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  • Mit einer Lernbehinderung leben
    Erwachet! 1997 | 22. Februar
    • Mit einer Lernbehinderung leben

      Der sechsjährige David hört gern Geschichten, und es ist für ihn die schönste Zeit am Tag, wenn ihm seine Mutter etwas vorliest. Er hat auch keinerlei Schwierigkeiten, sich das, was er hört, zu merken. Aber David hat ein Problem. Er kann nicht lesen. Ja jede Aufgabe, die visuelle Fertigkeiten erfordert, frustriert ihn.

      Sarah ist in der dritten Klasse, doch ihre Schrift ist ungewöhnlich schludrig. Die Buchstaben sind nicht klar ausgeschrieben, manche sind sogar seitenverkehrt. Sorgen macht den Eltern auch, daß Sarah nicht einmal ihren Namen ohne Schwierigkeiten schreiben kann.

      Josh, bereits ein Teenager, ist in der Schule in jedem Fach gut, außer in Mathematik. Das Konzept von numerischen Werten ist ihm ein einziges Rätsel. Er wird ärgerlich, wenn er Zahlen nur sieht, und sowie er sich an seine Mathematikhausaufgaben macht, ist seine gute Laune dahin.

      WAS ist mit David, Sarah und Josh los? Sind sie einfach faul, dickköpfig oder vielleicht begriffsstutzig? Keineswegs! Jedes dieser Kinder ist normal bis überdurchschnittlich intelligent. Doch alle haben mit einer Lernbehinderung zu kämpfen. David hat Dyslexie, ein Begriff, der eine Reihe von Leseschwierigkeiten bezeichnet. Sarahs extreme Schwierigkeiten beim Schreiben nennt man Dysgraphie. Und Joshs Unvermögen, die grundlegenden Begriffe der Mathematik zu erfassen, bezeichnet man als Dyskalkulie. Das sind lediglich drei Formen von Lernbehinderungen. Es gibt noch viele weitere, und nach Schätzungen etlicher Experten sind in den Vereinigten Staaten insgesamt mindestens 10 Prozent der Kinder davon betroffen.

      Definition des Begriffs „Lernbehinderung“

      Natürlich haben die meisten Kinder und Jugendlichen hin und wieder Probleme mit dem Lernen. Gewöhnlich ist das jedoch kein Hinweis auf eine Lernbehinderung. Es zeigt nur, daß alle Kinder Stärken und Schwächen haben, was das Lernen angeht. Manche lernen enorm gut über das Gehör; sie können einfach über das Hören Informationen aufnehmen. Andere sind eher visuelle Typen; sie lernen besser durch Lesen. In der Schule werden diese Schüler jedoch in ein und dasselbe Klassenzimmer gesetzt, und man erwartet von allen, daß sie ungeachtet der verwendeten Lehrmethode etwas lernen. Da läßt es sich nicht verhindern, daß einige Kinder Lernschwierigkeiten haben.

      Manche Experten sind allerdings der Meinung, daß zwischen einfachen Lernschwierigkeiten und Lernbehinderungen ein Unterschied besteht. Lernschwierigkeiten könnten mit Geduld und Anstrengungen überwunden werden, erklären sie. Lernbehinderungen sollen jedoch tiefere Ursachen haben. „Das Gehirn des ls [lerngestörten] Kindes [scheint] bei gewissen Aufgaben mangelhaft wahrzunehmen, zu verarbeiten und sich zu erinnern“, schreiben Dr. Paul Wender und Dr. Esther Wender.a

      Eine Lernbehinderung bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß das Kind geistig behindert ist. Als Erklärung zieht das Ehepaar Wender eine Parallele zu Menschen mit Tontaubheit, also Menschen, die nicht in der Lage sind, Töne verschiedener Höhe zu unterscheiden. „Tontaube sind weder hirngeschädigt, noch ist etwas falsch mit ihrem Hörvermögen“, schreiben Paul und Esther Wender. „Niemand würde auf die Idee kommen, Tontaubheit sei die Folge von Faulheit, schlechtem Schulunterricht oder ungenügender Motivation.“ Ebenso sei es mit Lernbehinderten. Oftmals konzentriere sich die Schwierigkeit auf einen speziellen Aspekt des Lernens.

