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  • Jehova, unser Vater, ist voll zarten Mitleids
    Der Wachtturm 1994 | 1. November
    • Jehova, unser Vater, ist voll zarten Mitleids

      „Jehova [ist] voll inniger Zuneigung und mitleidig“ (JAKOBUS 5:11, Fußnote).

      1. Warum fühlen sich demütige Menschen zu Jehova Gott hingezogen?

      DAS Universum ist so unermeßlich, daß Astronomen außerstande sind, sämtliche Galaxien zu zählen. Und selbst unsere Galaxis, die Milchstraße, ist so riesig, daß sich die Zahl aller dazugehörenden Sterne nicht feststellen läßt. Einige Sterne wie zum Beispiel der Antares sind Tausende von Malen größer und heller als unsere Sonne. Wie machtvoll der große Schöpfer aller Sterne des Universums doch sein muß! Ja, er ist es, „der ihr Heer selbst der Zahl nach herausführt, der sie alle sogar mit Namen ruft“ (Jesaja 40:26). Aber dieser Ehrfurcht einflößende Gott ist außerdem „voll inniger Zuneigung und mitleidig“. Wie erfrischend doch eine solche Erkenntnis für demütige Diener Jehovas ist, vor allem für diejenigen, die unter Verfolgung, an Krankheit, Depressionen oder unter anderen Schwierigkeiten zu leiden haben!

      2. Als was betrachten viele Menschen in der Welt heute zarte Empfindungen?

      2 Viele betrachten zarte Empfindungen, beispielsweise „Gefühle inniger Zuneigung und des Erbarmens“, wie sie Christus offenbarte, als Schwäche (Philipper 2:1). Unter dem Einfluß evolutionistischer Philosophie werden die Menschen ermuntert, nur an sich zu denken, selbst wenn das bedeutet, auf den Gefühlen anderer herumzutrampeln. Die Idole aus der Unterhaltungsbranche und dem Sport sind oft harte Typen, die weder Tränen vergießen noch Mitleid zeigen. Zahlreiche Politiker handeln ähnlich. Der stoische Philosoph Seneca, der Lehrer des grausamen Kaisers Nero, betonte, daß „Mitleid eine Schwäche ist“. In der Cyclopædia von M’Clintock und Strong heißt es: „Der Stoizismus ... beeinflußt das Denken der Menschen bis auf den heutigen Tag.“

      3. Welche Beschreibung von sich gab Jehova Moses?

      3 Die Persönlichkeit des Schöpfers der Menschheit ist dagegen herzerfrischend. Er gab Moses folgende Beschreibung von sich: „Jehova, Jehova, ein Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und überströmend an liebender Güte und Wahrheit, ... der Vergehung und Übertretung und Sünde verzeiht, doch keinesfalls wird er Straffreiheit gewähren“ (2. Mose 34:6, 7). Jehova legte am Ende dieser Beschreibung zwar Nachdruck auf seine Gerechtigkeit. Er wird willentliche Sünder nicht von der verdienten Strafe verschonen. Aber er bezeichnete sich selbst vor allem als einen Gott, der barmherzig ist, wörtlich „voller Barmherzigkeit“.

      4. Welche zu Herzen gehende Bedeutung hat das hebräische Wort, das oft mit „Barmherzigkeit“ übersetzt wird?

      4 Bei dem Wort „Barmherzigkeit“ denkt man manchmal nur an die rein rechtliche Bedeutung, von Strafe abzusehen. Ein Vergleich verschiedener Bibelübersetzungen verdeutlicht allerdings die Bedeutungsvielfalt des hebräischen Adjektivs, das von dem Verb rachám abgeleitet ist. Nach Ansicht einiger Gelehrter ist dessen Grundbedeutung „sanft sein“. In einem Buch wird erklärt: „racham drückt tiefes, inniges Mitleid aus, wie es beispielsweise durch den Anblick der Schwäche oder des Leids derjenigen ausgelöst wird, die uns lieb und teuer sind und unserer Hilfe bedürfen“ (Synonyms of the Old Testament). Andere zu Herzen gehende Definitionen dieser wünschenswerten Eigenschaft sind in dem Werk Einsichten über die Heilige Schrift, Band 1, Seite 299—303 zu finden.

      5. Wie kommt im mosaischen Gesetz Barmherzigkeit zum Ausdruck?

      5 Gottes inniges Mitleid kommt in dem Gesetz, das er der Nation Israel gab, deutlich zum Ausdruck. Benachteiligte, wie zum Beispiel Witwen, Waisen und Arme, mußten mitfühlend behandelt werden (2. Mose 22:22-27; 3. Mose 19:9, 10; 5. Mose 15:7-11). Aus der wöchentlichen Sabbatruhe sollten alle, auch Sklaven und Tiere, Nutzen ziehen (2. Mose 20:10). Gott achtete außerdem auf Personen, die Geringe liebevoll behandelten. Es heißt in Sprüche 19:17: „Wer dem Geringen Gunst erweist, leiht Jehova, und ER wird ihm sein Tun vergelten.“

      Grenzen des göttlichen Mitleids

      6. Warum sandte Jehova Propheten und Boten zu seinem Volk?

      6 Die Israeliten trugen Gottes Namen und verrichteten ihre Anbetung im Tempel in Jerusalem, der „ein Haus für den Namen Jehovas“ war (2. Chronika 2:4; 6:33). Sie begannen im Laufe der Zeit jedoch, Unsittlichkeit, Götzendienst und Mord zu tolerieren, wodurch sie große Schmach auf den Namen Jehovas brachten. Im Einklang mit seiner mitleidigen Persönlichkeit versuchte Gott geduldig, diese schlimme Situation zu berichtigen, ohne Unglück über die gesamte Nation zu bringen. Er „sandte durch seine Boten fortgesetzt Warnungen an sie, immer und immer wieder hinsendend, denn er hatte Mitleid mit seinem Volk und mit seiner Wohnung. Aber sie trieben unablässig Mutwillen mit den Boten des wahren Gottes und verachteten seine Worte und verspotteten seine Propheten, bis der Grimm Jehovas gegen sein Volk stieg, bis es keine Heilung gab“ (2. Chronika 36:15, 16).

