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Ein neues SchismaErwachet! 1990 | 22. Juni
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Die Ursachen der Spaltung
Die Kluft zwischen dem Vatikan und der konservativen katholischen Bewegung des Erzbischofs Lefebvre hat sich langsam immer mehr vertieft. Die Ursachen des Schismas hängen mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) zusammen. Papst Johannes XXIII., der das Konzil einberief, verfolgte damit zwei Ziele. Das eine war l’aggiornamento (Anpassung), und das andere war die Vereinigung aller „christlichen“ Kirchen.
Obwohl Erzbischof Lefebvre als katholischer Prälat am Konzil teilnahm, war er doch mit keinem dieser Ziele einverstanden. Als eingefleischter Traditionalist vertritt er die Ansicht, daß die katholische Kirche nicht an die heutige Zeit angepaßt werden muß. Lefebvre, von der Richtigkeit der traditionellen katholischen Auffassung, die katholische Kirche sei die alleinseligmachende Kirche, völlig überzeugt, ist der Meinung, die Vereinigung der „Christen“ sei nur dadurch möglich, daß alle Nichtkatholiken katholisch würden.
Gegen die Religionsfreiheit
Ein Jahr nach seiner Exkommunikation erklärte Erzbischof Lefebvre im Namen der konservativen Katholiken, die seine Bewegung unterstützen: „Wir sind entschieden gegen die Religionsfreiheit und die damit verbundenen Konsequenzen; vor allem zu erwähnen wäre der Ökumenismus, den ich persönlich für unannehmbar halte.“
Er sagte nichts Neues, sondern hielt sich genau an die katholische Tradition. Am 15. August 1832 veröffentlichte Papst Gregor XVI. die Enzyklika Mirari vos, die gegen die „absurde Maxime oder vielmehr diesen Wahn“ der Gewissensfreiheit gerichtet war. Zweiunddreißig Jahre später gab Papst Pius IX. den Syllabus errorum (einen Katalog von „Zeitirrtümern“) heraus, in dem er folgende Auffassung verurteilte: „Es steht jedem Menschen frei, jene Religion anzunehmen und zu bekennen, welche er, durch das Licht seiner Vernunft geführt, für wahr hält.“
Dadurch, daß Erzbischof Lefebvre den Ökumenismus ablehnt, zeigt er lediglich seine Treue gegenüber dem katholischen Dogma von der Einheit der Kirche, d. h., daß es nur „eine heilige katholische und apostolische Kirche“ gebe.
Empört über die „protestantische“ Messe
Besonders die Liturgiereform, die das Zweite Vatikanum herbeigeführt hat, ist für Erzbischof Lefebvre und seine Anhänger ein heikles Thema. Der rebellische Prälat sieht darin eine „Verprotestantierung“ der Messe. Dabei geht es nicht nur darum, daß anstatt der lateinischen Sprache die heutigen Landessprachen gebraucht werden. Lefebvre ist der Meinung, man habe an der Messe zu viel geändert, um sie für die Protestanten anziehend zu machen, und sogar die lateinische Messe, die Papst Paul VI. gutgeheißen habe, sei „ketzerisch“.
Um den Fortbestand der traditionellen lateinischen Messe zu sichern, gründete Erzbischof Lefebvre im Jahre 1970 in Ecône (Schweiz) ein Priesterseminar. Es wird von der Priesterbruderschaft St. Pius X. geleitet, die Lefebvre im gleichen Jahr gegründet hat. Als seine Bewegung stärker wurde, eröffnete er in Europa und in Amerika weitere konservative katholische Priesterseminare. In diesen werden Hunderte junger Männer zu ultrakonservativen Priestern ausgebildet.
Der rebellische Prälat hat bereits weit über 200 traditionalistische Priester ordiniert, obschon ihm das 1976 von Papst Paul VI. untersagt wurde. Sie zelebrieren in Prioraten und widerrechtlich besetzten katholischen Kirchen die lateinische Messe.a Der Vatikan gibt zu, daß Lefebvre in der ganzen Welt etwa hunderttausend militante traditionalistische Anhänger hat, andere kirchliche Kreise räumen jedoch ein, daß sich die Zahl einer halben Million nähere. Lefebvre selbst behauptet, daß Millionen Katholiken seine Ansichten teilten.
