Wachtturm ONLINE-BIBLIOTHEK
Wachtturm
ONLINE-BIBLIOTHEK
Deutsch
  • BIBEL
  • PUBLIKATIONEN
  • ZUSAMMENKÜNFTE
  • yb09 S. 142-255
  • Das ehemalige Jugoslawien

Kein Video für diese Auswahl verfügbar.

Beim Laden des Videos ist ein Fehler aufgetreten.

  • Das ehemalige Jugoslawien
  • Jahrbuch der Zeugen Jehovas 2009
  • Zwischentitel
  • DIE ANFÄNGE
  • DAS „PHOTO-DRAMA“ GIBT DEN ANSTOSS
  • PIONIERE GEHEN ANS WERK
  • WIE DIE PIONIERE PROBLEME MEISTERTEN
  • „KOMM HERÜBER NACH MAZEDONIEN“
  • VERBOT
  • TOLSTOI ODER JEHOVA?
  • SCHWIERIGKEITEN WÄHREND DES KRIEGS
  • TREU BIS IN DEN TOD
  • TODESURTEILE
  • ER BLIEB TREU
  • EINE GEWISSE RECHTLICHE ANERKENNUNG
  • „VORSICHTIG WIE SCHLANGEN“
  • DIE ERSTEN KÖNIGREICHSSÄLE
  • ORGANISATORISCHE VERBESSERUNGEN
  • IN MAZEDONIEN TUT SICH WAS
  • INTERNATIONALER KONGRESS IN DEUTSCHLAND
  • JUGOSLAWISCHE PIONIERE AUF DEM VORMARSCH
  • TAUFE IN DEN REISFELDERN
  • GRÖSSERE FREIHEIT GUT GENUTZT
  • JUNGE BRÜDER BLEIBEN STANDHAFT
  • EIN BEWEGENDER INTERNATIONALER KONGRESS
  • DIE BELAGERUNG VON SARAJEVO
  • DER HOHE STELLENWERT DER ZUSAMMENKÜNFTE
  • EIFRIG, ABER UMSICHTIG
  • EINE TREUE FAMILIE
  • EIN ÜBERZEUGENDES ARGUMENT
  • HILFSLIEFERUNGEN ERREICHEN IHR ZIEL
  • EINE UNVERGESSLICHE REISE
  • NACH DEM STURM
  • SIE HALFEN, WO SIE KONNTEN
  • EINE BOTSCHAFT, DIE HALT GAB
  • SIE NAHMEN VIEL AUF SICH
  • „DASS ICH DAS NOCH ERLEBE!“
  • NEUES ZWEIGGEBÄUDE UND KÖNIGREICHSSÄLE
  • ES GEHT WEITER VORWÄRTS
  • IMPORTBESCHRÄNKUNGEN
  • BAU VON KÖNIGREICHSSÄLEN
  • NEUE-WELT-ÜBERSETZUNG
  • SIE KAMEN HERÜBER NACH MAZEDONIEN
  • POSITIVE REAKTIONEN DER ROMA
  • EINE „STÄRKENDE HILFE“
  • HYPERINFLATION
  • DAS ÜBERSETZEN DER BIBEL
  • DIE KIRCHE ÜBT DRUCK AUS
  • SIE LERNTEN, WIE JEHOVA ZU DENKEN
  • SIE SIND IM GLAUBEN VEREINT
  • DAS PREDIGEN TRÄGT FRÜCHTE
  • KÖNIGREICHSSÄLE UND PIONIERE
  • KRANKENHAUS-VERBINDUNGSKOMITEES
  • VOM KLEINEN BÜRO ZUM GROSSEN BETHEL
  • ES GEHT WEITER VORAN!
Jahrbuch der Zeugen Jehovas 2009
yb09 S. 142-255

Das ehemalige Jugoslawien

DAS Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ist eine Region voller Gegensätze. Mit Mittel- und Osteuropa im Norden, Griechenland und der Türkei im Süden und Italien im Westen begegnen sich dort die verschiedensten Kulturen, Sprachen und Religionen. Vielen kommen bei dem Namen Jugoslawien allerdings grausame Kriegsbilder in den Sinn. Beginnend mit der Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand im Jahr 1914 bis zur gewaltsamen Vertreibung von Volksgruppen in jüngerer Zeit kam dieser Teil der Balkanhalbinsel kaum einmal zur Ruhe. Im Kampf um die Unabhängigkeit wurden aus Teilrepubliken eigenständige Staaten. Schließlich zerfiel Jugoslawien ganz und gar. Heute unterscheidet man zwischen Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien.

Auf diesem Schauplatz politischer, ethnischer und religiöser Konflikte hat sich noch eine ganz andere Geschichte abgespielt. Sie erzählt von Liebe, Einheit und Vertrauen. Jehovas Zeugen haben in ihren Reihen die Vorurteile und Feindseligkeiten überwunden, die den Balkan in Atem halten. Ihre multikulturelle Harmonie ist darauf zurückzuführen, dass sie einer höheren Regierung die Treue halten, dem Königreich Gottes.

DIE ANFÄNGE

Wie begann die Geschichte der Zeugen Jehovas in dieser Gegend? Den Anfang machte ein junger Friseur mit Namen Franz Brand. Er stammte aus der Region Wojwodina im Norden Jugoslawiens. Auf der Suche nach Arbeit war er nach Österreich gezogen und kam dort mit der Wahrheit in Berührung. Als er 1925 in seinen Heimatort zurückkehrte, schloss er sich einer kleinen Gruppe an, die gemeinsam die Schriftstudien las und besprach. Die Bücher hatte man von Verwandten aus den USA bekommen.

Die Gruppe erkannte, dass sie die gute Botschaft auch an andere weitergeben müsste. Daher wurden zwei Broschüren ins Serbische übersetzt. Doch bevor man sie verbreiten konnte, kam ein einflussreicher Bruder zu Besuch, der sich von der Organisation losgesagt und Anhänger um sich geschart hatte. Er konnte alle überreden, sich von den Bibelforschern abzuwenden — außer Franz.

Franz zog nach Maribor in Slowenien und fand Arbeit in einem Friseurladen. Der Besitzer Richard Tautz lernte durch ihn die Wahrheit kennen. Da die beiden Männer in dem Friseurladen immer über ihren Glauben redeten, gab man ihnen den Spitznamen „Bibelfriseure“. Die Kunden hörten meistens aufmerksam zu. Vor allem bei der Rasur gaben sie lieber keinen Mucks von sich. Ein Kunde war der Politiker Ðuro Džamonja. Ein anderer hieß Rudolf Kalle. Er verdiente sich sein Geld mit der Reparatur von Schreibmaschinen. Beide ließen sich recht schnell taufen. Ðuro hängte die Politik an den Nagel und half bei der Gründung der „Leuchtturm-Gesellschaft der Bibelforscher im Königreich Jugoslawien“. Diese Körperschaft ermöglichte es den Brüdern, ungehindert zu predigen und Zusammenkünfte abzuhalten.

DAS „PHOTO-DRAMA“ GIBT DEN ANSTOSS

1931 schickte das Schweizer Zweigbüro zwei Brüder mit dem „Photo-Drama der Schöpfung“ nach Jugoslawien. Sie sollten es in den größeren Städten zeigen. Oft leitete Ðuro die Vorführung. Die Säle waren immer voll besetzt und die Leute schauten gespannt zu. Das „Photo-Drama“ weckte im ganzen Land das Interesse an der biblischen Wahrheit. Etwa zur gleichen Zeit fanden in Maribor bereits Zusammenkünfte in Slowenisch und Deutsch statt. In Zagreb und Umgebung trafen sich Gruppen und lasen zusammen Veröffentlichungen, die ins Kroatische übersetzt worden waren.

Als Nächstes sollte Der Wachtturm ins Slowenische und Kroatische übersetzt werden. Damit war ein Riesenaufwand verbunden. Eine Schwester musste die übersetzte Zeitschrift mit der Schreibmaschine abschreiben. Dabei konnte sie aber immer nur 20 Durchschläge anfertigen. Als man später ein Vervielfältigungsgerät besaß, war es möglich, in einem Arbeitsgang 200 Zeitschriften herzustellen.

Mit diesen Zeitschriften setzten sich die Verkündiger in den Zug und unternahmen Predigttouren in verschiedene Gebiete Jugoslawiens. In Slowenien mieteten Brüder und Schwestern ab und zu einen Lkw mit offener Ladefläche. Der Fahrer war kein Zeuge Jehovas. Er brachte sie in ihr Gebiet und wartete dann den ganzen Tag, bis sie fertig waren. Die Verkündiger waren in der Anfangszeit manchmal etwas taktlos, weil sie niemanden hatten, der sie für das Predigen schulte. Doch Jehova segnete ihren Einsatz und führte sie zu Menschen, „die zum ewigen Leben richtig eingestellt waren“ (Apg. 13:48).

Franc Sagmeister erzählt: „Ich lernte die Wahrheit 1931 durch meine Tante Terezija Gradič und ihren Mann Franc kennen. Franc war einer der ersten Verkündiger in Slowenien. Früher war Religion ein rotes Tuch für ihn. Aber jetzt wollte er die Bibel gar nicht mehr aus der Hand legen. Das machte großen Eindruck auf mich. Ich schloss mich seinem Bibelstudium an. Obwohl meine Familie dagegen war, wollte ich unbedingt mit anderen über das reden, was ich gerade gelernt hatte. Als unser Pfarrer das mitbekam, rief er mich auf der Stelle zu sich. Er meinte, ich dürfe gar keine Bibel besitzen, weil ich sie nicht verstehen würde. Doch ich weigerte mich, meine Bibel herauszurücken. Später, als mein Vater gestorben war, beschimpfte mich der Pfarrer mitten auf der Straße, weil ich keine einzige Messe hatte lesen lassen. Ich sagte: ‚Ich würde hundert oder sogar tausend Messen bezahlen, wenn es meinem Vater helfen würde.‘

,Aber natürlich hilft das!‘, ereiferte sich der Priester.

Darauf erwiderte ich: ,Wenn er im Himmel ist, braucht er Ihre Messe nicht. Und wenn er in der Hölle schmort, nützt sie ihm auch nichts.‘

,Aber was, wenn er im Fegefeuer ist?‘, hakte der Priester nach.

