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Das erstaunliche Gehirn eines BabysErwachet! 1987 | 22. Mai
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ES IST schon zu Beginn erstaunlich. Drei Wochen nach der Zeugung nimmt es mit 125 000 Zellen seinen Anfang und wächst dann in Schüben von 250 000 Zellen in der Minute. Das explosive Wachstum setzt sich fort, bis die Zellen bei der Geburt etwa 100 000 000 000 zählen — so viele, wie es Sterne in der Milchstraße gibt.
Doch bereits Monate zuvor — im Mutterleib — beginnt das Gehirn des Babys zu arbeiten. Es registriert Eindrücke von seiner Umgebung. Der Fetus hört, fühlt, nimmt Licht wahr, reagiert auf Berührung, lernt und erinnert sich an Gelerntes. Die Gefühlsregungen der Mutter können sich auf ihn auswirken. Freundliche Worte und sanfte Musik beruhigen ihn. Zornige Worte und Rockmusik wühlen ihn auf. Der rhythmische Herzschlag der Mutter wirkt beruhigend auf ihn. Doch wenn das Herz der Mutter vor Angst rast, schlägt das Herz des Babys gleich doppelt so schnell. Eine besorgte Mutter überträgt auf das Kind in ihrem Leib Ängstlichkeit. Wenn die Mutter ruhig ist, ist auch der Fetus friedlich. Eine freudige Mutter kann bewirken, daß das Kind in ihrem Leib vor Freude hüpft. All das und vieles mehr hält das Gehirn des Kindes beschäftigt. Schon im Mutterleib leistet es Erstaunliches.
Bilden sich nach der Geburt weitere Neuronen, d. h. Nervenzellen? Gemäß dem neuesten Stand der Forschung nicht. Zweifellos nimmt aber die Größe der Neuronen entscheidend zu, während sie Billionen neuer Verknüpfungen zueinander herstellen. Bei der Geburt hat das Gehirn nur ein Viertel der Größe des Gehirns eines Erwachsenen, doch im ersten Lebensjahr wächst es um das Dreifache. Es erreicht sein endgültiges Gewicht von ungefähr 1 400 Gramm vor den Teenagerjahren. Dies bedeutet nicht, daß es dann das Wissen eines Erwachsenen speichert. Wissen richtet sich nicht nach dem Gewicht des Gehirns oder nach der Anzahl seiner Zellen. Vielmehr hängt es offensichtlich mit der Anzahl der Verknüpfungen, der sogenannten Synapsen, zusammen, die zwischen den Neuronen des Gehirns hergestellt werden.
Und deren Zahl ist unglaublich hoch! Es können schließlich eine Billiarde Verknüpfungen bestehen — das ist eine Eins mit 15 Nullen! Dies ist aber nur der Fall, wenn das Gehirn durch die fünf oder mehr Sinne genügend stimuliert wird. Die Umwelt muß sowohl zu geistiger als auch zu emotionaler Aktivität anregen; dadurch wächst das feine Netzwerk von Dendriten. Dendriten sind die feinverästelten Fasern, die von den Neuronen ausgehen und mit anderen Neuronen Verknüpfungen herstellen.
Bei der Entstehung dieser Verknüpfungen spielt auch das Alter eine Rolle: Sie bilden sich in jungen Jahren wesentlich schneller als im Alter. Das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist nicht wahr. Doch „Hans“ tut sich mit dem Lernen schwerer als „Hänschen“. Bei älteren Menschen bilden sich die Verknüpfungen zwischen den Neuronen langsamer und lösen sich schneller. Entscheidend für ihre Bildung ist eine abwechslungsreiche, stimulierende Umgebung. Der Sinn muß aktiv bleiben. Man darf nicht resigniert in eine Art geistigen Trott verfallen. Für das Gehirn darf es keinen Ruhestand geben.
