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Wenn in der Familie plötzlich jemand chronisch krank wirdErwachet! 2000 | 22. Mai
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Wenn in der Familie plötzlich jemand chronisch krank wird
DIE Fröhlichkeit der Familie Du Toit wirkt ansteckend. Man hat seine wahre Freude daran, die herzliche Zuneigung der einzelnen zueinander zu beobachten. Wer sie kennenlernt, würde nie vermuten, daß sie schon so viel durchgemacht haben.
Alles fing damit an, daß bei Braams und Anns erstem Kind, Michelle, im Alter von zwei Jahren eine chronische Erbkrankheit festgestellt wurde, die eine kräftezehrende Muskelschwäche verursacht.
„Urplötzlich sieht man sich gezwungen, zu lernen, wie man mit einer lähmenden chronischen Krankheit umgeht“, erklärt Ann. „Es dämmert einem, daß das Familienleben nie mehr so sein wird wie vorher.“
Nachdem eine weitere Tochter und ein Sohn zur Welt gekommen waren, wurde diese Familie dann auch noch ein zweites Mal vom Unglück heimgesucht. Eines Tages — die drei Kinder hatten im Freien gespielt — kamen die beiden Mädchen ins Haus gerannt und riefen: „Mama, Mama! Komm schnell! Mit Neil stimmt irgendwas nicht!“
Ann eilte nach draußen und fand den dreijährigen Neil mit hilflos zur Seite hängendem Kopf. Er konnte seinen Kopf nicht mehr aufrecht halten.
„Das war ein furchtbarer Schock“, erzählt Ann, „und mir war sofort klar, was das bedeutete. Mir brach es fast das Herz, daß dieser gesunde kleine Junge von jetzt an mit der gleichen kräftezehrenden Muskelschwäche würde leben müssen wie seine ältere Schwester.“
Braam, der Vater, sagt: „Die anfängliche Freude, eine gesunde Familie zu haben, wurde bald überschattet von einigen der größten Herausforderungen, denen wir uns in unserem Leben je gegenübersahen.“
Michelle starb schließlich an Komplikationen, hervorgerufen durch ihre Krankheit, obgleich sie die beste verfügbare Krankenhausbehandlung erhalten hatte. Sie wurde nur 14 Jahre alt. Neil kämpft noch heute mit den Auswirkungen seiner Krankheit.
Unwillkürlich fragt man sich: Wie schaffen es Familien wie die Du Toits, die schwierigen Aufgaben zu bewältigen, die es mit sich bringt, wenn jemand in der Familie chronisch krank ist? Um diese Frage zu beantworten, werden nun einige Auswirkungen näher untersucht, von denen eine Familie betroffen ist.
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Chronische Krankheit — Ein Fall für die ganze FamilieErwachet! 2000 | 22. Mai
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Chronische Krankheit — Ein Fall für die ganze Familie
WAS ist unter einer chronischen Krankheit eigentlich zu verstehen? Einfach ausgedrückt, ist es eine lang andauernde Erkrankung. Eine Professorin definierte eine chronische Krankheit auch als „Veränderung im Gesundheitszustand, die sich nicht durch eine einfache Operation oder eine kurzfristige medizinische Behandlung beheben läßt“. Was chronische Krankheiten beziehungsweise ihre Folgen so schwierig macht, ist nicht einfach das Wesen der Krankheit an sich und ihre Behandlung, sondern der Umstand, daß sie so lange ertragen werden muß.
Außerdem sind die Folgen einer chronischen Krankheit in den seltensten Fällen nur auf den Patienten beschränkt. „Die meisten Menschen gehören zu einer Familie“, heißt es in dem Buch Motor Neurone Disease—A Family Affair, „und der Schock und die Sorge, die Sie [als Patient] verspüren, werden auch von denen empfunden, die Ihnen nahestehen.“ Eine Frau, deren Tochter an Krebs erkrankt war, bestätigt dies. Sie sagt: „Es betrifft alle Familienmitglieder, ob sie es zeigen und sich dessen bewußt sind oder nicht.“
Natürlich betrifft es nicht jeden auf die gleiche Weise. Aber wenn die Angehörigen verstehen, wie sich eine chronische Krankheit im allgemeinen auswirkt, werden sie wahrscheinlich besser mit den besonderen Herausforderungen ihrer eigenen Situation fertig werden können. Verstehen darüber hinaus auch Menschen außerhalb des Familienkreises — Arbeitskollegen, Schulkameraden, Nachbarn, Freunde —, was eine chronische Krankheit anrichtet, werden sie eher in der Lage sein, sinnvolle und mitfühlende Unterstützung zu leisten. Mit diesem Gedanken im Sinn gilt es nun zu untersuchen, auf welche unterschiedliche Weise sich eine chronische Krankheit auf eine Familie auswirken kann.