Ein Nachfolger erforderlich
In der katholischen Kirche darf der Bischof Priester ordinieren. Es ist aber ausschließlich Sache des Papstes, die Ordination eines Bischofs zu bestätigen. Der im vorgerückten Alter stehende Lefebvre erkannte, daß seine Priesterbruderschaft ohne einen neuen Bischof in der Gefahr stand, nach seinem Tod auszusterben. Vermutlich hoffte der Vatikan, daß das geschehen werde, und ließ sich deshalb auf langwierige Verhandlungen mit ihm ein. Schließlich stellte er ihm ein Ultimatum: Entweder er akzeptiere die Ordination eines vom Vatikan bestätigten Bischofs, oder er werde exkommuniziert, falls er selbst einen Bischof weihe.
Am 30. Juni 1988 weihte der rebellische Prälat in Anwesenheit von Tausenden seiner Anhänger vier traditionalistische Bischöfe. Die Pariser Tageszeitung International Herald Tribune meldete: „Die Weihe von vier Bischöfen durch Erzbischof Lefebvre überschattete ein vatikanisches Konsistorium, in dem der Papst 24 Bischöfe zu Kardinälen ernannte. Der Vatikan sagte ein Sonderkonzert ab, um seinen ‚tiefen Schmerz‘ über das Vorgehen des Erzbischofs Lefebvre kundzutun. ‚Dies ist ein Tag der Trauer‘, sagte der [französische] Kardinal Decourtray.“
Dieses Schisma in der katholischen Kirche hat nicht nur dem Vatikan Schmerzen bereitet, sondern auch Millionen von Katholiken in der ganzen Welt in Verwirrung gestürzt.
[Fußnote]
a Siehe den Artikel „Der Rebellenbischof“ in Erwachet! vom 22. Dezember 1987.
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Warum die „tiefe Sorge“?Erwachet! 1990 | 22. Juni
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Warum die „tiefe Sorge“?
PAPST JOHANNES PAUL II. war verzweifelt über das Schisma, das durch die traditionalistische Bewegung des Erzbischofs Lefebvre entstand. Er sagte, die Kirche habe mit „großem Kummer“ reagiert.
Der katholische Priester und Sprecher der Spanischen Bischofskonferenz, Joaquín Ortega, beklagte die Lage mit den Worten: „Wir sind ein ‚Supermarkt-Katholizismus‘ geworden. Die Leute wählen sich das aus, was ihnen paßt, als wären unsere Lehren Gemüsedosen.“
Erzbischof Lefebvre behauptet, das Zweite Vatikanische Konzil habe die traditionelle katholische Kirche verraten, indem es sie für Veränderungen geöffnet habe. Er ist der Meinung, das Konzil habe den Glauben der Katholiken, der wahren Kirche anzugehören, erschüttert.
Die Zeitung International Herald Tribune faßte die Argumente Lefebvres und seiner Anhänger wie folgt zusammen: „Die Traditionalisten behaupten, die Kirche habe sich entweder vor dem Konzil geirrt oder sie irre sich jetzt, aber recht haben könne sie nicht beide Male. Sie sagen, wenn sie vor dem Konzil im Irrtum gewesen sei, dann habe sie sich vielleicht auch in bezug auf andere Lehren geirrt. ‚Wir sind hier, um der Kirche aller Zeiten unsere Treue zu bekunden‘, sagte der Erzbischof.“
Viele ehrliche Katholiken fragen sich, ob das, was die vorkonziliare Kirche gelehrt und praktiziert hat, richtig oder falsch war.
Die Angst der liberalen Katholiken
Viele liberal gesinnte Katholiken haben Angst, daß die Neuerungen des Zweiten Vatikanums, die sie als Fortschritt ansehen, durch die Lefebvre-Affaire sabotiert werden könnten. Die amtlichen Erklärungen, die vor kurzem aus dem Vatikan zu hören waren, haben sie erschreckt, Erklärungen wie die von Kardinal Ratzinger, dem obersten Glaubenshüter in Rom. Er leitet die vatikanische Kongregation, die vier Jahrhunderte lang als „Heilige Kongregation der Universalen Inquisition ‚Sant’ Uffizio‘ [Heiliges Büro]“ bekannt war.
Kardinal Ratzinger, Präfekt der Heiligen Kongregation für die Glaubenslehre, erklärte: „Es kommt nur zu Schismen, wenn die Menschen aufgehört haben, nach gewissen Wahrheiten und Werten des christlichen Glaubens zu leben und sie zu lieben.“ Progressive Katholiken befürchten, daß der Kardinal an Wahrheiten und Werte gedacht hat, die Merkmale der vorkonziliaren Kirche waren.
