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Die entscheidenden Lebensjahre — Wenn unser Bestes am nötigsten istErwachet! 1992 | 22. September
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Die entscheidenden Lebensjahre — Wenn unser Bestes am nötigsten ist
VON Kindern wird gesagt, sie seien „ein Erbe von Jehova“ und „wie Setzlinge von Olivenbäumen ... rings um deinen Tisch“ (Psalm 127:3; 128:3). Eltern werden angewiesen, sie „in der Zucht und in der ernsten Ermahnung Jehovas“ aufzuziehen (Epheser 6:4).
Die rechte Zeit, Olivenbäume so zu ziehen, daß sie später gute Frucht tragen, ist, wenn sie „wie Setzlinge ... rings um deinen Tisch“ sind. So, wie der junge Schößling gezogen wird, wächst der Baum. Möchte man, daß ein Kind in den Wegen Gottes wandelt, fängt man mit der richtigen Erziehung am besten im frühesten Kindesalter an. „Erzieh einen Knaben gemäß dem Weg für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen“ (Sprüche 22:6; 2. Timotheus 3:15). Im frühesten Kindesalter nimmt das Gehirn unwahrscheinlich schnell Informationen auf, schneller, als dies je wieder geschehen wird. Das ist die günstigste Zeit, Kindern sein Bestes zu geben.
Masaru Ibuka, Gründer der Sony Corporation, hat ein Buch mit dem Titel Kindergarten Is Too Late! geschrieben. Im Klappentext sind folgende Worte zu lesen: „Das Lernvermögen deines Kindes ist in den ersten zwei oder drei Jahren seines Lebens am größten. Warte daher nicht ... Im Kindergarten ist es zu spät!“
In einem Vorwort schreibt Glenn Doman, Direktor des Instituts zur Ausschöpfung des menschlichen Leistungsvermögens: „In Masaru Ibukas brillantem und ansprechendem Buch stehen keinerlei weltbewegende Aussagen. Er weist lediglich darauf hin, daß kleine Kinder praktisch alles erlernen können. Er weist darauf hin, daß sie das, was sie mit zwei, drei oder vier Jahren ohne bewußte Anstrengung lernen, später nur mit größter Mühe oder vielleicht überhaupt nicht lernen können. Er weist darauf hin, daß das Lernen für sie im Gegensatz zu Erwachsenen, die sich mühevoll etwas beibringen, ein Spaß ist. Er weist darauf hin, daß kleine Kinder fast wie im Fluge das lernen, was Erwachsene nur im Schneckentempo begreifen. Er weist darauf hin, daß Erwachsene sich manchmal vor dem Lernen drücken, kleine Kinder hingegen lieber lernen als essen.“
Masaru Ibuka sagt, im Kindergarten (Vorschule) sei es zu spät, weil dann die besten Lernjahre eines Kindes bereits vorüber seien. Doch es gibt noch einen anderen Grund. Heutzutage hat der Sittenverfall schon in die Kindergärten Einzug gehalten, deshalb müssen Eltern ihrem Kind, um es vor Verschmutzung zu schützen, einen strengen Sittenmaßstab einschärfen, und zwar bevor es in den Kindergarten kommt.
Ein Bericht von Eltern über ihren sechsjährigen Sohn, der gerade in den Kindergarten gekommen war, veranschaulicht diese Notwendigkeit. „In der ersten Woche im Kindergarten machte ein anderer Junge während der 15minütigen Fahrt mit dem Schulbus bei unserem Sohn unsittliche Annäherungsversuche. Das ging mehrere Tage so. Es handelte sich nicht nur um das normale Spielen von Kindern, wie wenn sie Doktor spielen, sondern um ein abnormales, unsittliches Verhalten.
Viele Kinder in der Gruppe unseres Jungen gehen mit ihren Eltern in jugendgefährdende Filme. Vielleicht halten die Eltern es für sicherer, die Kinder mitzunehmen, statt sie in der Obhut eines fragwürdigen Babysitters zu lassen. Einige Kinder sehen sich solche Filme über Kabelfernsehen an, oder sie kommen an Aufnahmen heran, die ihre Eltern bei sich zu Hause aufbewahren.