Doch zurück zum kindlichen Gehirn. Es saugt Eindrücke aus seiner Umgebung auf wie ein Schwamm. In zwei Jahren lernt ein Kind eine Sprache, und das lediglich dadurch, daß es mit ihr konfrontiert wird. Wenn es zwei Sprachen hört, lernt es beide. Werden in seinem Umkreis drei Sprachen gesprochen, so lernt es alle drei. Ein Mann lehrte seine Kinder fünf Sprachen auf einmal — Japanisch, Italienisch, Deutsch, Französisch und Englisch. Eine Frau brachte ihrer Tochter mehrere Sprachen bei, und im Alter von fünf Jahren konnte das Kind acht Sprachen fließend sprechen. Erwachsenen fällt es gewöhnlich schwer, eine Sprache zu erlernen, aber für Kinder ist es etwas ganz Selbstverständliches.
Sprachen sind nur ein Beispiel für die Fähigkeiten, die im Gehirn eines Babys genetisch programmiert sind. Musikalische und künstlerische Fähigkeiten, Muskelkoordination, das Bedürfnis, Sinn und Zweck im Leben zu sehen, das Gewissen und moralische Wertvorstellungen, Selbstlosigkeit und Liebe, Glaube und der Drang zur Anbetung — all das hängt von speziellen Systemen im Gehirn ab. (Siehe Apostelgeschichte 17:27.) Mit anderen Worten: Genetisch festgelegte Netzwerke von Neuronen sind eigens für die Ausbildung dieser und anderer Fähigkeiten und Möglichkeiten vorprogrammiert.
Es versteht sich, daß diese bei der Geburt nur ein Potential sind, nur ungenutzte Kapazitäten und Anlagen. Sie müssen angeregt werden, um sich entfalten zu können. Sie brauchen passende Erfahrungen, eine geeignete Umgebung und die richtige Belehrung, um zu etwas Realem zu werden. Auch muß der richtige Zeitpunkt gewählt werden, wenn die besten Ergebnisse erzielt werden sollen, besonders bei noch sehr kleinen Kindern.
Aber wenn die Gegebenheiten und der Zeitpunkt stimmen, vollzieht sich Erstaunliches. Das Kind lernt nicht nur, eine Sprache zu sprechen, sondern auch, ein Musikinstrument zu spielen, es nimmt Liebe auf, seine Sportlichkeit wird gefördert, sein Gewissen wird geschult, und es wird eine Grundlage für die wahre Anbetung gelegt. All das und vieles, vieles mehr kann erreicht werden, wenn der Sinn des Kindes mit gutem Samen besät und mit der Liebe der Eltern bewässert wird.
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Der Zwang zum GenieErwachet! 1987 | 22. Mai
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Der Zwang zum Genie
„Die Welt könnte voller intellektueller Giganten wie Einstein, Shakespeare, Beethoven und Leonardo da Vinci sein, wenn wir Babys und nicht erst größere Kinder unterrichten würden“ (Dr. Glen Doman, Leiter der Institute zur Erforschung des menschlichen Potentials).
„Kein Kind kommt als Genie oder als Dummkopf zur Welt. Alles hängt von der Stimulation der Gehirnzellen während der entscheidenden Jahre ab. Dies sind die ersten drei Jahre nach der Geburt. Im Kindergarten ist es zu spät“ (Masaru Ibuka, Autor des Buches Kindergarten Is Too Late!).
DAS erstaunliche Potential des kindlichen Gehirns stellt die Eltern vor eine Entscheidung. Wann sollte man mit besonderer Schulung beginnen? Was kann man kleinen Kindern beibringen? Wieviel? Wie schnell? Man hat aufsehenerregende Ergebnisse erzielt: Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren lesen, schreiben, sprechen zwei oder mehr Sprachen, spielen auf der Geige oder auf dem Klavier klassische Musik, reiten, schwimmen oder turnen.