Reise durch ein fremdes Land
Die Erfahrungen mit einer chronischen Krankheit, die eine Familie macht, lassen sich ein wenig mit einer Reise durch ein fremdes Land vergleichen. Manches kommt ihr wahrscheinlich ähnlich vor wie in der Heimat, anderes hingegen ist fremd oder sogar völlig anders. Wenn jemand in der Familie chronisch krank ist, wird in der Lebensweise der Familie vieles im wesentlichen unverändert bleiben. Manches allerdings wird grundlegend anders werden.
Zunächst einmal bringt die Krankheit selbst womöglich den normalen Tagesablauf der Familie durcheinander und zwingt jedes Familienmitglied, sich umzustellen, um damit zurechtzukommen. Die 14jährige Helen, deren Mutter an schweren chronischen Depressionen leidet, bestätigt das. Sie sagt: „Wir richten unseren Zeitplan danach aus, was Mutter an einem Tag jeweils tun kann oder nicht tun kann.“
Sogar eine Heilbehandlung, die ja Erleichterung von der Krankheit bringen soll, kann die neue Routine der Familie durcheinanderbringen. So erging es Braam und Ann, von denen im vorigen Artikel die Rede war. „Wir mußten wegen der Behandlung unserer Kinder unseren Tagesablauf stark umstellen“, sagt Braam. Ann erklärt: „Wir fuhren nicht nur jeden Tag ins Krankenhaus und wieder nach Hause, sondern der Arzt empfahl uns auch, den Kindern sechs kleine Mahlzeiten am Tag zu geben, um die Ernährungsdefizite auszugleichen, die die Krankheit verursachte. Für mich bedeutete das eine völlig neue Art zu kochen.“ Noch schwieriger gestaltete es sich, die Kinder dazu zu bewegen, die verordneten Übungen zur Stärkung der Muskeln zu machen. „Es war jeden Tag ein Kampf, sich durchzusetzen.“
Während sich der Patient mit den Unannehmlichkeiten — und manchmal Schmerzen — abfinden muß, die die medizinische Behandlung und die Untersuchungen durch das medizinische Personal mit sich bringen, ist er immer stärker darauf angewiesen, von seiner Familie in praktischer und emotioneller Hinsicht unterstützt zu werden. Folglich müssen sich die Familienmitglieder nicht nur neue Fertigkeiten aneignen, um den Patienten pflegen zu können, sondern sie sehen sich auch alle gezwungen, Änderungen in ihrer Einstellung, ihren Gefühlen, ihrer Lebensweise und ihrem Tagesablauf vorzunehmen.
Verständlicherweise wird durch all diese Anforderungen die Geduld der Familie zunehmend strapaziert. Eine Frau, deren Tochter im Krankenhaus wegen Krebs behandelt wurde, bestätigt, daß dies „ermüdender sein kann, als sich irgend jemand anders überhaupt vorstellen könnte“.
Anhaltende Ungewißheit
„Durch das ständige Auf und Ab bei einer chronischen Krankheit stellt sich ein bedrohendes Gefühl der Ungewißheit ein“, heißt es in dem Buch Coping With Chronic Illness—Overcoming Powerlessness (Mit chronischer Krankheit fertig werden — Die Hilflosigkeit überwinden). Womöglich haben sich die Familienmitglieder gerade erst auf eine bestimmte Situation eingestellt, und schon sehen sie sich mit anderen, möglicherweise noch schwierigeren Umständen konfrontiert. Krankheitssymptome können wechseln oder sich ohne Vorankündigung verschlimmern, und die Therapie bringt unter Umständen nicht die erhoffte Besserung. Die Behandlung muß vielleicht von Zeit zu Zeit verändert werden oder führt zu unvorhergesehenen Komplikationen. Je stärker der Patient auf die Hilfe angewiesen ist, die zu leisten sich die verstörte Familie nach Kräften anstrengt, desto größer ist die Gefahr, daß sich Gefühle, die man bislang im Griff hatte, irgendwann plötzlich heftig entladen.