Wie wertvoll es ist, daß wir unserem Sohn in den entscheidenden Jahren — von klein auf — moralische Grundsätze eingeschärft haben, zeigte uns ein schockierender Vorfall bei uns zu Hause. Uns besuchten einige Erwachsene, die ein vierjähriges Mädchen mitbrachten. Das Mädchen und unser Sohn, dem wir eingeprägt hatten, daß sexuelle Beziehungen nur etwas für Verheiratete sind, spielten in seinem Zimmer. Sie wollte mit ihm Liebespaar spielen und sagte, er solle sich hinlegen. Er tat das völlig ahnungslos, und sie legte sich auf ihn. Er bekam Angst und rief: ‚Das ist nur etwas für Verheiratete!‘ Als er sich von ihr losriß und aus dem Zimmer rannte, rief sie ihm hinterher: ‚Erzähl’s keinem!‘“ (Vergleiche 1. Mose 39:12.)
Folgende Dinge ereignen sich sowohl mitten in Städten als auch in Vororten — Dinge, vor denen dein Kind von klein auf geschützt werden sollte.
Zwei siebenjährigen Jungen wurde vorgeworfen, sie hätten ein sechsjähriges Mädchen auf der Toilette einer Schule vergewaltigt. Drei Jungen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren vergewaltigten ein sechsjähriges Mädchen. Ein achtjähriger Junge hatte mit einem Erzieher Analverkehr. Einem elfjährigen Jungen wurde die Vergewaltigung eines zweijährigen Mädchens zur Last gelegt. Einige Therapeuten behaupten, daß solche Straftäter oft in zartem Alter sexuell mißbraucht wurden.
Diese Annahme bestätigte sich bei einem Jungen. Als er ein kleines Kind war, hatte seine zwanzigjährige Tante regelmäßig Oralverkehr mit ihm. Diesen sexuellen Mißbrauch machte er im Alter von 18 bis 30 Monaten durch. Zwei oder drei Jahre später belästigte er Mädchen. In der Schule machte er damit weiter und wurde sowohl in der ersten als auch in der zweiten Klasse vom Unterricht ausgeschlossen.
Frühe Schulung nötig
Wenn Eltern ihr Kind während der entscheidenden Lebensjahre nicht richtig schulen, ebnet das der Jugendkriminalität den Weg, einer Vorstufe weit schwerwiegenderer Verbrechen: Vandalismus, Einbruch und Mord. Es folgen ein paar Beispiele dafür.
Drei Sechsjährige durchwühlten die Wohnung eines Spielkameraden und randalierten praktisch in jedem Zimmer. Einem neunjährigen zerstörungswütigen Jungen wurden Sachbeschädigung und Einbrüche vorgeworfen, und er wurde beschuldigt, ein anderes Kind mit einem Messer bedroht und die Haare eines Mädchens angezündet zu haben. Zwei elfjährige Jungen stießen einem Zehnjährigen eine 9-Millimeter-Pistole in den Mund und stahlen seine Uhr. Ein zehnjähriger Junge erschoß ein siebenjähriges Mädchen bei einem Streit um ein Videospiel. Ein anderer Zehnjähriger erschoß seinen Spielkameraden und versteckte die Leiche unter dem Haus. Ein Fünfjähriger stürzte in einem Treppenhaus ein Kleinkind aus dem vierten Stock in den Tod. Ein Dreizehnjähriger entführte zusammen mit zwei Jugendlichen einen Siebenjährigen, um von dessen Familie Geld zu erpressen, doch schon bevor sie die Familie wegen der Lösegeldforderung anriefen, begruben sie den Jungen lebendig.