      7. Was widerfuhr dem Königreich Juda, als die Grenzen des Mitleids Jehovas erreicht waren?

      7 Jehova ist zwar mitleidig und langsam zum Zorn, doch falls erforderlich, bringt er gerechten Zorn zum Ausdruck. Damals waren die Grenzen des göttlichen Mitleids erreicht. Wir lesen über die Folgen: „Da führte er [Jehova] den König der Chaldäer gegen sie herauf, der daranging, ihre jungen Männer mit dem Schwert im Haus ihres Heiligtums zu töten, auch hatte er kein Mitleid mit dem jungen Mann oder der Jungfrau, dem Alten oder Altersschwachen. Alles gab ER in seine Hand“ (2. Chronika 36:17). So kam es, daß Jerusalem zusammen mit dem Tempel zerstört und die Nation in die Gefangenschaft nach Babylon geführt wurde.

      Es tut ihm leid um seinen Namen

      8, 9. (a) Warum erklärte Jehova, daß es ihm leid tun wird um seinen Namen? (b) Wodurch wurden die Feinde Jehovas zum Schweigen gebracht?

      8 Das Unglück ließ die umliegenden Nationen frohlocken. Spöttisch sagten sie: „Diese sind das Volk Jehovas, und aus seinem Land sind sie ausgegangen.“ Jehova reagierte empfindlich auf diese Schmähung und erklärte: „Es wird mir leid tun um meinen heiligen Namen ... Und ich werde meinen großen Namen gewiß heiligen, ... und die Nationen werden erkennen müssen, daß ich Jehova bin“ (Hesekiel 36:20-23).

      9 Nach 70 Jahren befreite Jehova, der mitleidige Gott, seine Nation aus der Gefangenschaft und gestattete ihr, zurückzukehren und den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Das brachte die umliegenden Nationen zum Schweigen, die es staunend beobachteten (Hesekiel 36:35, 36). Leider ließ sich die Nation Israel wieder zu schlechten Gewohnheiten hinreißen. Nehemia, ein treuer Jude, trug dazu bei, die Situation zu berichtigen. In einem öffentlichen Gebet hielt er Rückblick auf Gottes mitleidiges Handeln mit der Nation und sagte:

      10. Wie hob Nehemia das Mitleid Jehovas hervor?

      10 „In der Zeit ihrer Bedrängnis schrien sie stets zu dir, und du, du pflegtest gar von den Himmeln her zu hören; und gemäß deiner überströmenden Barmherzigkeit gabst du ihnen jeweils Retter, die sie stets aus der Hand ihrer Widersacher retteten. Aber sobald sie Ruhe hatten, taten sie gewöhnlich wieder, was vor dir böse ist, und du überließest sie jeweils der Hand ihrer Feinde, die sie stets niedertraten. Dann kehrten sie jeweils um und riefen zu dir um Hilfe, und du, du pflegtest gar von den Himmeln her zu hören und sie nach deiner überströmenden Barmherzigkeit immer wieder zu befreien. ... [Du] warst nachsichtig mit ihnen viele Jahre lang“ (Nehemia 9:26-30; siehe auch Jesaja 63:9, 10).

      11. Welcher Gegensatz besteht zwischen Jehova und den von Menschen erdachten Göttern?

      11 Nachdem die jüdische Nation Gottes geliebten Sohn auf grausame Weise verworfen hatte, verlor sie ihre bevorrechtigte Stellung für immer. Mehr als 1 500 Jahre lang hatte Jehova loyale Liebe ihr gegenüber bekundet. Dadurch gab er ein ewiges Zeugnis dafür, daß er wirklich ein Gott der Barmherzigkeit ist. Welch ein scharfer Gegensatz zu den grausamen Göttern und den gefühllosen Gottheiten, die von sündigen Menschen erdacht wurden! (Siehe Seite 8.)

      Der größte Ausdruck des Mitleids

      12. Was war der größte Ausdruck des Mitleids Gottes?

      12 Der größte Ausdruck des Mitleids Gottes bestand darin, daß er seinen geliebten Sohn auf die Erde sandte. Jesu Leben der Lauterkeit bereitete Jehova gewiß große Freude, weil dadurch eine unzweideutige Antwort auf die Falschanklagen des Teufels gegeben wurde (Sprüche 27:11). Mit ansehen zu müssen, wie sein geliebter Sohn eines grausamen, entwürdigenden Todes starb, bereitete Jehova andererseits zweifellos größeren Schmerz, als ihn menschliche Eltern jemals erleiden mußten. Es war ein äußerst liebevolles Opfer, das der Menschheit den Weg der Rettung öffnete (Johannes 3:16). Wie Sacharja, der Vater Johannes’ des Täufers, vorausgesagt hatte, wurde auf diese Weise ‘das innige Erbarmen unseres Gottes’ verherrlicht (Lukas 1:77, 78).

      13. In welcher wichtigen Hinsicht spiegelte Jesus die Persönlichkeit seines Vaters wider?

      13 Dadurch, daß Gott seinen Sohn auf die Erde sandte, wurde der Menschheit auch eine deutlichere Vorstellung von Jehovas Persönlichkeit vermittelt. Inwiefern? Insofern, als Jesus die Persönlichkeit seines Vaters vollkommen widerspiegelte, vor allem durch die wirklich mitleidige Art und Weise, wie er Geringere behandelte (Johannes 1:14; 14:9). In ihren Berichten darüber verwendeten die drei Evangelienschreiber Matthäus, Markus und Lukas ein griechisches Verb, splagchnízomai, das von dem griechischen Wort für „Eingeweide“ abgeleitet ist. Der Bibelgelehrte William Barclay erklärt: „An seiner Abstammung können wir erkennen, daß es kein oberflächliches Bedauern bezeichnet, sondern ein Gefühl, das den Menschen bis ins tiefste Innere erschüttert. Es ist das stärkste griechische Wort für Mitgefühl.“ Verschiedentlich wird es mit „von Mitleid ergriffen werden“ oder „Mitleid haben“ übersetzt (Markus 6:34; 8:2).

      Jesus empfand Mitleid

      14, 15. Wie wurde Jesus in einer Stadt Galiläas von Mitleid bewegt, und was wurde dadurch gezeigt?