‚Herr Pfarrer‘, sagte ich, ‚Sie wissen doch, dass ich eine Menge Land besitze. Ich bin bereit, sofort aufs Amt zu gehen und es Ihnen zu überschreiben, wenn Sie mir in der Bibel zeigen, dass wir eine unsterbliche Seele haben, dass es ein Fegefeuer und eine Hölle gibt und wo etwas von der Dreifaltigkeit steht.‘

Er warf mir einen grimmigen Blick zu, zündete sich eine Zigarette an und ging.“

PIONIERE GEHEN ANS WERK

In den 1930er-Jahren brachten engagierte Männer und Frauen das Licht der Wahrheit an viele Orte Jugoslawiens. Da waren beispielsweise Grete Staudinger, Katarina Konečnik und später Karolina Stropnik, die sich in Maribor (Slowenien) für eine Art Pionierdienst auf Zeit meldeten. Weiter südlich in Mostar (Hauptstadt der Herzegowina) lernte der Dirigent Alfred Tuček die Wahrheit kennen und wurde Pionier. In Zagreb (Kroatien) war der 23-jährige Dušan Mikić von der Broschüre Wo sind die Toten? beeindruckt und ließ sich ziemlich schnell taufen. Auch er wurde Pionier. Und dann kam noch Verstärkung aus Deutschland.

Dort war unsere Tätigkeit verboten. Das Schweizer Zweigbüro veranlasste, dass etwa 20 erfahrene Pioniere nach Jugoslawien geschickt wurden, darunter Martin Pötzinger, Alfred Schmidt, Vinko und Josephine Platajs sowie Willi und Elisabeth Wilke. Da sie kein Slowenisch oder Serbokroatisch sprachen, benutzten sie beim Predigen Zeugniskarten. Diese mutigen, opferbereiten Pioniere ebneten den Weg dafür, dass sich die gute Botschaft im Land weiter ausbreiten konnte.

WIE DIE PIONIERE PROBLEME MEISTERTEN

Die Pioniere hatten zwar mit der neuen Sprache ihre Schwierigkeiten und waren knapp bei Kasse. Doch ihr Eifer für Jehova und ihre Liebe zu den Menschen waren so groß, dass sie das gern in Kauf nahmen. Auch das Reisen war oft beschwerlich. Es war keine Seltenheit, dass ein Pionier bei schlechtem Wetter 40 Kilometer zu Fuß auf unwegsamem Gelände unterwegs war, um abgelegene Dörfer zu erreichen. Auf dem Weg von Ort zu Ort zog eine Pionierin immer die Schuhe aus, um sie zu schonen. Martin Pötzinger, der später zur leitenden Körperschaft gehörte, erinnerte sich gern daran, wie er auf dem Land mit einem Rucksack voll Literatur überall die gute Botschaft verkündigte.

Diese treuen Pioniere bekamen eines Tages von einem Bruder aus der Schweiz Fahrräder, die er extra für sie gekauft hatte. Das war für sie eine große Erleichterung. Die Fahrräder waren noch Jahrzehnte später im Einsatz.

Die Menschen in Jugoslawien waren im Allgemeinen sehr aufgeschlossen und gastfreundlich. Doch die Geistlichen sorgten dafür, dass man den Pionieren das Leben schwer machte. Besonders in kleinen Dörfern hatten die Pfarrer großen Einfluss. Manchmal stachelten sie Schulkinder an, den Pionieren nachzulaufen und sie mit Steinen zu bewerfen. Beamte, die von Geistlichen aufgewiegelt wurden, schikanierten die Pioniere, beschlagnahmten ihre Literatur und sperrten sie sogar ein.

Als Willi Wilke einmal in einem abgelegenen kroatischen Dorf predigte, hörte er vom Marktplatz ein lautes Geschrei. Er, seine Frau und Grete Staudinger, eine andere Pionierin, waren in das Dorf gekommen, um die Broschüre Der gerechte Herrscher zu verbreiten. Auf der Titelseite war Jesus Christus abgebildet. Willi erzählt: „Ich war zu Tode erschrocken, als ich sah, dass meine Frau von etwa 20 wütenden, mit Sicheln bewaffneten Leuten umringt war. Ganz in der Nähe verbrannte man unsere Broschüren.“

Den Pionieren war unerklärlich, warum sich diese einfachen Leute vom Land so aufregten. Schwester Wilke konnte auch nicht fragen, weil sie die Sprache nicht beherrschte. Doch Grete sprach sowohl Deutsch als auch die Landessprachen fließend. Sie ging auf die Leute zu und fragte: „Was tun Sie denn da?“

„Wir wollen den König Peter nicht!“, antworteten sie wie aus einem Mund.

„Wir auch nicht“, erwiderte Grete.

Die Leute zeigten verwundert auf das Titelbild der Broschüre und fragten: „Warum macht ihr dann Werbung für ihn?“

Da ging Grete ein Licht auf. Ein Jahr zuvor, 1934, war der jugoslawische König Alexander I. ermordet worden und sein Sohn Peter sollte ihm auf den Thron folgen. Die Dorfbewohner wollten aber nicht von einem serbischen König regiert werden, sondern wünschten sich die Unabhängigkeit. Sie dachten, auf der Broschüre sei König Peter abgebildet.

Nachdem das Missverständnis aufgeklärt worden war, konnten die Pioniere mit vielen über den König Jesus Christus sprechen. Einige, die ihre Broschüre verbrannt hatten, wollten jetzt eine neue haben. Die Pioniere freuten sich, dass Jehova sie beschützt hatte, und verließen das Dorf.

Ein weiteres Problem stellten die örtlichen Sitten und Bräuche dar. Besonders beim Predigen in muslimischen Dörfern Bosniens musste man darauf achten, keinen Anstoß zu erregen. Wenn ein Bruder beispielsweise Augenkontakt mit einer Muslimin herstellte, konnte er Ärger mit ihrem Mann bekommen.

Damals gab es sehr wenige Versammlungen und Gruppen im Land. In abgelegenen Ortschaften war es nach einem Tag im Predigtdienst manchmal sehr schwer, eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Die Pioniere hatten nicht viel Geld und konnten sich oft kein Zimmer in einem Gasthof leisten. Josephine Platajs erinnert sich: „In einem Dorf wollte uns niemand bei sich übernachten lassen, weil alle Angst vor dem Priester hatten. Als wir das Dorf verließen, war es schon dunkel. Wir entdeckten einen großen Baum, unter dem eine Menge trockener Blätter lagen. Unser Schlafplatz! Wir benutzten unseren Wäschebeutel als Kissen und mein Mann band sich ein Seil an den Fuß und machte es am Fahrrad fest. Als wir am nächsten Morgen aufwachten, stellten wir überrascht fest, dass in der Nähe ein Brunnen war. So konnten wir uns waschen. Jehova hat uns nicht nur beschützt, sondern auch für alles gesorgt, was wir brauchten.“

Die Pioniere merkten schon an kleinen Dingen, wie sich Jehova um sie kümmerte. Ihnen ging es nicht darum, ein bequemes Leben zu führen. Sie wollten die gute Botschaft verkündigen.

„KOMM HERÜBER NACH MAZEDONIEN“

Die beiden Pioniere Alfred und Frida Tuček nutzten eine Reise von Slowenien nach Bulgarien, um unterwegs die Botschaft vom Königreich zu predigen. In der Stadt Strumica (Mazedonien) unterhielten sie sich mit dem Ladenbesitzer Dimitar Jovanovič und liehen ihm Lesestoff aus. Als sie einen Monat später von Bulgarien zurückkehrten, schauten sie wieder bei ihm vorbei. Da er die Literatur nicht gelesen hatte, verlangten sie sie zurück, um sie jemandem geben zu können, der mehr Interesse hätte. Damit war Dimitars Neugierde geweckt. Er bat die beiden, ihm noch eine Chance zu geben. Nachdem er alles durchgelesen hatte, war er überzeugt, den richtigen Weg gefunden zu haben. Er wurde der erste Zeuge Jehovas in Mazedonien.

Dimitar erzählte nun Aleksa und Kosta Arsov, zwei leiblichen Brüdern, von der Wahrheit. Und schon gab es drei Zeugen Jehovas in Mazedonien. Mit Zeitschriften, Grammofon und Predigten auf Schallplatten verkündigten sie die gute Botschaft. Eine Zeitschrift fiel einem Methodistenprediger in die Hände. Er gab sie an Tušo Carčev weiter, einen aufgeweckten jungen Mann in seiner Gemeinde. Die Zeitschrift gefiel Tušo sehr, und er bat den Prediger, ihm noch weitere Ausgaben zu besorgen. Tušo erkannte, dass es nicht richtig ist, mit dem Evangelium Geld zu machen. Ganz aufgeregt sprach er den Prediger darauf an, und prompt blieb der Nachschub aus. In den Zeitschriften entdeckte Tušo die Adresse des Zweigbüros in Maribor. Er bat um weitere Exemplare. Das Zweigbüro setzte sich mit Dimitar, Aleksa und Kosta in Verbindung und schickte sie zu Tušo. Damit war eine Gruppe gegründet.

1935 wurde das Zweigbüro von Maribor nach Belgrad verlegt, der Hauptstadt Jugoslawiens. Franz Brand und Rudolf Kalle trugen dort die Verantwortung.

VERBOT

Eine 1933 erschienene Broschüre der katholischen Kirche zeugt davon, wie sehr sich die Brüder damals schon einsetzten. Unsere Mission wurde darin in allen Einzelheiten beschrieben. Auch wurde angekündigt, mit unserer Tätigkeit werde es bald aus sein. Ein großer Irrtum!

Im Norden Jugoslawiens erregte der fleißige Einsatz unserer kleinen Pioniergruppe den Unwillen der Geistlichen. Sie ärgerten sich jedes Mal, wenn sich ein Gericht weigerte, unsere Tätigkeit zu unterbinden. Doch dann wurde ein Jesuitenpriester aus Slowenien der neue Innenminister. Eine seiner ersten Maßnahmen bestand darin, die „Leuchtturm-Gesellschaft“ aufzulösen. Im August 1936 wurde unsere Tätigkeit verboten. Man versiegelte die Königreichssäle und beschlagnahmte sämtliche Literatur. Glücklicherweise waren die Versammlungen rechtzeitig informiert worden. Sie sorgten dafür, dass die Beamten nicht viel sicherstellen konnten. Damit die Tätigkeit weiterging, wurde in Belgrad ein kleines Verlagshaus mit dem Namen Kula stražara (Der Wachtturm) gegründet. Die Zusammenkünfte fanden in Privatwohnungen statt.

