-
‘Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft’Jehovas Zeugen — Verkündiger des Königreiches Gottes
-
-
Eine weltweite Flut von Gerichtsfällen
Schon lange vor dem Ersten Weltkrieg suchte die Geistlichkeit die Verbreitung von Druckschriften der Bibelforscher in ihrem Einflußbereich zu verhindern, indem sie Druck auf Vertreter des Staates ausübte. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm der Widerstand allerdings zu. In einem Land nach dem anderen legte man Personen, die Christi prophetischem Gebot gehorchen wollten, die gute Botschaft von Gottes Königreich zu einem Zeugnis zu predigen, auf rechtlichem Gebiet alle nur erdenklichen Hindernisse in den Weg (Mat. 24:14).
Tief bewegt von den Beweisen für die Erfüllung biblischer Prophezeiungen, verließen die Bibelforscher 1922 ihren Kongreß in Cedar Point (Ohio) mit dem Entschluß, die Welt wissen zu lassen, daß die Zeiten der Nationen zu Ende waren und der Herr seine große Macht an sich genommen hatte und vom Himmel aus als König herrschte. „Verkündet, verkündet, verkündet den König und sein Königreich“ lautete ihre Parole. Im gleichen Jahr stiftete die Geistlichkeit in Deutschland die Polizei dazu an, einige Bibelforscher, die biblische Literatur verbreiteten, zu verhaften. Das blieb kein Einzelfall. 1926 kam es in 897 Fällen zu Verhandlungen vor deutschen Gerichten. Ja, es gab so viele Prozesse, daß die Watch Tower Society 1926 in ihrem Zweigbüro in Magdeburg eine Rechtsabteilung einrichten mußte. 1928 waren allein in Deutschland 1 660 Gerichtsverfahren gegen die Bibelforscher eingeleitet worden, und der Druck nahm Jahr für Jahr weiter zu. Die Geistlichkeit wollte dem Werk der Bibelforscher ein Ende bereiten und freute sich, wenn ein Gerichtsentscheid auf einen gewissen Erfolg hindeutete.
In den Vereinigten Staaten wurden Bibelforscher 1928 in South Amboy (New Jersey) verhaftet, weil sie von Haus zu Haus predigten. Innerhalb von zehn Jahren stieg die Zahl der jährlichen Verhaftungen wegen Predigens auf über 500. Im Jahre 1936 war ein rascher Anstieg auf 1 149 zu verzeichnen. Um Rechtsberatung bieten zu können, war es nötig, auch im Hauptbüro der Gesellschaft eine Rechtsabteilung einzurichten.
In Rumänien stieß die intensive Predigttätigkeit bei den damaligen Machthabern ebenfalls auf heftigen Widerstand. Zeugen Jehovas, die biblische Literatur verbreiteten, wurden häufig verhaftet und grausam geschlagen. Von 1933 bis 1939 wurden 530 Gerichtsverfahren gegen die Zeugen angestrengt. Die Gesetze des Landes garantierten jedoch bestimmte Grundrechte, weshalb viele Berufungsfälle beim Obersten Gerichtshof von Rumänien günstig entschieden wurden. Als der Polizei das bewußt wurde, mißhandelte sie zwar die Zeugen und konfiszierte ihre Literatur, versuchte aber, gerichtliche Schritte zu umgehen. Nachdem man der Gesellschaft schließlich gestattet hatte, sich in Rumänien als Körperschaft registrieren zu lassen, versuchten Gegner, das, was mit dieser gesetzlichen Eintragung bewirkt werden sollte, dadurch zu vereiteln, daß sie die Verbreitung der Wachtturm-Literatur durch einen Gerichtsentscheid verbieten ließen. Dieses Verbot wurde zwar von einem höheren Gericht aufgehoben, doch die Geistlichkeit drängte den Kultusminister, die Bewilligung wieder zurückzuziehen.
Wie in Rumänien wurde auch in Italien und Ungarn unter den damaligen Regierungen biblische Literatur der Zeugen von der Polizei beschlagnahmt. Dasselbe geschah in Japan, Korea und an der Goldküste (heute Ghana). Ausländische Zeugen Jehovas, die nach Frankreich gekommen waren, wurden des Landes verwiesen. In die Sowjetunion durfte viele Jahre lang kein Zeuge Jehovas einreisen, der Gottes Königreich predigen wollte.
Als von 1933 bis in die 40er Jahre hinein eine Woge des Nationalismus über die Welt hinwegrollte, wurden Jehovas Zeugen in einem Land nach dem anderen verboten. Tausende von Zeugen kamen in dieser Zeit vor Gericht, weil sie aus Gewissensgründen den Fahnengruß ablehnten und ihre christliche Neutralität bewahrten. Gemäß einem Bericht aus dem Jahr 1950 kam es in den zurückliegenden 15 Jahren unter Jehovas Zeugen allein in den Vereinigten Staaten zu über 10 000 Verhaftungen.
Die über 400 Zeugen in Griechenland, die man 1946 innerhalb kurzer Zeit vor Gericht stellte, waren nicht die ersten in diesem Land, denen das widerfuhr. Zu solchen Gerichtsfällen war es bereits seit Jahren gekommen. Außer Gefängnisstrafen wurden auch hohe Geldstrafen verhängt, die die Brüder finanziell erschöpften. Doch bei der Beurteilung ihrer Lage sagten sie: „Der Herr öffnete den Weg für das Zeugniswerk, die Behörden in Griechenland zu erreichen, die von der Aufrichtung des Königreiches der Gerechtigkeit hörten; auch die Richter an den Gerichten hatten dieselbe Gelegenheit.“ Jehovas Zeugen betrachteten die Sache zweifellos so, wie es Jesu Nachfolger gemäß seinen Worten tun sollten (Luk. 21:12, 13).
Ein scheinbar aussichtsloser Kampf
In den 40er und 50er Jahren war die kanadische Provinz Quebec geradezu ein Schlachtfeld. Schon von 1924 an war es wegen des Predigens der guten Botschaft zu Verhaftungen gekommen. Im Winter 1931 wurden bestimmte Zeugen jeden Tag von der Polizei festgenommen, mitunter zweimal täglich. Die Gerichtskosten wurden für die Zeugen in Kanada zu einer großen Belastung. Anfang 1947 stieg die Gesamtzahl der bei den Gerichten der Provinz Quebec gegen die Zeugen anhängigen Verfahren auf 1 300, obwohl sie dort nur eine kleine Gruppe waren.
