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Der lange Kampf um die GesundheitErwachet! 2004 | 22. Mai
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Der lange Kampf um die Gesundheit
JOANNE lebte in New York. Sie litt an Tuberkulose (Tb), war jedoch kein typischer Tuberkulosepatient. Sie hatte sich mit einer Variante infiziert, die gegen fast alle Medikamente resistent ist und bei jedem Zweiten tödlich verläuft. Allerdings ließ Joanne sich nicht regelmäßig behandeln und hat in mindestens einem Fall andere mit Tb angesteckt. „Man sollte sie einsperren“, meinte ihre Ärztin frustriert.
Tuberkulose ist eine sehr alte Krankheit, die schon buchstäblich Millionen Opfer gefordert hat. Spuren der Krankheit wurden sowohl an Mumien aus dem alten Ägypten als auch aus Peru nachgewiesen. Heute treten erneut Tuberkulosevarianten auf, an denen jährlich etwa 2 Millionen Menschen sterben.
In einer Hütte in Afrika lag Carlitos in seinem Bettchen. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Malaria hatte ihn so sehr geschwächt, dass er nicht einmal weinen konnte. Seine verzweifelten Eltern hatten weder das Geld für Medikamente, noch gab es ein Krankenhaus in der Nähe, in dem ihr kleiner Junge behandelt werden konnte. Das Fieber ging nicht zurück und 48 Stunden später war Carlitos tot.
Jahr für Jahr sterben fast eine Million Kinder wie Carlitos an Malaria. In den Dörfern Ostafrikas wird ein Kind durchschnittlich 50- bis 80-mal im Monat von den Mücken gestochen, die Malaria übertragen. Diese Mücken dringen in Gebiete vor, die bisher von der Krankheit verschont waren; zusätzlich können Malariamedikamente immer weniger ausrichten. Jährlich erkranken schätzungsweise 300 Millionen Menschen akut an Malaria.
Der 30-jährige Kenneth wohnte in San Francisco (USA). 1980 ging er zum Arzt, weil er Durchfall hatte und sich abgeschlagen fühlte. Ein Jahr später war er tot. Auch fähige Ärzte hatten den Verfall seines Körpers nicht aufhalten können. Schließlich starb er an Lungenentzündung.
Rund 16 000 Kilometer von San Francisco entfernt, in Tansania, traten zwei Jahre später ähnliche Symptome bei einer jungen Frau auf. Schon nach wenigen Wochen war sie so schwach, dass sie nicht mehr gehen konnte; bald darauf starb sie. Die Menschen in ihrem Dorf nannten die seltsame Krankheit Juliana-Krankheit, weil ein Mann, der Stoff mit dem Aufdruck „Juliana“ verkauft hatte, offensichtlich diese junge Frau und andere Frauen in dem Gebiet infiziert hatte.
Kenneth und die junge Frau aus Tansania starben an der gleichen Krankheit — an Aids. Anfang der 1980er Jahre sah es zunächst so aus, als habe die medizinische Wissenschaft die gefährlichsten Krankheitserreger bezwungen, und dann trat das Schreckgespenst dieser neuen Infektionskrankheit auf. Innerhalb von zwei Jahrzehnten forderte Aids fast so viele Opfer wie eine Seuche, die Eurasien im 14. Jahrhundert heimgesucht und die Europa nie vergessen hat — die Pest.
Der schwarze Tod
Der Ausbruch der Großen Pest, die auch schwarzer Tod genannt wird, lässt sich auf das Jahr 1347 datieren, als ein Schiff von der Krim im sizilianischen Hafen Messina anlegte. Das Schiff hatte neben der regulären Ladung auch die Pest an Bord.a Bald verbreitete sich der schwarze Tod in ganz Italien.