Das Verbot führte dazu, dass unsere Predigttätigkeit stärker bekämpft wurde. Hauptangriffsziel waren die Vollzeitprediger. Für die deutschsprachigen Pioniere wurde es immer schwieriger. Viele von ihnen waren gekommen, weil unsere Tätigkeit in anderen europäischen Ländern verboten war. Jetzt standen sie in Jugoslawien vor demselben Problem. Doch die Festnahmen und Inhaftierungen konnten ihren Eifer nicht dämpfen. Eine Schwester erzählt: „Manchmal durften wir im Gefängnis nicht besucht werden. Aber Jehova hat uns nie im Stich gelassen. Ein Bruder, der zu Besuch kam, wurde nicht zu uns gelassen. Zum Glück redete er mit dem Gefängnisaufseher so laut, dass wir ihn hören konnten. Schon der Klang seiner Stimme hat uns richtig gutgetan.“

In dieser unruhigen Zeit übersetzte man eine gewagte Broschüre (Judge Rutherford Uncovers Fifth Column). Darin wurde aufgedeckt, wie die katholische Kirche die politischen Ziele der Nationalsozialisten unterstützte. Sie erschien in Serbisch, Kroatisch und Slowenisch. Es wurden je 20 000 Exemplare gedruckt. Die Verbreitung der verbotenen Broschüre erforderte großen Mut und führte dazu, dass man die ausländischen Pioniere auswies. Der Staatsanwalt forderte 10 bis 15 Jahre Gefängnis für die Herausgeber. Trotz des Risikos verbreiteten die wenigen Verkündiger in einer Blitzaktion alle 60 000 Broschüren.

„Die Leute hatten damals einen großen Wissensdurst und haben gern in der Bibel gelesen“, sagt Lina Babić. Sie lernte die Wahrheit gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kennen und hatte engen Kontakt mit treuen Brüdern und Schwestern. Lina berichtet: „Wir mussten sehr vorsichtig sein. Deswegen hab ich unsere Literatur immer in mein Notizbuch abgeschrieben. Wenn ich durchsucht wurde, sah es dann so aus, als wären das einfach nur private Notizen.“

TOLSTOI ODER JEHOVA?

Kurz vor dem Krieg kam es in der Zagreber Versammlung — einer der größten in Jugoslawien — zu einer Spaltung. Etliche sympathisierten mit dem russischen Schriftsteller und Religionsphilosophen Leo Tolstoi. Ursprünglich gehörte Tolstoi der orthodoxen Kirche an. Doch er kam zu der Überzeugung, alle christlichen Kirchen seien korrupte Institutionen, die das Christentum völlig entstellt hätten. Eine ganze Anzahl Brüder entwickelten eine ähnliche Skepsis gegenüber religiösen Organisationen und waren auch mit der Organisation Jehovas nicht mehr zufrieden. Der Versammlungsdiener missbrauchte seine Vertrauensstellung und konnte einen Großteil der Versammlung für Tolstois Ansichten gewinnen. Er hatte so großen Einfluss, dass sich mehr als 60 Verkündiger öffentlich von der Organisation Jehovas lossagten.

Als Rudolf Kalle davon erfuhr, reiste er schleunigst von Belgrad nach Zagreb, um mit der ganzen Versammlung zu reden. Er sprach über biblische Grundlehren, die ihnen Jehova durch den treuen und verständigen Sklaven offenbart hatte (Mat. 24:45-47). Dann fragte er: „Wer hat euch diese Lehren erklärt: Tolstoi oder Jehovas Organisation?“ Er zitierte Josua 24:15 und bat alle, die der Organisation Jehovas treu bleiben wollten, die Hand zu heben. Nur zwei meldeten sich.

„Ich kann gar nicht beschreiben, wie weh das getan hat“, sagte Rudolf.

Es sah so aus, als könnte die Versammlung nicht weiter bestehen.

Rudolf bat die zwei Treuen auf die Bühne und erklärte: „Jetzt sind wir nur noch zu dritt. Wir vertreten die Organisation Jehovas in dieser Stadt. Alle anderen möchte ich bitten, den Raum zu verlassen. Ihr könnt euren eigenen Weg gehen. Lasst uns jetzt bitte allein! Wir möchten unserem Gott Jehova dienen, ihr könnt ja zu eurem Tolstoi gehen. Wir wollen nichts mehr mit euch zu tun haben.“

Totenstille. Ein paar Sekunden vergingen. Dann hob einer nach dem anderen die Hand und sagte: „Ich möchte auch Jehova dienen.“ Zum Schluss verließen nur der abtrünnige Versammlungsdiener und ein paar seiner Anhänger den Saal. Die Standhaftigkeit der Treuen war eine gute Vorbereitung auf noch viel schwierigere Situationen.

SCHWIERIGKEITEN WÄHREND DES KRIEGS

Am 6. April 1941 marschierten deutsche Truppen in Jugoslawien ein. Bei den schweren Luftangriffen auf Belgrad wurde das Zweigbüro beschädigt. Die Besatzungsmacht teilte das Land auf. Wegen der Kämpfe war die Verbindung zwischen dem Bethel in Serbien und den Brüdern in Slowenien, Kroatien und Mazedonien eine Zeit lang unterbrochen. Zu den Brüdern im äußersten Süden Mazedoniens konnte leider erst nach dem Krieg wieder Kontakt hergestellt werden.

Von heute auf morgen standen unsere lieben Brüder und Schwestern vor neuen, großen Herausforderungen. Durch den Weltkrieg sollten schwere Zeiten auf sie zukommen, in denen sie sich bewähren mussten. Ihr Vertrauen auf Jehova und auf seine Organisation wurde auf eine harte Probe gestellt.

Das Belgrader Büro wurde geschlossen. Man organisierte die Verteilung der geistigen Speise von Zagreb (Kroatien) aus. Die Brüder mussten besonders vorsichtig sein. Früher erhielten sie lediglich Geld- oder Haftstrafen, jetzt drohte ihnen die Einlieferung in ein Konzentrationslager oder sogar die Hinrichtung.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen und der Aufteilung des Landes baute man Konzentrationslager. Die Lager in Kroatien waren für bestimmte Volksgruppen, für nichtkatholische Minderheiten und für religiös motivierte Regimekritiker gedacht. Die Lagerinsassen waren dort weggesperrt und sollten umgebracht werden. In Serbien errichteten die Nationalsozialisten Arbeits- und Konzentrationslager. Über 150 Brüder aus Ungarn kamen in das Lager Bor, weil sie in politischen Angelegenheiten neutral geblieben waren. Auch die Brüder in Jugoslawien standen in Gefahr, von den Nationalsozialisten eingesperrt zu werden. Sie predigten daher nicht mehr öffentlich, sondern versuchten meistens, zwanglose Gespräche zu beginnen und sie auf die Bibel zu lenken. Den Verkündigern wurde geraten, neben einer Bibel nur eine einzige Veröffentlichung bei sich zu haben. Sie erhielten auch Anweisungen, was sie bei einer Verhaftung sagen sollten. Man versammelte sich nur noch in kleinen Gruppen und wusste nicht, wo sich die anderen trafen.

Da es zu gefährlich war, Literatur einzuführen, wurden Zeitschriften und Broschüren mit großem Engagement nachts an geheimen Orten produziert. Tagsüber gingen die Brüder einer Erwerbstätigkeit nach und konnten so das Drucken auch finanziell unterstützen. Dank verschiedener Geschäftsbeziehungen konnte immer das besorgt werden, was gerade für das Drucken nötig war. Im Land herrschte zwar ein Klima von Nationalstolz und religiösen Feindseligkeiten, doch unsere Brüder zogen alle am selben Strang. Sie legten sogar Geld zusammen, damit die lebensrettende geistige Speise hergestellt werden konnte. Wie wurde die Literatur aber zu den abgelegenen Verkündigergruppen geschmuggelt?

Stevan Stanković arbeitete bei der Eisenbahn. Er war Serbe und setzte sich sehr für die Brüder ein, egal welcher Herkunft sie waren. Stevan übernahm sogar die gefährliche Aufgabe, Literatur von Kroatien in das besetzte Serbien zu schmuggeln. Doch eines Tages entdeckten Polizisten die Literatur in seinem Koffer. Sie fragten ihn, woher er sie habe. Stevan wollte seine Brüder aber nicht verraten. Nachdem er in einem Gefängnis verhört worden war, brachte man ihn in das nahe gelegene Konzentrationslager Jasenovac, das für seine Grausamkeiten berüchtigt war. Dort starb dieser treue Bruder.

Mihovil Balković, ein umsichtiger und einfallsreicher Bruder, arbeitete in dieser schweren Zeit in Kroatien als Klempner. Außerdem besuchte er die Brüder, um sie im Glauben zu stärken und mit Literatur zu versorgen. Sein Enkel erzählt: „Auf einer seiner Reisen erfuhr er, dass sein Zug in der nächsten Stadt durchsucht werden sollte. Daher stieg er eine Station vorher aus. Die Stadt war größtenteils mit Stacheldraht umzäunt. Er fand aber ein Schlupfloch und kam in einen Weingarten. Die Literatur war in seinem Rucksack versteckt, in dem er im oberen Fach auch zwei Flaschen Rakija [selbstgemachter Schnaps] und ein paar Lebensmittel verstaut hatte. Er schlich durch den Weingarten und kam an einem Bunker vorbei. Plötzlich hörte er einen Soldaten schreien: ‚Halt! Wer sind Sie?‘ Als Mihovil näher kam, fragte einer der Soldaten: ‚Was haben Sie da?‘

‚Ein bisschen Mehl, ein paar Bohnen und Kartoffeln‘, sagte er.

Man fragte ihn, was in den Flaschen sei, worauf er antwortete: ‚Sie können es gern probieren.‘

Als der Soldat einen Schluck nahm, sagte Mihovil: ‚Diese Flasche ist für dich, mein Sohn, und die andere für mich.‘

Zufrieden mit der Antwort und dem Rakija, sagte der Soldat: ‚Väterchen, du kannst gehen.‘

So kam die Literatur sicher an ihr Ziel.“

Mihovil schreckte vor nichts zurück. Seine Reisen führten ihn in Gebiete, die von den unterschiedlichsten Kriegsparteien kontrolliert wurden. Er hatte es mit kommunistischen Partisanen, Kämpfern der faschistischen Ustaschaa und den Tschetniks zu tun. Beherzt sprach er mit ihnen darüber, welche Zukunft die Bibel den Menschen in Aussicht stellt. Das erforderte großen Mut, da ein Zeuge Jehovas damals immer um sein Leben fürchten musste. Wiederholt wurde er festgenommen, verhört und eingesperrt.

