Wie man die Familienbande stärken kann
Die Gründe, warum Jugendliche ihr Zuhause verlassen, sind zahlreich und oft sehr vielschichtig. Dieser Artikel kann sie zwar nicht eingehend behandeln, aber er zeigt, daß die Anwendung biblischer Grundsätze bewirken kann, daß die Familie intakt bleibt.
WIE viele Kinder von zu Hause weglaufen, ist kaum exakt festzustellen. Die bisher veröffentlichten Schätzungen reichen von 600 000 bis zu 3 000 000 vermißten Kindern allein in den Vereinigten Staaten. Solche Schätzungen machen oft keinen Unterschied zwischen Ausreißern, Abgeschobenen und Hinausgeworfenen sowie Kindern, die von einem geschiedenen Elternteil ohne Sorgerecht entführt wurden. Es sind nur Schätzungen möglich, da einerseits Kinder, die von ihren Eltern im Stich gelassen werden, nicht als vermißt gemeldet werden, andererseits einige Kinder regelmäßig ausreißen. „Ein 16jähriger, der in einem Jahr fünfmal ausreißt und jedesmal über Nacht fortbleibt, erscheint in der ... Statistik fünfmal, d. h., er wird als fünf vermißte Kinder gezählt“, hieß es in der New York Times.
Noch wichtiger als die Zahlen sind jedoch die Beweggründe, warum die Betreffenden von zu Hause weglaufen. „Wenn ein Kind ausreißt, ist das gewöhnlich das Symptom für eine gestörte häusliche Umgebung“, hieß es in der Zeitschrift Medical Aspects of Human Sexuality. Es mag sich um ein bereits bestehendes Problem handeln, wie zum Beispiel Mißhandlung, Vernachlässigung, ein Mangel an Liebe, Scheidung, übermäßige Forderungen oder harte und unflexible Regeln. Vielleicht ist es auch die Furcht vor bestimmten Folgen, beispielsweise im Fall einer Schwangerschaft oder wenn jemand mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Fragt man Ausreißer, warum sie von zu Hause weggelaufen sind, führen sie meist Gründe an, die das Verhältnis zu ihren Eltern betreffen. „Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern hat offensichtlich einen wesentlichen Einfluß auf die Neigung zum Ausreißen“, wurde in der Zeitschrift Adolescence gesagt. Es hieß darin weiter: „Ausreißer geben als hauptsächliche Gründe für das Weglaufen von zu Hause ein schlechtes Verhältnis zu ihren Eltern an, schwerwiegende Konflikte in der Familie, Entfremdung von den Eltern, Spannungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen sowie schlechten Gedankenaustausch mit den Eltern.“
Die Gründe verstehen
Wir leben in schwierigen Zeiten. „Wegen der zunehmenden Arbeitslosigkeit geraten immer mehr Familien in finanzielle Schwierigkeiten, wodurch sich auch die häuslichen Spannungen und Probleme vergrößern“, hieß es in der Zeitschrift Ladies’ Home Journal. „Wenn der Vater seine Arbeitsstelle verliert und eine Hypothek nicht bezahlt werden kann, spürt jeder in der Familie die Belastung. Junge Menschen, die noch nicht gelernt haben, mit diesem Druck fertig zu werden, sehen in der Flucht das gegebene Mittel, sich davon zu befreien.“ Manchmal treiben Eltern ihre Kinder unabsichtlich aus dem Haus. Im Zorn mögen sie ihnen sagen, daß sie ja gehen könnten, wenn sie ihre Entscheidungen nicht akzeptieren wollten. Gereizt und erschöpft vom täglichen Kampf um den Lebensunterhalt, mögen die Eltern kaum noch die Kraft haben, sich mit ihren Kindern auseinanderzusetzen.