Das war zu einer Zeit, als die katholische Kirche einen großen Einfluß hatte, mit dem jeder Politiker und jeder Richter der Provinz rechnen mußte. In Quebec stand die Geistlichkeit allgemein in hohem Ansehen, und die Leute beeilten sich, den Anordnungen des Ortsgeistlichen Folge zu leisten. Das Buch State and Salvation (1989) beschreibt die Lage wie folgt: „Der Kardinal von Quebec hatte einen Thron im Sitzungssaal der gesetzgebenden Versammlung direkt neben dem, der für den stellvertretenden Gouverneur reserviert war. Auf die eine oder andere Weise unterstand Quebec unmittelbar kirchlicher Kontrolle ... Tatsächlich bestand die Mission der Kirche darin, das politische Leben Quebecs der katholischen Vorstellung anzupassen, die Wahrheit sei der Katholizismus, der Irrtum alles Nichtkatholische und Freiheit bestehe darin, die katholische Wahrheit zu reden und zu leben.“
Vom menschlichen Standpunkt aus schien die Lage nicht nur für die Zeugen in Quebec, sondern auch weltweit aussichtslos zu sein.
Alle nur erdenklichen Anklagen
Gegner durchforschten die Gesetzbücher nach etwas, was ihnen als Vorwand dienen konnte, die Tätigkeit der Zeugen zu unterbinden. Meistens beschuldigten sie sie, ohne Gewerbeschein zu hausieren, wodurch sie das Werk als kommerziell hinstellten. Im Widerspruch dazu beschuldigte man anderswo einige Pioniere der Landstreicherei mit der Begründung, daß sie keine Erwerbstätigkeit ausübten.
In einigen Kantonen der Schweiz versuchten Beamte jahrzehntelang hartnäckig, die Verbreitung von biblischer Literatur durch Jehovas Zeugen als Hausieren einzustufen. Besonders der Staatsanwalt des französischsprachigen Kantons Waadt war entschlossen, alle Entscheide anzufechten, die von unteren Gerichten zugunsten der Zeugen getroffen wurden.
An einem Ort nach dem anderen erklärte man Jehovas Zeugen, sie benötigten eine Erlaubnis, um ihre Literatur zu verbreiten oder ihre Zusammenkünfte, in denen sie die Bibel studieren, abzuhalten. Aber war eine Erlaubnis wirklich nötig? Die Zeugen antworteten mit Nein. Aus welchem Grund?
Sie erklärten: „Jehova Gott gebietet seinen Zeugen, das Evangelium von seinem Königreich zu predigen, und Gottes Gebote gehen über alles und müssen von seinen Zeugen befolgt werden. Es steht keiner legislativen oder exekutiven Institution der Erde zu, sich in Jehovas Gesetze einzumischen. ... Keiner herrschenden Macht der Erde steht es zu, das Predigen des Evangeliums zu verbieten; darum könnte auch keine solche weltliche Behörde oder Obrigkeit eine Erlaubnis zum Predigen des Evangeliums ausstellen. Weltliche Behörden haben in dieser Sache nach keiner Richtung hin Vollmacht. Menschen um Erlaubnis für etwas zu ersuchen, was Gott geboten hat, wäre eine Beleidigung Gottes.“
Meistens deuteten die gegen Jehovas Zeugen erhobenen Anklagen stark darauf hin, daß religiöse Feindschaft im Spiel war. Als zum Beispiel die Broschüren Schau den Tatsachen ins Auge und Heilung verbreitet wurden, lud man den Aufseher des Zweigbüros der Gesellschaft in den Niederlanden 1939 in Haarlem vor Gericht, damit er sich gegen die Anklage verteidigte, eine Gruppe der niederländischen Bevölkerung beleidigt zu haben. Der Vertreter der Anklage führte beispielsweise aus, in der Wachtturm-Literatur sei zu lesen, die katholische Hierarchie ziehe den Leuten auf betrügerische Weise das Geld aus der Tasche, indem sie behaupte, die Toten könnten aus einem Ort befreit werden, an dem sie sich gar nicht befänden — aus dem Fegefeuer, von dem es in der Literatur heiße, die Kirche könne seine Existenz nicht beweisen.
Im Zeugenstand jammerte „Pater“ Henri de Greeve, der Hauptzeuge der Hierarchie: „Mein größter Grund zur Klage ist, daß Außenstehende den Eindruck bekommen könnten, wir Priester seien nur ein Haufen Schurken und Schwindler.“ Als der Aufseher des Zweigbüros der Gesellschaft in den Zeugenstand gerufen wurde, schlug er die katholische Bibel auf und zeigte dem Gericht, daß das, was in der Broschüre über die katholischen Lehren gesagt wurde, mit der katholischen Bibel übereinstimmt. Der Anwalt der Gesellschaft fragte dann de Greeve, ob er die Lehre vom Höllenfeuer und vom Fegefeuer beweisen könne, worauf de Greeve antwortete: „Ich kann sie nicht beweisen; ich kann sie nur glauben.“ Sogleich wurde dem Richter klar, daß genau das in der Broschüre behauptet wurde. Die Anklage wurde fallengelassen, und der Priester verließ wutentbrannt das Gerichtsgebäude.
Beunruhigt über die vermehrte Tätigkeit der Zeugen Jehovas im östlichen Teil der Tschechoslowakei, beschuldigte die Geistlichkeit die Zeugen der Spionage. Die Situation glich dem, was der Apostel Paulus erlebt hatte, als ihn die jüdische Geistlichkeit im ersten Jahrhundert der Aufwiegelung beschuldigte (Apg. 24:5). 1933/34 kamen Hunderte von Fällen vor Gericht, bis die Regierung davon überzeugt war, daß es sich um eine völlig grundlose Anschuldigung handelte. Auch in der kanadischen Provinz Quebec wurden in den 30er und 40er Jahren Zeugen Jehovas unter der Anklage der aufrührerischen Verschwörung vor Gericht gebracht. Geistliche — vorwiegend katholische, doch auch protestantische — erschienen sogar persönlich als Zeugen vor Gericht, um gegen sie auszusagen. Was hatten sich Jehovas Zeugen zuschulden kommen lassen? Die Geistlichkeit argumentierte, sie hätten die staatliche Einheit gefährdet, weil aufgrund ihrer Veröffentlichungen Unzufriedenheit gegenüber der katholischen Kirche entstehen könnte. Die Zeugen erwiderten darauf jedoch, daß sie in Wirklichkeit Literatur verbreiteten, die demütigen Menschen Trost aus Gottes Wort vermittelte, und daß die Geistlichkeit darüber in Wut geraten war, weil unbiblische Lehren und Praktiken angeprangert wurden.