      Das erklärt, warum viele lernbehinderte Kinder durchschnittlich bis überdurchschnittlich intelligent sind; manche von ihnen sind sogar hochintelligent. Oftmals ist es gerade dieses Paradoxon, das Ärzte auf eine möglicherweise bestehende Lernbehinderung aufmerksam werden läßt. In dem Buch Why Is My Child Having Trouble at School? liest man die Erklärung: „Ein lernbehindertes Kind ist mindestens zwei Jahre hinter dem für sein Alter üblichen Entwicklungsstand und seinem geschätzten IQ zurück.“ Die Schwierigkeit besteht mit anderen Worten nicht nur darin, daß das Kind Mühe hat, mit Gleichaltrigen Schritt zu halten, sondern auch, daß es hinter seiner eigenen Leistungsfähigkeit zurückbleibt.

      Die nötige Hilfe bieten

      Nicht selten wird die Situation durch die emotionellen Auswirkungen der Lernbehinderung noch verschlimmert. Lernbehinderte Kinder werden vielleicht wegen ihrer schwachen Leistungen in der Schule von Lehrern und Mitschülern und möglicherweise sogar von ihren eigenen Angehörigen für Versager gehalten. Leider entwickeln viele dieser Kinder ein negatives Selbstbild, das sie auch als Heranwachsende unter Umständen nicht ablegen. Das ist mit Recht besorgniserregend, denn Lernbehinderungen verschwinden im allgemeinen nicht.b „Lernbehinderungen sind Behinderungen fürs Leben“, schreibt Dr. Larry B. Silver. „Dieselben Behinderungen, die die Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeit hemmen, werden auch sportliche und andere Aktivitäten, das Familienleben und den Umgang mit Freunden beeinträchtigen.“

      Daher ist es wichtig, daß lernbehinderte Kinder von ihren Eltern unterstützt werden. „Kinder, die wissen, daß ihre Eltern entschieden für sie eintreten, können, von dieser Basis ausgehend, ein Gefühl der Kompetenz und der Selbstachtung entwickeln“, heißt es in dem Buch Parenting a Child With a Learning Disability.

      Aber um für ihre Kinder eintreten zu können, müssen die Eltern zuerst ihre eigenen Gefühle analysieren. Manche Eltern fühlen sich schuldig, so als ob sie für den Zustand ihres Kindes irgendwie verantwortlich seien. Andere reagieren panisch, weil sie sich mit der vor ihnen liegenden Aufgabe überfordert sehen. Beide Reaktionen helfen nicht gerade weiter. Sie lähmen die Eltern förmlich und verhindern, daß das Kind die nötige Hilfe erhält.

      Stellt ein Spezialist daher fest, daß ein Kind lernbehindert ist, sollten die Eltern nicht den Kopf hängen lassen. Lernbehinderte Kinder benötigen einfach nur besondere Unterstützung in einem bestimmten Lernbereich. Eltern sollten sich die Zeit nehmen und sich mit allen Programmen vertraut machen, die in ihrer Gegend für lernbehinderte Kinder angeboten werden. Viele Schulen sind heute auf solche Situationen besser eingestellt als noch vor Jahren.

      Experten betonen, daß man sein Kind für jede noch so geringe Leistung loben sollte. Eltern sollten nicht mit Lob sparen. Gleichzeitig dürfen sie Erziehungsmaßnahmen nicht vernachlässigen. Kinder brauchen eine gewisse Ordnung, und das trifft auf lernbehinderte Kinder noch viel mehr zu. Eltern sollten ihr Kind daher wissen lassen, was sie von ihm erwarten, und sich an feste Regeln halten.