Der Krieg war fast schon zu Ende, als die Partisanen in der Nacht des 9. Novembers 1944 Mihovils Haus durchsuchten. Sie beschlagnahmten Literatur und nahmen Mihovil mit. Wie man später erfahren hat, wurde er enthauptet.

Josip Sabo war fast noch ein Kind, als er in Slawonien (ein Gebiet in Kroatien) mit seinem Fahrrad Literatur schmuggelte. Auf dem Gepäckträger hatte er eine Kiste befestigt. Er tarnte die Literatur mit frischen Birnen. Damals war die Zufahrt zu fast jedem Dorf verbarrikadiert und wurde bewacht.

An jedem Posten wurde Josip gefragt: „Was hast du da in der Kiste?“

„Birnen für meinen Onkel“, sagte er. Dann haben sich die Soldaten immer ein paar genommen. Je näher er seinem Ziel kam, desto weniger Birnen blieben übrig. Daher nahm Josip einen Schleichweg, um die letzten Birnen und die kostbare Literatur sicher an ihr Ziel zu bringen.

TREU BIS IN DEN TOD

Lestan Fabijan, ein Maurer aus Zagreb, sprach mit Ivan Sever, Franjo Dreven und Filip Huzek-Gumbazir über die Wahrheit. Sie alle ließen sich innerhalb von sechs Monaten taufen, gingen predigen und hielten Zusammenkünfte ab. Am Abend des 15. Januar 1943 kam eine Patrouille zu Ivan Sever nach Hause. Die Soldaten verhafteten ihn, Franjo Dreven und noch einen anderen Bruder, Filip Ilić. Sie durchsuchten das Haus und stellten die gesamte Literatur sicher.

Als Lestan von der Festnahme hörte, ging er mit Filip Huzek-Gumbazir zu der Mutter und der Schwester von Franjo, um sie zu trösten. Die Partisanen erfuhren von dem Besuch und brachten auch diese beiden in ihre Gewalt. Die fünf Brüder erklärten mit Bibelzitaten, dass sie nur Jehova dienen und Soldaten Christi sind. Da sie sich weigerten, eine Waffe in die Hand zu nehmen und in den Krieg zu ziehen, wurden sie alle zum Tod verurteilt.

Eines Nachts riss man die fünf Brüder aus dem Schlaf, zog sie aus und führte sie in den Wald. Auf dem Weg gab man ihnen die Gelegenheit, ihre Meinung zu ändern. Die Soldaten appellierten an ihre Liebe zu ihrer Familie. Sie erwähnten die schwangere Frau und die vier Kinder von Filip Huzek-Gumbazir. Doch Filip sagte, er vertraue voll und ganz darauf, dass Jehova für sie sorgen wird. Da Franjo Dreven weder Frau noch Kinder hatte, fragten die Soldaten, wer sich um seine Mutter und seine Schwester kümmern werde, wenn er nicht mehr da sei.

Am Bestimmungsort angekommen, mussten die Brüder in der Winterkälte stehen. Dann ging die Hinrichtung los. Als Erster wurde Filip Huzek-Gumbazir erschossen. Danach warteten die Soldaten ab, ob die anderen es sich nicht noch einmal überlegen wollten. Doch die Brüder blieben fest. Nun kam Franjo an die Reihe, dann Ivan und nach ihm Lestan. Der Letzte war Filip Ilić. Er gab nach und schloss sich den Soldaten an. Drei Monate später wurde er jedoch krank, kehrte nach Hause zurück und erzählte, was passiert war. Er hatte versucht, sein Leben zu retten, doch jetzt starb er an seiner Krankheit.

In Slowenien mussten die Brüder und Schwestern viel durchmachen. Der Schmied Franc Drozg wurde mit 38 Jahren von NS-Soldaten erschossen, weil er nicht in den Krieg ging. Die Hinrichtung fand am 8. Juni 1942 in Maribor statt. Augenzeugen berichten, dass man ihm ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin nicht von der Welt“ um den Hals gehängt hatte (Joh. 17:14). Ein Abschiedsbrief, den er nur wenige Minuten vor der Exekution schrieb, zeugt von seinem starken Glauben: „Lieber Freund Rupert! Heute bin ich zum Tode verurteilt worden. Trauere nicht um mich. Liebe Grüße an dich und an alle im Haus. Auf Wiedersehen in Gottes Königreich!“

Die Behörden bekämpften das Predigen unerbittlich. Doch Jehova rettete seine Diener aus vielen Gefahren. Oft machte die Polizei in Wohngegenden Razzia. Die Bewohner mussten sich dann aufstellen und ihren Ausweis vorzeigen. Alle Verdächtigen wurden abgeführt. In der Zwischenzeit durchsuchte man die Häuser und Wohnungen. Dabei spürten die Brüder immer wieder den Schutz Jehovas. Die Polizei ließ ihre Wohnungen manchmal aus — zweifellos in der Meinung, sie seien schon durchsucht worden. In mindestens zwei Fällen befanden sich in den Wohnungen Vervielfältigungsgeräte und eine Menge Literatur. Den Verkündigern wurde in dieser gefährlichen Zeit bewusst, dass „Jehova voll inniger Zuneigung und mitleidig ist“ (Jak. 5:11, Fußnote).

TODESURTEILE

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 war eines der blutigsten Kapitel in der Geschichte abgeschlossen. Nach der Niederlage Hitlers und seiner Verbündeten hofften die Brüder auf Erleichterung und dass sie ungehindert predigen könnten. Grund zum Optimismus war da: Die kommunistische Regierung versprach Religions-, Rede- und Pressefreiheit.

Im September 1946 wurden jedoch 15 Brüder und 3 Schwestern verhaftet. Zu ihnen gehörten Rudolf Kalle, Dušan Mikić und Edmund Stropnik. Die Ermittlungen dauerten fünf Monate. Man warf Jehovas Zeugen vor, gegen die Interessen des Volks und des Staats zu arbeiten und den Fortbestand Jugoslawiens zu gefährden. Es hieß, wir würden von den USA dirigiert werden und wollten unter dem Vorwand, Gottes Reich zu verkünden, den Sozialismus zunichtemachen und den Kapitalismus wieder einführen. Vor allem ein Priester machte Stimmung gegen uns. Wir seien amerikanische Spione, die ihren Glauben als Deckmantel benutzten.

Vor Gericht übernahmen die Brüder ihre Verteidigung selbst und sprachen mutig über Jehova und sein Königreich. Vjekoslav Kos, ein junger Bruder, sagte: „Hohes Gericht! Ich habe diese Religion, die sich auf die Bibel stützt, durch meine Mutter kennengelernt und meinen Glauben praktiziert. Während der deutschen Besetzung kam meine Mutter ins Gefängnis. Zwei Schwestern von mir und mein Bruder hatten auch diesen Glauben. Sie kamen nach Dachau und wurden erschossen, weil man sie wegen ihrer Religion für Kommunisten gehalten hat. Wegen derselben Religion stehe ich jetzt als Faschist vor Gericht.“ Vjekoslav wurde freigesprochen.

Bei den anderen fiel das Urteil nicht so mild aus. Drei der Angeklagten wurden zum Tod durch Erschießen verurteilt. Die Übrigen bekamen zwischen ein und fünfzehn Jahre Gefängnis. Diese Ungerechtigkeit löste unter der weltweiten Bruderschaft große Empörung aus. Zeugen Jehovas in den USA, in Kanada und in Europa schrieben sofort Tausende von Protestbriefen an die jugoslawische Regierung. Es gingen auch Hunderte von Telegrammen ein. Sogar Politiker machten sich schriftlich für unsere Brüder stark. Diese Welle der Unterstützung führte dazu, dass man die Todesurteile in 20-jährige Gefängnisstrafen umwandelte.

Der Widerstand war damit nicht zu Ende. Zwei Jahre später wurden Janez Robas und seine Frau Marija sowie Jože Marolt und Frančiška Verbec in Slowenien festgenommen, weil sie die gute Botschaft verkündigt hatten. In der Anklageschrift hieß es, die Jehovisten-Sekte habe neue Mitglieder angeworben und sie gegen das sozialistische System und den Militärdienst aufgehetzt. Die Angeklagten erhielten wegen Wehrkraftzersetzung Haftstrafen zwischen drei und sechs Jahre mit Zwangsarbeit.

1952 bewirkte ein Wandel in der Politik, dass alle Zeugen Jehovas freikamen. Die Botschaft vom Königreich wurde weiter gepredigt. Jehova machte sein Versprechen wahr: „Welche Waffe es auch immer sei, die gegen dich gebildet sein wird, sie wird keinen Erfolg haben, und welche Zunge es auch immer sei, die sich im Gericht gegen dich erheben wird, du wirst sie verurteilen“ (Jes. 54:17).

Dennoch war der Staat entschlossen, die Brüder moralisch zu schwächen. Die Medien titulierten Jehovas Zeugen als „psychisch Gestörte“ oder als „krankhafte Fanatiker“. Die ständigen negativen Pressemeldungen und die permanente Angst, bespitzelt zu werden, riefen in unseren Reihen Verunsicherung hervor. Standhafte Brüder, die aus dem Gefängnis kamen, wurden von manchen in der Versammlung für Spitzel gehalten. Doch Jehova stärkte die Versammlungen immer wieder durch treue, reife Brüder.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kam Josip Broz Tito an die Macht, und es war abzusehen, dass das Militär in Jugoslawien eine große Rolle spielen würde. Wer den Militärdienst aus irgendeinem Grund ablehnte, galt als Staatsfeind.

ER BLIEB TREU

Ladislav Foro stammt aus Kroatien. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er als 9-Jähriger auf einer Pflichtversammlung einem Priester zugehört. Nach der Predigt schaute Ladislav neugierig hinter den Bühnenvorhang. Der Priester zog sich gerade den Talar aus. Ladislav sah, dass er darunter eine Ustascha-Uniform trug. An seinem Patronengurt hing eine Handgranate. Draußen setzte er sich auf ein Pferd, zog seinen Säbel und rief: „Brüder, lasset uns Christen machen! Ihr wisst ja, was ihr zu tun habt, wenn jemand kein Christ werden will.“

Einen Mann Gottes hatte sich Ladislav ganz anders vorgestellt. Er fing an, mit seinem Onkel die geheimen Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas zu besuchen. Obwohl seine Eltern alles andere als begeistert waren, ließ er sich davon nicht abhalten. Sein Glaube wurde immer stärker.