Da vielfach der Krankheitsverlauf und die Reaktion auf die Behandlung nicht vorhersehbar sind, fragt man sich unwillkürlich: Wie lange wird das dauern? Wieviel schlimmer wird die Krankheit noch werden? Wieviel werden wir noch ertragen können? Bei unheilbar kranken Patienten steht häufig die am schwersten zu ertragende Ungewißheit im Raum: „Wie lange wird es dauern, bis der Tod eintritt?“
Die Krankheit selbst, die Behandlungsmaßnahmen, die Erschöpfung und die Ungewißheit führen zusammen zu einer weiteren unerwarteten Folgeerscheinung.
Auswirkungen auf die Sozialkontakte
„Ich hatte damit zu kämpfen, mir total isoliert vorzukommen und mich als Gefangene zu fühlen“, erklärt Kathleen, deren Mann an chronischen Depressionen litt. Weiter sagt sie: „Die Lage war aussichtslos, da wir nie jemand zu uns einladen oder eine Einladung zu einer Geselligkeit annehmen konnten. Irgendwann hatten wir so gut wie keine sozialen Kontakte mehr.“ Wie Kathleen müssen viele am Ende auch noch mit Schuldgefühlen fertig werden, weil sie nicht gastfreundlich sein und auch keine Einladungen annehmen können. Wie kommt es dazu?
Die Krankheit selbst oder die Nebenwirkungen der Behandlung können es schwierig bis unmöglich machen, an Geselligkeiten teilzunehmen. Der Familie und dem Patienten kommt es womöglich so vor, als sei die Krankheit mit einem sozialen Stigma behaftet, oder sie befürchten, sie könne peinliche Situationen hervorrufen. Depressionen lassen den Patienten denken, er sei früherer Freundschaften nicht mehr würdig, oder es kann sein, daß die Familie einfach nicht mehr die Kraft hat, sich unter Leute zu begeben. Aus einer Reihe von Gründen kann eine chronische Krankheit leicht dazu führen, daß sich die ganze Familie verloren und einsam vorkommt.
Außerdem weiß nicht jeder, was er sagen soll beziehungsweise wie er reagieren soll, wenn er es mit jemand zu tun hat, der auf Grund eines Leidens gehandicapt ist. (Siehe den Kasten „Wie man ihnen eine Hilfe sein kann“ auf Seite 11.) „Wenn dein Kind anders ist als die anderen, starren die Leute es leicht an und lassen gedankenlose Bemerkungen fallen“, sagt Ann. „Im übrigen denkt man sowieso sehr schnell, daß man irgendwie schuld an der Krankheit ist, und diese Bemerkungen vergrößern nur noch die eigenen Schuldgefühle.“ Damit berührt Ann etwas weiteres, was höchstwahrscheinlich auf solche Familien zukommt.
Gefühlsmäßiges Chaos
„Die meisten Familien reagieren, wenn die Diagnose gestellt ist, mit Schock, Unglauben und Nicht-wahrhaben-Wollen“, erklärt eine Forscherin. „Es ist für sie einfach unerträglich.“ Ja, von der lebensgefährlichen oder kräftezehrenden Erkrankung eines lieben Angehörigen zu erfahren kann eine niederschmetternde Erfahrung sein. Man hat vielleicht das Gefühl, alle Hoffnungen und Träume, die die Familie hatte, seien zunichte gemacht und zurück bleibe nur eine ungewisse Zukunft sowie schwerer Verlust und großer Kummer.
Es stimmt, daß für viele Familien, die bei einem Familienmitglied anhaltende, beängstigende Symptome beobachtet haben, deren Grund sie nicht kennen, eine Diagnose auch eine gewisse Erleichterung bringen kann. Aber manche Familien reagieren womöglich auch ganz anders, wenn sie von der Diagnose erfahren. Eine Frau in Südafrika, die Mutter ist, räumt ein: „Der Schmerz war derart überwältigend, als uns am Ende gesagt wurde, was unseren Kindern fehle, daß ich, offen gesagt, lieber keine Diagnose gehabt hätte.“
In dem Buch A Special Child in the Family—Living With Your Sick or Disabled Child (Ein Sorgenkind in der Familie — Das Leben mit einem kranken oder behinderten Kind) wird erklärt: „Es ist natürlich, wenn Sie einen Aufruhr der Gefühle erleben ..., während Sie sich auf die veränderte Realität einstellen. Manchmal können Ihre Gefühle derart heftig sein, daß Sie befürchten, ihnen nicht mehr gewachsen zu sein.“ Die Autorin des Buches, Diana Kimpton, deren zwei Söhne Mukoviszidose hatten, berichtet: „Meine Gefühle machten mir angst, und ich benötigte die Gewißheit, daß es in Ordnung war, sich so schrecklich zu fühlen.“
Ängste sind für die Familie durchaus nicht ungewöhnlich: Da ist die Angst vor dem Unbekannten, die Angst vor der Krankheit selbst, die Angst vor der Behandlung, die Angst vor Schmerzen und auch die Angst vor dem Tod. Gerade Kinder haben unter Umständen viele unausgesprochene Ängste, besonders wenn ihnen niemand logisch erklärt, was vor sich geht.
