Königreichsmehrung im einstigen Kaiserreich
WENN du dir die Landkarte von Mitteleuropa ansiehst, findest du in den Alpen die 83 850 km2 große Republik Österreich, das Heimatland des Walzerkönigs Johann Strauß. In Wien, der einstigen Hauptstadt der gewaltigen kaiserlich-königlichen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, die außerdem über Böhmen und Mähren sowie über Teile Italiens, Polens, Rumäniens und Jugoslawiens herrschte, können die Touristen die tanzenden Lipizzaner und noch vieles mehr bestaunen.
Das Reich ist heute zwar nur noch Geschichte, aber es existierte noch, als Charles Taze Russell, der erste Präsident der Watch Tower Society, im Jahre 1911 Wien besuchte. Sein Vortrag wurde damals in vielen Zeitungen veröffentlicht. Auch drei Jahre später bestand die Doppelmonarchie noch, als jemand anders die gute Botschaft dorthin brachte.
Max Freschel, ein Jude, der später den Namen Maxwell Friend annahm, schrieb: „Als J. F. Rutherford, der [spätere] Präsident der Watch Tower Society, uns besuchte, fragte er mich, ob ich gern nach Österreich-Ungarn gesandt werden möchte, um die gute Botschaft vom messianischen Königreich dort unter den vielen Juden zu verbreiten. ... Ich nahm die Einladung freudig an, und Anfang 1914 reiste ich nach Prag ... Dann ging ich nach Wien ... In Wien gab es nur vier Wachtturm-Abonnenten. Ich besuchte sie wiederholt, um ihr Interesse an Gottes Wort zu fördern.“
Später in jenem Jahr wurde der österreichische Thronfolger ermordet, und Europa wurde in den Ersten Weltkrieg gestürzt. Die Mittelmächte, zu denen Österreich-Ungarn gehörte, verloren den Krieg, und die Donaumonarchie zerbrach. Aus den Trümmern erhob sich die kleine deutschsprachige Republik Österreich.
Gemäß einer biblischen Prophezeiung sollte zu jener Zeit jedoch eine andere „Nation“ geboren werden, eine geistige Nation, deren Glieder in der ganzen Welt vertreten sein würden (Jesaja 66:8). Auch in Österreich spürte man es sehr bald, als diese „Nation“ damit begann, unter allen Nationen die gute Botschaft von dem jetzt aufgerichteten Königreich Gottes zu verkündigen.
Johann Ehm, der in Deutsch Wagram, einem Ort in der Nähe von Wien, als Musiklehrer tätig war, erkannte den Klang der biblischen Wahrheit. Schon nach kurzer Zeit sprach er auch mit anderen über die gute Botschaft. Im Jahre 1921 wurde einem weiteren interessierten Österreicher, dem Buchhalter Franz Ganster aus Klagenfurt, Literatur aus der Schweiz zugeschickt. Zur gleichen Zeit erhielt Simon Riedler, ein Bauer aus Oberösterreich, eine Broschüre von einem Freund in Linz. Ein kleiner Anfang war gemacht, und im Jahre 1923 wurde ein Zweigbüro der Watch Tower Bible and Tract Society in Wien eröffnet. Der Samen der Wahrheit war auf fruchtbaren Boden gefallen und begann Früchte zu tragen. Im Jahre 1937 beteiligten sich bereits 549 Personen an der Verbreitung der guten Botschaft.
Eine zweite Weltkrise
In jener Zeit wurden jedoch auch andere Kräfte in Bewegung gesetzt, was eine verheerende Auswirkung haben und Österreich erneut in das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit rücken sollte. Innere Unruhen und politische Rivalität ermöglichten es dem in Österreich geborenen deutschen Reichskanzler Adolf Hitler, sein einstiges Heimatland „heim ins Reich“ zu holen. Der Anschluß an das Deutsche Reich, den die katholische Kirche des Landes unterstützte, wurde später durch eine Volksabstimmung bestätigt. Für Jehovas Zeugen in Österreich brachte das sofort Schwierigkeiten mit sich.