      Schließlich sollten sie lernen, ihre Situation realistisch zu sehen. In dem Buch Parenting a Child With a Learning Disability wird das auf folgende Weise verdeutlicht: „Stellen Sie sich vor, Sie gehen in Ihr Lieblingsrestaurant und bestellen Kalbsfilet. Als Ihnen der Kellner das Essen serviert, bemerken Sie, daß es Lammfilet ist. Beides sind köstliche Gerichte, aber Sie waren auf Kalb eingestellt. Viele Eltern müssen in ihrem Denken umschalten. Vielleicht waren Sie nicht auf Lamm eingestellt, aber Sie finden es dann doch herrlich. So geht es Ihnen auch, wenn Sie Kinder mit besonderen Bedürfnissen großziehen.“

      [Fußnoten]

      a Einige Studien deuten an, daß bei Lernbehinderungen eventuell genetische Faktoren oder äußere Einflüsse, wie zum Beispiel eine Bleivergiftung oder Drogen- beziehungsweise Alkoholmißbrauch während der Schwangerschaft, eine Rolle spielen. Der oder die Gründe sind jedoch nicht genau bekannt.

      b In manchen Fällen zeigen Kinder eine vorübergehende Lernbehinderung, weil ihre Entwicklung auf einem bestimmten Gebiet verzögert ist. Bei solchen Kindern legen sich die Symptome, wenn sie heranwachsen.

  • „Sitz still und paß auf!“
    Erwachet! 1997 | 22. Februar
    • „Sitz still und paß auf!“

      Mit einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung leben

      „Die ganze Zeit hatte Jim gesagt, Cal sei nur verzogen und wenn wir — er meinte mich — etwas mehr durchgreifen würden, dann würde er sich schon machen. Und jetzt sagt uns der Arzt, daß es weder mein Fehler noch unser Fehler, noch der Fehler von Cals Lehrern ist, sondern daß mit unserem kleinen Jungen tatsächlich etwas nicht stimmt.“

      CAL hat eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHD) — ein Zustand, der sich durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität ausdrückt. Diese Störung liegt bei schätzungsweise 3 bis 5 Prozent aller schulpflichtigen Kinder vor. „Ihr Sinn gleicht einem Fernsehgerät mit fehlerhaften Kanalschaltern“, sagt die Lernspezialistin Priscilla L. Vail. „Ein Gedanke jagt den anderen, und zwar zusammenhanglos und ungeordnet.“

      Beschäftigen wir uns deshalb kurz mit drei Hauptsymptomen von ADHD.

      Unaufmerksamkeit: Ein ADHD-Kind kann unwichtige Einzelheiten nicht aussortieren und sich nicht auf eine einzelne Sache konzentrieren. Es läßt sich somit durch Umweltreize, Geräusche und Gerüche schnell ablenken. Es ist aufmerksam, aber kein einzelnes Merkmal in seinem Umfeld hebt sich besonders heraus. Es kann nicht feststellen, welche Sache vorzugsweise seine Aufmerksamkeit verdient.

      Impulsivität: Das ADHD-Kind handelt, ohne zu überlegen oder die Folgen zu bedenken. Seine Planung und sein Urteilsvermögen sind mangelhaft, und sein Verhalten ist mitunter gefährlich. „Es rast auf die Straße, klettert blitzschnell auf eine Mauer oder einen Baum“, schreibt Dr. Paul Wender. „Das Ergebnis ist, daß das hyperkinetische Kind weit mehr als andere Kinder Schnittwunden, Beulen, Abschürfungen oder ähnliche Verletzungen hat und ärztliche Behandlungen benötigt.“

      Hyperaktivität: Hyperaktive Kinder zappeln ständig herum. Sie können nicht still sitzen. „Selbst bei älteren Kindern“, schreibt Dr. Gordon Serfontein in seinem Buch The Hidden Handicap, „wird man bei genauem Hinsehen bemerken, daß die Beine, Füße, Arme, Hände oder die Lippen und die Zunge dauernd in Bewegung sind.“

      Allerdings sind nicht alle unaufmerksamen und impulsiven Kinder hyperaktiv. Ihre Störung wird zuweilen schlicht Aufmerksamkeitsstörung (ADD) genannt. Wie Dr. Ronald Goldberg erklärt, kann ADD „sich ohne jegliche Hyperaktivität äußern. Oder sie kann mit Hyperaktivität in jeglicher Stärke auftreten — von kaum merklich über ziemlich störend bis höchst behindernd.“

      Was sind die Ursachen für ADHD?