Wie war es Jehovas Zeugen trotz des anhaltenden Widerstandes möglich weiterzumachen? Das war ihrem Glauben an Gott und sein inspiriertes Wort zuzuschreiben, ihrer uneigennützigen Ergebenheit gegenüber Jehova und seinem Königreich sowie der Kraft, die auf der Wirksamkeit des Geistes Gottes beruht. Es verhielt sich so, wie die Bibel sagt: „... damit die Kraft, die über das Normale hinausgeht, Gottes sei und nicht die aus uns selbst“ (2. Kor. 4:7).
Jehovas Zeugen gehen auf dem Gebiet des Rechts in die Offensive
Auf Straßen in der Nähe von Kirchen und von Haus zu Haus verbreiteten die Bibelforscher vor dem Ersten Weltkrieg jahrzehntelang in großem Umfang kostenfrei biblische Schriften. Aber dann erließen viele kleinere und größere Städte in den Vereinigten Staaten Verordnungen, die diesem „freiwilligen Werk“ große Hindernisse in den Weg legten. Was konnte dagegen unternommen werden?
Im Wacht-Turm vom 15. Dezember 1919 (engl.) hieß es: „In dem Glauben, daß es unsere Pflicht ist, jede nur mögliche Anstrengung zu unternehmen, um über das Königreich des Herrn Zeugnis abzulegen, und unsere Hand nicht erschlaffen zu lassen, nur weil wir die Tür sich schließen sehen, sowie in Anbetracht all der systematischen Bemühungen, die sich gegen das freiwillige Werk gerichtet haben, wurden Vorkehrungen dafür getroffen, eine neue Zeitschrift einzusetzen, ... Das Goldene Zeitalter.“a
Als immer intensiver von Haus zu Haus Zeugnis gegeben wurde, häuften sich jedoch die Versuche, diese Tätigkeit gesetzlich einzuschränken oder zu verbieten. Nicht in allen Ländern bestehen gesetzliche Möglichkeiten, Minderheiten gegen staatlichen Widerstand bestimmte Grundrechte zu sichern. Jehovas Zeugen wußten jedoch, daß die Verfassung der Vereinigten Staaten die Religions-, Rede- und Pressefreiheit garantierte. Daher legten sie bei höheren Gerichten Rechtsmittel ein, wenn Richter durch ihre Auslegung örtlicher Verordnungen das Predigen des Wortes Gottes behinderten.b
Im Rückblick auf die Ereignisse erklärte Hayden C. Covington, der in Rechtsangelegenheiten der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielte: „Wenn in den Tausenden von Verurteilungen, die von Richtern, Polizeigerichten und anderen unteren Instanzen protokolliert worden sind, keine Berufung eingelegt worden wäre, wäre in der Sache der Anbetung ein Berg von Präzedenzfällen als riesiges Hindernis entstanden. Dadurch, daß wir in die Berufung gegangen sind, haben wir die Errichtung dieses Hindernisses vereitelt. Unsere Anbetungsweise ist im Gesetz der Vereinigten Staaten und anderer Länder verankert worden, weil wir beharrlich waren und gegen nachteilige Entscheidungen Berufung eingelegt haben.“ In den Vereinigten Staaten ging man in Dutzenden von Fällen bis vor das Oberste Bundesgericht.
Garantie der Grundrechte gefestigt
Einer der ersten dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten vorgetragenen Fälle, bei denen es um den Gottesdienst der Zeugen Jehovas ging, war in Georgia aufgekommen und wurde am 4. Februar 1938 verhandelt. Das Strafgericht von Griffin (Georgia) hatte Alma Lovell wegen eines Verstoßes gegen eine Verordnung verurteilt, in der verboten wurde, Literatur irgendeiner Art ohne Bewilligung des Stadtdirektors zu verbreiten. Schwester Lovell hatte den Leuten unter anderem die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter angeboten. Am 28. März 1938 entschied das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten, daß die Verordnung ungültig sei, weil sie die Pressefreiheit konzessions- und zensurabhängig mache.c
Im darauffolgenden Jahr unterbreitete J. F. Rutherford als Anwalt des Antragstellers dem Obersten Bundesgericht im Fall Clara Schneider gegen Staat New Jerseyd die Begründung des Rechtsmittels. 1940 folgte dann der Fall Cantwell gegen Staat Connecticute, für den J. F. Rutherford die Begründung verfaßte, und Hayden Covington trug sie dem Gericht vor. Der positive Ausgang der beiden Fälle stützte die in der Verfassung garantierte Religions-, Rede- und Pressefreiheit. Aber es gab auch Rückschläge.
Schwere gerichtliche Rückschläge
Die Fahnengrußfrage in Verbindung mit schulpflichtigen Kindern von Zeugen Jehovas wurde erstmals 1935 im Fall Carlton B. Nicholls gegen Bürgermeister und Schulausschuß von Lynn (Massachusetts)f vor amerikanische Gerichte gebracht. Der Fall wurde an den Obersten Gerichtshof von Massachusetts verwiesen. Dieses Gericht entschied 1937, daß ungeachtet dessen, was Carleton Nichols jr. und seine Eltern gemäß ihren Worten glaubten, keine Freistellung aufgrund religiöser Überzeugung nötig sei, weil, wie es hieß, „der Fahnengruß und das Treuegelöbnis, um die es hier geht, im rechtlichen Sinne nichts mit Religion zu tun haben. ... Sie betreffen niemandes Ansichten über den Schöpfer. Sie berühren nicht die Beziehungen zu seinem Bildner.“ Als 1937 im Fall Leoles gegen Landersg und 1938 im Fall Hering gegen Staatliche Schulbehördeh die Frage des obligatorischen Fahnengrußes durch das Rechtsmittel dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten vorgelegt wurde, war nach Meinung dieses Gerichts keine wichtige verfassungsrechtliche Frage zu klären. 1939 wies das Gericht in derselben Frage noch einmal ein Rechtsmittel ab, und zwar im Fall Gabrielli gegen Knickerbockeri. Am selben Tag bestätigte es ohne Verhandlung den negativen Entscheid der unteren Instanz im Fall Johnson gegen Stadt Deerfieldj.