Auch stellen sich oft Gefühle des Zorns ein. „Familienmitglieder müssen nicht selten als Blitzableiter für den Patienten und seine Wut herhalten“ war in der südafrikanischen Zeitung TLC zu lesen. Die Familienmitglieder wiederum sind vielleicht ebenfalls wütend — auf die Ärzte, weil sie die Krankheit nicht eher erkannt haben, auf sich selbst, weil sie einen genetischen Defekt weitergegeben haben, auf den Patienten, weil er nicht besser auf sich und seine Gesundheit geachtet hat, auf Satan, den Teufel, weil er das Leid verursacht hat, oder sogar auf Gott, weil sie ihn für die Krankheit verantwortlich machen. Schuldgefühle sind eine weitere häufig auftretende Reaktion auf eine chronische Krankheit. „Die Eltern und Geschwister eines krebskranken Kindes fühlen sich fast immer irgendwie schuldig“, heißt es in dem Buch Children With Cancer—A Comprehensive Reference Guide for Parents (Krebskranke Kinder — Ein umfassender Ratgeber für Eltern).
Dieses Chaos der Gefühle, in das man gestürzt wird, führt oft zu Depressionen, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Eine Forscherin schreibt: „Dabei handelt es sich wohl um die häufigste Reaktion von allen. Ich habe eine ganze Akte voller Briefe, die das bestätigen.“
Man kann die Lage als Familie meistern!
Positiv ist, daß viele Familien es nicht annähernd so schwierig finden, mit der Situation zurechtzukommen, wie es zuerst ausgesehen hat. „Die Bilder, die Ihnen Ihre Phantasie liefert, sind weitaus schlimmer, als die Wirklichkeit sein wird“, versichert Diana Kimpton. Ihre persönliche Erfahrung ist, daß „die Zukunft selten so düster ist, wie man sich das ganz am Anfang vorgestellt hatte“. Schon andere haben die Reise durch das fremde Land der chronischen Krankheit überstanden — also wird es auch die eigene Familie schaffen können. Allein zu wissen, daß andere die Lage gemeistert haben, ist für viele bereits eine gewisse Erleichterung und macht ihnen Hoffnung.
Die logische Frage, die sich einem als Familie allerdings stellt, lautet: Wie kann man es schaffen? Der nächste Artikel beschäftigt sich mit Wegen, wie manche Familien mit einer chronischen Krankheit zurechtgekommen sind.
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
Familienmitglieder müssen den Kranken betreuen und ihre eigene Einstellung, ihre Gefühle und ihre Lebensweise der Situation anpassen
[Herausgestellter Text auf Seite 6]
Sowohl bei dem Kranken als auch bei den Angehörigen werden starke Emotionen freigesetzt
[Herausgestellter Text auf Seite 7]
Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Andere Familien haben die Lage gemeistert. Warum also nicht auch die eigene Familie?
[Kasten auf Seite 7]
Durch eine chronische Krankheit wird man vor die Herausforderung gestellt ...
• sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen und herauszufinden, wie man damit umgeht
• sich auf eine veränderte Lebensweise und Routine einzustellen
• damit fertig zu werden, daß sich die Sozialkontakte verändert haben
• eine gewisse Normalität zu wahren und Dinge im Griff zu behalten
• die Trauer über Verluste, die die Krankheit mit sich bringt, zu bewältigen
• mit Gefühlsaufwallungen zurechtzukommen
• sich eine positive Einstellung zu erhalten
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Wie man als Familie mit einer chronischen Krankheit zurechtkommtErwachet! 2000 | 22. Mai
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Wie man als Familie mit einer chronischen Krankheit zurechtkommt
MIT etwas zurechtzukommen kann definiert werden als „die Fähigkeit, sich mit den Belastungen, denen man ausgesetzt ist, effektiv auseinanderzusetzen und zu wissen, wie man damit umgeht“ (Taber’s Cyclopedic Medical Dictionary). Dazu gehört es auch, die Probleme einer chronischen Krankheit auf eine Art und Weise anzugehen, daß man seine Gefühle noch einigermaßen im Griff hat und die innere Ruhe bewahrt. Und da ja eine chronische Krankheit ein Fall für die ganze Familie ist, ist die liebevolle und loyale Unterstützung jedes einzelnen Familienmitglieds gefragt, damit die Familie die Lage meistern kann. Einige der Möglichkeiten, als Familie mit chronischer Krankheit zurechtzukommen, werden nun näher beleuchtet.