      In den vergangenen Jahren hat man Aufmerksamkeitsschwierigkeiten auf alles mögliche geschoben, von schlechten Erziehungsmethoden bis hin zum Neonlicht. Heute ist man der Ansicht, daß ADHD mit Störungen bestimmter Gehirnfunktionen zusammenhängt. 1990 stellte das US-Institut für Mentalhygiene bei einer Untersuchung von 25 Erwachsenen mit ADHD-Symptomen fest, daß bei den Betreffenden in den Hirnregionen, die die Bewegung und die Aufmerksamkeit steuern, Glukose langsamer umgewandelt wird. Bei ungefähr 40 Prozent der ADHD-Fälle scheint die genetische Veranlagung eine Rolle zu spielen. Weitere Faktoren, die mit ADHD in Verbindung gebracht werden, sind gemäß der Publikation The Hyperactive Child Book der Alkohol- und Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft, Bleivergiftungen und vereinzelt auch die Ernährung.

      Wenn ein ADHD-Kind heranwächst und erwachsen wird

      In jüngster Zeit haben Ärzte entdeckt, daß sich ADHD nicht nur in der Kindheit bemerkbar macht. „Bezeichnenderweise“, sagt Dr. Larry Silver, „bringen die Eltern ihr Kind zur Behandlung mit der Bemerkung: ‚Ich war als Kind genauso.‘ Während des Gesprächs räumen sie ein, daß es ihnen immer noch schwerfällt, Schlange zu stehen, bei einer Veranstaltung still zu sitzen oder Aufgaben zu Ende zu führen.“ Heute ist man der Ansicht, daß etwa die Hälfte aller ADHD-Kinder zumindest einige Symptome in das Jugend- und Erwachsenenalter mit hinübernehmen.

      Ein ADHD-Kind, das zu einem riskanten Verhalten neigt, wird als Heranwachsender unter Umständen straffällig. „Früher habe ich mir Sorgen gemacht, daß er es nicht auf das College schafft“, sagt eine Mutter über ihren heranwachsenden Sohn mit ADHD. „Heute bete ich, daß er nicht im Gefängnis landet.“ Daß solche Sorgen begründet sein können, zeigt eine Studie, in der 103 hyperaktive Kinder mit einer Kontrollgruppe von 100 Kindern verglichen wurden, die diese Störung nicht aufwiesen. „Bei den Probanden aus der hyperaktiven Gruppe“, meldete die Zeitschrift Newsweek, „war die Wahrscheinlichkeit, im Alter von Anfang Zwanzig bereits verhaftet worden zu sein, doppelt so hoch, eines Verbrechens überführt worden zu sein, fünfmal so hoch, und im Gefängnis gesessen zu haben, neunmal so hoch.“

      Für den Erwachsenen stellt ADHD eine besondere Problematik dar. Dr. Edna Copeland erklärt: „Aus dem hyperaktiven Jungen wird eventuell ein Erwachsener, der häufig den Arbeitsplatz wechselt, dem etliche Male gekündigt wird und der den ganzen Tag lang rastlos umherjagt.“ Wird die Ursache nicht erkannt, können diese Symptome eine Ehe stark belasten. „Schon bei einem simplen Gespräch“, sagt eine Frau über ihren Mann, der ADHD hat, „hörte er überhaupt nicht, was ich sagte. Es war, als ob er mit seinen Gedanken immer woanders war.“

      Natürlich ist ein solches Verhalten bei vielen Menschen zu beobachten — zumindest bis zu einem gewissen Grad. „Man muß sich fragen, ob die Symptome schon immer vorhanden waren“, erklärt Dr. George Dorry. Werde ein Mann erst vergeßlich, nachdem er zum Beispiel seine Arbeit verloren oder nachdem seine Frau entbunden habe, könne man nicht von einer Störung sprechen.

      Wenn jemand wirklich ADHD hat, äußern sich die Symptome außerdem in nahezu jedem Lebensbereich. Ein Beispiel dafür ist der 38jährige Gary, ein intelligenter, dynamischer Mann, der anscheinend keine einzige Aufgabe zu Ende bringen konnte, ohne sich ablenken zu lassen. Er hatte bereits über 120 verschiedene Arbeitsstellen. „Ich fand mich eben damit ab, daß ich nichts zustande bringen konnte“, meinte er. Aber sowohl Gary als auch vielen Kindern, Heranwachsenden und Erwachsenen ist geholfen worden, mit ADHD zurechtzukommen. Wie?

