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DeutschlandJahrbuch der Zeugen Jehovas 1999
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Ein Missionargebiet direkt vor der Haustür
Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland entstand Mitte der 50er Jahre ein Bedarf an Gastarbeitern. Sie strömten aus Griechenland, Italien, Jugoslawien, Portugal, Spanien und der Türkei ins Land. Bis 1972 war die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer auf gut 2,1 Millionen angewachsen.
Nach dem Zustrom von Gastarbeitern zwischen den 50er und 70er Jahren wurde Deutschland in den 80er Jahren von einer Flüchtlingswelle aus Afrika und Asien erfaßt. In den 90er Jahren kamen Flüchtlinge aus Osteuropa und vom Balkan hinzu. Wegen der damals liberalen Asylgesetze hatte Deutschland schließlich die höchste Zahl an im Ausland geborenen Einwohnern von ganz Europa.
Jehovas Zeugen sahen dies als ideales Missionargebiet direkt vor der Haustür an. Da „Gott nicht parteiisch ist“ und entwurzelte Menschen ganz gewiß den Trost brauchen, den nur Gottes Wort geben kann, empfanden es die Zeugen als dringliche Pflicht, unter diesen Menschen die gute Botschaft zu predigen (Apg. 10:34, 35; 2. Kor. 1:3, 4). Die 7 500 000 Ausländer in Deutschland in ihrer eigenen Sprache anzusprechen war allerdings kein Kinderspiel.
Um sie wirkungsvoller an die biblische Wahrheit heranzuführen, erlernten viele deutsche Zeugen eine neue Sprache. Was für ein hervorragender Beweis dafür, daß sie ihren Nächsten wirklich lieben, ganz so wie Jesus es seine Nachfolger lehrte! (Mat. 22:39). Die meisten dieser Zeugen hätten keine Missionare im Ausland sein können, doch ihnen war daran gelegen, die Möglichkeiten innerhalb ihres eigenen Landes voll auszuschöpfen. So gehörten im August 1998 über 23 600 Verkündiger der guten Botschaft 371 fremdsprachigen Versammlungen und 219 fremdsprachigen Gruppen an. Natürlich sind solche Versammlungen nicht dazu gedacht zu trennen, sondern sie sollen Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse die Wahrheit in ihrer Muttersprache näherbringen. Viele Verkündiger haben gemerkt, daß eine Fremdsprache zwar den Verstand ansprechen kann, daß aber oft die Muttersprache nötig ist, um das Herz zu erreichen.
Obwohl von manchen Bevölkerungsgruppen in Deutschland angefeindet und schlecht behandelt, werden Ausländer in Jehovas Volk mit echter christlicher Liebe aufgenommen. Zu den 24 Sprachen, in denen Jehovas Zeugen derzeit außer in Deutsch Zusammenkünfte abhalten, gehören Albanisch, Amharisch, Arabisch, Chinesisch, Farsi, Hindi, Japanisch, Rumänisch, Tamil, Tigrinja, Ungarisch und Vietnamesisch. Bei den Bezirkskongressen „Göttliche Belehrung“ 1993 besuchten rund 10 Prozent der 194 751 Anwesenden die fremdsprachigen Kongresse. Und die Zahl der Getauften machte fast 14 Prozent der Gesamttäuflinge aus.
Unter denen, die positiv auf die Königreichsbotschaft reagiert haben, befand sich eine Hindufamilie, die 1983 wegen des Krieges Sri Lanka verließ und hoffte, den 6jährigen Sohn in ärztliche Behandlung geben zu können. Leider starb der Junge. Doch die Familie lernte Jehova kennen, der die Toten auferwecken und ihnen die Gelegenheit geben wird, für immer zu leben (Apg. 24:15). Ein anderes Beispiel ist eine Nigerianerin, die als Jugendliche im Biafrakrieg gekämpft hatte. In Deutschland änderte sie ihr Leben, als sie erfuhr, wie Jehova die Menschen über ein friedliches Zusammenleben belehrt (Jes. 2:3, 4).
Unter den Italienern, die in Deutschland Zeugen Jehovas geworden sind, hört man nicht selten das Sprichwort: “Non tutti i mali vengono per nuocere” — „Nicht jedes Unglück schlägt zum Nachteil aus.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf! Viele Italiener, wie auch Menschen aus anderen Ländern, kamen nach Deutschland, um wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entfliehen, und haben etwas weit Wertvolleres als materielle Güter gefunden: die Wahrheit über Gott und seinen Vorsatz.