      14 Es geschah in einer Stadt Galiläas. Ein Mann „voll von Aussatz“ näherte sich Jesus, ohne die sonst übliche Warnung zu geben (Lukas 5:12). Wies Jesus ihn barsch zurecht, weil er nicht „Unrein, unrein!“ gerufen hatte, wie es Gottes Gesetz forderte? (3. Mose 13:45). Nein. Statt dessen hörte sich Jesus die verzweifelte Bitte des Mannes an: „Wenn du nur willst, kannst du mich rein machen.“ Jesus streckte, „von Mitleid bewegt“, seine Hand aus, rührte den Aussätzigen an und sagte zu ihm: „Ich will es. Werde rein!“ Der Mann war auf der Stelle wieder gesund. Dadurch zeigte Jesus nicht nur seine von Gott verliehenen Kräfte, Wunder zu wirken, sondern auch sein zartes Mitgefühl, das ihn veranlaßte, diese Kräfte zu gebrauchen (Markus 1:40-42).

      15 Mußte man sich erst an Jesus wenden, damit er Mitgefühl zeigte? Nein. Einige Zeit später traf er auf einen Leichenzug, der aus der Stadt Nain kam. Jesus war zweifellos schon vorher Zeuge vieler Begräbnisse gewesen, aber hier handelte es sich um einen besonders tragischen Fall. Der Verstorbene war der einzige Sohn einer Witwe. „Von Mitleid ... bewegt“, ging Jesus zu ihr und sagte: „Hör auf zu weinen.“ Dann wirkte er ein herausragendes Wunder, indem er ihren Sohn wieder zum Leben brachte (Lukas 7:11-15).

      16. Warum empfand Jesus Mitleid mit den großen Volksmengen, die ihm folgten?

      16 Aus den oben behandelten Ereignissen können wir die eindrucksvolle Lektion lernen, daß Jesus zugunsten anderer tätig wurde, wenn er „von Mitleid ... bewegt“ war. Bei einer späteren Gelegenheit sah sich Jesus die großen Volksmengen, die ihm folgten, genau an. Wie Matthäus berichtet, „empfand er Mitleid mit ihnen, weil sie zerschunden waren und umhergestoßen wurden wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Matthäus 9:36). Die Pharisäer taten kaum etwas, um den geistigen Hunger des Volkes zu stillen. Sie bürdeten den einfachen Leuten statt dessen viele unnötige Regeln auf (Matthäus 12:1, 2; 15:1-9; 23:4, 23). Ihre Ansicht über das Volk wurde deutlich, als sie mit Bezug auf diejenigen, die Jesus zuhörten, sagten: „Diese Volksmenge aber, die das GESETZ nicht kennt, verfluchte Leute sind sie“ (Johannes 7:49).

      17. Was tat Jesus, weil er Mitleid mit den Volksmengen hatte, und welche weitreichenden Richtlinien gab er seinerzeit?

      17 Im Gegensatz dazu berührte Jesus die geistige Notlage der Volksmengen tief. Aber es gab einfach zu viele Menschen, die sich für die Königreichsbotschaft interessierten, als daß er sich um jeden einzelnen hätte kümmern können. Daher forderte er seine Jünger auf, um mehr Arbeiter zu beten (Matthäus 9:35-38). Im Einklang mit diesen Gebeten sandte Jesus seine Apostel mit der Botschaft aus: „Das Königreich der Himmel hat sich genaht.“ Die Anweisungen, die er seinerzeit gab, dienen Christen bis auf den heutigen Tag als wertvolle Richtlinien. Jesus wird ohne Zweifel durch sein Mitgefühl veranlaßt, den geistigen Hunger der Menschen zu stillen (Matthäus 10:5-7).

      18. Wie reagierte Jesus darauf, daß die Volksmengen in seine Privatsphäre eindrangen, und welche Lehre ziehen wir daraus?

      18 Jesus kümmerte sich auch noch bei einer anderen Gelegenheit um die geistigen Bedürfnisse ganzer Volksmengen. Dieses Mal kamen er und seine Apostel müde von einer Predigtreise zurück, und sie suchten nach einem Ort, wo sie sich ausruhen konnten. Doch bald wurden sie von den Leuten entdeckt. Wie Markus berichtet, war Jesus nicht erzürnt darüber, daß man in ihre Privatsphäre eindrang, sondern es „ergriff ihn Mitleid“. Und was war der Grund für sein tiefes Mitgefühl? „Sie waren wie Schafe ohne einen Hirten.“ Wiederum handelte Jesus seinen Empfindungen entsprechend und begann die Volksmengen „über das Königreich Gottes“ zu belehren. Ja, ihr geistiger Hunger bewegte ihn so tief, daß er auf die benötigte Ruhepause verzichtete, um sie zu lehren (Markus 6:34; Lukas 9:11).

      19. Inwiefern ging Jesu Sorge um die Volksmengen sogar über ihre geistigen Bedürfnisse hinaus?

      19 Jesus war zwar in erster Linie um die geistigen Bedürfnisse der Menschen besorgt, aber er ignorierte deshalb nicht ihre physischen Bedürfnisse. Bei derselben Gelegenheit „machte [er] die gesund, die der Heilung bedurften“ (Lukas 9:11). Bei einer späteren Begebenheit waren die Volksmengen längere Zeit bei ihm geblieben, und sie waren weit von zu Hause entfernt. Da Jesus wußte, was sie in körperlicher Hinsicht benötigten, sagte er zu seinen Jüngern: „Ich habe Mitleid mit der Volksmenge, denn schon drei Tage haben sie sich bei mir aufgehalten, und sie haben nichts zu essen; und ich will sie nicht hungrig wegschicken. Es könnte sein, daß sie auf dem Weg ermatten“ (Matthäus 15:32). Daraufhin tat Jesus etwas, um die Gefahr einer Notlage abzuwenden. Durch ein Wunder versorgte er Tausende von Männern, Frauen und Kindern mit einer Mahlzeit, die er aus sieben Broten und einigen kleinen Fischen hervorbrachte.

      20. Was lernen wir aus dem letzten überlieferten Bericht darüber, daß Jesus von Mitleid bewegt wurde?

      20 In Verbindung mit Jesu letzter Reise nach Jerusalem wird zum letztenmal davon berichtet, daß er von Mitleid bewegt wurde. Wegen der bevorstehenden Passahfeier waren mit ihm große Menschenmengen unterwegs. Auf der Straße bei Jericho schrien zwei blinde Bettler unentwegt: „Herr, hab Erbarmen mit uns.“ Die Volksmenge gebot ihnen zu schweigen, aber Jesus rief sie und fragte, was er für sie tun solle. „Herr, laß unsere Augen geöffnet werden“, baten sie. „Von Mitleid bewegt“, rührte er ihre Augen an, und sie erhielten das Augenlicht (Matthäus 20:29-34). Welch eine eindrucksvolle Lehre für uns! Vor Jesus lag die letzte Woche seines irdischen Dienstes. Er hatte noch viel zu tun, bevor er eines grausamen Todes durch die Handlanger Satans sterben sollte. Doch er ließ sich durch den Druck dieses höchst bedeutsamen Zeitabschnitts nicht davon abhalten, seine innigen Gefühle des Mitleids für weniger wichtige menschliche Bedürfnisse zu zeigen.