Im Jahr darauf schilderte Agnolo di Tura aus Siena (Italien) die schauerlichen Vorgänge in seiner Heimatstadt: „In Siena begann das Sterben im Mai. Es war grausam und schauderhaft. Die Opfer starben quasi auf der Stelle. Sie starben zu Hunderten, Tag und Nacht. . . . Mit meinen eigenen Händen habe ich meine fünf Kinder bestattet und vielen anderen erging es ebenso. Niemand weinte, ganz gleich, was er verloren hatte, denn jeder rechnete damit, selbst zu sterben. Es starben so viele Menschen, dass alle dachten, das Ende der Welt sei gekommen.“
Innerhalb von 4 Jahren überrollte die Pest ganz Europa. Nach Ansicht mancher Historiker kam etwa ein Drittel der Bevölkerung ums Leben — möglicherweise 20 bis 30 Millionen Menschen. Sogar im fernen Island schlug die Pest zu. Wie es heißt, schrumpfte die Bevölkerung auch im Fernen Osten, in China, von 123 Millionen Anfang des 13. Jahrhunderts auf 65 Millionen im 14. Jahrhundert. Die Ursache war offenbar die Pest und die damit einhergehenden Hungersnöte.
Nie zuvor hatte eine Epidemie, ein Krieg oder eine Hungersnot so viel Leid verursacht. „Es war eine Katastrophe ohne Beispiel“, heißt es in dem Buch Die fliegenden Leichen von Kaffa. Eine Kulturgeschichte der Plagen und Seuchen. „Ein Viertel bis zu einer Hälfte der Gesamtbevölkerung Europas, Nordafrikas und großen Teilen Asiens kam in der Pest um“.
Der amerikanische Kontinent blieb vom Wüten der Pest verschont, weil er vom Rest der Welt weitgehend isoliert war. Doch Seefahrer, die sich auf das offene Meer hinauswagten, setzten der Isolierung bald ein Ende. Im 16. Jahrhundert wurde die Neue Welt von mehreren Epidemien heimgesucht, die noch tödlicher waren als die Große Pest.
Die Pocken erobern Amerika
Als Kolumbus 1492 die Westindischen Inseln erreichte, beschrieb er die Eingeborenen als „mittelgroß und gut aussehend, mit feinen Gesichtszügen und muskulös“. Ihr gesundes Aussehen ließ nicht ahnen, wie wehrlos sie gegen die Krankheiten der Alten Welt waren.
Im Jahr 1518 brachen auf der Insel Hispaniola die Pocken aus. Die Folgen waren verheerend, denn nie zuvor waren amerikanische Ureinwohner den Pocken ausgesetzt gewesen. Wie ein spanischer Augenzeuge schätzte, gab es auf der ganzen Insel nicht mehr als 1 000 Überlebende. Wenig später schlug die Epidemie mit ähnlich schlimmen Folgen auch in Mexiko und Peru zu.
Als im folgenden Jahrhundert europäische Siedler im Gebiet von Massachusetts in Nordamerika eintrafen, stellten sie fest, dass die Pocken das Land praktisch entvölkert hatten. „Die Eingeborenen, sie starben fast alle an den Pocken“, schrieb John Winthrop, ein Führer der Kolonisatoren.
Auf die Pocken sollten andere Epidemien folgen. Wie es in einer Quelle heißt, starben innerhalb eines Jahrhunderts nach Kolumbus’ Ankunft 90 Prozent der amerikanischen Urbevölkerung an eingeschleppten Krankheiten. In Mexiko wurde die Bevölkerung von 30 Millionen auf 3 Millionen dezimiert, in Peru von 8 Millionen auf 1 Million. Die amerikanischen Ureinwohner waren natürlich nicht die einzigen Opfer der Pocken. „Im Lauf der Menschheitsgeschichte haben die Pocken Hunderte von Millionen Menschenleben gefordert, weit mehr als die Große Pest und sämtliche Kriege des 20. Jahrhunderts zusammengenommen“, heißt es in dem Buch Scourge—The Once and Future Threat of Smallpox.