Der Wert guter Kenntnisse
Es besteht womöglich keine Aussicht auf Heilung, wenn man aber weiß, wie mit der Krankheit umzugehen ist, kann der mentale und emotionale Druck, der durch sie entsteht, auf ein Mindestmaß reduziert werden. Das ist in Übereinstimmung mit dem alten Sprichwort: „Ein Mann von Erkenntnis verstärkt Kraft“ (Sprüche 24:5). Wie kann sich die Familie gute Kenntnisse darüber aneignen, wie mit der Krankheit umzugehen ist?
Der erste Schritt besteht darin, sich einen gesprächs- und hilfsbereiten Arzt zu suchen, der sich auch die Zeit nimmt, dem Patienten und seinen Angehörigen alles genau zu erklären. „Der ideale Arzt verfügt zum einen über alle erforderlichen medizinischen Fähigkeiten, interessiert sich zum anderen aber auch für die gesamte Familie“, heißt es in dem Buch A Special Child in the Family.
Der nächste Schritt besteht darin, gezielt Fragen zu stellen, bis man die Sachlage so gut versteht, wie es einem eben möglich ist. Bei dem Gespräch mit dem Arzt kann es allerdings leicht passieren, daß man aus lauter Nervosität vergißt, was man eigentlich fragen wollte. Sich die Fragen im voraus zu notieren kann dem vorbauen. Man möchte insbesondere darüber Bescheid wissen, was durch die Krankheit und durch die Behandlung auf einen zukommt und wie dementsprechend vorzugehen ist. (Siehe den Kasten „Fragen, die eine Familie dem Arzt stellen kann“.)
Ganz besonders wichtig ist es, die Geschwister eines chronisch kranken Kindes ausreichend zu informieren. Eine Mutter empfiehlt: „Man sollte ihnen gleich von Anfang an erklären, was nicht in Ordnung ist. Sonst kann es schnell passieren, daß sie sich aus dem Familienkreis ausgegrenzt fühlen, weil sie nicht verstehen, was los ist.“
Durch Nachforschungen in Bibliotheken, Buchhandlungen oder im Internet konnten manche Familien schon äußerst nützliche Informationen finden — es handelte sich dabei sehr oft um detaillierte Auskünfte zu ganz spezifischen Krankheiten.
Die Lebensqualität nicht zu kurz kommen lassen
Familienmitglieder möchten natürlich, daß die Lebensqualität des Patienten nicht zu kurz kommt. Neil Du Toit, der im einleitenden Artikel erwähnt wurde, ist ein gutes Beispiel dafür. Die kräftezehrenden Auswirkungen seiner Krankheit machen ihm noch immer zu schaffen. Dennoch verbringt er monatlich ungefähr 70 Stunden seiner Zeit mit etwas, was er am liebsten tut — mit Menschen in seiner Umgebung über seine biblisch fundierte Hoffnung sprechen. Er sagt: „Es bringt mir auch innere Zufriedenheit, in der Versammlung biblische Unterweisung zu vermitteln.“
Zur Lebensqualität gehört außerdem die Fähigkeit, Liebe zu geben und Liebe anzunehmen, sich auf angenehme Weise zu beschäftigen und optimistisch zu bleiben. Ein Patient möchte sein Leben immer noch gern in dem Rahmen genießen, den die Krankheit und die Behandlung zuläßt. Ein Vater, dessen Familie seit mehr als 25 Jahren mit Krankheit zurechtkommt, erklärt: „Wir sind gern draußen, aber wegen der Einschränkungen, die unserem Sohn geboten sind, können wir nicht wandern gehen. So packen wir die Sache eben anders an. Wir suchen Plätze im Freien auf, die keine großen Anstrengungen unsererseits erfordern.“
Ja, einem Kranken sind immer noch gewisse Fähigkeiten erhalten geblieben, so daß er bis zu einem gewissen Grad ein befriedigendes Leben führen kann. Je nachdem welcher Art die Krankheit ist, können sich viele doch immer noch an einem herrlichen Anblick und an schönen Klängen erfreuen. Je mehr sie das Gefühl haben, bestimmte Bereiche des Lebens nach wie vor im Griff zu haben, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie ihr Leben immer noch als lebenswert empfinden.