Wegen ihrer neutralen Haltung wurden viele österreichische Zeugen in Konzentrationslager gebracht. In der Dokumentation Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, die mit einem Vorwort des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Franz Jonas versehen ist, heißt es: „Es [gab] im Konzentrationslager Mauthausen eine Personengruppe, die nur aus religiösen Gründen verfolgt wurde. Angehörige der Sekte ‚Ernste Bibelforscher‘ beziehungsweise ‚Zeugen Jehovas‘ ... Die Ablehnung, den Treu-Eid auf Hitler zu leisten und die Verweigerung jedweden Militärdienstes — eine politische Konsequenz ihres Glaubens — waren Ursache ihrer Verfolgung.“
Mehrung in jüngerer Zeit
Das „1000jährige Reich“ Hitlers bestand jedoch nur wenige Jahre, und mit seinem Untergang erlangte diese treue Schar ergebener Diener Gottes ihre Freiheit wieder. Der heute 84jährige Alois Moser, der viele Jahre in Konzentrationslagern verbrachte, berichtet über den Tag seiner Befreiung im Jahre 1945: „In einem Wald bei Schwerin (Mecklenburg) versammelten sich 230 Zeugen aus 6 verschiedenen Nationen. In einer Resolution brachten wir unsere dankbare Herzensstimmung zum Ausdruck: ‚Wir versammelten Zeugen Jehovas senden unsere allerherzlichsten Grüße an das treue Bundesvolk Jehovas und seine Gefährten in aller Welt ... Wir geloben, daß wir nur einen Wunsch haben, nämlich aus tiefster Dankbarkeit zufolge der langen Kette unendlich vieler Beweise wunderbarster Bewahrungen und Errettungen aus all den tausend Nöten, Kämpfen und Bedrängnissen während des Aufenthaltes in der Löwengrube Jehova und seinem großen König, Jesus Christus, willigen und freudigen Herzens in alle Ewigkeit zu dienen.“
Schon ein Jahr später berichteten in Österreich 730 Lobpreiser Jehovas über ihre Tätigkeit. Zwei Jahre danach waren es bereits 1 552, und die Mehrung hat seitdem ohne Unterlaß angedauert. Das Predigtwerk unter den mehrere tausend zählenden Gastarbeitern hat ebenfalls segensreiche Ergebnisse gebracht. Außer den 229 deutschen und den 6 jugoslawischen Versammlungen bestehen heute ungarische, englische, polnische, rumänische, spanische, türkische und arabische Verkündigergruppen. Es gibt jetzt über 16 000 Zeugen Jehovas im Land, und viele weitere werden von der Macht der guten Botschaft vom Königreich angezogen. So waren 1985 bei der jährlichen Feier zur Erinnerung an den Tod Jesu Christi 27 502 Personen zugegen. Wahrlich, ‘der Kleine ist zu einem Tausend geworden’! (Jesaja 60:22).
Eine Demonstration internationaler Einheit
Die geographische Lage Österreichs hat es ermöglicht, daß in den vergangenen Jahren Zeugen Jehovas aus Griechenland, Jugoslawien, Polen, Ungarn und aus der Türkei hier zusammenkommen und Gemeinschaft pflegen konnten. Es war ein erhebender Anblick, als sich 1981 anläßlich des Bezirkskongresses „Loyale Unterstützer des Königreiches“ Zeugen Jehovas aus Österreich zusammen mit ihren Glaubensbrüdern aus Jugoslawien, Polen und Ungarn von ihrem Platz erhoben, um gemeinsam zur Ehre Jehovas das abschließende Lied zu singen.
Auch im Jahre 1982 waren die Zeugen in Österreich anläßlich eines Kongresses in Wien Gastgeber für ihre Brüder aus Ungarn. Ein einstiger Wiener Leichtathlet erzählte den versammelten Zeugen, daß er früher in diesem Stadion, wo jetzt der Kongreß abgehalten wurde, für seine sportlichen Einsätze trainierte, und er erwähnte, daß er in seinem letzten Wettkampf gegen ein ungarisches Team gekämpft habe. Später kam ein Zeuge aus Ungarn in das Kongreßbüro und berichtete, daß auch er früher Leichtathlet war und daß er in seinem letzten Wettkampf gegen eine österreichische Mannschaft angetreten sei. Diese beiden Christen kämpfen jetzt nicht mehr gegeneinander. Sie laufen gemeinsam in dem christlichen Wettlauf um das ewige Leben (Hebräer 12:1).
Die Königreichsmehrung hält an
Menschen verschiedener Herkunft sowie unterschiedlicher politischer und religiöser Überzeugung haben erkannt, daß weder eine Monarchie noch eine Demokratie, noch eine Diktatur in der Lage ist, eine dauerhafte Lösung für die Probleme der Menschheit herbeizuführen. Diese Erkenntnis hat zu einer ständigen Zunahme in den Reihen derjenigen geführt, die Gottes Königreich als Realität anerkennen und sich diesem Königreich als loyale Untertanen ganzherzig unterstellen. Jehovas Zeugen in Österreich werden sich auch in Zukunft eifrig bemühen, die gute Botschaft vom Königreich allen Arten von Menschen zu überbringen, während sie in diesem einstigen Kaiserreich die Regierung unterstützen, deren segensreiche Herrschaft sich einmal „von Meer zu Meer und von dem STROM bis zu den Enden der Erde“ erstrecken wird (Psalm 72:8).
[Karte auf Seite 26]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
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