Meist besteht das Ziel allerdings mehr darin, die geistigen Fähigkeiten auszubilden statt die sportlichen. Ein zweijähriges Kind zählt bis 100, addiert richtig, hat ein Vokabular von 2 000 Wörtern, liest Sätze mit fünf Wörtern und hat das absolute Gehör. Ein Dreijähriger benennt die Teile der Zelle, wenn man sie ihm auf einer Karte zeigt: Mitochondrien, endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat, Zentriole, Vakuolen, Chromosomen und so weiter. Ein anderer Dreijähriger spielt Geige. Ein vierjähriges Kind übersetzt Japanisch und Französisch ins Englische. Ein Lehrer, der kleine Kinder in Mathematik unterrichtet, behauptet: „Wenn ich 59 Pfennigstücke auf den Boden fallen lasse, können unsere Kinder auf Anhieb sagen, daß es auch wirklich 59 und nicht 58 sind.“
Während die einen von einer solchen Schulung begeistert sind, haben andere Bedenken. Es folgt ein Querschnitt durch die Reaktion von Experten auf diesem Gebiet:
„Im ganzen sprechen die Beweise nicht sehr dafür, daß es günstig ist, schon bei kleinen Kindern mit dem Ausbilden intellektueller Fertigkeiten zu beginnen. Es gibt jede Menge Beweise, daß dies möglich ist. Aber darum geht es nicht, sondern um die Folgen, auf kurze und auf lange Sicht gesehen.“
„Es ist eine Theorie, die Kinder zu kleinen Computern macht und ihnen den Freiraum nimmt.“
„Kinder lernen, indem sie die Initiative ergreifen und ihre Umwelt auf eigene Faust erkunden. Wir behindern [durch das Drängen auf intellektuelle Entwicklung] vielleicht eine andere Entwicklung [zum Beispiel die emotionale und soziale Entwicklung].“
„Ich möchte davor warnen, Intelligenz mit guter Entwicklung gleichzusetzen. Intellektuelle Überlegenheit wird sehr häufig auf Kosten des Fortschritts auf anderen Gebieten erlangt, die von ebenso großer oder sogar noch größerer Wichtigkeit sind.“
„Dies ist keine gesunde Eltern-Kind-Beziehung. Man vermittelt Kindern den Eindruck: ‚Ich habe dich lieb, weil du intelligent bist.‘“
Zweifellos gibt es Eltern, die ihr Kind dazu drängen, ein Wunderkind oder ein Genie zu werden. In diesem Fall treten die Selbstsucht und der Stolz der Eltern in den Vordergrund. Sie gebrauchen ihr Kind zum Vorzeigen und sonnen sich in dem Ruhm, der ihnen daraufhin zuteil wird. Dies scheint jedoch nicht der Beweggrund einiger der führenden Experten auf dem Gebiet des Frühunterrichts zu sein.
Glen Doman, der bereits zu Beginn des Artikels erwähnt wurde, ist gegen den Gedanken, Superkinder zu produzieren. Sein Ziel ist, „allen Eltern das nötige Wissen zu vermitteln, damit sie ihr Baby zu einem hochintelligenten, äußerst leistungsfähigen und reizenden Kind machen können“. Lernen soll für Kinder abwechslungsreich sein und ihnen Spaß machen. Sie sollten geistig, körperlich und emotional ausgeglichen sein. Glen Doman ist gegen Tests. „Testen ist das Gegenteil von Lernen. Es ist mit viel Streß verbunden. Einem Kind etwas beizubringen heißt, ihm etwas Schönes zu schenken. Es zu testen heißt, eine Vorauszahlung zu verlangen.“
Masaru Ibuka, der ebenfalls eingangs zitiert wurde, antwortete auf die Frage, ob durch eine frühe Schulung Genies produziert würden: „Der einzige Zweck einer frühen Entwicklung besteht darin, Kinder so zu erziehen, daß sie flexibel im Denken werden, einen gesunden Körper bekommen und intelligent und liebenswert sind.“