      Gleichnisse, die Mitleid betonen

      21. Was wird dadurch veranschaulicht, daß der Herr dem Sklaven seine großen Schulden erließ?

      21 Das in diesen Berichten über das Leben Jesu verwendete griechische Verb splagchnízomai kommt auch in drei Gleichnissen Jesu vor. In einer Geschichte bat ein Sklave, der große Schulden hatte, um Aufschub bei der Rückzahlung. „Von Mitleid bewegt“, erließ ihm sein Herr die Schulden. Das veranschaulicht, daß Jehova Gott großes Mitleid zeigt, wenn er jedem einzelnen Christen, der Glauben an das Loskaufsopfer Jesu ausübt, eine große Sündenschuld erläßt (Matthäus 18:27; 20:28).

      22. Was wird durch das Gleichnis vom verlorenen Sohn veranschaulicht?

      22 Die nächste Geschichte handelt vom verlorenen Sohn. Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück, was bei der Heimkehr des eigensinnigen Sohns geschah. „Als er noch weit weg war, erblickte ihn sein Vater und wurde von Mitleid bewegt, und er lief und fiel ihm um den Hals und küßte ihn zärtlich“ (Lukas 15:20). Hieraus ist zu ersehen, daß Jehova Mitleid hat, wenn ein Christ, der eigensinnig gehandelt hat, echte Reue zeigt, und daß er diesen wieder liebevoll aufnehmen wird. Jesus machte somit anhand der beiden Veranschaulichungen deutlich, daß unser Vater, Jehova, „voll inniger Zuneigung und mitleidig ist“ (Jakobus 5:11, Fußnote).

      23. Welche Lehre ziehen wir aus Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter?

      23 Das dritte Gleichnis, in dem splagchnízomai gebraucht wird, handelt von dem barmherzigen Samariter, der zufolge der Notlage eines Juden, der ausgeraubt und halb tot liegengelassen worden war, „von Mitleid bewegt“ wurde (Lukas 10:33). Diesem Gefühl entsprechend, tat der Samariter alles ihm Mögliche, um dem Fremden zu helfen. Wie dadurch gezeigt wird, erwarten Jehova und Jesus von wahren Christen, daß sie ihr Beispiel der Innigkeit und des Mitleids nachahmen. Einige Möglichkeiten, wie wir das tun können, werden im nächsten Artikel behandelt.

  • Jehova, unser Vater, ist voll zarten Mitleids
    Der Wachtturm 1994 | 1. November
    • [Kasten auf Seite 12, 13]

      EIN ANSCHAULICHER AUSDRUCK FÜR „INNIGE LIEBENDE FÜRSORGE“

      „O MEINE Eingeweide, meine Eingeweide!“ rief der Prophet Jeremia aus. Klagte er über Bauchschmerzen, weil er etwas Schlechtes gegessen hatte? Nein. Jeremia gebrauchte eine hebräische Metapher, um seine tiefe Besorgnis über das Unglück zu zeigen, das über das Königreich Juda kommen sollte (Jeremia 4:19).

      Da Jehova Gott tiefe Empfindungen hat, wird das hebräische Wort für „Eingeweide“ (meʽím) auch gebraucht, um seine innigen Gefühle zu beschreiben. Jahrzehnte vor den Tagen Jeremias wurde beispielsweise das Zehnstämmereich Israel vom König von Assyrien in die Gefangenschaft geführt. Jehova ließ diese Bestrafung wegen der Untreue der Israeliten zu. Doch vergaß Gott sie im Exil? Nein. Er war Israel als Teil seines Bundesvolkes immer noch sehr zugetan. Jehova fragte, wobei er Israel mit dem Namen des führenden Stammes Ephraim ansprach: „Ist mir Ephraim ein teurer Sohn oder ein lieb behandeltes Kind? Denn in dem Maße, wie ich gegen ihn rede, werde ich ganz bestimmt weiter an ihn denken. Darum sind meine Eingeweide seinetwegen ungestüm geworden. Auf jeden Fall werde ich mich seiner erbarmen“ (Jeremia 31:20).

      Bei seiner Aussage „Meine Eingeweide [sind] seinetwegen ungestüm geworden“ bediente sich Jehova eines Wortbilds, um sein tiefes Gefühl der Zuneigung zu seinem im Exil befindlichen Volk zu beschreiben. Der Bibelgelehrte E. Henderson sagte im 19. Jahrhundert: „Nichts kann die rührende Äußerung inniger elterlicher Gefühle gegenüber einem zurückkehrenden reuigen Sünder übertreffen, die hier von Jehova zum Ausdruck gebracht werden. ... Obwohl er so gegen ... [die götzendienerischen Ephraimiter] gesprochen und sie bestraft hatte ..., vergaß er sie nie, sondern freute sich im Gegenteil in der Erwartung ihrer schließlichen Wiederherstellung.“

      Das griechische Wort für „Eingeweide“ wird in den Christlichen Griechischen Schriften auf ähnliche Weise verwendet. Sofern es nicht wörtlich gebraucht wird, wie zum Beispiel in Apostelgeschichte 1:18, bezieht es sich auf tiefempfundene Zuneigung oder tiefempfundenes Mitleid (Philemon 12). Im Griechischen ist es manchmal mit dem Wort für „gut“ verbunden. Die Apostel Paulus und Petrus gebrauchten diesen kombinierten Ausdruck, wenn sie Christen ermunterten, „voll zarten Erbarmens“ zu sein, wörtlich „dem Mitleid gut gesinnt“ (Epheser 4:32; 1. Petrus 3:8). Das griechische Wort für „Eingeweide“ kann auch mit dem griechischen Wort polý verbunden sein. Dieser Ausdruck bedeutet wörtlich „viel Eingeweide habend“. Es handelt sich um einen sehr seltenen griechischen Ausdruck, der nur einmal in der Bibel vorkommt und sich auf Jehova Gott bezieht. In der Neuen-Welt-Übersetzung wird er wie folgt wiedergegeben: „Jehova [ist] voll inniger Zuneigung“ (Jakobus 5:11).