Zuletzt kommt der absolute Horror: bewaffnete Jugendbanden, die in den Straßen umherstreifen, sich gegenseitig Schießereien liefern, bei denen Kugeln hin und her sausen und nicht nur Bandenmitglieder, sondern auch unschuldige Kinder und Erwachsene töten, die in die Schußlinien geraten. Die Banden terrorisieren zahlreiche Gegenden in großen Städten — allein in Los Angeles „gibt es über 800 bekannte Banden mit mehr als 100 000 Mitgliedern“ (Seventeen, August 1991). Die meisten dieser Jugendlichen kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen. Die Bande wird zu ihrer Familie. Viele landen schließlich im Gefängnis; etliche sterben. Folgende Auszüge aus drei Briefen, die im Gefängnis geschrieben wurden, sind typisch.
Der erste Auszug: „Ich bin hier in der Anstalt wegen versuchten Raubes. Wir waren zu viert. Dann kamen die Bullen. Zwei meiner Kumpel rannten in die eine Richtung, ich und der dritte Kumpel in die andere, aber die Schäferhunde waren schneller als wir und faßten uns. Ich hoff’, daß ich nach der Entlassung irgendwann mal ganz groß rauskomme. Es war schon immer zu schwer für mich, zur Schule zu gehen und gute Noten zu bekommen. Mensch! Es gibt nichts Schlimmeres, als im Gefängnis zu hocken.“
Nun der zweite Auszug: „Als ich aus Mexiko kam, war ich gerade acht Jahre alt. Mit zwölf war ich bereits in einer Jugendbande. Mit fünfzehn gehörte ich richtig dazu. Oft schoß ich aus einem Auto auf Leute. Ich trug immer meine Pistole bei mir. Als ich sechzehn war, schoß jemand auf mich, und beinahe wäre ich gestorben. Ich danke Gott, daß er mich noch nicht wollte, denn danach war mir noch gar nicht zumute. Im Moment habe ich Schußverletzungen an den Beinen. Ich rate jedem davon ab, sich einer Bande anzuschließen, sonst wird er nämlich irgendwann mutterseelenallein im Gefängnis sitzen und dazu noch verkrüppelt sein — so wie ich!“
Der letzte Auszug lautet: „Seit meinem elften Lebensjahr bin ich ein bekanntes Bandenmitglied. Viermal wurde ich niedergestochen, dreimal angeschossen, und ich saß schon so oft im Gefängnis und bin so oft zusammengeschlagen worden, daß ich das Zählen aufgegeben habe. Mir bleibt nur noch der Tod, auf den ich seit meinem dreizehnten Lebensjahr warte, doch jetzt bin ich schon sechzehn. Ich sitze gerade acht Monate, und in ein paar Jahren werde ich tot sein; aber man kann sich das alles ersparen, indem man kein Bandenmitglied wird.“
Nutze die günstige Zeit
Diese Beispiele sollen nicht zeigen, daß das Versäumnis, Kinder in den entscheidenden Lebensjahren zu schulen, unbedingt solche furchtbaren Verbrechen nach sich ziehen muß. Doch es kann zu zerstörerischem Verhalten führen, das wiederum zu Jugendkriminalität führt und, wenn dieser freier Lauf gelassen wird, verbrecherisches Verhalten mit sich bringt, Gefängnis und Tod.
Derartige Neigungen kann man bei einem Kind wesentlich leichter feststellen, wenn es noch nicht das Jugendlichenalter erreicht hat. Schon bevor das Kind in den Kindergarten kommt, sollte man mit der Schulung beginnen — in den entscheidenden Lebensjahren, wenn die Eltern mehr oder weniger sein einziger Umgang sind und es noch nicht durch äußere Einflüsse abgelenkt wird. Steht man ihm in der frühen Kindheit nicht ganz nahe, wird es sich vielleicht als Jugendlicher verschließen und mit einem nichts zu tun haben wollen. Dann stellt man unter Umständen fest, daß seine Kameraden den Platz der Eltern eingenommen haben. Eltern wird folgendes geraten: Vernachlässigt eure Kinder nicht in den entscheidenden Lebensjahren, den Jahren, in denen euer Bestes dazu führt, daß später die besten Früchte geerntet werden — zu eurem Segen und dem eurer Kinder. (Vergleiche Matthäus 7:16-20.)
