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  • Ein Drucker, der in die Geschichte einging
    Der Wachtturm 1995 | 15. April
    • Darauf erpicht, mit der lateinischen Bibel das zu bewerkstelligen, was er bereits mit den lateinischen Klassikern getan hatte, machte sich Estienne daran, den lateinischen Originaltext der Vulgata von Hieronymus aus dem fünften Jahrhundert soweit wie möglich wiederherzustellen.

      Eine verbesserte Vulgata

      Hieronymus hatte zwar aus den Ursprachen der Bibel, Hebräisch und Griechisch, übersetzt, aber die Vulgata war zur Zeit Estiennes bereits tausend Jahre alt. Da schon seit Generationen Abschriften der Vulgata hergestellt worden waren, hatten sich viele Fehler und Ungenauigkeiten eingeschlichen. Darüber hinaus waren die von Gott inspirierten Worte der Bibel im Mittelalter von einem Wirrwarr von Legenden, Umschreibungen und unechten Einfügungen überlagert worden. Diese waren mit dem Text der Bibel so verwoben, daß man sie längst zu den inspirierten Schriften zählte.

      Um alles Unechte zu entfernen, bediente sich Estienne der bei der Untersuchung klassischer Literatur üblichen Methoden der Textkritik. Er suchte nach den ältesten und besten verfügbaren Handschriften. In den Bibliotheken von Paris und Umgebung sowie an Orten wie Évreux und Soissons entdeckte er mehrere alte Handschriften, von denen eine offenbar aus dem sechsten Jahrhundert datierte. Estienne verglich in den verschiedenen lateinischen Texten Passage für Passage und entschied sich nur für solche, die ihm als die gesichertsten erschienen. Das Ergebnis war Estiennes Bibelausgabe, die 1528 erschien und einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zu einem geläuterten, genauen Bibeltext darstellte. Von ihm selbst überarbeitete Ausgaben folgten. Vor ihm hatten sich bereits andere bemüht, die Vulgata zu verbessern, doch seine Ausgabe war die erste mit einem kritischen Apparat. In den Randbemerkungen wies Estienne darauf hin, wo er bestimmte zweifelhafte Passagen ausgelassen hatte oder wo mehr als eine Lesart möglich war. Er vermerkte auch die Handschriften, die als Beleg für seine Korrekturen dienten.

      Estienne führte noch vieles andere ein, was für das 16. Jahrhundert neu war. Er unterschied zwischen den apokryphen Büchern und dem Wort Gottes. Er ordnete die Apostelgeschichte nach den Evangelien und vor den Briefen des Paulus ein. Am Kopf jeder Seite vermerkte er einige Schlüsselwörter, um dem Leser bei der Suche bestimmter Passagen zu helfen. Das ist das älteste Beispiel für das, was man heute allgemein als lebenden Kolumnentitel bezeichnet. Estienne gehörte zu den ersten, die statt der fetten gotischen Schrift (Fraktur), die aus Deutschland kam, die nicht so fette und leichter zu lesende Grundschrift (Antiqua) benutzten, die heutzutage üblich ist. Er sorgte auch für viele Querverweise und sprachwissenschaftliche Anmerkungen zur Klärung bestimmter Passagen.

      Viele Adlige und Prälaten schätzten Estiennes Bibelausgabe, denn sie war jeder anderen gedruckten Ausgabe der Vulgata überlegen. Was ansprechendes Äußeres, gediegene Ausführung und Nützlichkeit betrifft, galt sie als Standard und wurde bald in ganz Europa nachgeahmt.

  • Ein Drucker, der in die Geschichte einging
    Der Wachtturm 1995 | 15. April
    • Die Zensoren der Sorbonne waren gegen jede kritische Ausgabe und jede Übersetzung der Vulgata in die Volkssprache und betrachteten sie „für die Kirche nicht nur als nutzlos, sondern als schädlich“. In einer Zeit, in der Reformatoren bestimmte Kirchenlehren, Zeremonien und Bräuche, die nicht durch die Autorität der Bibel gestützt wurden, in Frage stellten, war das nichts Überraschendes. Für viele Theologen an der Sorbonne waren die in Ehren gehaltenen Kirchenlehren jedoch wichtiger als ein genauer Bibeltext. Ein Theologe sagte: „Stehen die Lehren einmal fest, gleicht die Bibel einem Baugerüst, das nach dem Bau der Mauer entfernt wird.“ Die meisten Angehörigen der Fakultät konnten weder Hebräisch noch Griechisch, ja sie verachteten die Studien von Estienne und anderen Gelehrten der Renaissance, die die ursprüngliche Bedeutung der in der Bibel gebrauchten Wörter erforschten. Ein Professor der Sorbonne verstieg sich sogar zu der Behauptung, die Kenntnis des Griechischen und Hebräischen zu verbreiten trage zur Zerstörung aller Religion bei.