      Wie dankbar sollten wir doch sein, daß der Mächtigste im Universum, Jehova Gott, so völlig anders ist als die grausamen Götter, die von unbarmherzigen Menschen erdacht wurden! Treue Christen fühlen sich dadurch, daß sie ihren Gott nachahmen, der „voll zarten Erbarmens ist“, veranlaßt, im Umgang miteinander genauso zu handeln (Epheser 5:1).

      [Bild auf Seite 10]

      Als die Grenzen des göttlichen Mitleids erreicht waren, gestattete Jehova den Babyloniern, sein widerspenstiges Volk zu unterwerfen

      [Bild auf Seite 11]

      Seinen geliebten Sohn sterben zu sehen muß Jehova Gott den größten Schmerz bereitet haben, der jemals verspürt wurde

      [Bild auf Seite 15]

      Jesus spiegelte vollkommen die mitleidige Persönlichkeit seines Vaters wider

  • Seid voll zarten Erbarmens
    Der Wachtturm 1994 | 1. November
    • Seid voll zarten Erbarmens

      „Kleidet euch ... mit der innigen Zuneigung des Erbarmens, mit Güte“ (KOLOSSER 3:12).

      1. Warum benötigen die Menschen heute soviel mitleidsvollen Beistand?

      NIE zuvor in der Geschichte benötigten so viele Menschen mitleidsvollen Beistand. Aufgrund von Krankheit, Nahrungsmangel, Arbeitslosigkeit, Verbrechen, Kriegen, Anarchie und Naturkatastrophen sind Millionen auf Hilfe angewiesen. Aber es gibt ein noch ernsteres Problem, und das ist der hoffnungslose geistige Zustand der Menschheit. Satan weiß, daß seine Zeit abläuft, und er ‘führt die ganze bewohnte Erde irre’ (Offenbarung 12:9, 12). Daher stehen besonders Menschen, die sich außerhalb der Versammlung wahrer Christen befinden, in der Gefahr, ihr Leben zu verlieren, wobei die Bibel jede Auferstehungshoffnung für diejenigen ausschließt, die während des kommenden Gerichtstages Gottes hingerichtet werden (Matthäus 25:31-33, 41, 46; 2. Thessalonicher 1:6-9).

      2. Warum hat Jehova die Bösen noch nicht vernichtet?

      2 Doch selbst noch in der gegenwärtigen späten Stunde zeigt Jehova Gott weiterhin Geduld und hat Mitleid mit den Undankbaren und den Bösen (Matthäus 5:45; Lukas 6:35, 36). Das tut er aus demselben Grund, aus dem er die Bestrafung der untreuen Nation Israel hinauszögerte. „‚So wahr ich lebe‘, ist der Ausspruch des Souveränen Herrn Jehova, ‚ich habe kein Gefallen am Tod des Bösen, sondern daran, daß ein Böser von seinem Weg umkehrt und tatsächlich am Leben bleibt. Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen, denn warum solltet ihr sterben, o Haus Israel?‘“ (Hesekiel 33:11).

      3. Welches Beispiel zeigt, daß Jehova Menschen Mitleid erwies, die nicht zu seinem Volk gehörten, und was lehrt uns das?

      3 Jehova hatte sogar Mitleid mit den bösen Niniviten. Er sandte seinen Propheten Jona, um sie vor der drohenden Vernichtung zu warnen. Sie reagierten positiv auf das Predigen Jonas und bereuten. Das veranlaßte den mitfühlenden Gott, Jehova, die Stadt zu jener Zeit nicht zu zerstören (Jona 3:10; 4:11). Wenn Gott wegen der Niniviten Bedauern empfand, die die Möglichkeit einer Auferstehung gehabt hätten, wieviel mehr muß es ihm dann um Menschen leid tun, denen die ewige Vernichtung droht! (Lukas 11:32).

      Ein beispielloses Werk aus Mitleid

      4. Wodurch bringt Jehova heute Mitleid mit den Menschen zum Ausdruck?

      4 Im Einklang mit seiner mitfühlenden Persönlichkeit hat Jehova seine Zeugen beauftragt, mit der ‘guten Botschaft vom Königreich’ zu ihren Mitmenschen zu gehen (Matthäus 24:14). Und wenn jemand Wertschätzung für dieses lebensrettende Werk offenbart, öffnet Jehova sein Herz, so daß er die Königreichsbotschaft verstehen kann (Matthäus 11:25; Apostelgeschichte 16:14). Wahre Christen ahmen das zarte Erbarmen ihres Gottes dadurch nach, daß sie bei interessierten Personen wieder vorsprechen und ihnen, wenn möglich, durch ein Bibelstudium helfen. Deshalb setzten 1993 über viereinhalb Millionen Zeugen Jehovas in 231 Ländern und Inselgebieten mehr als eine Milliarde Stunden ein, in denen sie von Haus zu Haus predigten und mit ihren Mitmenschen die Bibel studierten. Die Interessierten können sich ebenfalls Jehova hingeben und sich den Reihen seiner getauften Zeugen anschließen. Damit verschreiben auch sie sich diesem beispiellosen Werk, das aus Mitleid zugunsten voraussichtlicher Jünger, die noch in Satans vergehender Welt gefangen sind, verrichtet wird (Matthäus 28:19, 20; Johannes 14:12).

      5. Was wird mit einer Religion geschehen, die Gott falsch dargestellt hat, wenn die Grenzen seines Mitleids erreicht sind?

      5 Bald wird Jehova als ein „Kriegsmann“ handeln (2. Mose 15:3). Weil es ihm leid tut um seinen Namen und um sein Volk, wird er Bosheit ausmerzen und eine gerechte neue Welt herbeiführen (2. Petrus 3:13). Die Kirchen der Christenheit werden als erste den Zorn Jehovas zu spüren bekommen. Genausowenig, wie Gott seinen eigenen Tempel in Jerusalem vor der Hand des Königs von Babylon bewahrte, wird er die Religionsorganisationen bewahren, die ihn falsch darstellen. Gott wird es den Mitgliedern der Vereinten Nationen ins Herz geben, die Christenheit und alle anderen Formen der falschen Religion zu verwüsten (Offenbarung 17:16, 17). „Was mich betrifft“, sagt Jehova, „es wird meinem Auge nicht leid tun, noch werde ich Mitleid bekunden. Ihren Weg werde ich gewiß auf ihr eigenes Haupt bringen“ (Hesekiel 9:5, 10).