Die eifrige Tätigkeit der Zeugen unter diesen Bevölkerungsgruppen ist nicht unbemerkt geblieben. Die Versammlung Halberstadt erhielt folgenden Brief: „Wir haben hier im Ort die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber. Es sind ständig Menschen aus über 40 Staaten hier ... Diese Menschen kommen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen, mußten Familie, Heimat, Sprache und Tradition hinter sich lassen. Diese Leute haben oft traumatische Erlebnisse hinter sich und sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. ... So suchen viele Halt und Hoffnung im Glauben. Wir sind Ihnen sehr dankbar, daß Sie durch Ihre hochherzige Spende [Bibeln in verschiedenen Sprachen] ermöglicht haben, daß diese Menschen durch das Lesen der Bibel in ihrer Sprache Tröstung und Zuversicht erhalten.“
Die Tätigkeit unter der fremdsprachigen Bevölkerung — eine Auswahl
ENGLISCH: Asylanten aus Nigeria, Ghana, Sri Lanka, Indien und anderen Ländern profitieren von der Tätigkeit der englischen Versammlungen. Steven Kwakye aus Ghana ist einer von ihnen. Als in Deutschland ein junger Bangladescher Steven erzählte, daß er immer versucht, die Zeugen Jehovas abzuwimmeln, meinte Steven, er solle sie doch zu ihm schicken. In jungen Jahren hatte er sich mit einem Zeugen in Ghana unterhalten. Jetzt, wo seine Verwandten ihn nicht mehr unter Druck setzen konnten, wollte er mehr wissen. Heute ist er ein christlicher Ältester, und auch seine Familie dient Jehova.
TÜRKISCH: Rasims Frau und seine Söhne waren schon über 10 Jahre Zeugen Jehovas, er dagegen blieb beim islamischen Glauben. Ihm fiel allerdings auf, daß der Koran in den Moscheen so unterschiedlich ausgelegt wurde, daß manche Muslime grundsätzlich nur in ihre eigene Moschee gingen. Während eines Urlaubs in der Türkei besuchte er sowohl eine Moschee als auch eine Zusammenkunft der Zeugen Jehovas. Die Interpretation des Islam, die er in der Moschee hörte, wich von dem ab, was in Deutschland gelehrt wurde. Es war keine Einheit da. Zurück in Deutschland, sagte er: „Hier im Königreichssaal ist die gleiche Liebe und das gleiche Programm wie Tausende Kilometer weiter im Königreichssaal in der Türkei. Das ist die Wahrheit.“
HINDI: 1985 kamen zwei Zeugen Jehovas zu Sharda Aggarwal an die Tür, nachdem sie gerade gebetet hatte, sie suche einen Gott, dem sie ihr Herz ausschütten könne. Ihr Mann hatte Lungenkrebs. Sie war verzweifelt, weil sie den Eindruck hatte, bei den Hindugöttern würden ihre Gebete auf taube Ohren stoßen. Sie fragte die Zeugen, ob Jesus Gott sei. Deren Erklärung überzeugte sie, daß ihr Gebet erhört worden war. Was sie über Jehova hörte, klang so schön, daß sie mehr über diesen Gott erfahren wollte. Zuerst zögerte sie zwar, sich von den Göttern des Hinduismus abzuwenden, aus Angst, bei ihnen in Ungnade zu fallen, aber dann warf sie ihre Götterbilder weg und akzeptierte Jehova als den wahren Gott. 1987 ließ sie sich taufen. Heute ist sie allgemeine Pionierin und ist dankbar, einem persönlichen Gott zu dienen, auf den sie sich verlassen kann. Ihr Mann und ihr Sohn sind beide Dienstamtgehilfen (Ps. 62:8).
POLNISCH: 1992 wurde in Berlin eine polnische Versammlung gegründet, und noch im selben Jahr war ein Tagessonderkongreß in Polnisch geplant. Zwar fand er in einer Gegend Deutschlands statt, wo viele Menschen polnischer Herkunft wohnen, doch daß der Kongreßsaal, der angrenzende Königreichssaal und die Cafeteria voll besetzt sein würden — damit hatte keiner gerechnet. Es kamen geradezu unglaublich viele Besucher, insgesamt 2 523. Zum Teil waren es polnische Zeugen, die deutschen Versammlungen angehörten, aber sie freuten sich zu sehen, wie sich das Königreichswerk im polnischen Gebiet entwickelt, und waren dankbar, biblische Wahrheiten in ihrer Muttersprache zu hören.
Sogar Russisch, Serbisch, Kroatisch und Chinesisch!
RUSSISCH: Nach dem Ende des kalten Krieges gingen viele, die in Rußland aufgewachsen waren und Russisch sprachen, aber deutscher Abstammung waren, in das Land ihrer Vorfahren. Auch gab es die in der damaligen DDR stationierten sowjetischen Soldaten und ihre Angehörigen. Ihre geistigen Bedürfnisse, die ja alle Menschen von Natur aus haben, waren nicht befriedigt worden.
Die deutschstämmige Familie Schlegel zog 1992 von der Halbinsel Krim in der Ukraine in die Heimat ihrer Vorfahren. Dort sprach eine Frau mit ihnen, die ursprünglich aus Usbekistan kam und in Deutschland eine Zeugin Jehovas geworden war. Nach einem Bibelstudium ließ sich die ganze Familie taufen.
Sergej und seine Frau Zhenya waren Atheisten. Als sie jedoch biblische Antworten auf ihre Fragen, vor allem die Zukunft betreffend, erhielten, waren sie erstaunt. Demütig entwickelten sie Glauben an Jehova und änderten ihr Leben, obschon das für Sergej einen Berufswechsel und den Verzicht auf eine Pension bedeutete, die man ihm bald gezahlt hätte.