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Die entscheidenden Lebensjahre — Was man jetzt sät, wird man später erntenErwachet! 1992 | 22. September
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Die entscheidenden Lebensjahre — Was man jetzt sät, wird man später ernten
DAS Gehirn eines Babys ist wie ein Schwamm — es saugt alle Informationen aus der Umgebung auf. Allein durch das Hören lernt ein Baby in zwei Jahren eine komplizierte Sprache. Hört es zwei Sprachen, lernt es beide. Aber auch musikalische und künstlerische Fähigkeiten, die Muskelkoordination, moralische Werte und das Gewissen, Vertrauen, Liebe und der Drang zur Anbetung — all das basiert auf dem Fassungs- und Leistungsvermögen, das im Gehirn des Babys vorprogrammiert ist. Das Gehirn wartet nur darauf, von der Umwelt mit Informationen gefüttert und dadurch gefördert zu werden. Auch existiert ein genauer Zeitplan, wann die Übermittlung von Informationen die besten Ergebnisse zeitigt — während der entscheidenden Lebensjahre.
Die Entwicklung der Mutter-Kind-Bindung setzt mit der Geburt ein. Die Mutter schaut ihr Baby liebevoll an, redet zärtlich mit ihm, drückt es an sich und knuddelt es. Mütterliche Instinkte regen sich, wenn das Baby die Mutter aufmerksam anschaut und sich bei ihr geborgen fühlt. Beginnt die Mutter jetzt mit dem Stillen, ist dies für beide zum besten. Das Saugen regt die Milchproduktion an. Durch den Hautkontakt werden bei der Mutter Hormone freigesetzt, die die Nachblutungen verringern. Die Muttermilch enthält Antikörper, die das Baby vor Infektionen schützen. Die Mutter-Kind-Bindung hat begonnen. Es ist der Anfang einer innigen Beziehung — aber nur der Anfang.
Aus dem Duo wird bald ein Trio, wenn nämlich der Vater ins Spiel kommt, was sicher wichtig ist. „Jedes Kind braucht ... einen Vater“, sagt Dr. T. Berry Brazelton, „und jeder Vater kann viel bewirken. ... Die Mütter behandelten ihre Babys eher sanft und ruhig. Die Väter andererseits gingen spielerischer mit ihnen um, sie kitzelten und knufften sie eher als die Mütter.“ Die Babys reagieren auf diese Behandlung, indem sie vor Vergnügen und Begeisterung jauchzen, sie haben richtig Spaß und wollen immer mehr. Es ist eine Fortsetzung der bei der Geburt entstandenen Bindung — „eine liebevolle Eltern-Kind-Bindung, die in den ersten achtzehn Monaten nach der Geburt ganz natürlich entsteht oder auch nicht“, schreibt Dr. Magid, Mitautor des Buches High Risk: Children Without a Conscience. „Wenn diese Bindung fehlt, können Kinder zu Erwachsenen heranwachsen, die zu keiner zwischenmenschlichen Beziehung fähig sind und nicht lieben können“, so Dr. Magid.