Shinichi Suzuki, bekannt dafür, daß er kleinen Kindern mit Erfolg Geigenunterricht gibt, sagt: „Der Begriff ‚Talentförderung‘ bezieht sich nicht nur auf Wissen und technische Fertigkeiten, sondern auch auf Moral, Charakterbildung und Schönheitssinn. Wir wissen, daß dies menschliche Merkmale sind, die man durch Erziehung und durch die Umwelt erlangt. Unserer Bewegung ist also nicht daran gelegen, sogenannte Wunderkinder hervorzubringen; auch ist es nicht unsere Absicht, lediglich Nachdruck auf eine ‚frühe Entwicklung‘ zu legen. Man muß vielmehr von einer ‚Gesamterziehung‘ sprechen.“
Er betrachtet es als zwecklos und nicht wünschenswert, Kinder zum Üben zu zwingen. Auf die Frage, wie lange Kinder üben sollten, antwortet er grundsätzlich nicht mit einer festgesetzten Zeit. „Es ist besser, fünfmal am Tag zwei Minuten zu üben, wobei Vorbereitung und Aufmerksamkeit wichtig sind“, sagt er, „als auf einer halben Stunde zu bestehen, wenn das Kind nicht will.“ Sein Rezept lautet: „Zwei Minuten mit Freude fünfmal am Tag.“
Wo liegt das richtige Maß, wenn man sein Kind früh belehren möchte? Im folgenden Artikel werden einige Richtlinien gegeben.
[Bild auf Seite 5]
Nicht drängen. Shinichi Suzukis Rezept lautet: „Zwei Minuten mit Freude fünfmal am Tag.“
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Schule dein Kind in der rechten Weise von der Geburt anErwachet! 1987 | 22. Mai
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Schule dein Kind in der rechten Weise von der Geburt an
„Die Zeit der ersten Kindheit ist zweifellos die reichste. Sie muß in jeder nur möglichen und denkbaren Art und Weise durch die Erziehung ausgenutzt werden. Der Verlust dieser Zeit ist unersetzlich. Anstatt die ersten Jahre des Lebens zu vernachlässigen, ist es unsere Pflicht, sie mit der größten Aufmerksamkeit zu pflegen“ (Dr. Alexis Carrel).
ES IST wichtig, sowohl den Sinn als auch das Herz zu programmieren. Der Mensch staunt vielleicht über die verblüffenden Leistungen des Sinnes, aber Gott schaut auf das Herz. Wissen allein macht aufgeblasen, doch von Herzen kommende Liebe erbaut. Ein aufgeweckter Kopf braucht ein liebevolles Herz, „denn aus der Fülle des Herzens redet der Mund“. Diesem sinnbildlichen Herzen entspringen auch Taten, gute oder böse (Matthäus 12:34, 35; 15:19; 1. Samuel 16:7; 1. Korinther 8:1). Zwar ist es wichtig, den Sinn eines Kindes zu stimulieren, aber noch wichtiger ist es, seinem Herzen Liebe einzupflanzen.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist bei der Geburt möglich. Es geht um die Entstehung einer Bindung. Die Mutter hält ihr Baby in den Armen, drückt es an sich, streichelt es und redet zärtlich mit ihm. Das Baby wiederum schaut die Mutter aufmerksam an. Es entsteht eine Bindung, mütterliche Gefühle werden geweckt, und das Baby fühlt sich geborgen. Einige Experten sind der Meinung, daß „es in den ersten Minuten und Stunden nach der Geburt eine sensible Phase gibt, die für die Eltern-Kind-Bindung optimal ist“.
Das ist ein guter Anfang, aber eben nur ein Anfang. Das Kind ist hilflos und zur Befriedigung seiner augenblicklichen körperlichen und emotionalen Bedürfnisse hauptsächlich auf die Mutter angewiesen. Ohne Nahrung verhungert das Baby; doch es kann auch in emotionaler Hinsicht verhungern. Schmusen, Drücken, Wiegen und Spielen — all das stimuliert die Entwicklung des Gehirns. Man kann diese Stimulierung mit einem Nährstoff für das Gehirn vergleichen. Ohne sie verarmt das Gehirn und bleibt ein Leben lang verkümmert. Und aufgrund einer solchen Vernachlässigung kann das Kind später feindselig, gewalttätig und straffällig werden. Die Mutterrolle ist von vorrangiger Bedeutung für das Kind und die Gesellschaft — wichtiger als irgendeine berufliche Karriere.