Noch kein endgültiger Sieg
Die katastrophalen Pest- und Pockenepidemien früherer Zeiten scheinen heute endgültig der Vergangenheit anzugehören. Vor allem in den Industrienationen hat die Medizin im Kampf gegen Infektionskrankheiten etliche Siege errungen. So entdeckten Ärzte nicht nur die Ursachen vieler Krankheiten, sondern auch Möglichkeiten, diese zu behandeln. (Siehe unten.) Neue Impfstoffe und Antibiotika schienen wahre Wundermittel zu sein, mit denen man selbst die hartnäckigsten Krankheiten ausrotten konnte.
Laut Dr. Richard Krause, ehemaliger Direktor des US-Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, sind uns Seuchen allerdings „so sicher wie der Tod und die Steuern“. Weder Tuberkulose noch Malaria sind besiegt. Dazu macht die gegenwärtige Aidspandemie auf grausige Weise deutlich, dass die Welt nach wie vor von Seuchen geplagt wird. „Infektionskrankheiten werden bis auf weiteres die Haupttodesursache bleiben“, heißt es in dem Buch Die fliegenden Leichen von Kaffa.
Trotz bemerkenswerter Fortschritte im Kampf gegen Krankheiten fürchten manche Ärzte, dass die Siege der letzten Jahrzehnte nicht von Dauer sein werden. Der Epidemiologe Robert Shope warnt: „Die Gefahren der Infektionskrankheiten sind nicht kleiner, sondern größer geworden.“ Der folgende Artikel geht der Frage nach, warum das so ist.
[Fußnote]
a Die Seuche trat in verschiedenen Formen auf, als Beulenpest und als Lungenpest. Die Beulenpest wurde durch Flöhe verbreitet, die sie vor allem von Ratten auf Menschen übertrugen. Die Lungenpest verbreitete sich in der Regel durch Tröpfcheninfektion von infizierten Personen.
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
In zwei Jahrzehnten forderte Aids fast so viele Opfer wie die Pest, die Eurasien im 14. Jahrhundert heimgesucht hat
[Kasten/Bilder auf Seite 6]
Wissen statt Aberglauben
Im 14. Jahrhundert bedrohte die Pest auch den päpstlichen Haushalt in Avignon. Der Arzt des Papstes erklärte ihm, die Hauptursache der Seuche sei die Konjunktion der drei Planeten Saturn, Jupiter und Mars im Sternbild Wassermann.
Etwa 4 Jahrhunderte später musste George Washington wegen einer Halsentzündung das Bett hüten. Drei berühmte Ärzte behandelten die Infektion, indem sie fast zwei Liter Blut aus seinen Venen laufen ließen. Wenige Stunden später war der Patient tot. Der Aderlass war 2 500 Jahre lang, von der Zeit des Hippokrates bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, eine medizinische Standardbehandlung.
Obwohl Aberglaube und Tradition den medizinischen Fortschritt behinderten, haben engagierte Ärzte angestrengt nach den Ursachen der Infektionskrankheiten gesucht und nach Möglichkeiten, sie zu behandeln. Einige der bedeutenden Durchbrüche werden nachfolgend beschrieben.
◼ Pocken. Im Jahr 1798 gelang es Edward Jenner, einen Impfstoff gegen Pocken zu entwickeln. Im 20. Jahrhundert wurden erfolgreich Impfungen gegen andere Krankheiten durchgeführt, unter anderem gegen Kinderlähmung, Gelbfieber, Masern und Röteln.
◼ Tuberkulose. Robert Koch entdeckte 1882 das Tuberkulosebakterium und fand eine Möglichkeit, die Krankheit zu diagnostizieren. Etwa 60 Jahre später wurde mit dem Streptomycin ein wirksames Antibiotikum zur Behandlung der Tuberkulose entwickelt. Das Medikament half auch gegen die Beulenpest.
◼ Malaria. Chinin, das aus der Rinde des Chinarindenbaums gewonnen wird, hat seit dem 17. Jahrhundert Millionen von Malariapatienten das Leben gerettet. Nachdem Ronald Ross 1897 die Anophelesmücke als den Überträger der Malaria identifiziert hatte, versuchte man die Sterblichkeitsrate in tropischen Ländern dadurch zu senken, dass man die Mücken bekämpfte.