      6. Wodurch zeigen Jehovas Zeugen Mitleid?

      6 Solange noch Zeit ist, zeigen Jehovas Zeugen durch die eifrige Verkündigung von Gottes Rettungsbotschaft Mitleid mit ihren Mitmenschen. Und natürlich helfen sie, wenn möglich, auch Menschen, die in materielle Not geraten sind. In dieser Hinsicht müssen sie sich jedoch zuerst um die Bedürfnisse ihrer Angehörigen und derjenigen kümmern, die ihnen im Glauben verwandt sind (Galater 6:10; 1. Timotheus 5:4, 8). Die vielen Hilfsaktionen, die Jehovas Zeugen in den verschiedensten Katastrophenfällen für ihre Glaubensbrüder durchgeführt haben, sind ein deutlicher Beweis ihres Mitleids. Christen brauchen jedoch nicht auf eine Krise zu warten, um zartes Erbarmen zu zeigen. Sie beweisen dies jederzeit bei der Bewältigung des Auf und Ab im täglichen Leben.

      Ein Bestandteil der neuen Persönlichkeit

      7. (a) Welche Verbindung besteht gemäß Kolosser 3:8-13 zwischen Mitleid und der neuen Persönlichkeit? (b) Was fällt Christen durch die innige Zuneigung leichter?

      7 Unsere sündige Natur und der schlechte Einfluß der Welt Satans wirken unleugbar unserem innigen Erbarmen entgegen. Deshalb werden wir in der Bibel aufgefordert, „Zorn, Wut, Schlechtigkeit, Lästerworte und unzüchtige Rede“ abzulegen. Wir sollen uns statt dessen ‘mit der neuen Persönlichkeit kleiden’ — einer Persönlichkeit, die dem Bilde Gottes entspricht. Vor allem sollen wir uns „mit der innigen Zuneigung des Erbarmens, mit Güte, Demut, Milde und Langmut“ kleiden. Die Bibel zeigt uns auch eine praktische Möglichkeit, diese Eigenschaften hervorzubringen. „Fahrt fort, einander zu ertragen und einander bereitwillig zu vergeben, wenn jemand Ursache zu einer Klage gegen einen anderen hat. So, wie Jehova euch bereitwillig vergeben hat, so tut auch ihr.“ Es ist viel leichter zu vergeben, wenn wir unseren Brüdern gegenüber die ‘innige Zuneigung des Erbarmens’ entwickelt haben (Kolosser 3:8-13).

      8. Warum ist es wichtig, zum Vergeben bereit zu sein?

      8 Das Versäumnis, aus Mitgefühl heraus zu vergeben, gefährdet dagegen unser Verhältnis zu Jehova. Darauf wies Jesus in seinem Gleichnis von dem unbarmherzigen Sklaven hin, den sein Herr ins Gefängnis werfen ließ, „bis er alles, was er ihm schuldete, zurückzahle“. Der Sklave verdiente es, so behandelt zu werden, weil er es auf schockierende Weise unterlassen hatte, einem Mitsklaven, der um Barmherzigkeit gebeten hatte, Mitleid zu erweisen. Jesus beendete das Gleichnis mit den Worten: „In gleicher Weise wird mein himmlischer Vater auch mit euch verfahren, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder aus eurem Herzen heraus vergebt“ (Matthäus 18:34, 35).

      9. Welche Verbindung besteht zwischen zartem Erbarmen und dem wichtigsten Bestandteil der neuen Persönlichkeit?

      9 Voll zarten Erbarmens zu sein ist ein wichtiger Bestandteil der Liebe. Und die Liebe ist das Kennzeichen des wahren Christentums (Johannes 13:35). Deshalb schließt die Bibel die Beschreibung der neuen Persönlichkeit mit den Worten ab: „Außer allen diesen Dingen aber kleidet euch mit Liebe, denn sie ist ein vollkommenes Band der Einheit“ (Kolosser 3:14).

      Neid — ein Hindernis für Erbarmen

      10. (a) Wie könnte sich Eifersucht in unserem Herzen festsetzen? (b) Welche schlimmen Folgen kann Eifersucht haben?

      10 Aufgrund unserer sündigen menschlichen Natur können sich in unserem Herzen leicht Gefühle des Neides festsetzen. Ein Bruder oder eine Schwester ist vielleicht mit natürlichen Fähigkeiten oder materiellen Gütern gesegnet, über die wir nicht verfügen. Es könnte auch sein, daß jemandem besondere geistige Segnungen oder Vorrechte zuteil werden. Könnten wir den Betreffenden mit zartem Erbarmen behandeln, wenn wir ihn beneiden würden? Wahrscheinlich nicht. Statt dessen mögen sich im Laufe der Zeit Gefühle der Eifersucht in Form von kritischem Gerede oder unfreundlichem Handeln offenbaren, denn Jesus sagte mit Bezug auf den Menschen: „Aus der Fülle des Herzens redet sein Mund“ (Lukas 6:45). Andere könnten durch solche Kritik veranlaßt werden, Partei zu ergreifen. Auf diese Weise kann der Frieden in einer Familie oder in einer Versammlung des Volkes Gottes gestört werden.

      11. Wodurch wurde das Erbarmen aus dem Herzen der zehn Brüder Josephs verdrängt, und wozu führte das?

      11 Betrachten wir einmal, was in einer großen Familie geschah. Zehn der Söhne Jakobs wurden eifersüchtig auf ihren jüngeren Bruder Joseph, weil ihr Vater ihn bevorzugt behandelte. Aufgrund dessen „vermochten [sie] nicht, friedlich mit ihm zu reden“. Jehova zeigte Joseph später durch Träume, daß er in seiner Gunst stand. Das gab seinen Brüdern „weiteren Grund, ihn zu hassen“. Weil sie die Eifersucht nicht aus ihrem Herzen verbannten, verdrängte diese das Erbarmen, was zu einer schweren Sünde führte (1. Mose 37:4, 5, 11).

      12, 13. Was sollten wir tun, wenn Gefühle der Eifersucht in unser Herz eindringen?

