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Mit meinen Schwächen fertig werdenDer Wachtturm 1990 | 1. Mai
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Mit meinen Schwächen fertig werden
Von Thomas Addison erzählt
ALS kleiner Junge machte ich selbst um einen harmlosen Vogel auf dem Weg einen großen Bogen. Ich war ein so verschlossenes Kind, daß ich mich hinter dem Rock meiner Mutter verbarg, wenn Verwandte oder Bekannte zu uns kamen. War Besuch im Haus, zog ich mich stets möglichst schnell ins Schlafzimmer zurück. In Gegenwart von Autoritätspersonen — besonders von Lehrern — brachte ich keinen Ton heraus.
Was half mir, mich zu ändern? Wie konnte jemand wie ich, der als Kind so schüchtern war, in den letzten Jahren auf großen Kongressen zu Tausenden von Menschen sprechen?
Die Eltern „biegen den jungen Zweig“
Meinen Eltern — hauptsächlich meinem Vater, einem hageren, energischen Schotten — fiel es schwer, mich als Kind zu verstehen. Mein Vater war seit seinem 14. Lebensjahr Waise und gleichsam ein ungeschliffener Diamant. Er hatte schon früh in seinem Leben gelernt, selbst für sich zu sorgen. Meine Mutter, die Tochter eines Farmers, war dagegen die Güte in Person. Von klein auf wurde ich liebevoll und streng, aber nicht überfürsorglich erzogen.
Im Jahre 1945, als ich sechs Jahre alt war, hielt ich meine erste Ansprache in der Theokratischen Predigtdienstschule. Ich trug sie im Schein einer Petroleumlaterne in einer kleinen australischen Versammlung vor, die nur aus drei Familien bestand. Rechtzeitig im voraus half mir mein Vater bei der Vorbereitung, und er erläuterte mir den Nutzen der freien Rede. Er betonte auch, daß man nie Angst davor haben sollte, was andere Leute sagen oder denken. Seine Worte waren: „Wir Menschen sind alle nur ein Haufen Staub. Einige Haufen sind etwas größer als andere, aber das ist auch alles.“ Trotzdem schlotterten mir die Knie, und die Hände schwitzten. Nach der Hälfte der Ansprache brachte ich kein Wort mehr heraus; ich konnte sie nicht beenden.
Ich muß etwa 10 Jahre alt gewesen sein, als unser Vater meinen jüngeren Bruder Robert und mich in die Stadt mitnahm, wo wir uns auf der Hauptstraße direkt vor das Kino stellten. Dort, vor den Augen unserer Mitschüler, hielten wir die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! hoch. Die Zeitschriften erschienen mir so schwer wie Blei, und manchmal ließ ich sie einfach hinter meinem Rücken verschwinden. Am liebsten hätte ich mich in ein Mauseloch verkrochen.
Das mutige Beispiel meines Vaters war jedoch ein großer Ansporn für mich. Er sagte stets, daß jemand, der zurückweicht, Satan und der Menschenfurcht nachgeben würde. Eine weitere Prüfung hatte ich in der Schule zu bestehen. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war in Australien der Nationalismus immer noch sehr ausgeprägt. Meine Schwester Ellerie und ich blieben sitzen, wenn in der Schule die Nationalhymne gespielt wurde. Für mich war es eine echte Prüfung, aufzufallen, weil man anders war, aber auch in diesem Fall half mir die ständige Unterstützung und Ermunterung meiner Eltern, keine Kompromisse zu machen.
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Mit meinen Schwächen fertig werdenDer Wachtturm 1990 | 1. Mai
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Von jener Zeit an las ich mit mehr als der gewöhnlichen Aufmerksamkeit alle Artikel in den Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet!, die Persönlichkeitsmerkmale behandelten, und legte sie in einem besonderen Ordner ab. Auch notierte ich mir sorgfältig Empfehlungen aus dem Königreichsdienst, wie man sich mit anderen unterhält.
Als erstes setzte ich mir das Ziel, mich bei jeder christlichen Zusammenkunft so lange wie möglich mit einer Person zu unterhalten. Anfangs dauerte jedes dieser Gespräche höchstens eine Minute. Deshalb kam ich oft völlig niedergeschlagen nach Hause. Doch durch beharrliches Bemühen verbesserte sich allmählich meine Fähigkeit, mit anderen zu sprechen.
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