Gleichzeitig bringt auch die Jugendzeit gewisse Spannungen mit sich. Teenager werden hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis nach der Sicherheit und der Fürsorge, die sie als Kind gewöhnt waren, und dem Gefühl, von ihren Eltern unabhängig zu sein, da sie sich bemühen, als Erwachsene zu gelten. Innerer Aufruhr und Angst sind die Folge. Außerdem gehen auch körperliche Veränderungen vor sich. Das Leben der Jugendlichen wird plötzlich ziemlich kompliziert, und sie mögen sich allein dadurch schon überlastet fühlen. Sie fühlen sich von ihren Eltern und von Gleichaltrigen unter Druck gesetzt. Zeitweise werden sie von Selbstzweifel und von Depressionen geplagt. „Sei nicht überrascht, wenn du dich zu Hause manchmal mißverstanden fühlst, während du versuchst, dich selbst zu verstehen“, rät die Zeitschrift ’Teen. „Wie sollen deine Eltern auch wissen, was in dir vorgeht, wenn du dich nicht einmal selbst verstehst?“ Viele Eltern sind sich besonders bei ihrem ältesten Kind unsicher, wieviel Freiheit sie ihm einräumen sollten. Bevormundung und Mangel an Verständnis veranlassen viele Jugendliche auszureißen.
„Durch das Weglaufen wird jedoch nichts besser“, schreibt die Schriftstellerin Judy Blume in ihrem Buch Letters to Judy. „Weglaufen ist ein Symptom, keine Lösung. Die Familie muß sich statt dessen zusammensetzen und den Tatsachen ins Auge sehen. Sie muß mit den Gegebenheiten fertig werden. Nur dann können die Veränderungen vorgenommen werden, die es ermöglichen, in Frieden zusammenzuleben. Und oft benötigt eine Familie dabei Hilfe.“
Die nötige Hilfe finden
Die beste Quelle, wo man Hilfe finden kann, ist Gottes Wort, die Bibel. Wieso? Weil Gott als Schöpfer des Menschen weiß, was für seine Geschöpfe das richtige ist. Und deshalb hat er uns Anleitung gegeben „zum Lehren, zum Zurechtweisen, zum Richtigstellen der Dinge, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes völlig tauglich sei, vollständig ausgerüstet für jedes gute Werk“ (2. Timotheus 3:16, 17). Die biblischen Grundsätze wirken sich zum Guten aus, und sie betreffen jeden Lebensbereich.
Voraussetzung ist allerdings, wie bereits erwähnt, daß alle Familienmitglieder den Tatsachen ins Auge sehen und Veränderungen vornehmen. Ohne diese Einsicht und ohne diese Bereitschaft wird es keine Verbesserungen geben, und der Drang, allem zu entfliehen, wird bestehenbleiben. Das trifft besonders auf Familien zu, in denen es zu Problemen durch Alkohol und Drogen sowie zu sexuellem Mißbrauch gekommen ist. Bevor man mit den normalen Belastungen, die das Leben mit sich bringt, fertig werden kann, müssen zunächst einmal diese Probleme überwunden werden. Der Glaube an Gott und der aufrichtige Wunsch, ihm zu gefallen, gestützt auf eine genaue Erkenntnis seines Wortes, hat schon vielen Familien geholfen, unerträgliche Mißstände abzustellen, die in anderen Familien Jugendliche zum Ausreißen veranlaßt haben. (Vergleiche 1. Korinther 6:9-11.)
Allein schon in einer Welt zu leben, in der Selbstsucht, Mißtrauen und Verbrechen immer mehr zunehmen, kann für die Familienbande eine Belastung sein. Daher ist „alles, was vorzeiten [in der Bibel] geschrieben wurde, ... zu unserer Unterweisung geschrieben worden, damit wir durch unser Ausharren und durch den Trost aus den Schriften Hoffnung haben können“ (Römer 15:4).
Biblische Grundsätze anwenden
Wenn man die Faktoren kennt, die ein Kind zum Weglaufen veranlassen, können biblische Grundsätze angewandt werden. Die Bibel berücksichtigt diese Faktoren, indem sie Eltern rät, ihren Kindern ausreichend Zeit zu widmen, um sie auf konsequente, liebevolle Weise zu schulen. Sowohl ein Mangel an Interesse als auch übermäßig strenge Zucht sind Extreme, vor denen sich Eltern hüten müssen. In Gottes Wort wird der Rat gegeben: „Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern zieht sie weiterhin auf in der Zucht und in der ernsten Ermahnung Jehovas“ (Epheser 6:4; Sprüche 22:6).
Wie in biblischen Zeiten obliegt es auch heute den Eltern, ihren Kindern die richtige Aufsicht, Aufmerksamkeit und Anleitung zukommen zu lassen — ‘wenn sie im Haus sitzen, wenn sie unterwegs sind, wenn sie sich niederlegen und wenn sie aufstehen’ (5. Mose 11:19). Zucht ist zwar manchmal unumgänglich, aber sie sollte in Liebe erteilt werden (Sprüche 13:24). Wie sehr wird es doch zum Glück in der Familie beitragen, wenn dieser Rat befolgt wird!