      12 Sie waren so grausam, Joseph in die Sklaverei zu verkaufen. Ihr Vergehen versuchten sie dadurch zu verbergen, daß sie ihren Vater glauben machten, Joseph sei von einem wilden Tier getötet worden. Jahre später wurde die Sünde der Brüder aufgedeckt, als sie wegen einer Hungersnot nach Ägypten gehen mußten, um Nahrungsmittel zu kaufen. Der Nahrungsmittelverwalter — es handelte sich um Joseph, den sie allerdings nicht erkannten — beschuldigte sie, Spione zu sein, und er gab ihnen zu verstehen, daß sie seine Hilfe nicht noch einmal in Anspruch nehmen durften, es sei denn, sie würden Benjamin, ihren jüngsten Bruder, mitbringen. Zu jener Zeit war Benjamin der Lieblingssohn seines Vaters, und sie wußten, daß Jakob ihn nicht gehen lassen würde.

      13 Als die Brüder vor Joseph standen, drängte ihr Gewissen sie zu dem Eingeständnis: „Wir sind zweifellos schuldig, was unseren Bruder [Joseph] betrifft, denn wir sahen die Bedrängnis seiner Seele, als er uns um Erbarmen anflehte, wir aber hörten nicht. Darum ist diese Bedrängnis über uns gekommen“ (1. Mose 42:21). Durch sein barmherziges, aber entschlossenes Handeln half Joseph seinen Brüdern, die Echtheit ihrer Reue zu beweisen. Dann gab er sich zu erkennen und vergab ihnen großmütig. Die Familieneinheit war wiederhergestellt (1. Mose 45:4-8). Als Christen sollten wir daraus eine Lehre ziehen. Da wir uns der schlechten Folgen des Neides bewußt sind, sollten wir Jehova um Hilfe bitten, Gefühle der Eifersucht durch die ‘innige Zuneigung des Erbarmens’ zu verdrängen.

      Andere Hindernisse für Erbarmen

      14. Warum sollten wir uns nicht unnötigerweise der Gewalt aussetzen?

      14 Man kann auch dadurch daran gehindert werden, Erbarmen zu zeigen, daß man sich unnötigerweise der Gewalt aussetzt. Sportarten und Unterhaltung, bei denen Gewaltanwendung im Vordergrund steht, fördern die Lust an der Gewalt. In biblischen Zeiten sahen sich Nichtchristen in den Arenen des Römischen Reichs regelmäßig Gladiatorenkämpfe und andere Quälereien von Menschen an. Wie ein Historiker sagte, wurden durch diese Art der Unterhaltung „jene Gefühle der Anteilnahme am Leid anderer zerstört, die den Menschen von der tierischen Schöpfung unterscheiden“. Ein Großteil der Unterhaltung in der heutigen Welt hat dieselben Auswirkungen. Christen, die voll zarten Erbarmens sein möchten, müssen bei der Auswahl von Lesestoff, Filmen und Fernsehsendungen äußerst wählerisch sein. Klugerweise behalten sie die Worte aus Psalm 11:5 im Sinn, wo es heißt, daß Jehova ‘jeden haßt, der Gewalttat liebt’.

      15. (a) Wodurch würde man einen schwerwiegenden Mangel an Erbarmen verraten? (b) Wie reagieren wahre Christen auf die Bedürfnisse ihrer Glaubensbrüder und anderer Mitmenschen?

      15 Auch einem egoistischen Menschen wird es wahrscheinlich an Erbarmen fehlen. Wie schwerwiegend das ist, zeigte der Apostel Johannes: „Wer immer ... die Mittel dieser Welt zum Lebensunterhalt hat und seinen Bruder Not leiden sieht und dennoch die Tür seiner Gefühle innigen Erbarmens vor ihm verschließt, wie bleibt da die Liebe Gottes in ihm?“ (1. Johannes 3:17). Einen vergleichbaren Mangel an Erbarmen zeigten in Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter der selbstgerechte Priester und der Levit. Als sie die Notlage ihres halbtoten jüdischen Bruders sahen, gingen sie auf die andere Seite und zogen ihres Weges (Lukas 10:31, 32). Im Gegensatz dazu reagieren barmherzige Christen unverzüglich auf materielle und geistige Bedürfnisse ihrer Brüder. Und wie der Samariter aus dem Gleichnis Jesu kümmern sie sich auch um die Bedürfnisse von Fremden. Deshalb setzen sie gern ihre Zeit, ihre Kraft und ihre Mittel ein, um das Werk des Jüngermachens zu unterstützen. Auf diese Weise tragen sie zur Rettung von Millionen bei (1. Timotheus 4:16).

      Erbarmen mit Kranken

      16. Inwiefern sind unsere Möglichkeiten, Kranken zu helfen, begrenzt?

      16 Krankheiten machen den unvollkommenen, sterblichen Menschen schwer zu schaffen. Christen bilden keine Ausnahme; außerdem sind die wenigsten von ihnen Mediziner, und niemand in ihren Reihen kann Wunder wirken, wozu einige der ersten Christen in der Lage waren, weil sie diese Gabe von Christus oder seinen Aposteln empfangen hatten. Nach dem Tod der Apostel Christi und ihrer engsten Mitarbeiter hörten diese Wundergaben auf. Unsere Möglichkeiten, denjenigen zu helfen, die an physischen Krankheiten leiden — zerebrale Fehlfunktionen oder Halluzinationen eingeschlossen —, sind begrenzt (Apostelgeschichte 8:13, 18; 1. Korinther 13:8).

      17. Was lernen wir daraus, wie der kranke und seiner Kinder beraubte Hiob behandelt wurde?

      17 Depressionen sind eine häufige Begleiterscheinung von Krankheiten. Der gottesfürchtige Hiob zum Beispiel war wegen der schweren Krankheit und der Unglücksschläge, die Satan über ihn gebracht hatte, äußerst deprimiert (Hiob 1:18, 19; 2:7; 3:3, 11-13). Er hätte Freunde gebraucht, die ihn mit zartem Erbarmen behandelt und ihm ‘tröstend zugeredet’ hätten (1. Thessalonicher 5:14). Statt dessen suchten ihn drei angebliche Tröster auf, die voreilig falsche Schlüsse zogen. Sie verschlimmerten noch Hiobs Niedergeschlagenheit durch ihre Andeutungen, er sei wegen eigener Verfehlungen von den Unglücksschlägen getroffen worden. Zartes Erbarmen wird Christen vor solchen Fehlern bewahren, wenn Mitgläubige krank oder depressiv sind. Die Leidenden benötigen manchmal nur einige freundliche Besuche von Ältesten oder anderen reifen Christen, die ihnen mitfühlend zuhören, Verständnis zeigen und liebevoll biblischen Rat geben (Römer 12:15; Jakobus 1:19).