Schließlich fand 1940 im Fall Schulbezirk Minersville gegen Gobitisk eine Verhandlung vor dem Obersten Bundesgericht statt. Mehrere prominente Anwälte reichten für beide Seiten des Falls Begründungen ein. J. F. Rutherford trug die Begründung des Rechtsmittels für Walter Gobitas und seine Kinder vor. Ein Mitglied der Rechtsabteilung der Harvarduniversität sprach für den Amerikanischen Bundesverband der Anwaltschaft und die Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung und trug Gründe gegen den obligatorischen Fahnengruß vor. Aber ihre Argumente wurden verworfen, und das Oberste Bundesgericht entschied am 3. Juni mit nur einer Gegenstimme, daß Kinder, die die Fahne nicht grüßten, von den öffentlichen Schulen verwiesen werden konnten.
In den drei folgenden Jahren entschied das Oberste Bundesgericht in 19 Fällen gegen Jehovas Zeugen. Am bedeutsamsten war die ablehnende Entscheidung 1942 im Fall Jones gegen Stadt Opelikal. Rosco Jones war verurteilt worden, weil er Literatur auf den Straßen von Opelika (Alabama) verbreitet hatte, ohne die Konzessionssteuer entrichtet zu haben. Das Oberste Bundesgericht erhielt die Verurteilung aufrecht und erklärte, Regierungen hätten das Recht, für Kundenwerbung eine vernünftige Gebühr festzusetzen, und solche Gesetze seien nicht anfechtbar, selbst wenn örtliche Behörden willkürlich die Genehmigung zurückzögen. Das war ein schwerer Schlag, denn nun konnte jede Gemeinde, die von Geistlichen oder irgendeinem anderen Gegner dazu angestachelt wurde, die Zeugen rechtmäßig fernhalten und, wie die Gegner vielleicht dachten, ihre Predigttätigkeit dadurch stoppen. Doch es geschah etwas Seltsames.
Das Blatt wendet sich
In dem Fall Jones gegen Opelika, dessen Entscheidung ein schwerer Schlag für den öffentlichen Predigtdienst der Zeugen Jehovas war, hatten drei Richter erklärt, sie gingen in dem vorliegenden Fall mit dem Mehrheitsentscheid des Gerichts nicht einig und seien darüber hinaus der Meinung, im Fall Gobitis die Grundlage für diesen Mehrheitsentscheid mit geschaffen zu haben. Weiter führten sie aus: „Da wir uns im Fall Gobitis der Urteilsbegründung anschlossen, halten wir dies für eine passende Gelegenheit, zu erklären, daß er nach unserer jetzigen Auffassung ebenfalls falsch entschieden wurde.“ Jehovas Zeugen verstanden dies als einen Wink, dem Gericht erneut die wesentlichen Streitpunkte vorzutragen.
Man beantragte im Fall Jones gegen Opelika eine neue Verhandlung. In dem Antrag wurden überzeugende Rechtsausführungen unterbreitet. Auch wurde darin deutlich erklärt: „Das Gericht sollte den höchst bedeutsamen Umstand nicht außer acht lassen, daß es in richterlicher Eigenschaft mit Dienern Gottes, des Allmächtigen, zu tun hat.“ Die Bedeutung dessen veranschaulichte man anhand biblischer Präzedenzfälle. Man machte auf den Rat aufmerksam, den der Rechtsgelehrte Gamaliel im ersten Jahrhundert dem höchsten jüdischen Gericht gab, nämlich: „Steht ab von diesen Menschen, und laßt sie gehen ...; andernfalls mögt ihr vielleicht als solche erfunden werden, die in Wirklichkeit gegen Gott kämpfen“ (Apg. 5:34-39).
Schließlich setzte das Oberste Bundesgericht am 3. Mai 1943 durch seine Entscheidung im Fall Murdock gegen Pennsylvaniena einen Meilenstein, indem es seine frühere Entscheidung im Fall Jones gegen Opelika umstieß. Es erklärte jegliche Konzessionssteuer als Vorbedingung für die Ausübung der Religionsfreiheit in Form der Verbreitung religiöser Literatur als verfassungswidrig. Dieser Fall eröffnete Jehovas Zeugen in den Vereinigten Staaten neue Möglichkeiten; in Hunderten von Fällen konnte seither darauf als maßgeblichen Gerichtsentscheid Bezug genommen werden. Der 3. Mai 1943 war für Jehovas Zeugen wirklich ein denkwürdiger Tag, was die Rechtsstreite vor dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten angeht. An diesem Tag entschied das Gericht in 12 von 13 Fällen zu ihren Gunsten (alle wurden zur Verhandlung und gerichtlichen Entscheidung in vier Verfahren zusammengefaßt).b
Etwa einen Monat später — am 14. Juni, dem Tag der Nationalflagge — hob das Oberste Bundesgericht erneut eine eigene Entscheidung auf, und zwar die im Fall Gobitis. Das geschah in Zusammenhang mit dem Fall Staatliche Schulbehörde von West Virginia gegen Barnettec. Das Gericht erklärte, daß „keine Amtsperson, ob hoch oder niedrig, vorschreiben darf, was in der Politik, im Nationalismus, in der Religion oder in anderen Dingen der Meinungsäußerung rechtsverbindlich sein soll, noch Bürger zwingen darf, durch Wort oder Tat ihren Glauben daran zu bekennen“. Ein Großteil der in der Urteilsbegründung enthaltenen Argumente wurde danach in Kanada vom Berufungsgericht von Ontario bei der Entscheidung im Fall Donald gegen Städtische Schulbehörde von Hamilton übernommen — eine Entscheidung, die aufzuheben das Oberste Bundesgericht von Kanada ablehnte.
Im Einklang mit der Entscheidung im Fall Barnette entschied das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten noch am selben Tag im Fall Taylor gegen Staat Mississippid, daß Jehovas Zeugen nicht zu Recht des Aufruhrs beschuldigt werden können, wenn sie erklären, warum sie den Fahnengruß verweigern, und lehren, daß sich alle Nationen auf der Verliererseite befinden, weil sie gegen Gottes Königreich sind. Diese Entscheidungen bahnten auch den Weg für weitere günstige Entscheide anderer Gerichte in Fällen von Zeugen Jehovas, deren Kinder den Fahnengruß in der Schule verweigert hatten, sowie in strittigen Fragen, die die berufliche Tätigkeit und das Sorgerecht betrafen. Das Blatt hatte sich tatsächlich gewendet.e
Eine neue Ära der Freiheit in Quebec
Auch in Kanada strebten Jehovas Zeugen nach einer Lösung in der Frage der Religionsfreiheit. In den Jahren 1944 bis 1946 wurden Hunderte von ihnen in Quebec während ihres öffentlichen Predigtdienstes verhaftet. Nach kanadischem Recht war Religionsfreiheit garantiert, doch der Pöbel störte Zusammenkünfte, in denen die Bibel betrachtet wurde. Die Polizei kam den Forderungen der katholischen Geistlichkeit nach, den Zeugen Jehovas Einhalt zu gebieten. Richter an örtlichen Strafgerichten beschimpften die Zeugen, während sie gegen die an Pöbelaktionen Beteiligten nicht vorgingen. Was konnte unternommen werden?