Mit Gefühlsaufwallungen umgehen
Zu lernen, wie man schädliche Emotionen unter Kontrolle hält, ist mit das A und O, will man die Lage meistern. Zu diesen Emotionen zählt der Zorn. In der Bibel wird eingeräumt, daß durchaus Grund vorhanden sein kann, aufgebracht zu sein. Allerdings werden wir auch dazu aufgefordert, ‘langsam zum Zorn’ zu sein (Sprüche 14:29). Warum ist das weise? Wie es in einem Ratgeber heißt, kann Zorn einen „zermürben und verbittern, oder man sagt etwas Verletzendes, was einem später leid tut“. Schon ein einziger Wutanfall kann Schaden anrichten, der sich nicht so schnell wiedergutmachen läßt.
Die Bibel empfiehlt: „Laßt die Sonne nicht über eurer gereizten Stimmung untergehen“ (Epheser 4:26). Es liegt auf der Hand, daß wir einen Sonnenuntergang nicht hinauszögern können. Aber wir können Schritte unternehmen, damit sich unsere ‘gereizte Stimmung’ schnell wieder legt und wir uns selbst sowie anderen keinen weiteren Schaden zufügen. Hat man sich erst einmal wieder beruhigt, wird man mit der Situation viel besser umgehen.
Es wird zweifellos Höhen und Tiefen geben wie in jeder Familie. Viele finden, daß sie besser zurechtkommen, wenn sie sich gegenseitig das Herz ausschütten oder sich jemand anders anvertrauen können, der mitfühlend und einfühlsam ist. Kathleen kann da wirklich mitreden. Erst betreute sie ihre krebskranke Mutter und dann ihren Mann, der chronische Depressionen und letzten Endes die Alzheimer-Krankheit hatte. Sie sagt: „Dadurch, daß ich verständnisvolle Freunde zum Reden hatte, wurde mir leichter ums Herz, und ich fand Zuspruch.“ Derselben Meinung ist Rosemary, die zwei Jahre lang ihre Mutter pflegte. Sie erzählt: „Mit einem objektiven Freund zu sprechen half mir, daß ich nicht aus der Bahn geworfen wurde.“
Man muß allerdings darauf gefaßt sein, daß man beim Erzählen die Tränen nicht zurückhalten kann. „Weinen baut die Spannung und den Schmerz ab und hilft Ihnen, Ihren Kummer zu bewältigen“ ist in dem Buch A Special Child in the Family zu lesen.a
Zuversichtlich bleiben
„Der Wille zum Leben unterwirft sich die Krankheit“, schrieb der weise König Salomo (Sprüche 18:14, Die Gute Nachricht). Neuere Forschungen haben ergeben, daß die Erwartungshaltung von Patienten — ob positiv oder negativ — oft einen Einfluß darauf hat, wie eine Behandlung anschlägt. Wie schafft es denn eine Familie, trotz einer langwierigen Krankheit ihren Optimismus nicht zu verlieren?
Familien kommen besser zurecht, wenn sie sich auf Dinge konzentrieren, die ihnen noch möglich sind, was nicht heißt, daß sie die Krankheit einfach ignorieren. „Man kann durch die Umstände völlig negativ werden“, gibt ein Vater zu, „aber man muß sich klarmachen, daß einem immer noch sehr viel geblieben ist. Man lebt, man hat einander, und man hat seine Freunde.“
Auch wenn eine chronische Krankheit nicht auf die leichte Schulter genommen werden darf, hilft eine gesunde Portion Humor doch, einer pessimistischen Haltung vorzubauen. Die Bereitschaft der Du Toits, etwas von der humorvollen Seite zu sehen, zeigt das sehr schön. Neil Du Toits jüngste Schwester, Collette, erklärt: „Weil wir gelernt haben, mit bestimmten Situationen klarzukommen, können wir über Sachen lachen, die uns passieren, die andere vielleicht aus der Fassung bringen würden. Aber genau das hilft, die Spannung abzubauen.“ In der Bibel wird uns zugesichert: „Ein Herz, das freudig ist, tut Gutes als Heiler“ (Sprüche 17:22).