      Erbarmen mit Schwachen

      18, 19. (a) Wie sollten Älteste Schwache oder auf Abwege Geratene behandeln? (b) Warum ist es wichtig, daß Älteste Missetäter mit zartem Erbarmen behandeln, selbst wenn ein Rechtskomitee gebildet werden muß?

      18 Besonders Älteste müssen zartes Erbarmen zeigen (Apostelgeschichte 20:29, 35). „Wir ..., die Starken, sind verpflichtet, die Schwachheiten derer zu tragen, die nicht stark sind“ wird in der Bibel geboten (Römer 15:1). Aufgrund unserer Unvollkommenheit machen wir alle Fehler (Jakobus 3:2). Feinfühligkeit ist erforderlich, wenn man es mit jemandem zu tun hat, der „einen Fehltritt tut, ehe er es gewahr wird“ (Galater 6:1). Älteste dürfen niemals den selbstgerechten Pharisäern gleichen, denen es bei der Anwendung des Gesetzes Gottes an Vernünftigkeit fehlte.

      19 Im Gegensatz zu den Pharisäern ahmen Älteste das Beispiel für zartes Erbarmen nach, das Jehova Gott und Jesus Christus geben. Die Hauptaufgabe der Ältesten besteht darin, Gottes Schafe zu stärken, zu ermuntern und zu erfrischen (Jesaja 32:1, 2). Statt zu versuchen, alles durch eine Vielzahl von Regeln zu lenken, richten sie sich nach den vorzüglichen Grundsätzen des Wortes Gottes aus. Es ist somit Aufgabe der Ältesten, zu erbauen sowie ihren Brüdern Freude und Wertschätzung für die Güte Jehovas zu vermitteln. Wenn ein Mitgläubiger einen leichten Fehler macht, wird ein Ältester es möglichst vermeiden, ihn in Hörweite anderer zu korrigieren. Sofern es überhaupt nötig ist, darüber zu sprechen, wird den Ältesten zartes Mitgefühl veranlassen, den Betreffenden zur Seite zu nehmen und das Problem ohne Zuhörer zu behandeln. (Vergleiche Matthäus 18:15.) Ganz gleich, wie schwer mit jemandem zurechtzukommen ist, sollte der Älteste geduldig und hilfsbereit sein. Er wird auf keinen Fall nach Vorwänden suchen, um den Betreffenden aus der Versammlung hinauszutun. Selbst wenn ein Rechtskomitee gebildet werden muß, werden die Ältesten im Umgang mit der Person, die in eine schwere Verfehlung verstrickt ist, zartes Erbarmen zeigen. Ihre Freundlichkeit kann dazu beitragen, daß sie bereut (2. Timotheus 2:24-26).

      20. Wann sind Äußerungen des Mitgefühls unangebracht, und warum?

      20 Es gibt allerdings auch Fälle, in denen ein Diener Jehovas kein Erbarmen zeigen darf. (Vergleiche 5. Mose 13:6-9.) Für einen Christen kann es zu einer echten Prüfung werden, mit einem engen Freund oder einem Verwandten, der ausgeschlossen wurde, „keinen Umgang mehr ... zu haben“. In einem solchen Fall ist es wichtig, Gefühlen des Mitleids nicht nachzugeben (1. Korinther 5:11-13). Eine solche Festigkeit kann den Abgeirrten sogar ermuntern zu bereuen. Auch im Umgang mit dem anderen Geschlecht müssen Christen unangebrachte Mitgefühlsbekundungen vermeiden, die zu Unsittlichkeit führen könnten.

      21. Auf welchen weiteren Gebieten müssen wir zartes Erbarmen zeigen, und von welchem Nutzen ist das?

      21 Der Platz reicht nicht aus, um all die verschiedenen Bereiche zu behandeln, in denen zartes Erbarmen erforderlich ist — im Umgang mit Älteren, mit Hinterbliebenen, mit denjenigen, die von einem andersgläubigen Ehepartner drangsaliert werden. Zartes Erbarmen verdienen auch hart arbeitende Älteste (1. Timotheus 5:17). Respektieren und unterstützen wir sie (Hebräer 13:7, 17). „Habt [alle] ... zartes Erbarmen“, schrieb der Apostel Petrus (1. Petrus 3:8). Wenn wir in jeder Situation, die dies erfordert, so handeln, fördern wir die Einheit und das Glück in der Versammlung und veranlassen Außenstehende, sich zur Wahrheit hingezogen zu fühlen. Aber am meisten zählt, daß wir dadurch unseren Vater, Jehova, ehren, der voll zarten Erbarmens ist.

  • Seid voll zarten Erbarmens
    Der Wachtturm 1994 | 1. November
    • [Kasten auf Seite 19]

      DIE UNBARMHERZIGEN PHARISÄER

      DER Sabbattag der Ruhe sollte für Gottes Volk geistig und physisch von Nutzen sein. Die geistlichen Führer der Juden stellten jedoch viele Regeln auf, die Gottes Sabbatgesetz entehrten und den Sabbat zu einer Last für das Volk machten. Wenn jemand beispielsweise einen Unfall hatte oder krank war, durfte ihm am Sabbat nicht geholfen werden, außer bei Lebensgefahr.

      Eine Richtung der Pharisäer war in der Auslegung des Sabbatgesetzes so streng, daß sie sagte: „Am Sabbat tröstet man weder Trauernde, noch besucht man Kranke.“ Andere geistliche Führer gestatteten solche Besuche am Sabbat, machten jedoch die Einschränkung: „Tränen sind verboten.“

      Jesus verurteilte die jüdischen geistlichen Führer somit zu Recht, weil sie die wichtigeren Forderungen des Gesetzes wie Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit außer acht ließen. Kein Wunder, daß er zu den Pharisäern sagte: „Ihr [macht] das Wort Gottes durch eure Überlieferung ungültig.“ (Markus 7:8, 13; Matthäus 23:23; Lukas 11:42)!

      [Bilder auf Seite 17]

      Jehovas Zeugen führen aus Mitleid in 231 Ländern und Inselgebieten ein beispielloses Werk durch — in den Wohnungen der Menschen, auf den Straßen und selbst in Gefängnissen

      [Bild auf Seite 18]

      Sich der Gewalt auszusetzen, beispielsweise durch das Fernsehen, untergräbt zartes Erbarmen

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