[Bilder]
Karte der Tierkreiszeichen (oben) und Aderlass
[Bildnachweis]
Beides: Biblioteca Histórica “Marqués de Valdecilla”
[Bilder auf Seite 3]
Heute sterben jährlich etwa 2 Millionen Menschen an erneut aufgetretenen Tuberkuloseformen
[Bildnachweis]
Röntgenaufnahme: New Jersey Medical School—National Tuberculosis Center; Mann: Foto: WHO/Thierry Falise
[Bild auf Seite 4]
Eine deutsche Gravur (um 1500) zeigt einen Arzt, der sich mit einer Maske vor dem schwarzen Tod schützt. Der Schnabel enthielt Duftmittel.
[Bildnachweis]
Godo-Foto
[Bild auf Seite 4]
Das Bakterium, das die Pest verursachte
[Bildnachweis]
© Gary Gaugler/Visuals Unlimited
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Erfolge und Fehlschläge im Kampf gegen KrankheitenErwachet! 2004 | 22. Mai
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Erfolge und Fehlschläge im Kampf gegen Krankheiten
AM 5. August 1942 erkannte Dr. Alexander Fleming, dass einer seiner Patienten sterben würde. Der 52-jährige Freund Flemings litt an einer Rückenmarkhautentzündung und lag trotz aller Bemühungen des Arztes im Koma.
Fünfzehn Jahre zuvor war Fleming zufällig auf einen bemerkenswerten blaugrünen Schimmelpilz gestoßen. Diesen nannte er Penicillium. Wie Fleming feststellte, konnte dieser Pilz Bakterien abtöten. Allerdings war es Fleming nicht gelungen, reines Penizillin zu isolieren; er hatte die Substanz nur auf ihre antiseptische Wirkung getestet. Doch an der Universität Oxford arbeiteten Howard Florey und sein Team seit 1938 an der schwierigen Aufgabe, den Stoff in ausreichender Menge herzustellen, um ihn am Menschen erproben zu können. Fleming rief Florey an, der ihm anbot, alles verfügbare Penizillin zu schicken. Das war Flemings letzte Chance, seinen Freund noch zu retten.
Da eine intramuskuläre Injektion des Penizillins keine Wirkung zeigte, injizierte Fleming seinem Freund das Medikament direkt ins Rückenmark. Das Penizillin tötete die Mikroben und nach etwas mehr als einer Woche konnte Flemings Patient das Krankenhaus völlig gesund verlassen. Das Zeitalter der Antibiotika war angebrochen — ein weiterer Meilenstein im Kampf des Menschen gegen Krankheiten.
Das Zeitalter der Antibiotika
Anfangs galten Antibiotika als regelrechte Wundermittel. Mit ihrer Hilfe ließen sich Krankheiten behandeln, die durch Bakterien, Pilze oder andere Mikroorganismen verursacht wurden und bis dahin unheilbar waren. Dank der neuen Medikamente starben deutlich weniger Menschen an Hirnhautentzündung, Lungenentzündung und Scharlach. Krankenhausinfektionen, die zuvor den sicheren Tod bedeuteten, waren nach wenigen Tagen geheilt.
Seit den Tagen Flemings wurden Dutzende von Antibiotika entwickelt und die Suche nach neuen Mitteln geht weiter. In den letzten 60 Jahren sind Antibiotika im Kampf gegen Krankheiten zu einer unverzichtbaren Waffe geworden. Würde George Washington heute leben, dann würden die Ärzte seine Halsentzündung zweifellos mit einem Antibiotikum behandeln und er wäre nach etwa einer Woche wieder gesund. Mithilfe von Antibiotika ist fast jeder schon einmal eine Infektion losgeworden. Mittlerweile zeigen sich jedoch auch manche Nachteile.