  • Die Aufgabe meistern
    Erwachet! 1997 | 22. Februar
    • Die Aufgabe meistern

      IM Lauf der Jahre gab es etliche Behandlungsempfehlungen für ADHD. Bei manchen stand die Ernährung im Vordergrund. Einige Studien deuten allerdings an, daß Nahrungsmittelzusätze gewöhnlich keine Hyperaktivität auslösen und eine Ernährungsumstellung oftmals wirkungslos ist. Andere Behandlungsmethoden für ADHD sind eine medikamentöse Behandlung, Verhaltensmodifikation und kognitives Training.a

      Medikamentöse Behandlung. Da ADHD offensichtlich mit einer Funktionsstörung des Gehirns zusammenhängt, hat sich eine medikamentöse Behandlung zur Wiederherstellung des chemischen Gleichgewichts im Gehirn für viele als hilfreich erwiesen.b Eine medikamentöse Behandlung ersetzt jedoch nicht den Lernvorgang. Sie hilft dem Kind lediglich, sich zu konzentrieren, und liefert ihm damit eine Basis, auf der es sich neue Fertigkeiten aneignen kann.

      Eine Behandlung mit Medikamenten hat auch vielen Erwachsenen mit ADHD geholfen. Doch auch hier ist für Jugendliche und Erwachsene Vorsicht angesagt, denn manche Stimulanzien, die bei der Behandlung von ADHD verwendet werden, können abhängig machen.

      Verhaltensmodifikation. ADHD bei einem Kind entbindet die Eltern nicht von erzieherischen Maßnahmen. Auch wenn das Kind auf Grund seiner Störung spezielle Bedürfnisse hat, ermahnt die Bibel die Eltern: „Erzieh einen Knaben gemäß dem Weg für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen“ (Sprüche 22:6). Barbara Ingersoll bemerkt in ihrem Buch Your Hyperactive Child: „Eltern tun ihrem hyperaktiven Kind keinen Gefallen, wenn sie einfach das Handtuch werfen und die Zügel schleifen lassen. Das hyperaktive Kind benötigt wie jedes andere Kind konsequente Disziplin, gekoppelt mit Respekt vor der Person des Kindes. Das heißt, es benötigt klare Grenzen und angemessene Belohnungen beziehungsweise Bestrafungen.“

      Es ist somit wichtig, daß Eltern einen festen Rahmen abstecken. Außerdem sollte es einen strikt geregelten Tagesablauf geben. Vielleicht möchten die Eltern ihrem Kind beim Einteilen seiner Zeit für Hausaufgaben, Lernen, Baden und dergleichen freie Hand lassen. Doch dann werden sie konsequent dafür sorgen, daß sich das Kind an die Einteilung hält. Und sie sehen zu, daß der Tagesablauf eingehalten wird. In Phi Delta Kappan heißt es: „Ärzte, Psychologen, Schulvertreter und Lehrer haben die Pflicht, dem Kind und seinen Eltern folgendes klarzumachen: Eine ADD- oder ADHD-Klassierung ist kein Freibrief dafür, daß sich das Kind alles erlauben darf, sondern vielmehr eine Begründung dafür, dem betreffenden Kind angemessene Hilfe zukommen zu lassen.“

      Kognitives Training. Das schließt ein, dem Kind zu helfen, sich selbst und seine Störung in einem anderen Licht zu sehen. „Wer eine Aufmerksamkeitsstörung hat, findet sich ‚häßlich, dumm und schlecht‘, auch wenn er anziehend, intelligent und gutherzig ist“, so die Beobachtung von Dr. Ronald Goldberg. Ein ADD- oder ADHD-Kind muß deshalb ein ausgewogenes Selbstwertgefühl entwickeln und wissen, daß seine Aufmerksamkeitsschwierigkeiten bewältigt werden können. Das ist vor allem für Heranwachsende wichtig. Bis ein ADHD-Kind zum Teenager herangewachsen ist, hat es möglicherweise von Gleichaltrigen, Lehrern, Geschwistern und vielleicht sogar von den Eltern viel Kritik einstecken müssen. Nun muß es sich realistische Ziele setzen und sollte in seiner Selbsteinschätzung nicht zu streng, sondern fair sein.

