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Wie die moderne Landwirtschaft die Welt verändert hatErwachet! 2009 | September
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Wissenschaftliche Methoden bringen weitere Veränderungen
Um 1850 gab es einige wohlhabende Länder, die sich landwirtschaftliche Forschung leisten konnten. So ist es durch die Agrarwissenschaft bis heute immer wieder zu Veränderungen gekommen. Pflanzenzüchter, die sich mit Genetik befassten, zogen beispielsweise Pflanzen heran, die höhere Erträge brachten und widerstandsfähiger gegen Krankheiten waren. Man fand heraus, wie viel Nitrate und Phosphate bestimmte Pflanzen oder Böden benötigen. In der Wachstumsphase der Kulturpflanzen war man bis dahin mit Unkrauthacken beschäftigt gewesen. Mit dem Einsatz ausgeklügelter Unkrautvertilgungsmittel verloren jedoch viele Landarbeiter ihre Beschäftigung. Würmer, Rüsselkäfer und andere Insekten sind altbekannte Feinde des Landwirts. Mittlerweile kann er aber auf ein Arsenal von Chemikalien zurückgreifen, um fast jedem Schädling den Garaus zu machen.a
Auch das Leben der Viehbauern hat sich verändert. Dank Melkroboter und computergesteuerter Fütterung kann ein einziger Bauer mit einem Helfer bis zu 200 Kühe versorgen. Kälber und Schweine nehmen schneller an Gewicht zu, wenn sie in Ställen gehalten werden und nicht mehr im Freien. Temperatur und Fütterung lassen sich so besser überwachen.
Die Ergebnisse waren dank wissenschaftlicher Methoden oft überwältigend. Einige Landwirte erhöhten den Ertrag pro Arbeiter auf das Hundert- oder Tausendfache des vorindustriellen Stands. Wie hat sich diese Entwicklung auf das Leben der Menschen ausgewirkt?
Veränderte Lebensweise der Bauern
Maschinen haben vielerorts das Leben der Landwirte auf den Kopf gestellt. Viele Bauern und Landarbeiter müssen komplizierte Maschinen bedienen und instand halten können. Immer öfter arbeiten sie ganz allein. Vorbei ist es mit der Kameradschaft beim gemeinsamen Säen, Hacken, Jäten und Ernten.
In vielen Ländern ist ein ganz neuer Typ Landwirt in Erscheinung getreten: ein hochgebildeter Geschäftsmann, der sich auf die Massenproduktion weniger Erzeugnisse oder sogar nur eines einzigen spezialisiert hat. Er steckt eine Menge Geld in das Land, die Gebäude und die Maschinen. Doch er ist alles andere als unabhängig. Riesige Nahrungsmittelfirmen und Supermarktketten diktieren ihm nicht nur den Preis, sondern auch Sorte, Größe und Farbe seiner Erzeugnisse. Agraringenieure planen sein Produktionssystem und spezialisierte Firmen liefern ihm Dünger, Pestizide und Hybridsaatgut, genau den Besonderheiten seines Betriebes entsprechend. Er hat zwar die Arbeitsmethoden seiner Vorfahren weit hinter sich gelassen, doch kämpfen muss er immer noch. Man äußert sich auch besorgt über mögliche Folgeschäden bestimmter landwirtschaftlicher Methoden.
Die Krise hält an
In reichen Ländern werden viele Bauern weiterhin von ihrem Land vertrieben, weil sie gegen große landwirtschaftliche Kooperativen keine Chance haben. Einige halten ihr geliebtes Landleben nur noch dadurch aufrecht, dass sie zusätzlich Freizeitaktivitäten anbieten wie Ferien auf dem Bauernhof, Camping oder Golf. Manche verlegen sich auf ein traditionelles Kunsthandwerk. Wieder andere spezialisieren sich auf Bioprodukte, Blumen, Alpakas oder Strauße.
In ärmeren Ländern, wo bis zu 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, kommt es für viele sich selbst versorgende Kleinbauern zu dramatischen Veränderungen. Internationale Firmen, die mit industriellen Methoden arbeiten, kaufen oft das beste Land auf und bauen an, was irgendwo in der Welt auf den Markt kommt. Kleinbauern, die wenige oder gar keine Maschinen besitzen, müssen sich zur Versorgung ihrer Familien mit unfruchtbaren Böden oder winzigen Feldern begnügen.
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Wie die moderne Landwirtschaft die Welt verändert hatErwachet! 2009 | September
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[Kasten/Bilder auf Seite 23]
UNTERSCHIEDLICHE WEGE
Eusebio lebt in den Anden. Er baut Feldfrüchte an und besitzt 14 Rinder. „Sie alle haben Namen“, erzählt er. „Landwirtschaft ist mein Leben. Wir bauen all unser Gemüse selbst an. Meine Frau und ich helfen unseren Nachbarn beim Pflügen und bei der Ernte und sie helfen uns. Hier hat niemand Maschinen. Wir pflügen mit Ochsen. Wo es zu steil ist, graben wir um.
Einmal starben fast alle unsere Tiere an einer Krankheit. Danach habe ich einen Schnellkurs in Tiermedizin besucht. Seitdem haben wir kein einziges Tier mehr durch eine Krankheit verloren, und ich kann sogar den kranken Tieren unserer Nachbarn helfen. Wir verkaufen auf dem Dorfmarkt Käse. Das bringt zwar nicht viel ein, trotzdem haben wir für unsere sechs Kinder immer genug zu essen.“
Richard bearbeitet mehr als 500 Hektar Land in der kanadischen Prärie. Er arbeitet ganz allein, abgesehen von einem Arbeiter, der ihm beim Säen und Ernten hilft.
„Heute ist in der Landwirtschaft die geistige Belastung größer als die körperliche“, sagt Richard. „Mein Traktor und mein Mähdrescher haben ein klimatisiertes Führerhaus. Das schützt mich vor Staub und Insekten. Ich habe Maschinen mit neun Meter Arbeitsbreite. Damit kann ich an einem Tag eine Fläche von 65 Hektar besäen oder abernten. Aber ich bin stark von den Maschinen abhängig, und da beginnt der Stress. Manchmal muss ich einen Kredit aufnehmen, um eine Maschine zu ersetzen. Ob ich ihn zurückzahlen kann, hängt von Faktoren ab, die ich nicht beeinflussen kann: Regen, Frost, Marktpreise und Kreditzinsen. Unter vielen Bauern haben die Belastungen zu Eheproblemen geführt. Es gab sogar schon Selbstmorde.“
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