Am 2. und 3. November 1946 veranstaltete die Gesellschaft in Montreal einen Sonderkongreß. Redner erläuterten die Stellung der Zeugen Jehovas vom Standpunkt der Bibel und des Landesgesetzes aus. Dann wurde angekündigt, daß in ganz Kanada 16 Tage lang das Traktat Quebec’s Burning Hate for God and Christ and Freedom Is the Shame of All Canada (Quebecs lodernder Haß gegen Gott, Christus und die Freiheit ist eine Schande für ganz Kanada) in Englisch, Französisch und Ukrainisch verbreitet werden sollte. Darin wurde ausführlich über die heftigen Pöbelangriffe und andere in Quebec gegen Jehovas Zeugen verübte Greueltaten berichtet. Diesem Traktat folgte ein zweites, betitelt Quebec, You Have Failed Your People! (Quebec, du hast dein Volk im Stich gelassen!).
Die Verhaftungen nahmen in Quebec überhand. Um dieser Situation Herr zu werden, richtete das kanadische Zweigbüro der Watch Tower Society eine Rechtsabteilung mit einer Vertretung in Toronto und in Montreal ein. Als die Presse davon erfuhr, daß Maurice Duplessis, der Ministerpräsident von Quebec, den Restaurantbetrieb von Frank Roncarelli, einem Zeugen Jehovas, absichtlich ruinierte, nur weil dieser für andere Zeugen Kaution leistete, protestierte die kanadische Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit. Am 2. März 1947 starteten Jehovas Zeugen einen landesweiten Feldzug, bei dem sie der Bevölkerung Kanadas vorschlugen, die Regierung um eine Bill of Rights (verfassungsmäßig garantierte Grundrechte) zu ersuchen. Man sammelte über 500 000 Unterschriften — die größte Petition, die dem kanadischen Parlament je vorgelegt worden war. Im Jahr darauf folgte eine noch längere zur Bekräftigung der ersten.
Inzwischen wählte die Gesellschaft zwei Testfälle aus, in denen vor dem Obersten Bundesgericht Kanadas Rechtsmittel eingelegt wurden. In einem davon, dem Fall Aimé Boucher gegen Seine Majestät den König, lautete die Anklage auf umstürzlerisches Verhalten, was den Zeugen wiederholt vorgeworfen wurde.
Zu dem Fall Boucher kam es, weil sich der Farmer Aimé Boucher, ein Mann mit einem sanften Wesen, an der Verbreitung des Traktats Quebec’s Burning Hate beteiligt hatte. Hatte er sich aber umstürzlerisch verhalten, indem er die Pöbelangriffe gegen die Zeugen in Quebec bekanntmachte, auf die Mißachtung des Rechts durch Vertreter des Staates hinwies und Beweise dafür vorlegte, daß der katholische Bischof und andere katholische Geistliche zu den Aktionen aufgehetzt hatten?
Einer der Richter des Obersten Bundesgerichts erklärte nach eingehender Prüfung des Traktats: „Das Dokument trug die Überschrift ‚Quebecs lodernder Haß gegen Gott, Christus und die Freiheit ist eine Schande für ganz Kanada‘; es enthielt zunächst einen Aufruf, ruhig und vernünftig die Angelegenheiten zu bewerten, von denen es handelte und die als Stütze des Titels angeführt wurden; sodann allgemeine Hinweise auf verschärfte Verfolgung, die über die Zeugen als Brüder in Christus gebracht wurde; eine ausführliche Schilderung bestimmter Beispiele der Verfolgung und einen abschließenden Appell an die Bevölkerung der Provinz als Protest gegen Pöbelherrschaft und Gestapotaktiken, damit durch das Studium des Wortes Gottes und den Gehorsam gegenüber seinen Geboten eine ‚reichliche Ernte guter Früchte der Liebe zu Gott und Christus und zur Freiheit des Menschen‘ hervorgebracht werde.“
Der Gerichtsentscheid hob die Verurteilung von Aimé Boucher auf, wobei drei der fünf Richter lediglich ein neues Verfahren anordneten. Würde das zu einer unparteiischen Entscheidung in den unteren Instanzen führen? Der Anwalt der Zeugen Jehovas beantragte eine Neuverhandlung vor dem Obersten Bundesgericht. Erstaunlicherweise wurde dem Antrag stattgegeben. Während der Antrag dort anhängig war, wurde die Anzahl der Richter am Obersten Bundesgericht erhöht, und einer der ursprünglichen Richter änderte seine Meinung. So wurde Bruder Boucher im Dezember 1950 mit 5 gegen 4 Stimmen von der gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen.
Anfangs wurde diese Entscheidung sowohl vom zweiten Kronanwalt als auch vom Ministerpräsidenten der Provinz Quebec (der gleichzeitig Kronanwalt war) mißachtet, doch mit der Zeit wurde ihr durch die Gerichte Geltung verschafft. Damit war die wiederholt in Kanada gegen Jehovas Zeugen erhobene Anklage auf umstürzlerisches Verhalten praktisch gegenstandslos geworden.
In noch einem weiteren Testfall wurde vor dem Obersten Bundesgericht von Kanada ein Rechtsmittel eingelegt. Es handelte sich um den Fall Laurier Saumur gegen die Stadt Quebec, bei dem es um die städtischen Konzessionsverordnungen ging, die bei einer Vielzahl von Verurteilungen in den unteren Instanzen eine Rolle spielten. Im Fall Saumur strebte die Gesellschaft eine endgültige gerichtliche Verfügung gegen die Stadt Quebec an, um zu verhindern, daß die Behörden die Verbreitung der religiösen Literatur der Zeugen Jehovas störten. Am 6. Oktober 1953 fällte das Oberste Bundesgericht seine Entscheidung. Die Antwort war ein „Ja“ für die Zeugen Jehovas und ein „Nein“ für die Provinz Quebec. Diese Entscheidung brachte auch einen Sieg in Tausenden anderen Fällen, in denen derselbe Grundsatz der Religionsfreiheit ausschlaggebend war. Damit begann für das Werk der Zeugen Jehovas in Quebec eine neue Ära.