      Die Sorbonne greift an

      Die Zensoren der Fakultät gaben die ersten Vulgata-Ausgaben Estiennes zwar frei, aber es ging nie ohne Streit ab. Seit dem 13. Jahrhundert war die Vulgata als offizielle Bibel ein Heiligtum der Universität, und viele Menschen hielten ihren Text für unfehlbar. Die Fakultät hatte sogar den anerkannten Gelehrten Erasmus wegen seiner Arbeit an der Vulgata verurteilt. Daß ein einheimischer Drucker, ein Laie, die Kühnheit besaß, den offiziellen Text zu korrigieren, war für manch einen äußerst beunruhigend.

      Mehr als alles andere erregten wahrscheinlich Estiennes Randbemerkungen die Besorgnis der Theologen. Die Bemerkungen ließen Zweifel an der Richtigkeit des Textes der Vulgata entstehen. Estiennes Bestreben, bestimmte Textstellen zu erhellen, trug ihm die Anklage ein, er dringe in den Bereich der Theologie ein. Er wies diese Beschuldigung zurück, indem er behauptete, seine Bemerkungen seien nur kurze Zusammenfassungen oder von sprachwissenschaftlicher Art. Seine Bemerkung zu 1. Mose 37:35 besagte beispielsweise, das Wort „Hölle“ (lateinisch: infernum) könne dort nicht als Bezeichnung für einen Ort verstanden werden, wo die Bösen bestraft würden. Die Fakultät warf ihm vor, er bestreite die Unsterblichkeit der Seele und die Macht der „Heiligen“ als Fürsprecher.

      Estienne genoß jedoch die Gunst und den Schutz des Königs. Franz I. zeigte großes Interesse an Arbeiten der Renaissance, besonders an denen seines königlichen Druckers. Wie berichtet wird, besuchte Franz I. Estienne sogar, und einmal wartete er geduldig, bis Estienne mit der Korrektur eines eiligen Bogens fertig war. Mit der Rückendeckung des Königs konnte sich Estienne gegenüber der Sorbonne behaupten.

      Theologen verbieten seine Bibeln

      Die Ereignisse des Jahres 1545 brachten es mit sich, daß sich der gesamte Zorn der Sorbonne auf Estienne richtete. Die katholischen Universitäten von Köln, Löwen (Belgien) und Paris waren schon früher übereingekommen, bei der Zensur unorthodoxer Lehren zusammenzuarbeiten, da sie den Vorteil einer geeinten Front gegen die Reformatoren erkannt hatten. In einem Brief an die Sorbonne gaben die Theologen der Universität Löwen ihrem Erstaunen darüber Ausdruck, daß Estiennes Bibelausgaben nicht auf der Pariser Liste verbotener Bücher standen, worauf die Sorbonne mit der Lüge antwortete, man hätte die Bibelausgaben tatsächlich verboten, wenn man sie gesehen hätte. Estiennes Feinde innerhalb der Sorbonne waren sich jetzt sicher, daß sie zusammen mit der Fakultät von Löwen ihre Autorität bei Franz I. erfolgreich geltend machen könnten, um ihn von den Irrtümern seines Druckers zu überzeugen.

      Estienne, der vor seinen Feinden und ihren Plänen gewarnt worden war, wurde indes zuerst beim König vorstellig. Für den Fall, daß die Theologen eine Liste aller von ihnen entdeckten Irrtümer anfertigen würden, erklärte er sich bereit, diese zusammen mit den Korrekturen der Theologen zu drucken und sie jeder Bibel beizulegen, die verkauft werde. Dem König gefiel diese Lösung. Er beauftragte Pierre du Chastel, den königlichen Lektor, sich der Sache anzunehmen. Im Oktober 1546 erhob die Fakultät in einem Schreiben an du Chastel den Vorwurf, Estiennes Bibelausgaben seien „Nährstoff für diejenigen, die unseren Glauben leugnen und die gegenwärtigen ... Häresien unterstützen“, und sie seien so sehr mit Irrtümern durchsetzt, daß sie es verdienten, in ihrer „Gesamtheit beseitigt und vernichtet zu werden“. Davon nicht überzeugt, wies der König die Fakultät nun höchstpersönlich an, die Beanstandungen schriftlich festzuhalten, damit sie mit Estiennes Bibelausgaben gedruckt werden könnten. Man versprach zwar, das zu tun, unternahm in Wirklichkeit aber alles nur Mögliche, um keine genaue Liste der angeblichen Irrtümer erstellen zu müssen.

