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FinnlandJahrbuch der Zeugen Jehovas 1990
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Nachdem Kalle Salavaara sich wieder erholt hatte, nutzte er seine Freiheit und auch seinen Militärausweis, um die Versammlungen mit „fester Speise“ zu versorgen. Gerade als er sich mit Vervielfältigungen für die Versammlungen im Südwesten Finnlands auf den Weg machen wollte, warnte ihn Väinö Pallari, der im Bethel arbeitete, vor der Polizei in Matku. Dort war er schon einige Male auf dem Polizeirevier verhört worden. Offensichtlich schien die Polizei immer zu wissen, wann ein Kurier kommen würde. Kalle berichtet:
„Als ich mit dem Zug aus Urjala in Matku eintraf, kam sofort ein forscher Polizist auf mich zu und forderte mich barsch auf, mich auszuweisen. Ich hielt ihm meinen Militärausweis hin. Das überraschte ihn. Mit völlig veränderter Stimme fragte er daraufhin nach meiner Arbeitsbescheinigung. Vorsorglich hatte ich mich an der Universität Helsinki einschreiben lassen. So konnte ich dem Polizisten eine Arbeitsbescheinigung zeigen, die vom Rektor der Universität unterschrieben war, jedoch war nicht näher beschrieben, was für ein Arbeitsauftrag es war. Der Widerstand des Polizisten war gebrochen. Als ich dann die Koffer zum Bus tragen wollte, bot er mir sogar höflich seine Hilfe an. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn den großen, schweren Koffer mit den verbotenen Vervielfältigungen tragen zu lassen. Irgendwie schienen sie bei dem Polizisten in Sicherheit zu sein.“
Oftmals kamen die Brüder und Schwestern spät in der Nacht, um die verbotene Literatur abzuholen — mit dem Rodelschlitten, dem Pferdeschlitten, oder sie gingen gar zu Fuß zu den Bahnhöfen. Manchmal waren es 30 Grad unter Null. „Niemand beklagte sich“, erinnert sich Bruder Salavaara. „Ich sah immer nur glückliche, dankbare Empfänger, die mich an die verheißungsvollen Worte aus der Bergpredigt erinnerten: ‚Glücklich sind die, die sich ihrer geistigen Bedürfnisse bewußt sind.‘ Für die Brüder war es wie Manna, das vom Himmel kam.“
Neutralität auf die Probe gestellt
Der Kriegszustand hatte zur Folge, daß die Neutralität der Brüder aufs äußerste erprobt wurde. Was Kosti Huhtakivi, Vieno Linte und Yrjö Laine betrifft, so ließ auch ihr biblisch geschultes Gewissen nicht zu, daß sie Militärdienst leisteten. Somit kamen sie ins Gefängnis. Wäre aber ihr Glaube so stark, daß sie das Martyrium, das über sie kommen würde, ertragen könnten?
Bruder Huhtakivi erinnert sich: „Wir wurden aufgefordert, uns in der Humppila-Schule einzufinden, wo man uns einen Schlafplatz direkt unter einem Gewehrständer zuwies. Eines Tages kommandierte uns der Unteroffizier in den Hof zum Fahnenmast. Dort polierte er gerade sein Bajonett, prahlte, wie spitz es sei, und gab den Befehl: ‚Vorwärts!‘ Wir wurden durch den Seitenausgang der Schule geführt, die als Kaserne diente. Nachdem wir ein kurzes Stück bis zum Waldrand gegangen waren, wurde uns befohlen, auf einer Erhöhung stehenzubleiben. Dann sahen wir eine Gruppe Soldaten, die auf uns zumarschierte, das Gewehr in der Hand.“
Die bewaffneten Soldaten nahmen vor den Brüdern Aufstellung, riefen ihre Namen auf und setzten sie davon in Kenntnis, daß sie zum Tod durch Erschießen verurteilt seien. Das Urteil sollte sofort vollstreckt werden.
Bruder Linte kann die Tränen nicht zurückhalten, während er weiter von ihre Erlebnissen erzählt: „Als der Befehl gegeben wurde: ‚Haltung!‘, verband uns der Sanitäter die Augen. Dann kam das Kommando: ‚Laden!‘, und wir hörten die Gewehre klicken. Der nächste Befehl hieß: ‚Anlegen!‘ ‚Wie gut, die Auferstehungshoffnung zu haben‘, ging es mir durch den Kopf. Plötzlich hörten wir jemanden rufen: ‚Feldwebel! Telefonische Meldung.‘ Es folgte das Kommando: ‚Halt!‘, und die vom Oberst unterzeichnete Meldung wurde laut vorgelesen: ‚Vollstreckung ausgesetzt.‘ Man nahm uns die Augenbinden ab und brachte uns in unser Quartier zurück.“
Das Schauspiel war gut inszeniert. Die gleiche teuflische List wandte man auch bei anderen Brüdern an. Erkki Kankaanpää, der gegenwärtige Koordinator des Zweigkomitees, hat die gleiche Erfahrung gemacht. Er erklärt: „Man sagte uns, wir seien zum Tode verurteilt. Die Behandlung war derart unerbittlich, daß wir nicht an der Vollstreckung des Urteils zweifelten. Später fanden wir heraus, daß man uns lediglich einschüchtern wollte. Zuerst gab es eine Scheinverhandlung, und wenige Stunden später führte man uns erneut dem Richter vor, der uns dann zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilte.“
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FinnlandJahrbuch der Zeugen Jehovas 1990
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Im Sommer 1943 fand im Studentenklub mitten in Helsinki eine große Zusammenkunft statt, die als „Pentti Reikkos Familienfest“ getarnt war. Eingeladen wurde nur, wer von zwei vertrauenswürdigen Zeugen empfohlen worden war. Es kamen über 500 Personen.
Bruder Reikko erzählt, was zufolge des Briefes geschah, der während dieser Zusammenkunft verfaßt und an die Behörden geschickt worden war: „Einige Zeit danach wurde ich von der Staatspolizei vorgeladen. Der Vernehmungsbeamte hatte unseren Brief in der Hand und wollte wissen, wo solche Zusammenkünfte abgehalten wurden. ‚Wie haben Sie es nur geschafft, ohne unser Wissen ein solches Treffen mitten in Helsinki abzuhalten, da wir doch beinahe alles erfahren, was sich zwei Leute auf der Straße erzählen?‘ fragte er. Die Zusammenkunft hatte tatsächlich nur ein paar Häuserblocks von der Polizeistation entfernt stattgefunden!
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