Als Ladislav 1952 einberufen wurde, machte er seinen neutralen Standpunkt als Christ deutlich. Bei unzähligen Verhören wollte man ihn dazu bewegen, den Soldateneid zu leisten. Einmal wurde er in eine Kaserne gebracht, wo gerade 12 000 Rekruten diesen Eid ablegen sollten. Ladislav musste sich vor die versammelte Mannschaft stellen. Man hängte ihm ein Gewehr um, das er sofort zu Boden warf. Danach sagte man über Lautsprecher, Ladislav werde erschossen, wenn er das noch einmal tun würde. Ladislav blieb fest. Man führte ihn ab und stieß ihn in einen metertiefen Bombentrichter. Dann wurde der Schießbefehl erteilt. Nachdem ein Soldat zweimal in den Trichter geschossen hatte, gingen die Männer zurück zur Kaserne. Ladislav blieb unverletzt.

In der Nacht holte man Ladislav aus dem Trichter und brachte ihn in ein Gefängnis nach Sarajevo. Dort zeigte man ihm einen Brief, aus dem hervorging, dass einige Zeugen Jehovas gewisse Zugeständnisse gemacht hatten. Die Beamten redeten wiederholt auf Ladislav ein, ebenfalls nachzugeben, damit er nicht mit Schwerverbrechern im Gefängnis vegetieren müsste. Ladislav überlegte: „Diene ich Jehova wegen irgendeines Menschen? Nein. Möchte ich irgendeinem Menschen gefallen? Nein. Hängt mein Leben davon ab, was andere sagen, denken oder tun? Nein.“

Ladislav hatte die richtige Einstellung und blieb Gott treu. Nach viereinhalb Jahren wurde er entlassen. Später war er mit seiner Frau Anica, die ihm liebevoll zur Seite stand, im Kreisdienst.

EINE GEWISSE RECHTLICHE ANERKENNUNG

1948 kam es zum Bruch mit der Sowjetunion. Tito dezentralisierte die Regierung und räumte der Bevölkerung nach und nach mehr Freiheiten ein. Auch gegenüber den Religionen wurde mehr Toleranz geübt als in vielen anderen sozialistischen Staaten.

Bei einem Treffen mit Regierungsvertretern wurde uns die rechtliche Anerkennung in Aussicht gestellt. Nachdem die verantwortlichen Brüder eine Satzung aufgestellt hatten, wurden Jehovas Zeugen in Jugoslawien am 9. September 1953 als Religionsgemeinschaft amtlich registriert.

Während Zeugen Jehovas in anderen kommunistischen Ländern mit Zwangsumsiedlung rechnen mussten, hatten unsere Brüder in Jugoslawien die Freiheit, sich in bestimmten Räumlichkeiten zu versammeln. Jetzt konnten auch die Brüder in Mazedonien wieder Literatur erhalten und Kontakt zum Büro in Zagreb herstellen. Nach der amtlichen Eintragung sollten allerdings noch 38 Jahre vergehen, bis es ihnen erlaubt war, von Haus zu Haus zu predigen.

Die neutrale Haltung der Brüder führte zu Missverständnissen. Man war der Ansicht, sie würden beim Predigen Propaganda verbreiten. Das Netz von Geheimpolizisten und Spitzeln machte das Verkündigen der guten Botschaft nicht gerade leicht. Wer dabei erwischt wurde, musste mit einer Festnahme und einer Geldstrafe rechnen. In einem Bericht hieß es: „Die Brüder werden immer noch strafrechtlich verfolgt und festgenommen. Das ist besonders in Slowenien der Fall, wo der Einfluss der katholischen Kirche am größten ist. Viele Diener Jehovas werden dort von Polizisten oder deren Helfershelfern überwacht. Man ist darauf aus, sie bei Bibelstudien zu ertappen. Die Brüder sind aber entschlossen, sich von dieser Verfolgung nicht einschüchtern zu lassen. Sie wollen Gott mehr gehorchen als Menschen.“

„VORSICHTIG WIE SCHLANGEN“

In Slowenien fragten die Verkündiger beim Predigen auf dem Land immer zuerst nach Eiern. Machte der Hausbewohner einen guten Preis, kauften sie die Eier, um keinen Verdacht zu erregen. War der Bedarf gedeckt, fragten sie nach Brennholz. Wenn sich bei einem solchen „Handel“ die Gelegenheit bot, lenkten die Verkündiger das Gespräch auf die Bibel (Mat. 10:16).

In der Umgebung von Zagreb (Kroatien) bearbeiteten die Brüder ihr Gebiet systematisch und trotzdem unauffällig. Eine ihrer Strategien war, an jedem zehnten Haus zu klingeln. Der Verkündiger, der mit Haus Nr. 1 anfing, ging danach also zu Haus Nr. 11, 21, 31 und so weiter. Auf diese Weise erfuhren viele etwas von Jehova. Doch wegen der großen Schwierigkeiten, die der Haus-zu-Haus-Dienst mit sich brachte, wurde hauptsächlich informell gepredigt.

In Serbien fanden die Zusammenkünfte bei den Brüdern zu Hause statt. Die Großmutter von Damir Porobić stellte nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Haus zur Verfügung. Damir berichtet: „Es kamen immer zwischen fünf und zehn Personen. Das Haus meiner Großmutter war geradezu ideal, da es von zwei Straßen aus zugänglich war. So konnten die Brüder und Schwestern unbemerkt kommen und gehen.“

Veronika Babić wurde in Kroatien geboren. Ihre Familie lernte Mitte der 1950er-Jahre die Wahrheit kennen. Nach ihrer Taufe 1957 zog Veronika mit ihrem Mann nach Sarajevo (Bosnien). Milica Radišić stammt aus Slawonien in Kroatien. Sie ließ sich 1950 taufen. Auch ihre Familie zog nach Bosnien. Diese zwei Familien begannen gemeinsam, in Bosnien die gute Botschaft vom Königreich zu verkündigen. Doch auch dort musste man wie überall in Jugoslawien beim Predigen vorsichtig sein. Veronika erzählt: „Wir wurden der Polizei gemeldet und unsere Literatur wurde beschlagnahmt. Man verhaftete und verhörte uns, man drohte uns mit Gefängnis und wir bekamen Geldstrafen. Trotzdem ließen wir uns nicht unterkriegen. Im Gegenteil: All das stärkte unseren Glauben an Jehova.“

Milica berichtet: „Eines Tages kam ein Mann in den Königreichssaal. Es sah so aus, als hätte er viel Interesse, und wir hießen ihn herzlich willkommen. Er wohnte sogar eine Zeit lang bei verschiedenen Brüdern. Bei den Zusammenkünften meldete er sich fleißig. Doch einmal beobachtete unsere Tochter auf ihrer Arbeitsstelle, wie er ein Treffen der Geheimpolizei besuchte. Er war von der Polizei geschickt worden, um uns auszuspionieren. Nachdem wir Bescheid wussten, ist er nicht mehr gekommen.“

DIE ERSTEN KÖNIGREICHSSÄLE

Vor der staatlichen Anerkennung war es Jehovas Zeugen nicht erlaubt, Zusammenkünfte abzuhalten. Selbst wenn sie sich in Privatwohnungen trafen, mussten sie damit rechnen, verhaftet zu werden. Nachdem sie dann anerkannt waren, hatten sie Probleme, geeignete Räumlichkeiten zu finden. Jehovas Zeugen waren nicht gerade beliebt, weswegen man ihnen oft keinen Saal vermieten wollte. Sie beschlossen daher, Gebäude zu kaufen.

Mitten in Zagreb (Kroatien) fand man eine Werkstatt, die sich zu einem schönen Königreichssaal mit 160 Plätzen umfunktionieren ließ. Man baute außerdem noch einen kleinen Raum zum Drucken an. In dem Königreichssaal fanden auch Kongresse statt. Eingeweiht wurde er 1957, als erstmals Zeugen Jehovas aus ganz Jugoslawien dort zu einem Kongress zusammenkamen. Ein paar Jahre später kaufte man ein Gebäude in der Stadtmitte von Zagreb. Es lag in der Kamaufovastraße und wurde bis 1998 von der Bethelfamilie genutzt.

Ebenfalls im Jahr 1957 erwarb man ein Gebäude in Belgrad (Serbien). Darin wurde ein Königreichssaal untergebracht und ein Büro für Arbeiten, die in einem Bethel anfallen. In Ljubljana (Slowenien) kaufte man einen Stall und baute ihn in einen Königreichssaal um. 1963 verwandelte man in Sarajevo eine Garage in einen Saal. Er wurde von der ersten Versammlung in Bosnien-Herzegowina genutzt. Manche dieser Gebäude waren ziemlich heruntergekommen. Doch die Brüder spendeten großzügig und arbeiteten fleißig, und Jehova schenkte ihnen seinen Segen.

ORGANISATORISCHE VERBESSERUNGEN

Von 1960 an schickte man reisende Aufseher zu den Versammlungen. Einige Brüder wurden gebeten, sich als Wochenend-Kreisaufseher zur Verfügung zu stellen. Sie nutzten gern ihre arbeitsfreien Tage, um den Brüdern Mut zu machen und speziell in dieser Anfangsphase die Einheit zu fördern.

Henrik Kovačić, der heute zum Zweigkomitee in Kroatien gehört, erzählt: „Ich war etwa ein Jahr lang mit meiner Frau im Wochenend-Kreisdienst. Später kamen wir ganz in den Reisedienst. Die Brüder schätzten unsere Besuche sehr und waren außergewöhnlich lieb und gastfreundlich, obwohl sie in ärmlichen Verhältnissen lebten. Viele hatten weder fließendes Wasser noch eine richtige Toilette. Sie teilten ihr bisschen Essen mit uns und überließen uns meistens ihr Ehebett. In einigen Versammlungen schliefen wir jede Nacht woanders, um den Brüdern nicht zu sehr zur Last zu fallen.“

Šandor Palfi vom Landeskomitee in Serbien sagt: „Der Wochenend-Reisedienst war für mich das Größte, obwohl es nicht immer leicht war. Die Brüder konnten unsere Besuche kaum erwarten. Sie waren zwar bitterarm, aber sie hätten für uns ihr letztes Hemd hergegeben. Der Besuch des Kreisaufsehers war für sie immer etwas ganz Besonderes.“

Miloš Knežević war Kreisaufseher und hatte gleichzeitig die Verantwortung für das Bethel in Jugoslawien. In den Jahrzehnten des Kommunismus setzte er sich oft für Brüder ein, gegen die Anklage erhoben worden war.