Die Rolle des Vaters
Der Vater soll nicht beiseite geschoben werden. Wenn er die Geburt miterlebt, beginnt zu diesem Zeitpunkt eine Vater-Kind-Bindung. Im Laufe der Wochen und Monate nimmt seine Rolle immer mehr an Bedeutung zu, wie dies Dr. T. Berry Brazelton, ein Experte auf dem Gebiet der kindlichen Entwicklung, zeigt.
„Jedes Kind braucht Mutter und Vater“, sagt er, „und jeder Vater kann viel bewirken. Es ist ein Unterschied, ob ein Baby einen aktiven, interessierten Vater hat oder ob ihm die Mutter einfach nur mehr Fürsorge schenkt.“ Er führt einen Bericht an, aus dem hervorgeht, wie unterschiedlich Mütter und Väter mit Kindern umgingen. „Die Mütter behandelten ihre Babys eher sanft und ruhig. Die Väter andererseits gingen spielerischer mit ihnen um, sie kitzelten und knufften sie eher als die Mütter.“
Doch Väter bewirken mehr, als nur für Spaß zu sorgen. „Wenn ein Kind einen aktiven Vater hat“, erklärt Dr. Brazelton, „wird es später in der Schule erfolgreicher sein, mehr Sinn für Humor haben und besser mit anderen Kindern auskommen. Es wird mehr Selbstbewußtsein und eine größere Lernmotivation haben. Mit sechs oder sieben Jahren wird es einen höheren IQ haben.“
Jehova Gott ermuntert zu einem engen Verhältnis zwischen Vater und Sohn, das Belehrung einschließt. Er sagt: „Es soll sich erweisen, daß diese Worte, die ich dir heute gebiete, auf deinem Herzen sind; und du sollst sie deinem Sohn einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt und wenn du auf dem Weg gehst und wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst“ (5. Mose 6:6, 7). So wird einem Generationskonflikt vorgebeugt.
Schulung von der Geburt an
Von der Geburt bis zum Alter von sechs Jahren durchläuft ein Kind verschiedene Entwicklungsphasen. Es entwickelt unter anderem Muskelkoordination, sprachliche Fertigkeiten, emotionale Eigenschaften, Merkfähigkeit, Denkvermögen und ein Gewissen. Während das Kind diese verschiedenen Phasen durchläuft und sein Gehirn wächst, ist die gelegene Zeit, es in den unterschiedlichen Fähigkeiten zu schulen.
Dies sind die Jahre, in denen das kindliche Gehirn solche Fähigkeiten oder Eigenschaften wie ein Schwamm aufsaugt. Liebt man es, so lernt es zu lieben. Spricht man mit ihm und liest man ihm vor, so lernt es sowohl sprechen als auch lesen. Stellt man es auf Skier, so wird es ein guter Skiläufer. Beobachtet es Rechtschaffenheit, so nimmt es rechte Grundsätze in sich auf. Wenn diese günstigen Phasen vorübergehen, ohne daß das Lernen gefördert wird, hat es das Kind später schwerer, sich diese Eigenschaften oder Fähigkeiten anzueignen.
Damit in Übereinstimmung fordert die Bibel Eltern auf: „Erzieh einen Knaben gemäß dem Weg für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen“ (Sprüche 22:6). Der Kommentar von Keil-Delitzsch gibt den ersten Teil dieses Verses wie folgt wieder: „Gib dem Knaben Anleitung gemäß seiner Weise.“ Das hebräische Wort, das mit „erziehen“ wiedergegeben wird, bedeutet auch „jemanden in etwas einführen“ und weist darauf hin, daß das Kind in die Unterweisung eingeführt wird. Unterweise es gemäß seinem Weg oder „gemäß seiner Weise“, entsprechend den Entwicklungsphasen, die es durchläuft. Dies ist die beste Zeit für das Kind, die Belehrung aufzunehmen, und was es während dieser Entwicklungsjahre lernt, wird es höchstwahrscheinlich behalten.