      Die eben beschriebenen Behandlungsmethoden lassen sich auch bei Erwachsenen mit ADHD anwenden. „Sie müssen den verschiedenen Altersstufen angepaßt werden“, schreibt Dr. Goldberg, „aber die Grundprinzipien der Behandlung — Medikation, wenn angebracht, Verhaltensmodifikation und kognitives ... [Training] — sind und bleiben in jeder Lebensphase der richtige Ansatz.“

      Eine Stütze sein

      John, Vater eines halbwüchsigen ADHD-Kindes, rät Eltern, die sich in einer ähnlichen Lage befinden: „Informiert euch so gut wie möglich über das Problem. Trefft gut fundierte Entscheidungen. Gebt eurem Kind vor allem Liebe, und stärkt ihm den Rücken. Ein geringes Selbstwertgefühl ist fatal.“

      Damit ein ADHD-Kind die nötige Unterstützung erhält, müssen beide Elternteile zusammenwirken. Wie Dr. Gordon Serfontein schreibt, muß ein ADHD-Kind „wissen, daß es zu Hause geliebt wird und daß diese Liebe auf der Liebe zwischen den Eltern basiert“ (Kursivschrift von uns). Leider wird eine solche Liebe nicht immer gezeigt. Dr. Serfontein erklärt weiter: „Die Belege zeigen, daß in Familien ... [mit einem ADHD-Kind] ehelicher Zwist und Zerrüttung nahezu um ein Drittel häufiger auftreten als in anderen Familien.“ Um derartige Mißklänge zu verhindern, sollte der Vater bei der Erziehung des ADHD-Kindes eine tragende Rolle spielen. Die Verantwortung sollte nicht allein der Mutter aufgebürdet werden (Epheser 6:4; 1. Petrus 3:7).

      Gute Freunde können eine große Unterstützung sein, auch wenn sie nicht zur Familie gehören. Wie? „Durch ihre Freundlichkeit“, sagt John, der zuvor zitiert wurde. „Und dadurch, daß sie hinter die Kulissen schauen, das Kind kennenlernen und sich mit den Eltern unterhalten. Wie kommen sie zurecht? Womit mühen sie sich Tag für Tag ab?“ (Sprüche 17:17).

      Angehörige der Christenversammlung können sowohl dem ADHD-Kind als auch den Eltern eine große Stütze sein. Wodurch? Dadurch, daß sie, was ihre Erwartungen angeht, vernünftig sind (Philipper 4:5). Mitunter kann ein Kind mit ADHD recht störend sein. Statt gefühllos zu sagen: „Könnt ihr euer Kind nicht ruhig halten?“ oder: „Wie wär’s, wenn ihr euer Kind mal richtig in Zucht nehmen würdet?“, werden einfühlsame Mitchristen erkennen, daß die Eltern durch die täglichen Anforderungen bei der Erziehung eines ADHD-Kindes wahrscheinlich schon überlastet sind. Natürlich sollten Eltern alles in ihrer Macht Stehende tun, damit das Kind nicht zu sehr stört. Doch statt verärgert aufzufahren, sollten Mitchristen versuchen, „Mitgefühl“ zu zeigen und ‘Segen zu verleihen’ (1. Petrus 3:8, 9). Gerade durch mitfühlende Mitchristen ‘tröstet Gott die Niedergeschlagenen’ oftmals (2. Korinther 7:5-7).

      Erforschern der Bibel ist klar, daß alle Formen der menschlichen Unvollkommenheit, einschließlich Lernbehinderungen und ADHD, ein Erbe von Adam, dem ersten Menschen, sind (Römer 5:12). Sie wissen auch, daß unser Schöpfer, Jehova, seine Verheißung erfüllen wird, eine gerechte neue Welt zu schaffen, in der es keine Krankheiten mehr geben wird, die das Leben schwermachen (Jesaja 33:24; Offenbarung 21:1-4). Diese Gewißheit ist Menschen mit Störungen wie ADHD ein fester Anker. „Mit zunehmendem Alter, dem entsprechenden Training und durch Erfahrung kann unser Sohn seine Störung allmählich verstehen und meistern“, sagt John. „Aber er wird in dem gegenwärtigen System nie völlig geheilt werden können. Das Bewußtsein, daß Jehova in der neuen Welt die Störung beheben wird und daß die Lebensfreude unseres Sohnes dann durch nichts getrübt sein wird, tröstet uns täglich aufs neue.“