IN MAZEDONIEN TUT SICH WAS

1968 besuchte ein junger Mann aus Kočani (Mazedonien) eine Hochschule in Zagreb. Dort lernte er die Wahrheit kennen. Als er wieder nach Hause kam, erzählte er seinen Verwandten und Freunden von der guten Botschaft.

Stojan Bogatinov kommt ebenfalls aus Kočani. Er war der Erste aus dieser Stadt, der sich taufen ließ. Stojan erzählt: „Dieser junge Student war mein Cousin. Damals arbeitete ich als Kellner und unterhielt mich ab und zu mit den Kollegen über religiöse Themen. Nach einem solchen Gespräch kam ein Gast herein, der orthodox war. Beim Bedienen fragte ich ihn, ob ich eine Bibel von seiner Kirche haben könnte, weil ich Gott besser kennenlernen wollte. Er sagte, er werde versuchen, mir eine vorbeizubringen. Bald darauf hatte ich mein eigenes Neues Testament. Ich war so begeistert, dass ich nach der Arbeit nur noch nach Hause wollte, um darin zu lesen.

Unterwegs traf ich völlig unvermutet meinen Cousin, der aus Zagreb zu Besuch gekommen war. Er fragte, ob ich mit zu ihm komme. Ich sagte ihm, ich müsse unbedingt weiter, weil ich in meiner Bibel lesen wolle. ‚Da habe ich etwas für dich‘, meinte mein Cousin. ‚Zu Hause habe ich Bücher, die die Bibel erklären.‘ Ich ging mit und er zeigte mir eine vollständige Bibel, einige Broschüren und einige Wachtturm-Ausgaben in Kroatisch. Er gab sie mir und ich begann sofort, darin zu lesen. Ich merkte gleich, dass ich da auf etwas ganz Besonderes gestoßen war. Von Jehovas Zeugen hatte ich noch nie etwas gehört. Jetzt wollte ich sie aber kennenlernen.

Also begleitete ich meinen Cousin zurück nach Zagreb. Dort konnte ich bei Ivica Pavlaković, einem gastfreundlichen Zeugen Jehovas, drei Tage übernachten. Ich fragte ihm Löcher in den Bauch. Dass er meine Fragen immer mit der Bibel beantwortete, machte großen Eindruck auf mich. Ich besuchte eine Zusammenkunft und war von der Liebe der Brüder sehr angetan.

Ivica besuchte mit mir auch das Bethel in Zagreb. Als ich es wieder verließ, war ich überglücklich — nicht zuletzt wegen des vielen Lesestoffs, den ich mir dort besorgt hatte. Nach diesen unvergesslichen Tagen kehrte ich mit dem Schatz, den ich gefunden hatte, nach Kočani zurück. In meiner Gegend gab es damals keine Zeugen Jehovas. Ivica und ich blieben aber in Kontakt. Ich schickte ihm Briefe mit vielen Fragen und er schickte mir die Antworten. Über das, was ich lernte, sprach ich auch mit anderen. Mit der Zeit interessierten sich meine Frau und meine Kinder dafür. Schließlich beteten wir Jehova gemeinsam an. Wir beschäftigten uns viel mit der Bibel. Voller Freude sprachen wir mit unseren Verwandten und Freunden über die gute Botschaft. Viele von ihnen hörten gern zu. Doch mit dem Predigen kam auch Widerstand.“

INTERNATIONALER KONGRESS IN DEUTSCHLAND

Die wenigen Brüder und Schwestern in Jugoslawien hatten untereinander zwar mehr Kontakt als Zeugen Jehovas in anderen kommunistischen Ländern. Ihr großer Wunsch war es aber, auch einmal die Einheit der weltweiten Bruderschaft zu verspüren. Nachdem sie erfahren hatten, dass 1969 ein internationaler Kongress mit dem Motto „Friede auf Erden“ geplant war, bemühten sie sich um Ausreisegenehmigungen. Ihre Freude kannte keine Grenzen, als die Anträge genehmigt wurden.

Der Kongress fand in Nürnberg auf der Zeppelinwiese statt, wo nur einige Jahrzehnte zuvor Hitler — der Jehovas Zeugen ausrotten wollte — Paraden abgenommen hatte. Die Vorträge wurden in mehreren Sprachen gehalten, und die jugoslawischen Delegierten freuten sich, dass darunter auch Serbokroatisch und Slowenisch waren. Sie hatten sich ganz in der Nähe auf einem Waldsportplatz versammelt. In der Mitte des Platzes stand eine große zweigeteilte Bühne. Auf der einen Seite saßen die Serbokroatisch sprechenden Delegierten und auf der anderen die Slowenisch sprechenden. Wie muss dieser lehrreiche 8-tägige Kongress doch den Glauben dieser Brüder und Schwestern gestärkt haben!

Die Delegierten kamen mit Sonderzügen und Bussen aus allen Teilen Jugoslawiens nach Deutschland. Ein Bruder aus Kroatien erzählt: „Wir waren einfach nur glücklich, weil wir mit unseren Brüdern und Schwestern zusammen sein konnten! Voller Stolz hängten wir an die Fenster unserer Waggons Schilder, die den Kongress ankündigten.“

Die Anwesenden freuten sich, Nathan Knorr und Frederick Franz aus Brooklyn zu sehen und zu hören. Ein Delegierter erinnert sich: „Als sie unserer Sprachgruppe persönlich Grüße übermittelten, konnten wir uns kaum auf den Plätzen halten.“ Unsere jugoslawischen Brüder und Schwestern wurden für all die Opfer, die sie brachten, um den Kongress zu besuchen, reichlich belohnt. Milosija Simić, die aus Serbien angereist war, sagt: „Die Kongressreise kostete mich zwei Monatsgehälter. Es war auch schwer, zehn Tage freizubekommen, und ich wusste nicht, ob ich meine Arbeitsstelle nach dem Kongress noch haben würde. Ich wollte aber unbedingt dabei sein. Es war ein unbeschreibliches Erlebnis. Noch heute, 40 Jahre später, kommen mir Freudentränen, wenn ich an den Kongress zurückdenke.“ Zeugen Jehovas aus allen Teilen Jugoslawiens erlebten die Einheit der internationalen Bruderschaft. Das stärkte sie für die schwierige Zeit, die vor ihnen lag.

JUGOSLAWISCHE PIONIERE AUF DEM VORMARSCH

Die Pioniere, die Anfang der 1930er-Jahre aus Deutschland gekommen waren, hatten die gute Botschaft weit und breit verkündigt. Jetzt, wo es im Land mehr Verkündiger gab, fingen auch immer mehr Jugoslawen mit dem Pionierdienst an. Von Slowenien aus wurden erfahrene Pioniere in entfernte Gegenden Jugoslawiens geschickt, wo man ihre Hilfe gut gebrauchen konnte. Diese Pioniere nahmen es auf sich, neue Sprachen zu lernen und sich auf andere Kulturen einzustellen.

Jolanda Kocjančič erinnert sich: „Ich kam nach Priština. Das ist die größte Stadt im Kosovo. Hier spricht man Albanisch und Serbisch. Minka Karlovšek und ich sprachen weder das eine noch das andere. Aber wir legten einfach los und lernten so am meisten. An der ersten Haustür öffnete uns der älteste Sohn einer Witwe tschechischer Herkunft. Wir redeten Slowenisch, gemixt mit ein paar serbischen Ausdrücken, und sagten: ‚Wir möchten gern über die gute Botschaft aus der Bibel sprechen.‘

Darauf meinte er: ‚Kommen Sie rein! Meine Mutter wartet schon auf Sie.‘

Als wir eintraten, lief uns die Mutter, sie hieß Ružica, schon entgegen. Sie hatte zwei Wochen davor zu Jehova gebetet, weil sie ihn gern kennenlernen wollte. Ihre Schwester, eine Zeugin Jehovas in Tschechien, hatte ihr schon öfter geraten, sich an Jehova zu wenden. Für Ružica war unser Besuch die Antwort auf ihr Gebet. So kam es, dass sie uns Serbisch beibrachte und wir ihr die biblische Wahrheit. Sie hatte Studenten zur Untermiete, die sich bei unserem Bibelstudium gern dazusetzten. Einer von ihnen schenkte uns ein albanisches Wörterbuch, das uns beim Erlernen der Sprache eine große Hilfe war.“

Zoran Lalović aus Montenegro war noch ein Junge, als er von einem Pionier aus Zagreb eine Bibel bekam. Fünf Jahre später, 1980, kam ein Sonderpionier aus Serbien und fing ein Bibelstudium mit ihm an. Zoran sagt: „Es ist mir sehr schwergefallen, den Kontakt mit meinen Kumpels aus der Disco abzubrechen. Aber als ich es geschafft hatte, ist alles ziemlich schnell gegangen. Nach ein paar Monaten hab ich mich in Belgrad taufen lassen. Gleich danach sollte ich einen Vortrag halten, weil es nur so wenige Brüder gab. In dieser Zeit konnten wir auch anfangen, bei uns in Podgorica alle Zusammenkünfte abzuhalten.“

TAUFE IN DEN REISFELDERN

Stojan Bogatinov aus Mazedonien berichtet: „Wenn sich bei uns jemand taufen lassen wollte, war ich der Täufer. Wir hatten keine Badewanne, und das Flüsschen bei uns in der Nähe war viel zu klein. Dafür gibt es hier aber viele Reisfelder mit Bewässerungskanälen. Manche Kanäle sind relativ sauber und tief genug. Ich kann mich noch gut an die erste Taufe in einem Reisfeld erinnern. Auf dem Weg zum Kanal rief uns jemand zu: ‚Na, Stojan, hast du neue Arbeiter angeworben?‘

‚Ja, ja‘, antwortete ich. ‚Es gibt ja auch eine Menge zu tun.‘ Die Leute ahnten nicht, dass in Mazedonien noch eine ganz andere Ernte im Gang war.“

Die Brüder in Mazedonien hatten nur sehr wenig Kontakt zum Bethel und mussten noch viel Organisatorisches dazulernen. Stojan Stojmilov hatte in Deutschland angefangen, die Zusammenkünfte zu besuchen. Zurück in Mazedonien, freute er sich, dass es in Kočani Zeugen Jehovas gab. Stojan erzählt: „Als ich den Brüdern erklärt hab, wie die Zusammenkünfte in Deutschland ablaufen, wollten sie sofort, dass ich das Wachtturm-Studium leite und einen Vortrag halte. Da hab ich gesagt, dass ich ja noch gar nicht getauft bin. Aber sie haben nicht lockergelassen. Sie meinten, ich könnte das bestimmt am besten. Ich ließ mich überreden. Meine Frau und ich haben uns übrigens auch in den Reisfeldern taufen lassen.“

Veselin Iliev ist ein Ältester in Kočani. „Wir wussten nicht so genau, wie in der Versammlung alles ablaufen sollte, aber wir haben die Wahrheit geliebt“, sagt er. Jehova sorgte dafür, dass die Brüder mit den organisatorischen Abläufen immer besser vertraut wurden. Beispielsweise erhielten sie mehr Literatur in Mazedonisch. Dadurch konnte sich die Wahrheit weiter ausbreiten und die Versammlungen wurden gefestigt.