Bei Viruserkrankungen wie Aids oder Grippe sind Antibiotika wirkungslos. Außerdem reagieren manche Menschen allergisch darauf. Breitbandantibiotika können die nützlichen Mikroorganismen in unserem Körper abtöten. Doch das vielleicht gravierendste Problem in Verbindung mit Antibiotika ist ihre Über- beziehungsweise Unterdosierung.
Zu einer Unterdosierung kann es kommen, wenn der Patient die verschriebene Antibiotikabehandlung vorzeitig beendet, weil er sich vielleicht schon besser fühlt oder ihm die Behandlung zu lange dauert. In diesem Fall tötet das Antibiotikum möglicherweise nicht alle schädlichen Bakterien ab, sodass die widerstandsfähigsten Varianten des Erregers überleben und sich vermehren. Das ist bei Tuberkulosebehandlungen häufig der Fall.
Sowohl Ärzte als auch Landwirte haben sich der Überdosierung von Antibiotika schuldig gemacht. „Antibiotika wurden [in den Vereinigten Staaten] viele Jahre lang im Überfluss verordnet, und in anderen Ländern werden sie noch unbedenklicher als Allheilmittel eingesetzt“, heißt es in dem Buch Die fliegenden Leichen von Kaffa. „In riesigen Mengen sind sie dem Viehfutter beigemengt worden — nicht um Krankheiten zu heilen, sondern um das Wachstum zu fördern. Dies ist eine Hauptursache dafür, dass viele Mikroben resistent gegen Antibiotika geworden sind.“ Die Folgen? „Irgendwann wird es keine neuen Antibiotika mehr geben“.
Abgesehen von den Bedenken hinsichtlich der Antibiotikaresistenzen war die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Ära medizinischer Triumphe. Zum einen schien die medizinische Forschung gegen praktisch jede Krankheit ein Medikament finden zu können. Und zum anderen versprachen Impfstoffe sogar Krankheiten zu verhindern.
Medizinische Erfolge
„Der größte Triumph in der Medizingeschichte ist die Immunisierung“, heißt es im Weltgesundheitsbericht 1999. Große weltweite Impfkampagnen haben schon Millionen Menschenleben gerettet. Durch ein weltweites Impfprogramm gelang es, die Pocken auszumerzen — die tödliche Krankheit, die mehr Todesopfer gefordert hat als alle Kriege des 20. Jahrhunderts zusammengenommen. Mit einer vergleichbaren Kampagne wurde auch die Kinderlähmung fast besiegt. (Siehe den Kasten „Siege im Kampf gegen Pocken und Kinderlähmung“.) Heute werden viele Kinder durch Impfungen vor verbreiteten lebensbedrohlichen Krankheiten geschützt.
Andere Krankheiten ließen sich mit weniger Aufwand unter Kontrolle bringen. Wo sanitäre Anlagen und sauberes Wasser vorhanden sind, spielen Krankheiten, die vor allem über das Trinkwasser übertragen werden, beispielsweise Cholera, kaum eine Rolle. In vielen Ländern stehen heute mehr Ärzte und Krankenhäuser zur Verfügung, sodass die meisten tödlichen Krankheiten rechtzeitig identifiziert und behandelt werden können. Bessere Ernährung und Lebensbedingungen sowie die gesetzliche Überwachung der Verwendung und Lagerung von Nahrungsmitteln haben ebenfalls zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit beigetragen.
Nachdem die Forscher den Ursachen der Infektionskrankheiten auf die Spur gekommen waren, konnten die Gesundheitsbehörden Maßnahmen ergreifen, um Epidemien einzuschränken. Ein Beispiel: Als 1907 in San Francisco die Beulenpest ausbrach, starben relativ wenige Menschen, weil die Stadt sofort systematisch die Ratten bekämpfte, da deren Flöhe die Krankheit übertrugen. Aber als 1896 die gleiche Krankheit in Indien ausgebrochen war, forderte sie in 12 Jahren 10 Millionen Todesopfer, weil ihre eigentliche Ursache damals noch unbekannt war.