Diese Meinung vertreten auch die meisten Erforscher der menschlichen Entwicklung: „In der Erforschung der kindlichen Entwicklung können wir nirgends die ausgeprägte Bereitschaft nachweisen, früherworbene Persönlichkeitsmuster oder soziale Verhaltensweisen zu ändern.“ Sie räumen ein, daß dies möglich sei, sagen aber, daß „in den meisten Fällen keine Änderung erreicht wird“. Es gibt jedoch viele Ausnahmen, da die Macht der göttlichen Wahrheit Veränderungen bewirken kann (Epheser 4:22, 24; Kolosser 3:9, 10).
Die Sprache ist ein gutes Beispiel dafür, wie man ein Baby zur rechten Zeit belehren kann. Babys sind genetisch für das Erlernen einer Sprache programmiert, aber damit die bereits vorhandenen Schaltkreise im Gehirn voll genutzt werden, muß das Kind im richtigen Stadium seiner Entwicklung Sprachlaute hören. Vom 6. bis zum 12. Lebensmonat geht innerhalb des Sprachzentrums ein explosives Wachstum vor sich, vorausgesetzt, daß Erwachsene oft mit dem Kind sprechen. Vom 12. bis zum 18. Monat, wenn das Kind begreift, daß Wörter eine Bedeutung haben, wird dieses Wachstum noch beschleunigt.
Es lernt Wörter, ehe es sie überhaupt aussprechen kann. Während des zweiten Lebensjahres kann dieser rezeptive oder passive Wortschatz von einigen wenigen bis zu mehreren hundert Wörtern ansteigen. Der Apostel Paulus erinnerte Timotheus: „Du [hast] von frühester Kindheit an die heiligen Schriften gekannt“ (2. Timotheus 3:15). Die buchstäbliche Bedeutung des mit „frühester Kindheit“ wiedergegebenen Wortes ist „Nichtsprechender“. Höchstwahrscheinlich wurden Timotheus die heiligen Schriften schon sehr früh vorgelesen, und so kannte er viele biblische Wörter, ehe er sie aussprechen konnte.
Entscheidend ist, daß es in der kindlichen Entwicklung bestimmte Abschnitte gibt, in denen das Kind gewisse Dinge leicht lernt, und zwar fast nur durch Aufnahme. Läßt man diese Abschnitte ohne die nötige Stimulierung verstreichen, so entwickeln sich die Fähigkeiten des Kindes nicht völlig. Wenn ein Kind zum Beispiel erst nach Jahren eine Sprache hört, wird es sie sehr langsam und mühsam lernen und wahrscheinlich nie gut beherrschen.
Lies deinem Baby vor!
Wann sollte man mit dem Vorlesen beginnen? Gleich! Lies dem Neugeborenen vor. „Aber es versteht doch nichts!“ Wann hast du angefangen, mit ihm zu reden? „Gleich, natürlich.“ Hat es verstanden, was du gesagt hast? „Das nicht, aber ...“ Warum ihm dann nicht vorlesen?
Du hast das Kind auf dem Schoß, hältst es liebevoll im Arm, und es fühlt sich geborgen und geliebt. Das Vorlesen ist für das Baby nun ein angenehmes Erlebnis. Es hinterläßt Eindrücke. Das Kind verbindet ein Gefühl der Freude mit dem Lesen. Babys sind Nachahmer, und Eltern sind Rollenvorbilder. Dein Kind will dir nacheifern. Es will lesen. Es spielt Lesen. Später erlebt es die Freuden des Lesens.