Mutter und Vater wichtig für die Bindung
Wie wichtig ist es daher für die Mutter und den Vater, zusammenzuarbeiten, um die innige Eltern-Kind-Bindung in den entscheidenden Lebensjahren, die dem Kindergarten vorausgehen, zu festigen. Mutter und Vater sollten dem Baby häufig ein Küßchen geben und es lieb an sich drücken. Ja, auch der Vater! In der Zeitschrift Men’s Health vom Juni 1992 heißt es: „Wenn Eltern das Kind an sich drücken und ihm durch andere Körperkontakte ihre Zuneigung zeigen, schaffen sie, so eine 36-Jahres-Studie im Journal of Personality and Social Psychology, die optimale Voraussetzung für spätere erfolgreiche Freundschaften, eine glückliche Ehe und eine gelungene Karriere des Kindes. Siebzig Prozent der Kinder, die liebevolle Eltern hatten, fanden sich in der Gesellschaft zurecht, dagegen schafften dies nur dreißig Prozent der Kinder, die abweisende Eltern hatten; außerdem stellte man fest, wie wichtig es ist, daß nicht nur die Mutter mit dem Kind schmust, sondern auch der Vater.“
Es ist gut, das Kind im Arm zu halten, wenn man in einem Schaukelstuhl hin und her schaukelt, oder ihm vorzulesen, wenn es behütet auf dem Schoß sitzt. Eltern sollten mit ihrem Kind reden und ihm zuhören, ihm beibringen, was gut und was böse ist, und ein gutes Beispiel geben, indem sie selbst die Grundsätze anwenden. Auch ist stets das Alter des Kindes zu berücksichtigen. Man sollte alles einfach und interessant gestalten, und es sollte dem Kind Freude machen.
Ein Kind ist von Natur aus neugierig, geht gern auf Entdeckungsreise und möchte seine ganze Umgebung kennenlernen. Um seinen Wissensdurst zu stillen, bestürmt es einen mit Fragen. Wer macht den Wind? Warum ist der Himmel blau? Warum wird er rot, wenn die Sonne untergeht? Beantworten wir sie. Das ist nicht immer leicht. Die Fragen bieten aber eine Gelegenheit, den Sinn des Kindes zu beeinflussen, ihn mit Informationen anzureichern und ihm vielleicht Wertschätzung für Gott und seine Schöpfung einzuflößen. Ist es von einem Marienkäfer fasziniert, der auf einem Blatt krabbelt? Oder von einer kleinen Blume? Beobachtet es eine Spinne beim Weben ihres Netzes? Oder buddelt es einfach im Sand? Man sollte auch nicht vergessen, anhand von kleinen Geschichten zu lehren, so wie Jesus es mit Gleichnissen tat. Das macht das Lernen zum Vergnügen.
Häufig müssen Vater und Mutter arbeiten, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Können sie sich vielleicht besonders bemühen, die Abende und Wochenenden mit ihren Kindern zu verbringen? Ist es möglich, daß die Mutter nur halbtags arbeitet, um mehr Zeit für die Kinder zu haben? Heute gibt es viele Alleinerziehende, die für sich und ihre Kinder arbeiten müssen. Könnten sie alles daransetzen, ihren Kindern so viele Abendstunden und Wochenenden wie möglich zu widmen? Oftmals kann eine Mutter nicht ständig bei ihrem Kind sein. Selbst wenn es dafür berechtigte Gründe gibt, versteht das kleine Kind sie nicht und fühlt sich womöglich verlassen. Dann müssen besondere Anstrengungen unternommen werden, um die Zeit für das Kind auszukaufen.
Was ist denn eigentlich unter der oft zitierten „sinnvoll verbrachten Zeit“ zu verstehen? Vielbeschäftigte Eltern verbringen unter Umständen jeden zweiten Tag 15 oder 20 Minuten oder eine Stunde am Wochenende mit ihrem Kind und nennen dies „sinnvoll verbrachte Zeit“. Entspricht das jedoch dem Bedürfnis des Kindes? Oder dient es lediglich dazu, das Gewissen der Eltern zu beschwichtigen? Oder das Gewissen einer Mutter, die an ihrer Selbstverwirklichung arbeitet, die Bedürfnisse ihres Kindes aber nicht berücksichtigt? Man sagt sich vielleicht: „Ehrlich, ich bin so beschäftigt, ich hab’ dafür einfach keine Zeit!“ Das ist für einen selbst und das Kind sehr schlecht und traurig, denn auf dem Weg zum Ziel gibt es keine Abkürzungen. Entweder man nimmt sich die Zeit in den entscheidenden Lebensjahren seines Kindes, oder man muß damit rechnen, daß es im Jugendlichenalter zu einem Generationskonflikt kommt.