Fehlschläge
Zweifellos sind wichtige Siege errungen worden. Doch von manchen Triumphen der Medizin profitieren nur die reicheren Nationen. Anderswo sterben immer noch Millionen von Menschen an behandelbaren Krankheiten, einfach weil die Mittel fehlen. In Entwicklungsländern haben viele Menschen immer noch keinen Zugang zu sanitären Anlagen, Gesundheitsversorgung und sauberem Trinkwasser. Die massenhafte Landflucht in die Megastädte der Entwicklungsländer macht es immer schwerer, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen. Laut der Weltgesundheitsorganisation sind es daher die Armen der Welt, die „unverhältnismäßig schwer an der Last der Krankheiten zu tragen haben“.
Der Hauptgrund für dieses Ungleichgewicht ist kurzsichtiger Egoismus. In dem Buch Die fliegenden Leichen von Kaffa heißt es, dass „die schlimmsten Infektionskrankheiten sich in sicherer Distanz von den reichen Industrienationen austoben. . . . Manche Krankheiten bleiben gänzlich oder hauptsächlich auf tropische oder subtropische Elendsregionen beschränkt.“ Für die Behandlung dieser Menschen stellen reiche Industrienationen und Pharmaunternehmen nur widerwillig Geldmittel zur Verfügung, da sie daraus wohl keinen direkten Nutzen ziehen.
Verantwortungsloses Verhalten trägt ebenfalls zur Ausbreitung von Krankheiten bei. Nichts macht diese bittere Wahrheit so deutlich wie das Aidsvirus, das durch Körperflüssigkeiten übertragen wird. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Aidspandemie auf der ganzen Welt ausgebreitet. (Siehe den Kasten „Aids — die Geißel unserer Zeit“.) „Wir Menschen haben uns das selbst angetan“, versichert der Epidemiologe Joe McCormick. „Das ist keineswegs moralistisch, sondern eine Tatsache.“
Wie haben die Menschen unwissentlich die Ausbreitung des Aidsvirus noch gefördert? Das Buch Die kommenden Plagen listet folgende Faktoren auf: Soziale Veränderungen — vor allem der häufige Wechsel der Geschlechtspartner — haben eine Welle von sexuell übertragbaren Krankheiten ausgelöst, die das Virus begünstigen und es ihm leicht machen, durch einen einzigen Überträger mehrere Personen anzustecken. Wenn Ärzte in Entwicklungsländern dieselbe Injektionsnadel für verschiedene Patienten benutzen oder in der Drogenszene mehrere Personen dieselben Injektionsnadeln verwenden, tritt ein ähnlicher Effekt auf. Dazu kommt das weltweite Milliardengeschäft mit Blutkonserven, das es dem Aidsvirus ermöglicht hat, von einem Spender zu verschiedenen Empfängern zu gelangen.
Wie bereits erwähnt hat die Über- beziehungsweise Unterdosierung von Antibiotika zum Auftreten resistenter Krankheitserreger beigetragen. Dabei handelt es sich um ein wirklich ernstes Problem, das immer gravierender wird. Beispielsweise ließen sich Staphylokokken, die oft Wundinfektionen verursachen, bisher zuverlässig durch Penizillinderivate abtöten. Mittlerweile bleiben diese traditionellen Antibiotika oft wirkungslos. Daher müssen die Ärzte zu neueren, teuren Antibiotika greifen, die sich Krankenhäuser in Entwicklungsländern kaum leisten können. Gegen manche Mikroben sind selbst die neuesten Antibiotika machtlos, weshalb es wieder vermehrt zu tödlichen Krankenhausinfektionen kommt. Dr. Richard Krause, ehemaliger Direktor des US-Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten, beschreibt die gegenwärtige Situation unverblümt als „eine Epidemie mikrobieller Resistenz“.
„Geht es uns heute besser?“
Auch heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, ist die Krankheitsgefahr eindeutig nicht gebannt. Die unaufhaltsame Ausbreitung von Aids, das Auftauchen medikamentenresistenter Krankheitserreger und die Rückkehr uralter Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria machen deutlich, dass der Krieg gegen Krankheiten noch nicht gewonnen ist.
