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Hoffnung für BetroffeneErwachet! 2004 | 8. Januar
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Wenn im Körper ein biochemisches Ungleichgewicht herrscht, verordnen Ärzte oft Medikamente. In anderen Fällen wird Patienten möglicherweise ein Beratungsprogramm empfohlen, das ihnen hilft, mit ihrer Krankheit umgehen zu lernen. Mitunter hat auch eine Kombination dieser beiden Ansätze schon zu guten Ergebnissen geführt.a Wichtig ist vor allem, die Initiative zu ergreifen und Hilfe zu suchen. „Betroffene haben sehr oft Angst und schämen sich wegen ihres Zustands“, berichtet Lenore, die bereits im vorigen Artikel zitiert wurde. „Das eigentlich Beschämende ist jedoch, dass man ein Problem vermutet, die dringend benötigte Hilfe aber dann doch nicht sucht.“
Lenore spricht aus Erfahrung, wenn sie erzählt: „Ich verbrachte ein Jahr praktisch nur im Bett. Als ich mich eines Tages etwas kräftiger fühlte, fasste ich den Entschluss, mir einen Termin beim Arzt geben zu lassen.“ Der Arzt stellte eine bipolare Störung fest und verschrieb Lenore Medikamente. Das war ein Wendepunkt in ihrem Leben. „Wenn ich meine Medikamente einnehme, fühle ich mich normal“, berichtet sie, „aber ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass all die früheren Symptome wiederkommen, wenn ich die Medikamente absetze.“
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Hoffnung für BetroffeneErwachet! 2004 | 8. Januar
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[Kasten auf Seite 9]
Beobachtungen eines Ehemannes
„Bevor Lucia diese Krankheit bekam, waren viele von ihrer überaus verständnisvollen Art sehr angetan. Besucher fühlen sich jetzt noch durch die Wärme, die meine Frau in Phasen der Ruhe ausstrahlt, sichtlich angezogen. Die meisten wissen allerdings nicht, dass Lucia abwechselnd in extreme Depressionen und Manien verfällt. Sie sind Folgen einer bipolaren Erkrankung, an der sie nun seit vier Jahren leidet.
Während der manischen Phasen ist es nichts Ungewöhnliches, dass sie bis ein, zwei oder sogar drei Uhr nachts auf ist und den Kopf voller kreativer Ideen hat. Sie sprüht nur so über vor Energie. Bagatellen lassen sie überreagieren und sie gibt unkontrolliert Geld aus. Sie bringt sich in die gefährlichsten Situationen, weil sie denkt, nichts könne ihr moralisch, physisch oder sonst wie schaden. Mit dieser Impulsivität geht auch ein gewisses Selbstmordrisiko einher. Auf eine Manie folgt immer unmittelbar eine Depression, die an Stärke normalerweise der vorausgehenden Manie entspricht.
Mein Leben hat sich von Grund auf geändert. Obwohl Lucia in Behandlung ist, können wir nie sagen, ob wir heute oder morgen das Gleiche leisten können wie gestern. Das hängt ganz von den jeweiligen Umständen ab. Ich bin zwangsläufig flexibler geworden, flexibler, als ich es je für möglich gehalten hätte“ (Mario).
[Kasten/Bild auf Seite 11]
Wenn Medikamente verschrieben werden
Für manche ist die Einnahme von Medikamenten ein Zeichen von Schwäche. Betrachten wir jedoch folgendes Beispiel: Ein Diabetiker muss sich einer systematischen Behandlung unterziehen und vielleicht auch Insulinspritzen bekommen. Ist das aber als Versagen zu werten? Bestimmt nicht, sondern durch solche Maßnahmen wird lediglich der Nährstoffhaushalt des Körpers im Gleichgewicht gehalten, sodass weitere Schäden verhindert werden.
Ähnlich verhält es sich mit der Einnahme von Medikamenten bei Depressionen oder bipolaren Störungen. Ein Beratungsprogramm hat zwar vielen Patienten zu einem besseren Verständnis ihrer Krankheit verholfen, doch ist in dieser Hinsicht ein Wort zur Vorsicht angebracht. Wenn nämlich ein chemisches Ungleichgewicht im Körper vorliegt, kann die Krankheit nicht einfach durch logische Argumentation beseitigt werden. Steven, der an einer bipolaren Störung leidet, erzählt: „Die Ärztin, die mich behandelte, veranschaulichte das folgendermaßen: Man kann einem Fahrschüler so viele Fahrstunden geben, wie man will — sie würden kaum etwas nützen, wenn man ihn dann in ein Auto ohne Lenkrad oder Bremsen setzt. Genauso führt eine Beratung allein bei Menschen mit Depressionen möglicherweise nicht zum erhofften Erfolg. Ein wichtiger Schritt besteht darin, zunächst die Chemie im Gehirn ins Gleichgewicht zu bringen.“
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