GRÖSSERE FREIHEIT GUT GENUTZT

Da Jugoslawien nicht von Russland kontrolliert wurde, hatte man dort Freiheiten, von denen die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang nur träumen konnten. Ende der 1960er-Jahre hat Jugoslawien als erstes kommunistisches Land die Ein- und Ausreise wesentlich erleichtert und die Grenzkontrollen gelockert. So konnte man von Nordjugoslawien aus Literatur in Länder schmuggeln, die an die Sowjetunion grenzten.

Die Literatur wurde mit Lieferwagen von Deutschland nach Jugoslawien gebracht. Im Haus von Ðuro Landić, der heute zum kroatischen Zweigkomitee gehört, befand sich bis zum Ende der Sowjetunion ein Literaturlager. Ðuro erzählt: „Die Autos unserer Familie hatten einen doppelten Boden und Geheimfächer im Armaturenbrett. Wäre beim Durchsuchen etwas gefunden worden, hätte man uns die Autos weggenommen und wir wären ins Gefängnis gewandert. Doch die strahlenden Gesichter der Brüder, die die Literatur bekamen, waren das Risiko wert.“

Schwester Milosija Simić schmuggelte Literatur von Serbien nach Bulgarien. Sie erinnert sich: „Ich wusste nie, zu wem ich geschickt wurde. Man gab mir einfach eine Adresse, wo ich die Literatur abliefern sollte. Als ich einmal mit dem Bus zu einer solchen Adresse fuhr, war niemand da. Ich ging um den Block und kam aus einer anderen Richtung wieder zu dem Haus. Niemand öffnete. Etwa zehn Mal habe ich es versucht — natürlich unauffällig, um keinen Verdacht zu erregen. Es war aber den ganzen Tag niemand zu Hause. Im Nachhinein war ich froh darüber. Die Adresse war nämlich falsch.

Was jetzt? Ich konnte die Literatur doch nicht einfach wegwerfen, zumal ich sie mit Durchschlagpapier immer wieder mühsam abgetippt hatte. Also beschloss ich, sie zurück nach Serbien zu bringen, wo man sie gut gebrauchen konnte. Ich hatte zwar eine Rückfahrkarte nach Jugoslawien, brauchte aber noch eine Fahrkarte, damit ich zum Umsteigebahnhof kam. Das Geld dafür bekam ich normalerweise bei der Literaturübergabe. Man durfte nämlich nur eine bestimmte Menge Geld einführen. Auf dem Weg zum Schalter bat ich Jehova, dass mich dort eine Frau bedient. Als ich ankam, wechselte gerade das Personal: Ein Mann ging und eine Frau kam. Zum Tausch für eine Fahrkarte bot ich ihr die Kleidungsstücke an, in die die Literatur eingewickelt war. Sie war einverstanden und ich bekam die Fahrkarte.“

Anfang der 1980er-Jahre übersetzte man die Literatur ins Albanische und Mazedonische und schickte die handgeschriebenen Manuskripte nach Belgrad. In dem kleinen Büro dort tippte Milosija den Text mit Durchschlagpapier ab — immer acht Seiten auf einmal. Das war eine schwierige Aufgabe, weil es nicht leicht ist, etwas Handgeschriebenes in einer Fremdsprache zu entziffern.

JUNGE BRÜDER BLEIBEN STANDHAFT

Die Regierung gewährte uns zwar Religionsfreiheit, war aber der Meinung, wir würden durch unsere neutrale Haltung die Einheit Jugoslawiens gefährden. Die Brüder wurden unter Druck gesetzt. Im Zweiten Weltkrieg hatten viele den Militärdienst verweigert, obwohl ihnen die Hinrichtung drohte. Leider hatten in den folgenden drei Jahrzehnten nicht alle Brüder einen so starken Glauben. Einige besuchten zwar unsere Zusammenkünfte und verkündigten die gute Botschaft. Als sie dann aber eingezogen wurden, suchten sie nach Entschuldigungen, Militärdienst zu leisten.

Wer standhaft blieb, erhielt eine bis zu 10-jährige Haftstrafe. Außerdem konnte man bis zum 30. Lebensjahr immer wieder von Neuem verurteilt werden. Einige der jungen Männer, die keine Zugeständnisse machten, waren noch nicht lange getauft. Viele von ihnen tragen heute große Verantwortung in den Versammlungen.

EIN BEWEGENDER INTERNATIONALER KONGRESS

1991 fanden unter dem Motto „Freiheitsliebende Menschen“ internationale Kongresse statt. Die Brüder in Jugoslawien hatten noch nie die Freude erlebt, einen solchen Kongress auszurichten. Doch jetzt hatte die leitende Körperschaft angekündigt, dass Zagreb als Kongressstadt vorgesehen war. Die Brüder fieberten dem Ereignis entgegen.

Das Ganze war allerdings nicht ungefährlich. Seit Kroatien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt hatte, bahnte sich ein Krieg an. Konnte man es da verantworten, einen Kongress abzuhalten? Die Sicherheit der ausländischen und der einheimischen Besucher ging vor. Nach vielen Gebeten und reiflicher Überlegung beschlossen die Brüder, die Sache in Angriff zu nehmen.

Theodore Jaracz von der leitenden Körperschaft reiste schon ein paar Wochen vor Kongressbeginn nach Kroatien, um bei den Vorbereitungen mitzuhelfen. Da man in Zagreb alle sonstigen öffentlichen Veranstaltungen abgesagt hatte, verfolgten die Leute mit großem Interesse, was im Dinamo-Stadion vor sich ging. Je näher der Kongress rückte, umso instabiler wurde die Lage. Die Brüder wägten täglich die Risiken ab und stellten sich immer und immer wieder dieselbe Frage: Sollte man weitermachen oder alles abblasen? Unaufhörlich baten sie Jehova um Führung. Wie durch ein Wunder entspannte sich die Lage. Der Kongress fand wie geplant vom 16. bis zum 18. August statt.

Einen größeren Kontrast kann man sich kaum vorstellen: Während die ganze Region am Rand eines Krieges stand und viele aus dem Land flohen, hießen die Brüder in Kroatien Tausende von Besuchern des internationalen Kongresses „Freunde der göttlichen Freiheit“b willkommen. Brüder und Schwestern aus 15 Ländern strömten zusammen, um sich in Einheit und Frieden zu versammeln. Aus den USA, aus Kanada und aus anderen westlichen Ländern reisten große Gruppen mit dem Flugzeug an. Der Zagreber Flughafen war wegen der Kriegsgefahr geschlossen, und so mussten sie in Ljubljana (Slowenien) landen. Von dort fuhren die Delegierten dann mit Bussen nach Zagreb. Der Mut der Besucher machte großen Eindruck auf die Bevölkerung und gab den einheimischen Brüdern enormen Auftrieb. 3 000 Delegierte kamen allein aus Italien. Ihre Herzlichkeit und ihr feuriges Temperament rissen alle anderen Kongressbesucher mit (1. Thes. 5:19).

Besonders glaubensstärkend war, dass fünf Brüder von der leitenden Körperschaft gekommen waren: Carey Barber, Lloyd Barry, Milton Henschel, Theodore Jaracz und Lyman Swingle. Viele erinnern sich noch gern an die Vorträge dieser erfahrenen Brüder, die sich von der bedrohlichen Lage nicht abschrecken ließen, weil sie den Kongressbesuchern Mut machen wollten.

Wegen der politischen Krise rechnete die Polizei mit Unruhen unter den jugoslawischen Delegierten. Umso erleichterter war man, dass eine friedliche, herzliche und brüderliche Atmosphäre herrschte. Jeden Tag waren weniger Polizisten präsent.

Dieser denkwürdige Kongress bewies, dass Jehovas Zeugen wirklich eine internationale Bruderschaft sind. Das spornte die einheimischen Brüder und Schwestern an, in der vor ihnen liegenden schweren Zeit zusammenzuhalten. Die Busse, mit denen die serbischen und mazedonischen Delegierten nach Hause fuhren, gehörten zu den letzten Fahrzeugen, die sicher von Kroatien nach Serbien kamen. Danach wurde die Grenze geschlossen. Viele sind der Meinung, dass zu diesem Zeitpunkt der Krieg anfing.

In den nächsten Monaten und Jahren erklärten die Teilrepubliken Jugoslawiens nach und nach ihre volle nationale Eigenexistenz. Diese Umwälzungen forderten Zehntausende von Menschenleben und verursachten unbeschreibliches Leid. Wie erging es den Brüdern in dieser turbulenten Zeit? Wie hat Jehova die Verkündigung des Königreichs in den neuen Ländern gesegnet?

Bosnien und Herzegowina

„Als am 16. Mai 1992 ein Granatenhagel auf Sarajevo niederging, drängten sich etwa 13 von uns in einer Wohnung zusammen. Das Gebäude, in dem wir Zuflucht gesucht hatten, wurde zwei Mal getroffen. Draußen kämpften Kroaten, Serben und Bosniaken gegeneinander. Obwohl wir auch aus diesen Volksgruppen stammten, vereinte uns die Anbetung Jehovas. Am frühen Morgen ließen die Angriffe etwas nach und wir konnten uns woanders in Sicherheit bringen. Wie schon am Abend schrien wir zu Jehova und er half uns“ (Halim Curi).

Die mehr als 400 000 Einwohner Sarajevos machten eine der furchtbarsten und längsten Belagerungen des 20. Jahrhunderts durch. Wie erging es unseren Brüdern und Schwestern, als das Land von ethnisch und religiös motivierten Kämpfen zerrissen war? Dazu später mehr.