„Geht es uns heute besser als vor einem Jahrhundert?“, fragte der Nobelpreisträger Joshua Lederberg. „In vieler Hinsicht geht es uns schlechter“, sagte er. „Wir haben die Mikroben vernachlässigt, und dieses Thema wird immer wiederkehren und uns verfolgen.“ Lassen sich die Rückschläge der letzten Zeit durch internationale, entschlossene Bemühungen der medizinischen Forschung überwinden? Werden die hauptsächlichen Infektionskrankheiten eines Tages endgültig besiegt sein, so wie es bei den Pocken der Fall ist? Mit diesen Fragen befasst sich unser letzter Artikel.
[Kasten/Bild auf Seite 8]
Siege im Kampf gegen Pocken und Kinderlähmung
Ende Oktober 1977 gelang es der Weltgesundheitsorganisation (WHO), den wahrscheinlich letzten Fall einer natürlich aufgetretenen Pockeninfektion aufzuspüren. Der Infizierte war ein somalischer Krankenhauskoch namens Ali Maow Maalin, bei dem die Krankheit nicht voll zum Ausbruch kam. Nach wenigen Wochen war er wieder auf den Beinen. Alle Personen, die mit ihm Kontakt hatten, wurden geimpft.
Für die Ärzte folgten zwei lange Jahre bangen Wartens. Es wurden sogar 1 000 Dollar Belohnung für die erfolgreiche Meldung einer „aktiven Pockeninfektion“ ausgesetzt. Doch sämtliche Meldungen erwiesen sich als falscher Alarm und niemand gelang es, die Belohnung zu bekommen. Am 8. Mai 1980 erklärte die WHO offiziell „die Welt und alle ihre Bewohner frei von Pocken“. Noch ein Jahrzehnt zuvor waren jährlich 2 Millionen Menschen an Pocken gestorben. Nun war es zum ersten Mal in der Geschichte gelungen, eine große Infektionskrankheit vollständig auszutilgen.a
Bei Kinderlähmung (Polio) machte man sich Hoffnungen auf einen vergleichbaren Erfolg. Nachdem Jonas Salk 1955 einen wirksamen Impfstoff gegen Polio hergestellt hatte, wurde in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern eine Impfkampagne gestartet. Später entwickelte man einen Schluckimpfstoff. 1988 rief die WHO ein weltweites Programm ins Leben mit dem Ziel, Polio auszumerzen.
„Als wir 1988 begannen, massiv gegen die Krankheit vorzugehen, verkrüppelte sie täglich mehr als 1 000 Kinder“, berichtete die damalige Generaldirektorin der WHO, Dr. Gro Harlem Brundtland. „2001 traten im ganzen Jahr weniger als 1 000 Fälle auf.“ Heute kommt Polio in weniger als 10 Ländern vor. Um die Krankheit endgültig zu besiegen, benötigen diese Länder jedoch weitere finanzielle Hilfe.
[Fußnote]
a Für eine internationale Impfkampagne waren die Pocken das ideale Ziel, denn im Unterschied zu anderen Krankheiten, die durch schwer kontrollierbare Vektoren wie Ratten und Insekten übertragen werden, kann das Pockenvirus nur überleben, wenn es einen menschlichen Wirt findet.
[Bild]
Ein äthiopischer Junge erhält eine Schluckimpfung gegen Kinderlähmung
[Bildnachweis]
© WHO/P. Virot
[Kasten/Bild auf Seite 10]
Aids — die Geißel unserer Zeit
Aids ist zu einer neuen weltweiten Gefahr geworden. In den 20 Jahren seit Entdeckung des Aidsvirus haben sich schon mehr als 60 Millionen Menschen damit infiziert. Dennoch befindet sich die Aidspandemie nach Ansicht von Gesundheitsexperten noch im Frühstadium. Die Infektionsraten „steigen schneller, als man früher für möglich gehalten hat“. Die Auswirkungen in den am schwersten betroffenen Gebieten sind verheerend.