      Im März 1547 starb Franz I., und mit ihm verlor Estienne seinen stärksten Verbündeten gegen die mächtige Sorbonne. Heinrich II. folgte auf den Thron, und er erneuerte die Anordnung seines Vaters, die Fakultät solle ihre Beanstandungen schriftlich fixieren. Allerdings beobachtete Heinrich II., wie die deutschen Fürsten die Reformation für politische Zwecke nutzten, und sorgte sich daher weniger um die angeblichen Vorzüge oder Nachteile der Bibelausgaben des königlichen Druckers als vielmehr darum, daß Frankreich unter ihm, dem neuen König, katholisch und geeint blieb. Am 10. Dezember 1547 entschied der Staatsrat des Königs, daß der Verkauf der Bibelausgaben Estiennes so lange verboten sein solle, bis die Theologen eine Liste ihrer Beanstandungen erstellt hätten.

  • Ein Drucker, der in die Geschichte einging
    Der Wachtturm 1995 | 15. April
    • Erneut ordnete der König an, daß die Liste mit den Beanstandungen der Fakultät dem Staatsrat übergeben werde. Die Fakultät antwortete eigensinnig, die Theologen seien es nicht gewohnt, die Gründe, aus denen sie etwas als häretisch verurteilten, schriftlich darzulegen, sondern würden nur mündlich antworten, und das müsse man eben glauben, da das Schreiben sonst kein Ende nehme. Heinrich fand sich damit ab. Das endgültige Verbot wurde erlassen. Man verbot fast jede Bibelausgabe Estiennes. Den Flammen auf dem Place Maubert war er zwar entgangen, doch angesichts des totalen Verbots seiner Bibelausgaben und der Wahrscheinlichkeit weiterer Schikanen entschied er sich dafür, Frankreich zu verlassen.

      Der Drucker im Ausland

      Im November 1550 zog Estienne in die Schweiz, und zwar nach Genf. Die Fakultät hatte die Veröffentlichung jeder anderen Bibel außer der Vulgata in Frankreich für ungesetzlich erklären lassen. Da es Estienne nun freistand, zu veröffentlichen, was er wollte, druckte er 1551 sein griechisches „Neues Testament“ nach, diesmal mit zwei lateinischen Übersetzungen (der Vulgata und der Übersetzung von Erasmus) in parallelen Spalten. Dieser Ausgabe folgte 1552 eine französische Übersetzung der Griechischen Schriften mit dem lateinischen Text von Erasmus in Parallelspalten. In beiden Bibelausgaben führte Estienne ein System der numerierten Verseinteilung ein, ein System, das heute allgemein üblich ist. Vor ihm hatten es zwar schon andere mit unterschiedlichen Verseinteilungen versucht, doch Estiennes System setzte sich letztendlich durch. Seine französische Bibel von 1553 war die erste vollständige Bibel mit der von ihm entwickelten Verseinteilung.

      Estiennes lateinische Parallelbibel von 1557 ist insofern bemerkenswert, als sie überall in den Hebräischen Schriften den Eigennamen Gottes, Jehova, enthält. In einer Randbemerkung zum zweiten Psalm erklärte er, das hebräische Tetragrammaton (יהוה) durch ʼAdhonáj zu ersetzen beruhe einzig und allein auf einem jüdischen Aberglauben und sei abzulehnen. In seiner Ausgabe benutzte er die Kursivschrift für lateinische Wörter, die er hinzugefügt hatte, um den Sinn des hebräischen Textes angemessen wiederzugeben. Dieser Methode bediente man sich später auch in anderen Bibelübersetzungen, was heutige Leser oftmals verwirrt, da sie daran gewöhnt sind, daß Kursivschrift etwas zu Betonendes auszeichnet.

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