      [Fußnoten]

      a Erwachet! empfiehlt keine spezielle Behandlung. Christen sollten darauf achten, daß die von ihnen gewählte Behandlungsform nicht im Widerspruch zu biblischen Grundsätzen steht.

      b Manchmal stellen sich bei einer medikamentösen Behandlung unerwünschte Nebenwirkungen ein wie Ängste und andere Gemütsprobleme. Stimulierende Medikamente können bei Patienten mit Tic-Störungen wie dem Tourette-Syndrom außerdem Zuckungen verschlimmern. Daher sollte die Einnahme der Medikamente von einem Arzt überwacht werden.

      [Kasten auf Seite 8]

      Ein Wort zur Vorsicht an die Eltern

      PRAKTISCH alle Kinder sind hier und da unaufmerksam, impulsiv und überaktiv. Ein solches Verhalten deutet nicht immer auf ADHD hin. Dr. Stanton E. Samenow bemerkt in seinem Buch Before It’s Too Late: „Ich habe unzählige Male beobachtet, daß ein Kind, das sich weigert, etwas zu tun, entschuldigt wird, weil man denkt, es habe ein Handicap oder eine Störung, für die es nichts könne.“

      Dr. Richard Bromfield ist ebenfalls der Ansicht, daß Vorsicht angebracht ist. „Sicherlich sind etliche Menschen, bei denen ADHD diagnostiziert wurde, neurologisch angeschlagen und müssen medizinisch behandelt werden“, schreibt er. „Aber die Störung muß oft auch als Sündenbock für alle Arten von Mißbrauch und Mißhandlungen, Heucheleien, Vernachlässigungen und für andere gesellschaftliche Übel herhalten, die in den meisten Fällen nichts mit ADHD zu tun haben. Ja, eine ADHD-ähnliche Unrast wird wohl eher durch den Werteverlust in der modernen Gesellschaft — willkürliche Gewalt, Drogenmißbrauch und nicht ganz so schwerwiegende Faktoren wie ein ungeregeltes Leben und Überreizung im familiären Umfeld — als durch nervliche Störungen gefördert.“

      Aus gutem Grund warnt Dr. Ronald Goldberg somit davor, ADHD als „Allerweltsdiagnose“ zu sehen. Sein Rat ist, „sich davon zu überzeugen, daß kein für die Diagnose wichtiges Puzzleteil übersehen wird“. ADHD-ähnliche Symptome können ein Anzeichen für eins von vielen physischen oder psychischen Problemen sein. Um eine genaue Diagnose zu gewährleisten, ist deshalb die Hilfe eines erfahrenen Arztes erforderlich.

      Wenn die Diagnose feststeht, sollten die Eltern die Vor- und Nachteile einer medikamentösen Behandlung abwägen. Ritalin kann unerwünschte Symptome beseitigen, aber auch unangenehme Nebenwirkungen haben wie Schlaflosigkeit, verstärkte Angst und Nervosität. Aus diesem Grund warnt Dr. Richard Bromfield davor, ein Kind nur der Symptome wegen vorschnell medikamentös zu behandeln. „Zu viele Kinder und immer mehr Erwachsene erhalten sinnloserweise Ritalin“, meint er. „Meiner Erfahrung nach hängt eine Verabreichung von Ritalin weitgehend davon ab, wie toleranzfähig die Eltern und Lehrer gegenüber dem Verhalten des Kindes sind. Ich kenne Kinder, die man mit Ritalin dämpfen wollte, statt auf ihre Bedürfnisse einzugehen.“

      Eltern sollten ihr Kind daher nicht vorschnell als lernbehindertes oder als ADHD-Kind diagnostizieren. Vielmehr sollten sie mit Hilfe eines erfahrenen Experten die Anzeichen dafür genau prüfen. Wenn feststeht, daß bei einem Kind eine Lernstörung oder ADHD vorliegt, sollten sich die Eltern die Zeit nehmen und sich über die Problematik gut informieren, um ihrem Kind auf bestmögliche Weise zu helfen.

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