„Die weitaus meisten aller, die an HIV/Aids erkranken, stehen mitten im Berufsleben“, so ein Bericht der Vereinten Nationen. Das heißt, dass mehrere Länder im südlichen Afrika bis zum Jahr 2005 zwischen 10 und 20 Prozent ihrer Arbeitskräfte verlieren werden. Der Bericht führt weiter aus: „Im subsaharischen Afrika beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung 47 Jahre. Ohne Aids würde sie 62 Jahre betragen.“
Die Suche nach einem Impfstoff ist bisher erfolglos geblieben. Nur etwa 4 Prozent der 6 Millionen Aidskranken in den Entwicklungsländern werden medikamentös behandelt. Bisher ist Aids nicht heilbar, und die Ärzte fürchten, dass die Krankheit bei den meisten Infizierten schließlich ausbrechen wird.
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Vom HI-Virus befallene T-Lymphozyten
[Bildnachweis]
Godo-Foto
[Bild auf Seite 7]
Im Labor wird ein gefährliches Virus untersucht
[Bildnachweis]
CDC/Anthony Sanchez
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Eine Welt ohne KrankheitenErwachet! 2004 | 22. Mai
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Eine Welt ohne Krankheiten
„Alle Nationen sollten im Geist der Partnerschaft und Hilfsbereitschaft zusammenarbeiten, um eine primäre Gesundheitsversorgung für alle Menschen zu gewährleisten, da das Erlangen von Gesundheit in irgendeinem Land auch alle anderen Länder direkt betrifft und ihnen zugute kommt“ (ERKLÄRUNG VON ALMA-ATA, 12. SEPTEMBER 1978).
VOR 25 Jahren hielten es nicht wenige für möglich, allen Menschen eine medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Die Delegierten der Internationalen Konferenz zur Primären Gesundheitsversorgung, die sich 1978 in Alma-Ata (Kasachstan) trafen, beschlossen, bis zum Jahr 2000 alle Menschen gegen die bedeutenden Infektionskrankheiten zu immunisieren. Außerdem sollte bis zu diesem Jahr jeder Erdbewohner Zugang zu sanitären Anlagen und sauberem Wasser haben. Die Erklärung wurde von allen Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterzeichnet.
So lobenswert dieses Ziel zweifellos war, so enttäuschend war die weitere Entwicklung. Primäre Gesundheitsversorgung ist heute alles andere als selbstverständlich. Die Gesundheit von Milliarden Menschen wird nach wie vor durch Infektionskrankheiten bedroht — Krankheiten, denen sowohl Kinder zum Opfer fallen als auch Erwachsene in der Blüte des Lebens.
Selbst die dreifache Bedrohung durch Aids, Tuberkulose und Malaria konnte die Nationen nicht dazu bewegen, „im Geist der Partnerschaft“ zusammenzuarbeiten. Der neu eingerichtete Globale Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria hat die Staaten für seine Arbeit um etwa 10 Milliarden Euro gebeten. Bis zum Sommer 2002 wurden jedoch nur knapp über 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, und das, obwohl die Militärausgaben im gleichen Jahr schätzungsweise 550 Milliarden Euro betrugen! Leider ist die heutige Welt so gespalten, dass sich die Regierungen durch kaum eine Bedrohung dazu bewegen lassen, zum Wohl aller zusammenzuarbeiten.
Trotz allerbester Absichten sind den Gesundheitsbehörden im Kampf gegen Infektionskrankheiten häufig die Hände gebunden. Oftmals stellen die Regierungen nicht genügend Geldmittel zur Verfügung. Die Mikroben sind gegen viele Medikamente resistent geworden und die Menschen halten an ihrem leichtsinnigen Lebensstil fest. In bestimmten Gebieten erleichtern Armut, Krieg und Hunger es den Krankheitserregern, mühelos Millionen von Menschen zu befallen.
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