Schulung in Rechts- und Verfahrensfragen
Mit der steigenden Zahl von Gerichtsfällen Ende der 20er Jahre und danach wurde es nötig, Jehovas Zeugen über rechtliche Verfahrensweisen gründlich zu informieren. J. F. Rutherford war selbst Anwalt und hatte gelegentlich auch als Richter fungiert; daher erkannte er, daß die Zeugen in diesen Angelegenheiten Anleitung benötigten. Besonders von 1926 an hatten die Zeugen Nachdruck darauf gelegt, an Sonntagen von Haus zu Haus zu predigen und dabei bibelerklärende Bücher anzubieten. Wegen des Widerstands gegen das Verbreiten biblischer Literatur am Sonntag verfaßte Bruder Rutherford die Broschüre Liberty to Preach (Die Freiheit zu predigen), um den Zeugen in den Vereinigten Staaten zu einem Verständnis ihrer gesetzlichen Rechte zu verhelfen. Er konnte jedoch nicht alle Rechtsangelegenheiten selbst bearbeiten. Deshalb sorgte er dafür, daß noch andere Anwälte im Hauptbüro der Gesellschaft dienten. Außerdem arbeiteten weitere Anwälte, die im ganzen Land verstreut wohnten, eng mit ihnen zusammen.
Es war ihnen zwar nicht möglich, in all den Tausenden von Fällen anwesend zu sein, in denen Zeugen Jehovas wegen ihrer Predigttätigkeit vor Gericht erscheinen mußten, doch konnten sie wertvollen Rat geben. Deshalb sorgte man dafür, daß alle Zeugen Jehovas in grundlegenden rechtlichen Verfahrensweisen geschult wurden. Das geschah 1932 auf besonderen Kongressen in den Vereinigten Staaten und später im Programm der regelmäßigen Dienstzusammenkünfte der Versammlungen. Im Jahrbuch 1933 der Zeugen Jehovas wurde eine ausführliche „Gerichtsverfahrensordnung“ veröffentlicht (später als zusätzliches Blatt). Diese Anweisungen wurden, wenn es die Umstände erforderten, entsprechend geändert. In der Zeitschrift Trost vom 3. November 1937 (engl.) wurde weitere Rechtsberatung für bestimmte Situationen erteilt, die aufgetreten waren.
Mit Hilfe dieses Aufschlusses verteidigten sich die Zeugen gewöhnlich selbst vor den örtlichen Gerichten und nahmen nicht die Dienste eines Anwalts in Anspruch. Sie stellten fest, daß sie so vor Gericht oftmals Zeugnis geben und dem Richter die Kernpunkte deutlich vortragen konnten und eine Entscheidung in ihrem Fall nicht allein auf juristischen Erwägungen beruhte. In Fällen mit einer ungünstigen Entscheidung ging man gewöhnlich in die Berufung, doch einige Zeugen saßen eine Haftstrafe ab, statt sich einen Anwalt zu nehmen, der vor einem Berufungsgericht erforderlich gewesen wäre.
Wenn neue Situationen auftraten und durch Gerichtsentscheide Präzedenzfälle geschaffen wurden, hielt man die Zeugen durch zusätzlichen Aufschluß auf dem laufenden. 1939 wurde zum Beispiel die Broschüre Ratschläge für Königreichsverkündiger gedruckt, um den Brüdern in Rechtskämpfen zu helfen. Zwei Jahre später erschien eine ausführlichere Erörterung in der Broschüre Jehovah’s Servants Defended (Jehovas Diener verteidigt). Darin wurden 50 verschiedene Entscheidungen amerikanischer Gerichte in Fällen von Zeugen Jehovas sowie zahlreiche andere Fälle angeführt oder besprochen, und es wurde erklärt, wie man diese Präzedenzfälle vorteilhaft nutzen konnte. 1943 erhielt jeder Zeuge ein Exemplar der Broschüre Freedom of Worship (Religionsfreiheit), die in den Dienstzusammenkünften der Versammlungen eifrig studiert wurde. Neben wertvollen Auszügen aus Rechtsfällen zeigte diese Broschüre biblische Gründe für bestimmte Vorgehensweisen auf. Als nächstes folgte 1950 die Broschüre Defending and Legally Establishing the Good News (Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft), die den aktuellen Stand der Dinge berücksichtigte.
Durch all das wurde eine fortschreitende Schulung auf dem Gebiet des Rechts vermittelt. Ihr Ziel bestand jedoch nicht darin, Jehovas Zeugen zu Anwälten auszubilden, sondern darin, für das Predigen der guten Botschaft von Gottes Königreich — öffentlich und von Haus zu Haus — die Wege offenzuhalten.
Wie ein Heuschreckenschwarm
Beamte, die sich über das Gesetz hinwegsetzten, behandelten die Zeugen mitunter grausam. Doch ganz gleich, welche Methoden ihre Gegner anwandten, kannten Jehovas Zeugen den Rat aus Gottes Wort: „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt dem Zorn Raum; denn es steht geschrieben: ‚Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht Jehova‘ “ (Röm. 12:19). Nichtsdestoweniger hatten sie die Verpflichtung, Zeugnis zu geben, deutlich vor Augen. Wie taten sie das angesichts des Widerstands der Behörden?
In den 30er Jahren waren die einzelnen Versammlungen der Zeugen Jehovas in der Regel ziemlich klein, doch hielten sie fest zusammen. Wenn es irgendwo zu ernsthaften Schwierigkeiten kam, waren Zeugen aus der Umgebung schnell bereit zu helfen. 1933 hatte man zum Beispiel 12 600 Zeugen in den Vereinigten Staaten zu 78 Divisionen (größeren Gruppen) organisiert. Wenn es in einem Gebiet ständig zu Verhaftungen kam oder es Gegnern gelungen war, Rundfunkanstalten derart unter Druck zu setzen, daß sie die Sendeverträge für die von Jehovas Zeugen vorbereiteten Programme rückgängig machten, wurde das der Gesellschaft in Brooklyn gemeldet. Innerhalb einer Woche wurde Verstärkung in das betreffende Gebiet gesandt, damit konzentriert Zeugnis gegeben werden konnte.
