. Auch wenn Jäger und Farmer den Puma in vielen Gebieten Nordamerikas ausgerottet haben, ist er nach wie vor die amerikanische Katze und streift von Kanada bis zur Südspitze Südamerikas umher. Mißt man den „Erfolg“ eines Tieres daran, wie weit es verbreitet ist und wo es überall lebt, dann ist der Puma heute wohl das erfolgreichste Säugetier, das in Amerika heimisch ist. Worin liegt das Geheimnis seines Erfolgs?
Der Puma ist bestens für das Überleben ausgerüstet. Er hat einen robusten Magen und wendet verschiedene Jagdmethoden an. Nahezu jeder Nahrung, die vor Ort zu haben ist, kann er sich anpassen. „Er ist in der Lage, ein Tier zu töten und wegzuzerren, das fünfmal so groß ist wie er selbst, aber zur Not begnügt er sich auch mit Grashüpfern“, sagt ein Tierarzt, der den Mageninhalt mehrerer in Brasilien getöteter Pumas untersucht hat. „Was seine Nahrung angeht, ist der Puma flexibler als irgendeine andere Katzenart.“
Unterschiedliche Beute verlangt unterschiedliche Jagdfertigkeiten. Um etwa einen Vogel zu packen, muß er ganz anders vorgehen, als wenn er sich auf einen Hirsch stürzt. Wie bewerkstelligt der Puma das? In den am Atlantik gelegenen Wäldern Brasiliens lockt er das Steißhuhn an, indem er den Ruf des Vogels nachahmt. „Eine perfekte Imitation“, nennt ein Beobachter das. „Das Steißhuhn ruft nur wenige Male, der Puma dagegen pfeift und pfeift und pfeift — zehn oder zwanzigmal.“ Trotzdem funktioniert es. Das Steißhuhn meint, ein lärmendes Männchen sei in sein Revier eingedrungen, und will sich seinem Rivalen stellen — ein Schritt mit fatalen Folgen.
Ganz gleich, ob man sich in Nord-, Mittel- oder Südamerika auf die Suche nach dem Puma macht, er schafft es meistens, daß man ihn nicht zu Gesicht bekommt; er ist wie die Luft: allgegenwärtig und doch unsichtbar. Wenn Pumaforscher das Tier beschreiben, verwenden sie vorwiegend Adjektive wie „geheimnisvoll, scheu und mißtrauisch“. Nachdem ein Jäger etwa 70 Tiere erlegt hatte, räumte er ein, daß er „keins seiner Opfer je zu Gesicht bekommen hatte, bevor es von den Hunden einen Baum hinaufgehetzt wurde“. Kein Wunder, wenn enttäuschte Forscher sagen, die Katze sei „zum Verrücktwerden scheu“!
Eine Katze mit vielen Namen
Amerikas Katze ist jedoch nicht nur schwer zu Gesicht zu bekommen, sondern auch schwer zu umschreiben. Im Guinness Book of Animal Records heißt es, der Puma habe „mehr Namen als irgendein anderes Säugetier der Welt“. Außer den etwa 40 Namen, die man im englischen Sprachraum kennt, „gibt es in Südamerika mindestens 18 heimische Namen und weitere 25 in Nordamerika“.
Die von Zoologen bevorzugte Bezeichnung für die Katze, nämlich Puma, kommt aus dem Quechua, einer in Peru gesprochenen Sprache. Andere Namen lauten Berglöwe, Silberlöwe, amerikanischer Löwe oder Panther.
Dr. Faiçal Simon, Leiter des Zoos von São Paulo und Pumaexperte, stellt fest: „Der Puma hat, was sein Verhalten und seine körperlichen Fähigkeiten betrifft, wenig mit Großkatzen gemein.“ Bei dem Puma handelt es sich um eine andere Katzenart, bei der die Größe und die Farbe unterschiedlich ausfallen können. Bis zu 30 Unterarten kennt man auf dem amerikanischen Kontinent, 6 davon sind in Brasilien vertreten.
Sollte man ihn aus dem Weg schaffen?