Es kann nicht nur dem Kind schaden, wenn es in eine Kindertagesstätte gegeben wird; auch den Eltern geht etwas verloren, nämlich die Freude, zu sehen, wie ihr Kind heranwächst. Das Kind versteht nicht immer die Gründe, warum es allein gelassen wird; es mag sich vernachlässigt fühlen, abgewiesen, verlassen und ungeliebt. Wenn es ins Jugendlichenalter kommt, hat es womöglich zu Gleichaltrigen Bindungen hergestellt, um die zu beschäftigten Eltern zu ersetzen. Es führt vielleicht sogar ein Doppelleben: eines, um seine Eltern zufriedenzustellen, und ein anderes, das ihm gefällt. Worte, Erklärungen, Entschuldigungen — nichts schafft den Konflikt aus der Welt. Wenn die Eltern dann anfangen, über Liebe zu reden, nimmt ihr Kind, das sie vernachlässigt haben, als es sie am nötigsten brauchte, sie nicht ernst. Die Liebesbeteuerungen der Eltern klingen unaufrichtig und hohl. Genauso, wie der Glaube ohne Werke tot ist, ist auch die Liebe ohne Werke tot oder geheuchelt (Jakobus 2:26).
Wir ernten heutzutage, was wir gesät haben
In der heutigen Ich-zuerst-Generation ist der Egoismus auf dem Vormarsch; das ist vor allem daran zu erkennen, wie viele Kinder allein gelassen werden. Erst schenkt man ihnen das Leben, und dann gibt man sie in Kindertagesstätten. Einige eignen sich vielleicht für Kinder, aber nicht alle, vor allem nicht für kleine Kinder. Gegen manche wird sogar wegen Kindesmißbrauch ermittelt. Ein Sachverständiger sagt: „Zweifellos tauchen in der Zukunft Probleme auf, gegen die die heutigen ein harmloses Kaffeekränzchen sind.“ Aber allein das heutige „harmlose Kaffeekränzchen“ ist schon schrecklich genug, wie folgende Angaben zeigen, die Dr. David Elkind 1992 machte:
„Die Fettleibigkeit bei Kindern hat in den letzten zwanzig Jahren um 50 Prozent zugenommen. Jährlich sterben etwa zehntausend Jugendliche bei Unfällen, die sich unter Drogen- oder Alkoholeinfluß ereignen — Verletzte und Krüppel ausgenommen. Von vier Jugendlichen betrinkt sich einer alle zwei Wochen völlig, und unter den Jugendlichen gibt es zwei Millionen Alkoholiker.
Jedes Jahr werden eine Million amerikanische Mädchen schwanger, das sind im Verhältnis gesehen zweimal soviel wie im direkt danach rangierenden westlichen Land, in England. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Selbstmordrate unter Jugendlichen verdreifacht, jährlich nehmen sich zwischen fünf- und sechstausend Jugendliche das Leben. Man schätzt, daß eins von vier Mädchen mindestens ein Symptom für Eßstörungen aufweist, meistens halten sie strenge Diät. Unter den 14- bis 19jährigen ist die zweithöchste Mordrate aller Altersgruppen zu finden.“
Zu diesen erschreckenden Angaben kommt noch die Tötung von über 50 Millionen Babys, die sich im Mutterleib befinden — das heutige „harmlose Kaffeekränzchen“ spottet jeder Beschreibung! Im Hinblick auf den Zusammenbruch des Familienlebens sagte Dr. Elkind: „Rasche gesellschaftliche Umwälzungen sind für Kinder und Jugendliche eine Katastrophe, denn sie brauchen Sicherheit und Stabilität, um gesund heranwachsen und sich normal entwickeln zu können.“ Entrüstet über die heute herrschende Selbstsucht, meint ein Autor: „Aber keiner hat den Mut, Ehepaaren zu sagen: ‚Schaut mal, ihr müßt verheiratet bleiben. Wenn ihr Kinder habt, bleibt zusammen!‘“
Ein Kind zu lieben erfordert Zeit. Robert Keeshan, der im Kinderprogramm des Fernsehens als Kapitän Känguruh bekannt war, wies vor Jahren warnend auf die Folgen hin, die es mit sich bringt, wenn man seinen Kindern Zeit vorenthält. Er sagte:
„Das kleine Mädchen wartet mit dem Daumen im Mund und der Puppe im Arm ungeduldig darauf, daß der Vater nach Hause kommt. Sie möchte ihm erzählen, was sie im Sandkasten gespielt hat. Sie ist gespannt darauf, ihm die begeisternden Erlebnisse des Tages mitzuteilen. Endlich ist der Vater da! Abgekämpft vom Streß am Arbeitsplatz, sagt er zu seiner Tochter: ‚Jetzt nicht, Liebling. Ich hab’ keine Zeit. Geh, guck Fernsehen!‘ Die meistgeäußerten Worte in vielen amerikanischen Haushalten sind: ‚Ich hab’ keine Zeit. Geh, guck Fernsehen.‘ Wenn nicht jetzt, wann? ‚Später.‘ Aber dieses Später kommt selten ...