Je nach Bedarf trafen sich 50 bis 1 000 Zeugen zu einer bestimmten Zeit gewöhnlich auf dem Land in der Nähe des zu bearbeitenden Gebiets. Es waren alles Freiwillige; einige reisten aus einer Entfernung von etwa 300 Kilometern an. Die einzelnen Gruppen erhielten Gebiet, das in 30 Minuten bis höchstens zwei Stunden bearbeitet werden konnte. Während jede Autogruppe in dem ihr zugewiesenen Gebietsteil mit ihrer Tätigkeit begann, sprach ein aus Brüdern gebildetes Komitee bei der Polizei vor, um sie von der Tätigkeit zu unterrichten und eine Liste aller Zeugen abzugeben, die an dem betreffenden Vormittag in dem Ort unterwegs waren. Die Behörden erkannten, daß ihre Kräfte der Überzahl der Zeugen nicht gewachsen waren, und legten ihnen daher an den meisten Orten nichts mehr in den Weg. In einigen wenigen Städten belegten sie allerdings ihre Gefängnisse mit Zeugen, aber das war auch alles, was sie tun konnten. Für jeden Verhafteten hatten die Zeugen einen Anwalt an der Hand, der Kaution hinterlegte. Die Wirkung glich der des symbolischen Heuschreckenschwarms, von dem in Joel 2:7-11 und Offenbarung 9:1-11 die Rede ist. Auf diese Weise war es trotz heftigen Widerstandes möglich, die gute Botschaft weiterhin zu predigen.
Die Handlungsweise selbstherrlicher Beamter angeprangert
Man hielt es für nützlich, die Bevölkerung bestimmter Gebiete über die Handlungsweise örtlicher Beamter zu unterrichten. Als Zeugen in Quebec von den Gerichten Verfahren unterzogen wurden, die an die Inquisitionsgerichte erinnerten, sandte man an alle Mitglieder der Legislative in Quebec einen Brief, in dem die Fakten beschrieben wurden. Als sich daraufhin nichts tat, sandte die Gesellschaft je ein Exemplar dieses Briefes an 14 000 Geschäftsleute in der ganzen Provinz. Dann wurden diese Informationen Zeitungsherausgebern zur Veröffentlichung zugestellt.
In den östlichen US-Bundesstaaten wurde die Öffentlichkeit durch Rundfunksendungen informiert. Im Brooklyner Bethel bildeten einige erfahrene Schauspieler, die geschickte Nachahmer waren, das sogenannte King’s Theater (Die Bühne des Königs). Wenn selbstherrliche Beamte Zeugen Jehovas vor Gericht brachten, wurde die ganze Verhandlung mitstenographiert. Die Schauspieler waren im Gerichtssaal anwesend, damit sie sich mit dem Tonfall und der Redeweise der Polizei, des Anklagevertreters und des Richters vertraut machen konnten. Nachdem man die Rundfunksendung weit und breit angekündigt hatte und man mit einer großen Zuhörerschaft rechnen konnte, spielte das King’s Theater Gerichtsszenen erstaunlich realistisch nach, um die Öffentlichkeit genau davon zu unterrichten, wie sich ihre Beamten verhielten. So ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt, gingen einige dieser Beamten im Laufe der Zeit gewissenhafter vor, wenn sie es mit einem Fall zu tun hatten, der Zeugen Jehovas betraf.
-
-
‘Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft’Jehovas Zeugen — Verkündiger des Königreiches Gottes
-
-
[Kasten auf Seite 684]
Ein Zeugnis vor dem Obersten Bundesgericht der USA
Als Joseph F. Rutherford, ein Mitglied der Anwaltskammer von New York und Präsident der Watch Tower Society, in seiner Eigenschaft als Rechtsberater im Fall „Gobitis“ vor dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten erschien, lenkte er die Aufmerksamkeit darauf, wie wichtig es ist, sich der Souveränität Jehovas Gottes zu unterwerfen. Er sagte:
„Jehovas Zeugen sind diejenigen, die für den Namen des allmächtigen Gottes, der allein den Namen JEHOVA trägt, Zeugnis ablegen. ...
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß Jehova Gott vor mehr als sechstausend Jahren verhieß, durch den Messias eine gerechte Regierung aufzurichten. Er wird dieses Versprechen zur rechten Zeit erfüllen. Die gegenwärtigen Ereignisse, im Licht der Prophezeiungen betrachtet, lassen erkennen, daß diese Zeit nahe ist. ...
Jehova Gott ist der alleinige Quell des Lebens. Niemand sonst kann Leben vermitteln. Der Staat Pennsylvanien kann kein Leben geben. Die amerikanische Regierung kann es nicht. Gott erließ dieses Gesetz [das die Anbetung von Bildern verbietet], wie Paulus erklärt, um sein Volk vor dem Götzendienst zu bewahren. Das sei nur eine Kleinigkeit, sagen Sie. So verhielt es sich auch mit der Tat Adams, als er die verbotene Frucht aß. Es ging nicht um den Apfel an sich, sondern um den Akt des Ungehorsams gegenüber Gott. Die Frage ist, ob der Mensch Gott oder einer menschlichen Institution gehorchen wird. ...
Ich erinnere daran (was kaum nötig ist), daß dieses Gericht im Fall ‚Kirche gegen Vereinigte Staaten‘ die Ansicht vertrat, Amerika sei eine christliche Nation; und das bedeutet, daß Amerika dem göttlichen Gesetz gehorchen muß. Es bedeutet außerdem, daß dieses Gericht die Tatsache als offenkundig anerkennt, daß Gottes Gesetz allen anderen überlegen ist. Und wenn ein Mensch aufrichtig glaubt, daß Gottes Gesetz über allem steht, und er sich gewissenhaft daran hält, darf keine menschliche Instanz ihn dazu zwingen, gegen sein Gewissen zu handeln. ...