Für viele Viehzüchter in Brasilien und anderswo ist der Puma ein „Schädling“, den es abzuschießen gilt, sobald man ihn sieht. Steht der Puma denn wirklich zu Recht in dem Ruf, ein Serienkiller von Rindern zu sein? „Wenn Wildtiere verfügbar sind, tötet ein Puma selten Rinder“, erklärt Dr. Simon. „Die wenigen Male, wo das geschieht, rechtfertigen sicherlich nicht die systematische Vernichtung des Tieres. Rancher, die Pumas schießen, schaden sich eigentlich nur selbst.“ Inwiefern?
Nehmen wir zum Beispiel das brasilianische Pantanal, ein Sumpfgebiet, größer als Südkorea, in dem unzählige Rinder frei herumlaufen. Pumas werden dort von den Ranchern getötet. Wie Dr. Simon ausführt, schnellt demzufolge der Bestand an Gürteltieren — die Lieblingsspeise des Pumas in jenem Gebiet — in die Höhe. Gürteltiere sind gepanzerte, kaninchengroße Säugetiere, die Erdlöcher buddeln. Ohne Pumas, die sie dabei stören, verwandeln die Gürteltiere die Weiden im Pantanal in Todesfallen. Wie das?
Nun, die Rinder treten in die Löcher, brechen sich die Beine und sterben. „Dadurch, daß die Rancher die Pumas getötet haben, verlieren sie nun mehr Vieh als vorher“, sagt Dr. Simon. „Dies ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, was passiert, wenn der Mensch in die Natur eingreift.“
Auf dem amerikanischen Kontinent wächst die Zahl der Menschen, die den Puma schützen wollen. Daher wurden in manchen Gebieten Nordamerikas von Behörden pumafreundliche Gesetze erlassen, die das Bejagen regeln und den Lebensraum der Katze bewahren.
Infolgedessen erlebt der Puma im Westen der Vereinigten Staaten ein Comeback und bevölkert wieder seine früheren Habitate. Freilich sieht das nicht jeder gern, aber doch recht viele. Wie die Zeitschrift Smithsonian bemerkt, hat der Puma „in verhältnismäßig kurzer Zeit eine herrliche ... Verwandlung vom Schädling zum äußerst willkommenen Tier erlebt“.
Nicht nur Naturliebhaber haben etwas für den Puma übrig, auch Jäger. Für die ersteren ist die Katze ein majestätisches Symbol der Wildnis, den letzteren geht es jedoch nach wie vor um eine Trophäe. Es stellt sich die Frage, wie lange der Puma beides sein kann.
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Der Puma — Überall und nirgendwoErwachet! 1998 | 22. April
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„Leben und leben lassen“
Im Westen der Vereinigten Staaten haben Gesetze, die zum Schutz des Pumas oder Kuguars erlassen wurden, nicht nur die Pumabestände wieder aufleben lassen, sondern auch vermehrt zu Begegnungen zwischen Pumas und Menschen geführt. Der Grund liegt auf der Hand: Immer mehr Menschen lassen sich an den Randgebieten der Wildnis — im Pumaland — nieder, was ihre Sicherheit gefährdet. Trotzdem bleiben Pumaangriffe noch die Ausnahme.
Forscher sprechen von 65 dokumentierten Pumaangriffen auf Menschen, die seit 1870 in den Vereinigten Staaten und in Kanada vorgekommen sind, also etwa 3 Angriffe innerhalb von 5 Jahren. Von den 65 Angriffen hatten 10 einen tödlichen Ausgang. Im Vergleich dazu sterben allein in den Vereinigten Staaten in einem Jahr etwa 40 Menschen an den Folgen eines Bienenstichs.
„Trotz vorhandener Angriffsmöglichkeiten“, bemerkt der Wildbiologe Kevin Hansen, „kommt es überraschenderweise sehr selten zu Angriffen auf den Menschen, woraus man schließen kann, daß der Kuguar — zumindest was den Menschen angeht — ausgesprochen willig ist, nach der Devise vorzugehen: ,Leben und leben lassen.‘“
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