Geistige Werte von entscheidender Bedeutung
Für das geistige Wohlbefinden wahrer Christen ist es sehr wichtig, daß sie ‘in allem durch Gebet und Flehen zusammen mit Danksagung ihre Bitten bei Gott bekanntwerden lassen’. Dann tritt das ein, was in der Bibel verheißen wird: „Der Frieden Gottes, der alles Denken übertrifft, wird euer Herz und eure Denkkraft durch Christus Jesus behüten“ (Philipper 4:6, 7). Eine Mutter, die sich nahezu dreißig Jahre um zwei chronisch kranke Kinder gekümmert hat, äußert sich so: „Wir haben gelernt, daß Jehova einem wirklich hilft, die Lage zu meistern. Er läßt einen nicht untergehen.“
Außerdem gibt die biblische Verheißung von einem Paradies auf der Erde, in dem es keinen Schmerz und kein Leid geben wird, vielen Menschen gewaltigen Auftrieb (Offenbarung 21:3, 4). „Durch die chronische Krankheit, mit der unsere Familie konfrontiert ist“, sagt Braam, „hat die Verheißung Gottes, daß ‘der Lahme klettern wird wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen jubeln wird’, eine tiefere Bedeutung bekommen.“ Wie so viele andere erwarten die Du Toits sehnsüchtig die Zeit, in der im Paradies „kein Bewohner ... sagen [wird]: ,Ich bin krank‘ “ (Jesaja 33:24; 35:6).
Also gilt es, Mut zu fassen. Das schmerzvolle Leid, das die Menschen so niederdrückt, ist Teil des Beweises dafür, daß bessere Verhältnisse unmittelbar bevorstehen (Lukas 21:7, 10, 11). Und in der Zwischenzeit werden zig Patienten und Betreuende bescheinigen können, daß Jehova wirklich „der Vater inniger Erbarmungen und der Gott allen Trostes [ist], der uns tröstet in all unserer Drangsal“ (2. Korinther 1:3, 4).
[Fußnote]
a In der Artikelserie „Liebevolle Pflege — Eine große Aufgabe“ (Erwachet!, 8. Februar 1997, Seite 3—13) wird ausführlicher darauf eingegangen, wie man den emotionalen Auswirkungen einer Krankheit gewachsen sein kann.
[Kasten/Bild auf Seite 8]
Fragen, die eine Familie dem Arzt stellen kann
• Wie verläuft die Krankheit? Welchen Ausgang nimmt sie?
• Welche Symptome treten auf? Wie kann man sie unter Kontrolle halten?
• Welche Behandlungsalternativen gibt es?
• Worin bestehen mögliche Nebenwirkungen, Risiken und Vorzüge der verschiedenen Therapien?
• Was kann man tun, um die Lage zu verbessern? Was sollte man besser seinlassen?
[Kasten/Bild auf Seite 11]
Wie man ihnen eine Hilfe sein kann
Manche unterlassen es vielleicht, einen Besuch zu machen oder Hilfe anzubieten, weil sie nicht wissen, was sie sagen oder wie sie mit der Situation umgehen sollen. Andere wirken womöglich leicht anmaßend, und dadurch, daß sie der Familie das aufdrängen, was sie als hilfreich ansehen, belasten sie sie unter Umständen nur noch mehr. Wie kann man denn Familien, die einen chronisch Kranken zu betreuen haben, eine Hilfe sein, ohne in ihre Privatsphäre einzudringen?
Durch einfühlsames Zuhören: Gemäß Jakobus 1:19 sollte man „schnell sein zum Hören“. Man beweist Interesse, wenn man ein guter Zuhörer ist und den Angehörigen erlaubt, sich einem anzuvertrauen, falls sie das möchten. Dazu werden sie eher geneigt sein, wenn sie merken, daß man „Mitgefühl“ hat (1. Petrus 3:8). Man darf allerdings nicht vergessen, daß es keine zwei Personen oder Familien gibt, die genau gleich auf eine chronische Krankheit reagieren. „Gib keine Ratschläge, bevor du nicht wirklich völlig über die Krankheit oder über die Situation im Bilde bist“, empfiehlt daher Kathleen, die ihre Mutter und später ihren chronisch kranken Mann gepflegt hat (Sprüche 10:19). Und es gilt auch zu bedenken, daß, selbst wenn man gewisse Kenntnisse über das Thema hat, der Patient und die Familie sich dafür entscheiden mögen, den Rat nicht anzunehmen beziehungsweise ihn gar nicht erst einzuholen.