Marina, Krankenschwester in einem Militärhospital, war auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Nachdem sie das Buch Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben erhalten hatte, las sie es sofort durch und merkte auch gleich, daß sie am Ziel ihrer Suche angelangt war. Zurück in Rußland, besuchte sie andere, die in Deutschland mit Zeugen Jehovas die Bibel studiert hatten, und redete ihnen ermunternd zu. Es dauerte nicht lange, und sie nahm den Pionierdienst als Lebensziel auf.
Im August 1998 gab es 31 russische Versammlungen und 63 kleinere Gruppen mit insgesamt 2 119 Verkündigern — eine Zunahme um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
SERBISCH/KROATISCH: Nach Aussage von Johann Strecker, einem reisenden Aufseher in diesem fremdsprachigen Gebiet, lebten im früheren Jugoslawien mindestens 16 verschiedene Nationalitäten. Er erklärt: „Es ist herrlich zu sehen, wie die Wahrheit sie vereint.“ Als Munib, ein Muslim, der 8 Jahre in der jugoslawischen Armee gedient hatte, in Deutschland zu einer Zusammenkunft der Zeugen Jehovas eingeladen wurde, sah er Kroaten, Serben und Menschen mit muslimischem Hintergrund friedlich beisammen. Er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Einen Monat lang spielte er den Beobachter. Dann war er überzeugt, daß der Frieden und die Einheit unter den Zeugen echt sind, und wollte die Bibel studieren. 1994 folgte die Taufe.
Rosanda, eine Katholikin aus Kroatien, hatte mehrere Jahre im Kloster zugebracht. Nun war sie bei Verwandten in Deutschland zu Besuch, die Zeugen Jehovas geworden waren. Nach dem gemeinsamen Besuch der Theokratischen Predigtdienstschule und der Dienstzusammenkunft gestand sie: „Ihr habt die Wahrheit. Ich fragte mich immer, wie wohl die ersten Christen das Evangelium verkündigt haben. Als ich die beiden Schwestern auf der Bühne sah, wie die eine der anderen die Botschaft verkündigte, schoß es mir durch den Kopf: Genauso müssen es die ersten Christen gemacht haben.“ Heute ist sie eine Pionierin, die dem Beispiel der ersten Christen nacheifert.
Einige deutsche Zeugen, die die Sprachen dieser Bevölkerungsgruppen erlernten, um ihnen Zeugnis geben zu können, haben ihre Tätigkeit später ins Ausland verlegt, als sich die Möglichkeit dazu ergab.
CHINESISCH: Das chinesische Gebiet in Deutschland wurde erst in jüngerer Zeit erschlossen. „Die Mehrheit der aus China kommenden Personen haben noch nie etwas von uns gehört, geschweige denn die Bibel gelesen“, berichtet Egidius Rühle, ehemals Missionar auf Taiwan. „Da die meisten Chinesen sehr wißbegierig sind, saugen sie das Gelernte auf, wie ein trockener Schwamm Wasser aufsaugt.“
Als im Oktober 1996 der Bethelfamilie in Selters die 12. Klasse der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung vorgestellt wurde, freuten sich alle über den ersten chinesischen Studenten in der deutschen Schule. Die Wahrheit hatte er in Deutschland kennengelernt. Er gab wiederum einer chinesischen Geologieprofessorin Zeugnis und überreichte ihr das Buch Das Leben — Wie ist es entstanden? Durch Evolution oder durch Schöpfung? Innerhalb von einer Woche las sie es durch. Jetzt lehrt sie nicht mehr die Evolution, sondern leitet Heimbibelstudien. Ende 1996 waren es 16 an der Zahl.
Darauf bedacht, das Gelernte weiterzugeben
Buchstäblich Hunderte fremdsprachiger Einwohner haben über die Jahre in Deutschland die Wahrheit kennengelernt und sind in ihr Geburtsland zurückgekehrt, um dort weiter die gute Botschaft zu predigen. Viele sind mittlerweile Älteste oder Dienstamtgehilfen oder haben andere verantwortungsvolle Aufgaben. Petros Karakaris gehört zur Bethelfamilie in Griechenland, Mamadou Keita dient als Missionar in Mali, und Paulin Kangala, vielen bekannt als Pepe, und seine Frau Anke sind Missionare in der Zentralafrikanischen Republik.
Seit Anfang der 90er Jahre sind über 1 500 griechischsprachige Verkündiger nach Griechenland zurückgegangen, eine Reihe von ihnen als befähigte Älteste. Andere sind nach Schweden, Belgien, Großbritannien oder Kanada gezogen, um das Predigtwerk unter der dortigen griechischsprachigen Bevölkerung voranzutreiben. Und dennoch gibt es wahrscheinlich in keinem anderen Land der Welt mit Ausnahme Griechenlands so viele griechischsprachige Verkündiger wie in Deutschland.
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Deutsche Zeugen haben vielen Ausländern die biblische Wahrheit nähergebracht
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