Die Veröffentlichung der letzten Schriftrollen vom Toten Meer
IM September vergangenen Jahres konnte eine jahrzehntelange wissenschaftliche Blockade endlich durchbrochen werden. Der erbitterte Disput unter den Erforschern der Schriftrollen vom Toten Meer ist damit offenbar zu Ende, ein neuer Disput scheint sich allerdings anzubahnen.
Die Schriftrollen wurden 1947 und in den folgenden Jahren in Höhlen nahe dem Toten Meer entdeckt. Ihr großer Wert bestand darin, daß sie die prinzipielle Genauigkeit des Textes der Hebräischen Schriften bewiesen und Licht auf die religiösen Verhältnisse warfen, die während des irdischen Lebens Jesu in Palästina herrschten (Jesaja 40:8). Während ein Teil der Handschriften relativ schnell veröffentlicht wurde, waren 1991 fast 400 Handschriften noch nicht veröffentlicht worden und so den meisten Gelehrten nicht zugänglich. Viele Gelehrte zeigten sich wie Professor Ben Zion Wacholder „enttäuscht über die Erkenntnis, daß wir beim gegenwärtigen Tempo der Veröffentlichung alle tot sein werden, wenn das Gesamtwerk der Texte vom Toten Meer der Welt zur Verfügung steht“.
Im September letzten Jahres hat sich die Situation jedoch geändert. Zunächst gaben Professor Wacholder und Martin Abegg, einer seiner Mitarbeiter, bekannt, daß sie die streng gehüteten Texte mit Hilfe eines Computers reproduziert hatten. Dann ließ die Huntington-Bibliothek in San Marino (Kalifornien, USA) verlauten, daß sie Fotografien der Originalhandschriften besitzt und diese anerkannten Gelehrten uneingeschränkt zur Verfügung stellen wird. Zweifellos waren mehrere fotografische Kopien von den Rollen gemacht worden, um ihre Bewahrung sicherzustellen. Man hatte die Sätze der Fotografien an verschiedenen Orten eingelagert, und ein Satz war schließlich in die Huntington-Bibliothek gelangt.
Ein Forscher nannte diese Wendung der Ereignisse „das wissenschaftliche Äquivalent zum Fall der Berliner Mauer“. Die offiziellen Herausgeber bezeichneten sowohl die Veröffentlichung des Computertextes als auch die Freigabe der Fotografien als „Diebstahl“. Wahrscheinlich werden die Streitereien über die Moral noch jahrelang anhalten. Währenddessen werden aber offenbar viele weitere Gelehrte endlich das Gesamtwerk der Schriftrollen vom Toten Meer zu Rate ziehen können.
[Bild auf Seite 32]
Wiedergabe eines Kommentars zu Habakuk in einer der Schriftrollen vom Toten Meer