Dies hat noch einen weiteren Vorteil — dein Kind wird sehr wahrscheinlich nicht fernsehsüchtig. Es wird sich nicht mit glasigen Augen Tausende von Messerstechereien, Schießereien, Morden, Vergewaltigungen und Ehebrüchen anschauen. Es wird den Knopf zum Ausschalten finden; es wird ein Buch aufschlagen und lesen können. Das ist bestimmt eine Leistung in der heutigen Zeit des Analphabetentums und der Fernsehsucht.
Es erfordert Zeit, ein Kind zu lieben
Natürlich erfordert es Zeit, deinem Kind vorzulesen. Und es erfordert Zeit, mit ihm herumzutollen, „Backe, backe Kuchen“ und „Kuckuck!“ mit ihm zu spielen, zu beobachten, wie es seine Umgebung erkundet, Tatendrang entwickelt, Neues entdeckt, seine Neugierde befriedigt und kreativ wird. Vater oder Mutter zu sein erfordert Zeit. Und diese Zeit sollte man sich ganz besonders nehmen, solange die Kinder klein sind. Oft entsteht ein Generationskonflikt schon in diesem Abschnitt, nicht erst im Teenageralter. Robert J. Keeshan, Moderator von Kindersendungen, erklärt, wie dies geschehen kann:
„Das kleine Mädchen wartet mit dem Daumen im Mund und der Puppe im Arm ungeduldig darauf, daß der Vater nach Hause kommt. Sie möchte ihm erzählen, was sie im Sandkasten gespielt hat. Sie ist gespannt darauf, ihm die begeisternden Erlebnisse des Tages mitzuteilen. Endlich ist der Vater da! Abgekämpft vom Streß am Arbeitsplatz, sagt er zu seiner Tochter: ‚Jetzt nicht, Liebling. Ich hab’ keine Zeit. Geh, guck Fernsehen!‘ Die meistgeäußerten Worte in vielen amerikanischen Haushalten sind: ‚Ich hab’ keine Zeit. Geh, guck Fernsehen!‘ Wenn nicht jetzt, wann? ‚Später.‘ Aber dieses Später kommt selten ...
Jahre vergehen, und das Mädchen ist älter geworden. Wir geben ihr Spielzeug und Kleidung. Wir kaufen ihr Designer-Kleidung und eine Stereoanlage, aber was sie am nötigsten braucht, geben wir ihr nicht, Zeit. Eines Tages — sie ist vierzehn — merkt man ihren glasigen Augen an, daß etwas nicht stimmt. ‚Kind, was ist mit dir los? Sag doch was, erzähl’s mir doch!‘ Zu spät. Das Versäumte ist nicht mehr nachzuholen. ...
Wenn wir zu unserem Kind sagen: ‚Jetzt nicht, später‘, wenn wir sagen: ‚Geh, guck Fernsehen!‘, wenn wir sagen: ‚Frag nicht soviel!‘, wenn wir unserer Jugend das vorenthalten, was sie von uns verlangt — Zeit —, wenn wir es versäumen, unserem Kind genügend Liebe zu schenken, dann sind wir nicht gleichgültig, sondern einfach zu beschäftigt, um einem Kind Liebe zu schenken.“
Ja, ein Kind zu lieben erfordert Zeit. Nicht nur Zeit, es zu füttern und anzuziehen, sondern auch Zeit, seinem Herzen Liebe einzupflanzen. Keine genau bemessene, begrenzte Liebe, sondern überfließende und „irrationale Liebe“, wie Burton L. White, Autor des Buches The First Three Years of Life (Die ersten drei Lebensjahre), es nannte. Er schrieb: „Es ist sehr unklug, wenn die Eltern die Säuglingspflege jemand anders übertragen, besonders wenn es sich dabei um eine Institution handelt. Für diese Aussage hat man mich sozusagen mit faulen Tomaten beworfen, aber mir geht es darum, was das Beste für das Wohl des Kindes ist.“ Er ist sich allerdings bewußt, daß „das Beste für das Wohl des Kindes“ aus wirtschaftlichen Gründen nicht immer zu verwirklichen ist, nämlich wenn Vater und Mutter berufstätig sein müssen.