Erlauben Sie mir bitte, darauf hinzuweisen, daß zu Beginn jeder Gerichtsverhandlung der Gerichtsdiener folgendes erklärt: ‚Gott beschütze die Vereinigten Staaten und dieses ehrenwerte Gericht.‘ Und ich sage nun, Gott möge dieses ehrenwerte Gericht davor bewahren, einen Fehler zu begehen, der das Volk der Vereinigten Staaten in ein totalitäres System führt und alle Grundrechte, die die Verfassung garantiert, zunichte macht. Diese Angelegenheit ist jedem Amerikaner heilig, der Gott und sein Wort liebt.“
[Kasten auf Seite 687]
Die Anfechtung der Urteile erreicht
Für die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten im Fall „Schulbezirk Minersville gegen Gobitis“, daß von Kindern der Fahnengruß verlangt werden könne, stimmten 1940 acht von neun Richtern. Nur Richter Stone war anderer Meinung. Zwei Jahre später jedoch, als die Richter ihren abweichenden Standpunkt im Fall „Jones gegen Opelika“ festlegten, ergriffen drei weitere Richter (Black, Douglas und Murphy) die Gelegenheit, ihrer Überzeugung Ausdruck zu verleihen, daß der Fall „Gobitis“ falsch beurteilt worden war, weil er der Religionsfreiheit eine untergeordnete Stellung beimaß. Das bedeutete, daß vier von neun Richtern im Fall „Gobitis“ eine Revision des Urteils befürworteten. Zwei der Richter, die die Religionsfreiheit bagatellisiert hatten, waren inzwischen in den Ruhestand getreten. Zwei neue Richter (Rutledge und Jackson) saßen auf der Richterbank, als der nächste Fahnengrußfall vor das Oberste Bundesgericht kam. Beide stimmten 1943 im Fall „Staatliche Schulbehörde von West Virginia gegen Barnette“ nicht zugunsten des obligatorischen Fahnengrußes, sondern zugunsten der Religionsfreiheit. Mit 6 gegen 3 Stimmen nahm das Gericht somit einen völlig anderen Standpunkt ein als in fünf früheren Fällen („Gobitis“, „Leoles“, „Hering“, „Gabrielli“ und „Johnson“), in denen bei diesem Gericht Rechtsmittel eingelegt worden waren.
Im Fall „Barnette“ sagte Richter Frankfurter in der Begründung seines abweichenden Standpunkts: „Wie wir aus der Vergangenheit wissen, ändert das Gericht von Zeit zu Zeit seinen Standpunkt. Ich glaube jedoch, daß dieses Gericht niemals vor den Fällen der Zeugen Jehovas (außer geringfügigen Abweichungen, die nachfolgend umrissen werden) Entscheidungen umgestoßen hat, um die Macht des demokratischen Staates einzuschränken.“
[Kasten auf Seite 688]
„Eine uralte Form missionarischen Evangelisierens“
Im Jahre 1943 erklärte das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten im Fall „Murdock gegen Pennsylvanien“ unter anderem:
„Die Verbreitung religiöser Traktate von Hand ist eine uralte Form missionarischen Evangelisierens — so alt wie die Geschichte der Druckpressen. In verschiedenen religiösen Bewegungen hat diese Tätigkeit in all den Jahren eine wichtige Rolle gespielt. Dieser Form des Evangelisierens bedient sich heute eine Vielzahl von Religionsgemeinschaften, deren Kolporteure das Evangelium in Tausende und aber Tausende von Wohnungen tragen und durch persönliche Besuche Anhänger für ihren Glauben suchen. Es ist mehr als Predigen; es ist mehr als die Verteilung religiöser Schriften. Es ist eine Kombination aus beidem. Der Zweck ist ebenso evangelisch wie die Erweckungsversammlung. Diese Art religiöser Tätigkeit nimmt unter dem 1. Zusatzartikel [zur US-Verfassung] dieselbe hohe Stufe ein wie die Anbetung in den Kirchen und das Predigen von den Kanzeln. Sie kann denselben Schutz beanspruchen wie die anerkannteren und herkömmlicheren Religionsbräuche. Sie kann auch denselben Anspruch wie die anderen auf die Garantien der Rede- und Pressefreiheit erheben.“
[Kasten auf Seite 690]
„Gleiches Recht für alle“
Unter der obigen Schlagzeile schrieb 1953 eine prominente kanadische Journalistin folgendes: „Mit einem großen Freudenfeuer auf dem Parlamentshügel sollte der Entscheid des Obersten Bundesgerichts von Kanada im Fall Saumur [den Jehovas Zeugen vor Gericht gebracht hatten] gefeiert werden, mit einem Freudenfeuer, das eines großen Anlasses würdig ist. Nur wenige Entscheidungen in der kanadischen Rechtsgeschichte können von größerer Bedeutung gewesen sein als diese. Und nur wenige Gerichte können Kanada einen größeren Dienst erwiesen haben als dieses Gericht. Keinem sind Kanadier, die das Erbe ihrer Freiheit schätzen, zu größerem Dank verpflichtet. ... Die Entscheidung läßt sich gar nicht mit einem so großen Freudenfeuer feiern, wie sie es verdienen würde.“
-
-
‘Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft’Jehovas Zeugen — Verkündiger des Königreiches Gottes
-
-
[Bilder auf Seite 679]
In 138 Fällen, bei denen es um Zeugen Jehovas ging, wurden beim Obersten Bundesgericht der USA Rechtsmittelanträge eingereicht. Hayden Covington (hier zu sehen) diente von 1939 bis 1963 bei 111 dieser Fälle als Anwalt.
[Bild auf Seite 681]
Maurice Duplessis, Ministerpräsident von Quebec, kniet Ende der 30er Jahre öffentlich vor Kardinal Villeneuve und steckt ihm einen Ring an den Finger als Beweis für die engen Bande zwischen Kirche und Staat. In Quebec wurden Jehovas Zeugen besonders heftig verfolgt.
[Bild auf Seite 683]
W. K. Jackson, ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung im Hauptbüro der Gesellschaft, diente zehn Jahre als Mitglied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas
[Bild auf Seite 685]
Rosco Jones; sein Fall, bei dem es um den Predigtdienst der Zeugen Jehovas ging, kam zweimal vor das Oberste Bundesgericht der USA
[Bilder auf Seite 686]
Richter des Obersten Bundesgerichts der USA, die im Fall „Barnette“ mit 6 gegen 3 Stimmen zugunsten der Religionsfreiheit den obligatorischen Fahnengruß ablehnten. Damit stieß das Gericht die zuvor im Fall „Gobitis“ gefällte eigene Entscheidung um.
Kinder, die in die Fälle verwickelt waren
Lillian und William Gobitas
Marie und Gathie Barnette
[Bild auf Seite 689]
Aimé Boucher wurde vom Obersten Bundesgericht Kanadas freigesprochen; durch dieses Urteil wurden die gegen Jehovas Zeugen erhobenen Anklagen, die auf Staatsgefährdung lauteten, abgewiesen
[Bilder auf Seite 691]
Dieses Traktat (in drei Sprachen) unterrichtete alle Bürger Kanadas über die in Quebec gegen Jehovas Zeugen verübten Greueltaten
[Bilder auf Seite 692]
Es wurde nötig, Jehovas Zeugen über rechtliche Verfahrensweisen gründlich zu informieren, damit sie dem Widerstand im Predigtdienst begegnen konnten; hier sind einige der einschlägigen Veröffentlichungen zu sehen, die sie benutzten
-