Der in der französischen Zeitung Le Monde erschienene Artikel „Der Preis eines Schismas“ bringt diese Furcht zum Ausdruck. Es heißt darin: „Wer weiß, ob der Vatikan — unwissentlich oder ohne es einzugestehen — anfängt, ‚Traditionalismus ohne Lefebvre‘ zu praktizieren? ... Versucht er [der Vatikan] jetzt nicht, die traditionalistisch gesinnten Priester und Laien zurückzugewinnen und vor allem die katholische Autorität und die katholischen Werte dort, wo sie ganz offen angefochten werden — besonders in Westeuropa und in Nordamerika —, wieder geltend zu machen?“
Abweichler unter den Theologen
Im Januar 1989 veröffentlichten 163 katholische Theologen der Bundesrepublik Deutschland, der Niederlande, Österreichs und der Schweiz ein Dokument, das jetzt als „Kölner Erklärung“ bekannt ist. In den Wochen danach schlossen sich ihnen Hunderte katholischer Theologen aus anderen Ländern an, so auch aus Italien. Die Kritik wurde dadurch ausgelöst, daß der Vatikan eigenmächtig und entgegen den Wünschen des örtlichen Klerus einen konservativen Prälaten zum Erzbischof von Köln ernannte. Aber der Protest galt nicht nur der Ernennung konservativer Bischöfe. Er richtete sich auch gegen die Disziplinierungsmaßnahmen, durch die der Vatikan Theologen zum Schweigen bringen will, die „die theologische Erkenntnis, die das Zweite Vatikanische Konzil betont hat“, vertreten. Die Theologen kritisierten außerdem den Versuch des Papstes, seine „lehramtliche Kompetenz ... in unzulässiger Weise geltend zu machen“, besonders in bezug auf die Geburtenregelung.
Als Antwort auf diese Erklärung sagte Kardinal Ratzinger ganz offen, daß jeder, der den Standpunkt des Vatikans in bezug auf die Geburtenregelung und die Ehescheidung ablehne, die beiden Begriffe „Gewissen“ und „Freiheit“ falsch interpretiere und die traditionelle Lehre der Kirche vergewaltige. Vor kurzem ermahnte er die amerikanischen Prälaten, ihre Lehre nicht durch das „mißtönende Theologen-Konzert“ beeinflussen zu lassen.
Viele Katholiken sind bestürzt
Ein französischer Theologe erklärte in einem Interview mit Le Monde: „Es wäre falsch, zu behaupten, ... daß sich diese Krise nur auf die Theologen beschränkt. Sie verleihen lediglich der tiefen Sorge zahlreicher Katholiken Ausdruck.“
Viele aufrichtige Katholiken fragen sich, ob der exkommunizierte Rebellenbischof Lefebvre vielleicht eine Schlacht verloren, aber den Krieg gewonnen hat. Den Anhängern Lefebvres werden Konzessionen gemacht, um sie zurückzugewinnen. In zahlreichen katholischen Kirchen wird wieder die lateinische Messe zelebriert, auch werden konservative Bischöfe eingesetzt. Traditionalistische Katholiken stellen die interessante Frage: „Warum wurde Monseigneur Lefebvre exkommuniziert, während katholische Priester in den Niederlanden, die Homosexuelle trauen, und Befreiungstheologen in Südamerika immer noch der Kirche angehören?“
Das alles ist für viele Katholiken verwirrend. In Frankreich schrieb ein Katholik an die katholische Tageszeitung La Croix: „Einfache Christen, wie ich es bin, leiden, weil die [an den Meinungsverschiedenheiten in der Kirche] Beteiligten nicht miteinander sprechen und sich nicht einigen. Manche schleichen sich auf Zehenspitzen heimlich aus dem kirchlichen Leben, wenn nicht gar aus der Kirche selbst.“
Solche Leute können wahrscheinlich nicht verstehen, warum die Kirche, die sie für die einzig wahre halten, so gespalten ist. Selbst der katholische Priester René Laurentin stellte die Frage: „Warum bestehen unter Christen solche Spaltungen?“
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Warum die Spaltungen?Erwachet! 1990 | 22. Juni
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Die verschiedenen Ideologien, die für die Spaltungen in der Kirche verantwortlich sind, gäbe es nicht, wenn sich die Kirche an die Bibel als Quelle ihrer Lehren halten würde. Das Zweite Vatikanische Konzil dekretierte: „Nichtsdestoweniger ist die Heilige Schrift gerade beim Dialog ein ausgezeichnetes Werkzeug in der mächtigen Hand Gottes, um jene Einheit zu erreichen, die der Erlöser allen Menschen anbietet.“ Doch das gleiche Konzil untergrub den einigenden Wert der Bibel, indem es erklärte: „So ergibt sich, daß die Kirche ihre Gewißheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpft. Daher sollen beide [die Bibel und die Überlieferung] mit gleicher Liebe und Achtung angenommen und verehrt werden.“ Ferner: „Die heilige Theologie ruht auf dem geschriebenen Wort Gottes, zusammen mit der Heiligen Überlieferung.“