Jahre vergehen, und das Mädchen ist älter geworden. Wir geben ihr Spielzeug und Kleidung. Wir kaufen ihr Designerkleidung und eine Stereoanlage, aber was sie am nötigsten braucht, geben wir ihr nicht, Zeit. Eines Tages — sie ist vierzehn — merkt man ihren glasigen Augen an, daß etwas nicht stimmt. ‚Kind, was ist mit dir los? Sag doch was, erzähl’s mir doch!‘ Zu spät. Das Versäumte ist nicht mehr nachzuholen. ...
Wenn wir zu unserem Kind sagen: ‚Jetzt nicht, später‘, wenn wir sagen: ‚Geh, guck Fernsehen!‘, wenn wir sagen: ‚Frag nicht soviel!‘, wenn wir unserer Jugend das vorenthalten, was sie von uns verlangt — Zeit —, wenn wir es versäumen, unserem Kind genügend Liebe zu schenken, dann sind wir nicht gleichgültig, sondern einfach zu beschäftigt, um einem Kind Liebe zu schenken.“
Viel Zeit nötig
Das Ideal besteht nicht darin, einfach „sinnvoll verbrachte Zeit“ in sparsamen Raten auszuteilen; man muß einem Kind auch viel Zeit schenken. Die Bibel, in der mehr Weisheit steckt als in allen Büchern zusammen, die jemals über Psychologie geschrieben wurden, sagt in 5. Mose 6:6, 7: „Und es soll sich erweisen, daß diese Worte, die ich dir heute gebiete, auf deinem Herzen sind; und du sollst sie deinem Sohn einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt und wenn du auf dem Weg gehst und wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst.“ Es ist nötig, die wahren Werte aus Gottes Wort, die im Herzen der Eltern sind, in das Herz der Kinder zu pflanzen. Lebt man diese Werte aus, werden die Kinder ihre Eltern nachahmen.
Erinnern wir uns an den Bibelspruch, der im zweiten Absatz des vorhergehenden Artikels erwähnt wurde? „Erzieh einen Knaben gemäß dem Weg für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen“ (Sprüche 22:6). Das ist jedoch nur der Fall, wenn die einem Kind beigebrachten Wertvorstellungen verinnerlicht werden, das heißt, wenn sie im Kind verankert sind, zu einem Teil seines Denkens, seiner tiefsten Gefühle, seines Innersten geworden sind. Dies geschieht nur, wenn ihm die Wertvorstellungen von seinen Eltern nicht lediglich beigebracht werden, sondern wenn diese sie ihm auch vorleben.