Zucht — ein heikles Thema
Auch die Bibel wurde sozusagen mit faulen Tomaten beworfen, und zwar wegen ihres Rates über Zucht. „Wer seine Rute zurückhält, haßt seinen Sohn, wer ihn aber liebt, der sucht ihn sicherlich heim mit Züchtigung“ (Sprüche 13:24). Eine Fußnote der New International Version Study Bible zu diesem Vers lautet: „Rute. Wahrscheinlich eine Metapher für Zucht irgendwelcher Art.“ In Vine’s Expository Dictionary of Old and New Testament Words wird „Rute“ als „Zepter“ definiert, als „Sinnbild der Herrschaft“.
Das Ausüben der elterlichen Autorität kann Schläge einschließen, aber in den meisten Fällen sind sie nicht nötig. Christen müssen gemäß 2. Timotheus 2:24, 25 ‘gegen alle sanft sein und mit Milde unterweisen’. Das hier mit „unterweisen“ wiedergegebene Wort leitet sich von dem griechischen Wort für Zucht her. Beim Erteilen von Zucht müssen die Gefühle des Kindes berücksichtigt werden. Die Bibel sagt: „Und ihr, Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern zieht sie weiterhin auf in der Zucht und in der ernsten Ermahnung Jehovas“ (Epheser 6:4).
Psychologen, die dafür eintreten, daß man Kindern alle Freiheiten läßt, sagen, es sei ein Ausdruck von Haß, sein Kind zu schlagen. Das ist nicht wahr. Laxheit ist ein Zeichen von Haß. Sie hat weltweit eine Flut von Jugendkriminalität ausgelöst, wodurch Millionen von Eltern großer Kummer bereitet wurde. In Sprüche 29:15 heißt es: „Ein Knabe, dem freier Lauf gelassen wird, wird seiner Mutter Schande bereiten.“ Unter der Überschrift „Strenge gegen liberale Eltern“ schreibt Dr. Joyce Brothers:
„Eine neuere Studie unter 2 000 Schülern der fünften und sechsten Klasse — von denen ein Teil streng, der andere liberal erzogen wurde — brachte erstaunliche Ergebnisse zutage. Die Kinder, die streng erzogen wurden, hatten eine hohe Selbstachtung und waren leistungsstark, sowohl auf sozialem als auch auf schulischem Gebiet.“ Nahmen sie ihren Eltern die strenge Erziehung übel? Nein, „sie waren der Ansicht, daß die Regeln, die die Eltern aufgestellt hatten, ihrem Wohl dienten — und ein Ausdruck von Liebe waren“.
Wie Burton L. White sagte, müssen Eltern, die streng zu ihrem Kind sind, nicht befürchten, es werde sie deshalb weniger lieben. „Ein Kind läßt sich in den ersten beiden Lebensjahren nicht leicht von seinen ursprünglichen Bezugspersonen loslösen. Selbst wenn man ihm öfter einen Klaps gibt, wird man feststellen, daß es immer wieder zu einem kommt.“
Das beste Lehrmodell
Das bist du, dein Beispiel. Du bist für dein Kind ein Rollenmodell. Es richtet sich mehr nach dem, was du bist, als nach dem, was du sagst. Es hört deine Worte, imitiert aber deine Handlungen. Dein Kind ist ein Nachahmer. Was erwartest du von ihm? Daß es liebevoll, freundlich, großzügig, lerneifrig, verständig und fleißig wird, daß es ein Jünger Jesu, ein Anbeter Jehovas wird? Was es auch immer sei, gib ihm darin das beste Beispiel.
Ja, schule dein Kind von der Geburt an, während sein Gehirn schnell wächst, während es Informationen und Gefühle wie ein Schwamm in seinen Sinn und in sein Herz aufnimmt.
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