Die Worte, die Jesus an die Pharisäer richtete, können auch auf das Lehramt der katholischen Kirche angewandt werden: „Damit habt ihr Gottes Wort um eurer Überlieferung willen außer Kraft gesetzt“ (Matthäus 15:6, Neue Jerusalemer Bibel). Eine aufrichtige Katholikin schrieb an eine in Frankreich erscheinende katholische Zeitschrift: „Wenn sich die Priester nicht mehr bewogen fühlen, die Schrift zu predigen, verwundert es dann, daß die Zahl der Gläubigen immer mehr zurückgeht oder daß diese sich anderswo umsehen? (Jehovas Zeugen und die Traditionalisten sind aufgrund ihres Glaubens anders.)“
Eine gespaltene Hierarchie
Nun wollen wir die organisatorische Ursache der Spaltungen innerhalb der Kirche besprechen. Das Schisma, das Erzbischof Lefebvre herbeigeführt hat, hängt mit dem katholischen Dogma von der „Apostolischen Sukzession“ und dem vom Primat des Papstes zusammen. Lefebvre behauptet, daß die „Autorität des Lehrens, Leitens und Heiligens, die Christus seinen Aposteln übertragen hat, ... dem kirchlichen Kollegium der Bischöfe weitergegeben wurde“. Andererseits wird behauptet, daß der Bischof von Rom (der Papst) „nicht nur in bezug auf Rang oder Würde, sondern auch in bezug auf das Hirtenamt der Erste unter den Bischöfen ist“ (New Catholic Encyclopedia).
Sind diese Dogmen jedoch in der Bibel begründet? Die erwähnte katholische Enzyklopädie gibt zu, daß „das Neue Testament keine Worte Christi enthält, die andeuten würden, wie die den Aposteln erteilte Sendung weitergeführt werden soll“. Ferner wird eingeräumt, daß in der „westlichen [lateinischen] Kirche“ der „päpstliche Primat“ erst vom 5. Jahrhundert u. Z. an „klar verstanden oder deutlich vertreten wurde“.
Gegenwärtig wird das hierarchische System der katholischen Kirche von oben bis unten angezweifelt. Es spielt bei den Spaltungen eine Rolle, und Bischöfe, Theologen, Priester und Laien bringen offen zum Ausdruck, daß sie mit dem Papst in Fragen des Glaubens, der Moral und der Kirchenleitung nicht einiggehen. In der „Kölner Erklärung“ heißt es: „Wenn der Papst tut, was nicht seines Amtes ist, kann er im Namen der Katholizität nicht Gehorsam verlangen.“
Politisch gespalten
Die britische Wirtschaftszeitschrift The Economist schrieb: „Die Anhänger Lefebvres sind der Meinung, ihre Kirche sei das Opfer einer Verschwörung geworden, durch die sie Marxisten, Modernisten und Protestanten in die Hände gefallen sei. Monseigneur Lefebvre glaubt, daß durch die Französische Revolution ein beklagenswerter Modernismus und Liberalismus in die Welt gekommen sei und daß das Zweite Vatikanische Konzil die Französische Revolution ... in die Kirche hineingetragen habe.“ Zahlreiche Katholiken des rechten Flügels teilen diese Ansicht. Die Katholiken des linken Flügels dagegen sind für soziale Reformen, einige befürworten sogar den bewaffneten Aufstand. Die Politik ist somit ein weiterer entzweiender Faktor bei den Katholiken.
Priester Laurentin beschloß seinen Artikel „Warum bestehen unter Christen solche Spaltungen?“ mit dem Hinweis, daß die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche davon abhängt, ob sie nach den Worten Jesu handelt: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Johannes 13:35, NJB).
Aufgrund dieses Kriteriums sind viele aufrichtige Katholiken in der ganzen Welt zu dem Schluß gekommen, daß die Behauptung der katholischen Kirche, die eine wahre Kirche zu sein, nicht glaubwürdig ist. Auch haben manche die Wahrheit der Worte Jesu erkannt: „Keine Familie, die in sich gespalten ist, wird Bestand haben“ und haben sich „auf Zehenspitzen“ heimlich aus der Kirche geschlichen (Matthäus 12:25, NJB).
Viele Katholiken suchen jetzt nach einer „Familie“ wahrer Christen, die nicht durch unbiblische Dogmen, durch eine uneinige Hierarchie oder durch widersprüchliche politische Meinungen gespalten ist, sondern eine, die durch wahre Bruderliebe geeint ist. Tausende haben das Gesuchte gefunden, als sie sich Jehovas Zeugen angeschlossen haben.
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