Die Wertvorstellungen leiten das Kind durch das Leben. Sie sind zu einem persönlichen Maßstab geworden, der ein Teil seiner selbst ist. Wenn es diesem jetzt zuwiderhandelt, dann handelt es nicht der Belehrung der Eltern zuwider, sondern dem, was aus ihm selbst geworden ist. Es wäre untreu gegen sich selbst; es würde sich selbst verleugnen (2. Timotheus 2:13). Tief im Innern verankert, existiert eine Sperre, so etwas zu tun. Daher ist es weniger wahrscheinlich, daß ein Kind „davon abweichen“ wird — von dem Weg, der ihm gezeigt wurde. Belehren wir unsere Kinder also durch unser gutes Verhalten. Lehren wir sie Freundlichkeit und Güte, indem wir freundlich und gütig sind; gutes Benehmen, indem wir uns selbst gut benehmen; Liebenswürdigkeit, indem wir liebenswürdig sind; Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe, indem wir sie vorleben.
Jehovas Vorkehrung
Von Anfang an war die Familieneinheit eine Vorkehrung Jehovas für den Menschen (1. Mose 1:26-28; 2:18-24). Nach sechstausend Jahren Menschheitsgeschichte wird sie immer noch sowohl für Erwachsene als auch für Kinder als das Beste anerkannt, wie in dem Buch Secrets of Strong Families bestätigt wird:
„Irgend etwas tief in unserem Innern sagt uns wahrscheinlich, daß die Familie die Grundlage der Zivilisation ist. Am Tiefpunkt unseres Lebens angelangt, wissen wir vielleicht instinktiv, daß weder Geld, Karriere, Ruhm, ein schönes Haus noch Grundstücke oder andere materielle Besitztümer wichtig sind — es sind die Menschen in unserem Leben, die uns lieben und für uns sorgen. Menschen, die zu uns halten, auf deren Hilfe und Unterstützung wir bauen können, das ist das einzige, was wirklich zählt. Nirgendwo anders gibt es mehr Möglichkeiten, sich gegenseitig zu lieben und zu vertrauen, einander zu unterstützen und füreinander zu sorgen — wonach wir uns ja alle sehnen —, als in der Familie.“
Deshalb ist es so wichtig, sich während der entscheidenden Lebensjahre gewissenhaft zu bemühen, eine vorzügliche Schulung zu „säen“, damit man später zum Segen der Kinder und der Eltern ein glückliches Familienleben „ernten“ kann. (Vergleiche Sprüche 3:1-7.)
[Kasten auf Seite 10]
Was für Eltern werden wir sein?
„Ich hab’ zwei Einser!“ ruft der Kleine mit einem Freudenschrei. Sein Vater aber fragt ihn barsch: „Warum sind es nicht mehr?“ „Mama, ich hab’ das Geschirr gespült“, ruft die Große aus der Küche. Die Mutter sagt daraufhin teilnahmslos: „Hast du den Müll auch weggebracht?“ Der Große sagt: „Ich hab’ das Gras gemäht und den Mäher weg- geräumt.“ Sein Vater meint achselzuckend: „Hast du die Hecke schon geschnitten?“
Die Kinder im Nachbarhaus scheinen glücklich und zufrieden zu sein. Die gleichen Dinge spielen sich dort ab, und zwar auf folgende Weise:
„Ich hab’ zwei Einser!“ ruft der Kleine mit einem Freudenschrei. Sein Vater sagt zu ihm ganz stolz: „Toll, das hast du gut gemacht!“ „Mama, ich hab’ das Geschirr gespült“, ruft die Große aus der Küche. Die Mutter lächelt und erwidert: „Ich mag dich immer mehr.“ Der Große sagt: „Ich hab’ das Gras gemäht und den Mäher weggeräumt.“ Sein Vater freut sich und versichert ihm: „Ich bin stolz auf dich.“
Kinder verdienen ein kleines Lob für die Aufgaben, die sie täglich verrichten. Ihr Glück hängt von uns ab.
[Bilder auf Seite 7]
Vater und Mutter stellen eine Beziehung zum Kind her
[Bild auf Seite 8]
Wenn der Phantasie freier Lauf gelassen wird, wird ein Junge, der mit weit ausgestreckten Armen läuft, zu einem aufsteigenden Flugzeug, ein großer Karton zu einem Haus, ein Besenstiel zu einem wilden Pferd und ein Stuhl zum Sitz eines Rennautos
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