Auch die Kinder müssen ihren Teil beitragen: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in Gemeinschaft mit dem Herrn, denn das ist gerecht: ‚Ehre deinen Vater und deine Mutter‘“ (Epheser 6:1, 2). Salomo, ein weiser Mann des Altertums, der einen großen Teil der Sprüche schrieb, „um den Unerfahrenen Klugheit zu geben, einem jungen Mann Erkenntnis und Denkvermögen“, gab unter anderem folgenden Rat: „Höre, mein Sohn, auf die Zucht deines Vaters, und verlaß nicht das Gesetz deiner Mutter. ... wenn Sünder dich zu verführen suchen, so willige nicht ein“ (Sprüche 1:1-10).
Wie sollten Familienprobleme behandelt werden? Mit Liebe, denn die Bibel rät: „Laßt alle eure Angelegenheiten mit Liebe geschehen“ (1. Korinther 16:14). Es sollte sich um eine tiefverwurzelte Liebe handeln, die bereit ist, über die Unvollkommenheiten und die persönlichen Eigenarten des anderen hinwegzusehen, die einen sonst erzürnen oder einem auf die Nerven gehen könnten. In der Bibel heißt es: „Habt vor allem inbrünstige Liebe zueinander, denn Liebe deckt eine Menge von Sünden zu“ (1. Petrus 4:8).
Eine solche Liebe beinhaltet auch das Interesse am Glück und am Wohlergehen der anderen Angehörigen und schmiedet die Familie enger zusammen. Man beachte, daß die sogenannte Goldene Regel ausdrücklich sagt: „Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt“ (Matthäus 7:12, Die Gute Nachricht). Die meisten jugendlichen Ausreißer, die in Verbindung mit einer Studie befragt wurden, sagten, daß ihre Einbeziehung in die Familie auf einem Tiefstand gewesen sei, als sie von zu Hause weggingen. „Die ‚Loslösung von der Familie‘ ist ein wesentlicher Faktor auf dem Weg zu dem Entschluß, von zu Hause wegzulaufen und nicht mehr wiederzukommen“, schrieb die Zeitschrift Adolescence. Befolgen wir jedoch die Aufforderung der Bibel, ‘nicht nur die eigenen Dinge in unserem Interesse im Auge zu behalten, sondern auch persönlich Interesse zu zeigen für die der anderen’, werden wir mehr Zeit mit der Familie verbringen, wodurch Probleme wie ein schlechtes Verhältnis untereinander, Entfremdung und mangelnder Gedankenaustausch überwunden werden können (Philipper 2:4). Wird zu Hause Mitgefühl und Interesse bekundet, werden Gleichaltrige, die zum Weglaufen ermuntern, kaum Einfluß ausüben können.
Wenn biblische Grundsätze angewandt werden, wird das Weglaufen nicht mehr als Lösung für Probleme erscheinen, denen sich jeder im Leben stellen muß. Durch die liebevolle gegenseitige Anteilnahme der Familienmitglieder wird die Familie zu einem Ort des Schutzes vor dem Druck der uns umgebenden Welt. Ein umfassenderes Verständnis biblischer Grundsätze und ihrer Anwendung wird zusammen mit der Hoffnung, die Gott gibt, dieses Glück noch vergrößern. Unterhalte dich doch einmal mit Zeugen Jehovas darüber.
[Kasten/Bild auf Seite 7]
WAS ELTERN TUN KÖNNEN:
Widmet euren Kindern Zeit, erkennt ihre Probleme und Bedürfnisse.
Seid in eurer Aufmerksamkeit und Aufsicht nicht nachlässig.
Züchtigt und schult sie in Liebe.
Macht das Zuhause zu einem Ort, wo man sich wohl fühlt.
WAS KINDER TUN KÖNNEN:
Gehorcht euren Eltern, und seid liebevoll und respektvoll.
Vermeidet es, euch abzukapseln; bekundet aktives Interesse an Familienangelegenheiten.
Denkt an die ganze Familie und nicht nur an eure eigenen Wünsche.
Seid offen und gesprächsbereit.
[Bilder auf Seite 5]
Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist von größter Wichtigkeit