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Wann wurde Jerusalem in alter Zeit zerstört? — Teil zweiDer Wachtturm 2011 | 1. November
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● Astronomische Tafeln
Worum handelt es sich? Es sind Keilschrifttafeln mit Aufzeichnungen zu Sonnen-, Mond-, Stern- und Planetenpositionen sowie historischen Angaben wie etwa dem Regierungsjahr eines bestimmten Königs. Der unten abgebildete astronomische Beobachtungstext beispielsweise berichtet von einer Mondfinsternis im ersten Monat des ersten Regierungsjahres von König Mukin-zeri.11
Was sagen Experten? Die Babylonier hatten umfangreiche Tabellen und Berechnungssysteme entwickelt, um Mondfinsternisse vorherzusagen, so die anerkannte Meinung.12
Konnten sie damit denn auch den Zeitpunkt bereits vergangener Eklipsen berechnen? Professor John Steele meint dazu: „Rein theoretisch konnten nach diesem Schema einige der frühesten Vorhersagen bei der Erstellung des Textes rückberechnet worden sein“ (Kursivschrift von uns).13 Nach Ansicht von Professor David Brown enthielten die astronomischen Tabellen Voraussagen, die kurz vor den dokumentierten Ereignissen gemacht wurden, doch er schließt „Rückberechnungen von Schreibern des 4. und späterer vorchristlicher Jahrhunderte“ nicht aus.14 Falls es sich tatsächlich um Rückberechnungen handelt, darf man sie dann wirklich ohne weitere Stütze als absolut zuverlässig betrachten?
Selbst wenn eine Eklipse an einem bestimmten Datum stattgefunden hat, ist damit auch die Richtigkeit der dazugehörigen historischen Aufzeichnungen garantiert? Nicht unbedingt. Der Wissenschaftler R. J. van der Spek erklärt: „Die Verfasser waren keine Historiker, sondern Astrologen.“ Er beschreibt Textabschnitte mit historischen Angaben als mehr oder weniger oberflächlich und mahnt, sie „mit Vorsicht zu gebrauchen“.15
Was sagen die Texte aus? Dazu ein Blick auf die Keilschrifttafel VAT 4956. In der ersten Zeile heißt es: „37. Jahr Nebukadnezars, des Königs von Babylon“.16 Danach folgen detaillierte Beschreibungen der Position des Mondes und bestimmter Planeten im Verhältnis zu verschiedenen Sternen und Sternbildern. Auch eine Mondfinsternis wird erwähnt. Gelehrte sind der Meinung, alle diese Positionen träfen auf 568/567 v. u. Z. zu. Demnach müsse das 18. Jahr Nebukadnezars II. — das Jahr, in dem er Jerusalem zerstörte — 587 v. u. Z. gewesen sein. Weisen diese astronomischen Aufzeichnungen jedoch unwiderlegbar nur auf 568/567 v. u. Z. hin?
Auf der Tafel wird eine Mondfinsternis erwähnt, die auf den 15. Tag des dritten babylonischen Monats (Simanu) berechnet worden war. In diesem Monat ereignete sich tatsächlich eine Mondfinsternis, und zwar an dem Tag, der dem 4. Juli (julianischer Kalender) des Jahres 568 v. u. Z. entspricht. Allerdings fand eine solche auch 20 Jahre vorher statt, am 15. Juli 588 v. u. Z.17
Wenn 588 v. u. Z. das 37. Jahr Nebukadnezars II. war, dann wäre sein 18. Regierungsjahr 607 v. u. Z. — genau das Jahr, in dem nach biblischer Chronologie Jerusalem zerstört wurde. (Siehe den Zeitstrahl unten.) Liefert VAT 4956 noch weitere Stützen für 607 v. u. Z.?
Außer der erwähnten Mondfinsternis enthält die Tafel 13 Mondbeobachtungen und 15 Planetenbeobachtungen. Sie beschreiben die Position des Mondes oder bestimmter Planeten im Verhältnis zu gewissen Sternen oder Konstellationen.18 Außerdem sind 8 Zeitintervalle zwischen Auf- und Untergang von Sonne beziehungsweise Mond vermerkt.18a
Da Mondpositionen zuverlässigere Aussagen zulassen, haben sich Forscher eingehend mit den 13 Mondpositionen auf VAT 4956 befasst. Die Daten wurden anhand eines Computerprogramms ausgewertet, mit dem sich die Stellung von Himmelskörpern zu bestimmten Zeitpunkten in der Vergangenheit anzeigen lässt.19 Was ergab diese Analyse? Während sich für das Jahr 568/567 v. u. Z. nicht alle Mondpositionen nachweisen ließen, passten alle 13 Positionen auf das Jahr 588/587 v. u. Z. — also 20 Jahre früher.
Eine der Mondbeobachtungen, die auf 588 v. u. Z. noch besser passen als auf 568 v. u. Z., ist in Zeile 3 der hier abgebildeten Tafel zu finden. Dort ist eine bestimmte Mondstellung für die Nacht des 9. Nisannu dokumentiert. Die Wissenschaftler, die diese Position ursprünglich auf 568 v. u. Z. (–567 nach astronomischer Zeitrechnung) datierten, räumten allerdings ein, der Mond sei in jenem Jahr „am 8. Nisan, und nicht am 9.“, in dieser Stellung gewesen. Um ihre Datierung zu stützen, behaupteten sie, der Schreiber habe irrtümlich „9“ statt „8“ geschrieben.20 Am 9. Nisannu 588 v. u. Z. liegt jedoch eine exakte Übereinstimmung für diese Mondstellung vor.21
Viele der astronomischen Angaben auf VAT 4956 über das 37. Jahr Nebukadnezars II. passen also auf 588 v. u. Z. Das wäre eine Stütze dafür, dass Jerusalem im Jahr 607 v. u. Z. zerstört wurde — wie die Bibel erkennen lässt.
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Wann wurde Jerusalem in alter Zeit zerstört? — Teil zweiDer Wachtturm 2011 | 1. November
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[Kasten/Bild auf Seite 24]
ASTRONOMISCHER BEOBACHTUNGSTEXT BM 32238
Diese Tafel enthält Aufzeichnungen über Mondfinsternisse, die in einem Zeitraum von rund 400 Jahren stattfanden. Sie wurde allerdings erst nach der letzten erwähnten Mondfinsternis abgefasst. Da der Schreiber die Beobachtungen nicht alle selbst gemacht haben kann, dürfte er die früheren Mondfinsternisse berechnet haben. Ohne weitere Stütze eignen sich solche Berechnungen kaum als Basis für zuverlässige chronologische Angaben.
[Bildnachweis]
© The Trustees of the British Museum
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