Indem man praktische Hilfe anbietet: Wenn die Familie wirklich Hilfe braucht, sollte sie stets auf einen zurückkommen können, wobei es gilt, einfühlsam auf ihr Bedürfnis einzugehen, ihre Privatsphäre zu wahren (1. Korinther 10:24). Braam, von dem in der Artikelserie mehrmals die Rede war, sagt: „Unsere Glaubensbrüder haben uns enorm geholfen. Als wir zum Beispiel im Krankenhaus übernachteten, weil Michelles Zustand sehr kritisch war, saßen stets zwischen vier und sechs unserer Freunde bei uns und haben mit uns die Nacht durchwacht. Immer wenn wir Hilfe benötigten, war sie auch zur Stelle.“ Braams Frau Ann fügt noch an: „Es war Winter und bitter kalt. Und zwei Wochen lang wurden wir mit heißer Suppe versorgt, jeden Tag eine andere. Was uns auf den Beinen hielt, das war die heiße Suppe und eine Extraportion Wärme und Liebe.“
Indem man mit ihnen betet: Manchmal kann man nur wenig oder gar keine praktische Hilfe leisten. Doch kaum etwas kann so viel Auftrieb geben wie ein erbauender biblischer Gedanke oder ein tiefempfundenes Gebet mit dem Patienten und seinen Angehörigen (Jakobus 5:16). Nicolas (18 Jahre), dessen Mutter unter chronischen Depressionen leidet, sagt: „Die Kraft des Gebets mit und für den chronisch Kranken und seine Familie sollte man nie unterschätzen.“
Ja, die richtige Art der Hilfestellung kann viel dazu beitragen, daß Familien mit den Belastungen einer chronischen Krankheit zurechtkommen. Die Bibel drückt das so aus: „Der Freund erweist zu jeder Zeit Liebe, als Bruder für die Not ist er geboren“ (Sprüche 17:17, Einheitsübersetzung).
[Kasten/Bild auf Seite 12]
Wenn die Krankheit unheilbar ist
Manchen Familien widerstrebt es womöglich, über den bevorstehenden Tod eines lieben Angehörigen, der unheilbar krank ist, zu sprechen. In dem Buch Caring—How to Cope wird allerdings gesagt, daß „es einem helfen kann, Panikgefühle abzuschwächen, wenn man eine gewisse Vorstellung davon hat, was auf einen zukommt und was zu tun ist“. Auch wenn bestimmte Schritte unterschiedlich gehandhabt werden — je nachdem, welche Gesetze gelten und was dort, wo man lebt, üblich ist —, folgen nun Anregungen, die man als Familie besprechen kann, wenn man einen unheilbar kranken Angehörigen zu Hause pflegt.
Was im voraus zu tun ist
1. Den Arzt fragen, womit in den letzten Tagen und Stunden zu rechnen ist und was getan werden muß, falls der Tod nachts eintritt.
2. Eine Liste schreiben, wer alles vom Tod benachrichtigt werden soll.
3. Die verschiedenen Beerdigungsmöglichkeiten überdenken.
• Welche Wünsche hat der Kranke?
• Erdbestattung oder Einäscherung? Ein Vergleich der Kosten und Dienstleistungen verschiedener Bestattungsunternehmen ist angebracht.
• Wann soll die Beerdigung sein? (So ansetzen, daß Reisevorbereitungen getroffen werden können.)
• Wer wird die Beerdigungs- oder Gedenkansprache halten?
• Wo soll sie gehalten werden?
4. Selbst wenn der Patient durch Medikamente ruhiggestellt ist, bekommt er unter Umständen mit, was um ihn herum geschieht oder gesagt wird. Es ist sorgfältig darauf zu achten, daß nichts in seiner Gegenwart geäußert wird, was er nicht auch wirklich hören soll. Es ist gut, ihm mit beruhigenden Worten gut zuzureden und ihm die Hand zu halten.
Im Todesfall
Außenstehende können einiges tun, um der Familie beizustehen.
1. Den Angehörigen sollte genügend Zeit gelassen werden, mit dem Verstorbenen allein zu sein, damit sie beginnen können, sich mit seinem Tod abzufinden.
2. Ein gemeinsames Gebet mit der Familie ist angebracht.
3. Wenn die Familie soweit ist, ist sie vielleicht froh, wenn man es übernimmt, andere zu benachrichtigen:
• den Arzt, damit er den Tod bestätigt und einen Totenschein ausstellt;
• ein Beerdigungsunternehmen, ein Leichenschauhaus oder ein Krematorium;
• Verwandte und Freunde (man könnte taktvoll etwas in dieser Richtung sagen: „Ich rufe an wegen ... [Name des Patienten]. Leider habe ich schlechte Nachrichten. Wie Sie wissen/du weißt, hat er schon seit einiger Zeit mit ... [Krankheit] gekämpft, und er ist ... [wann und wo] gestorben“);
• die Zeitung, um eine Todesannonce aufzugeben, falls dies gewünscht ist.
4. Die Familie möchte vielleicht jemand an ihrer Seite haben, wenn sie die letzten Vorbereitungen für die Beerdigung trifft.
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