Bosnien und Herzegowina, wie das Land offiziell heißt, liegt im Herzen des ehemaligen Jugoslawien. Es grenzt an Kroatien, Serbien und Montenegro. Unter den Einwohnern und den einzelnen Familien herrscht ein starker Zusammenhalt und die Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Viele trinken gern mal ein Tässchen türkischen Kaffee beim Nachbarn oder vertreiben sich die Zeit in einem der kafići (Cafés). Die Bevölkerung setzt sich aus Bosniaken, Serben und Kroaten zusammen, die sich äußerlich allerdings kaum voneinander unterscheiden. Viele sind nicht unbedingt religiös. Trotzdem hat die Religion einen Keil zwischen die Volksgruppen getrieben. Die Bosniaken sind zumeist muslimisch, die Serben serbisch-orthodox und die Kroaten römisch-katholisch.

Die erschreckende Zunahme religiös und ethnisch motivierter Feindseligkeiten Anfang der 1990er-Jahre gipfelte in brutalen „ethnischen Säuberungen“. Vorrückende Truppen vertrieben Zivilisten aus kleinen Dörfern und großen Städten, damit ganze Landstriche nur noch von Angehörigen ihrer eigenen Religion bewohnt wurden. Damals mussten unsere Brüder und Schwestern beweisen, dass sie wirklich neutral waren. Wie in anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawien ist es auch in Bosnien üblich, die Religion der Eltern zu übernehmen. Der Familienname lässt oft Rückschlüsse auf die Religionszugehörigkeit zu. Wenn jemand ein Zeuge Jehovas wird, kann es sein, dass man ihm Verrat an der Familie und der Tradition vorwirft. Unsere Brüder haben aber erlebt, dass sich Treue gegenüber Jehova immer auszahlt.

DIE BELAGERUNG VON SARAJEVO

Wie erwähnt waren die jugoslawischen Brüder tief beeindruckt von der Liebe und Einheit auf dem Kongress „Freunde der göttlichen Freiheit“, der 1991 in Zagreb (Kroatien) stattfand. Dieses unvergessliche Erlebnis gab ihnen Kraft für das, was auf sie zukam. Wie aus heiterem Himmel wurde Sarajevo von Soldaten umzingelt und alle Bewohner waren eingekesselt. Mit dem friedlichen Zusammenleben von Bosniaken, Serben und Kroaten war es vorbei. Die politische Lage sah zwar düster aus, aber niemand konnte ahnen, dass die Belagerung so lange dauern würde.

Halim Curi, ein Ältester in Sarajevo, berichtete: „Die Leute sind am Verhungern. Sie bekommen im Monat nur ein paar Kilo Mehl, hundert Gramm Zucker und einen halben Liter Öl. Auf jedem freien Stückchen Land wird Gemüse angebaut. Die Bewohner fällen die Bäume, damit sie Holz zum Heizen und Kochen haben. Wenn die Bäume weg sind, muss der Holzfußboden dran glauben. Sie verheizen alles, was brennbar ist, sogar alte Schuhe.“

Als Sarajevo umzingelt wurde, saßen Ljiljana Ninković und ihr Mann Nenad in der Falle — getrennt von ihren beiden Töchtern. Ljiljana sagt: „Wir waren eine ganz normale Familie mit zwei Kindern, einer netten Wohnung und einem Auto. Auf einen Schlag war alles anders.“

Oft spürten sie jedoch Jehovas schützende Hand. „Zwei Mal wurde unsere Wohnung bombardiert, als wir gerade aus der Tür waren“, erzählt Ljiljana. „Obwohl wir es sehr schwer hatten, konnten wir uns über kleine Dinge freuen, zum Beispiel über ein paar Löwenzahnblätter, die wir im Park pflückten. Daraus haben wir dann einen Salat gemacht, damit wir nicht immer nur trockenen Reis essen mussten. Wir lernten, mit dem, was wir hatten, zufrieden zu sein und nichts für selbstverständlich zu nehmen.“

DER HOHE STELLENWERT DER ZUSAMMENKÜNFTE

Wasserknappheit war ein großes Problem. Aus den Leitungen in den Häusern kam meistens kein Tropfen. Der Weg zur Wasserausgabestelle war bis zu fünf Kilometer lang und man musste immer mit Heckenschützen rechnen. An der Zapfstelle standen die Leute stundenlang Schlange. Nachdem sie endlich ihre Behälter gefüllt hatten, mussten sie sie noch den ganzen Weg nach Hause schleppen.

„Manchmal hörten wir, dass für kurze Zeit Wasser aus den Leitungen kommen sollte“, erzählt Halim. „Dann konnte man sich endlich duschen, Wäsche waschen und Wasser in alle verfügbaren Behälter abfüllen. Problematisch wurde es aber, wenn dieser sehnlich erwartete Moment ausgerechnet mit den Zusammenkunftszeiten zusammenfiel. Dann mussten wir uns überlegen, was uns wichtiger war.“

Ohne Wasser und Essen kam man natürlich nicht aus. Die Brüder wussten aber auch, wie wichtig die Zusammenkünfte für sie waren. Dort erhielten sie nicht nur geistige Speise, sondern erfuhren auch, wer gerade im Gefängnis saß, wer verletzt war oder wer getötet worden war. „Wir waren wie eine große Familie“, sagt Milutin Pajić, ein Ältester. „Nach den Zusammenkünften wollte keiner nach Hause. Meistens unterhielten wir uns noch stundenlang über biblische Gedanken.“

Es war eine schwere Zeit. Die Brüder und Schwestern mussten oft um ihr Leben fürchten. Trotzdem setzten sie die Wahrheit immer an die erste Stelle. Während der Krieg die Bevölkerung entzweite, rückten unsere Brüder enger zusammen und klammerten sich an ihren Vater im Himmel. Kinder konnten die Treue ihrer Eltern beobachten und lernten so, fest für Jehova einzustehen.

Die Stadt Bihać in der Nähe der kroatischen Grenze war fast vier Jahre lang von der Außenwelt abgeschnitten. Niemand kam raus und Hilfsgüter kamen nicht rein. „Am schlimmsten war es zu Beginn des Krieges“, erzählt Osman Šaćirbegović, der einzige Bruder in der Stadt. „Nicht so sehr wegen der schwierigen Lage, sondern weil wir so etwas noch nie mitgemacht hatten. Als dann die ersten Granaten einschlugen, ließ die Anspannung interessanterweise etwas nach. Denn nicht jede Granate tötet jemanden und manche detonieren überhaupt nicht.“

Niemand konnte voraussagen, wie lange der Krieg dauern würde. Daher organisierten unsere Zweigstellen in Zagreb und in Wien Hilfslieferungen. Die Hilfsgüter wurden nach Sarajevo, Zenica, Tuzla, Mostar, Travnik und Bihać gebracht, wo man sie in Königreichssälen und in Privatwohnungen deponierte. Während des Krieges wurden Städte von heute auf morgen besetzt und die Nachschublinien abgeschnitten. Die Vorräte waren schnell aufgebraucht. Trotz der Isolation konnte nichts die Einheit unter Jehovas Zeugen erschüttern. Diese Einheit bildete einen starken Kontrast zu dem ethnisch und religiös motivierten Hass, der immer weiter geschürt wurde und der dem ganzen Land nur Leid und Elend brachte.

EIFRIG, ABER UMSICHTIG

Zu dem Problem, das Lebensnotwendige zu beschaffen, kam in Sarajevo noch die Gefahr durch Heckenschützen hinzu, die einfach drauflosschossen. Überall krachten Granaten ein. Man konnte sich kaum gefahrlos draußen aufhalten. In diesem Klima ständiger Angst handelten unsere Brüder und Schwestern mutig und zugleich umsichtig. Sie hörten nicht auf, über die gute Botschaft vom Königreich zu reden, zumal die Menschen unbedingt Trost brauchten.

Ein Ältester berichtet: „An einem Samstag, als Sarajevo unter schwerem Beschuss lag, sind Tausende von Granaten eingeschlagen. Trotzdem haben die Brüder am Vormittag angerufen und gefragt: ‚Wo ist denn heute Treffpunkt?‘ “

Eine Schwester sagt: „Ich merkte, wie dringend die Leute die Wahrheit brauchten. Das hat mir geholfen durchzuhalten, ohne die Freude zu verlieren.“

Viele Leute kamen zu der Überzeugung, dass ihnen die Bibel Hoffnung schenken kann. „Nicht wir müssen die Menschen suchen“, erzählte ein Bruder, „sondern sie suchen uns, weil sie sich Trost aus der Bibel wünschen. Manche tauchen einfach im Königreichssaal auf und bitten um ein Bibelstudium.“

Diese guten Resultate waren zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass die Einheit unter Jehovas Zeugen nicht zu übersehen war. Nada Bešker, eine langjährige Sonderpionierin, sagt: „Bosniaken und Serben, die gemeinsam predigen gingen, waren das Gesprächsthema. Oder auch die Kroatin und die ehemalige Muslimin, die ein Bibelstudium mit einer Serbin hatten. Keiner konnte bestreiten, dass wir anders waren.“

Der Eifer unserer Brüder und Schwestern hat Früchte getragen. Viele Menschen lernten während des Krieges die Wahrheit kennen. Die Versammlung in Banja Luka wuchs auf das Doppelte an, obwohl um die hundert Verkündiger in andere Versammlungen wechselten.

EINE TREUE FAMILIE

Unsere Brüder waren immer sehr vorsichtig. Trotzdem traf einige von ihnen „unvorhersehbares Geschehen“, weil sie leider zur falschen Zeit am falschen Ort waren (Pred. 9:11, Fn.). Božo Ðorem, ein Serbe, ließ sich 1991 auf dem internationalen Kongress in Zagreb taufen. Als er wieder in Sarajevo war, musste er wegen seiner neutralen Haltung wiederholt ins Gefängnis und wurde schlimm behandelt. 1994 erhielt er 14 Monate Haft. Am meisten litt er darunter, dass er von seiner Frau Hena und seiner fünfjährigen Tochter Magdalena getrennt war.

Kurz nach seiner Entlassung geschah etwas Schreckliches. An einem ruhigen Nachmittag ging Božo mit seiner Frau und seiner Tochter zu einem Bibelstudium in der Nähe ihrer Wohnung. Urplötzlich explodierte eine Granate. Hena und Magdalena waren sofort tot. Božo starb im Krankenhaus.

EIN ÜBERZEUGENDES ARGUMENT

Wegen der weitverbreiteten Vorurteile stieß unser neutraler Standpunkt auf großes Unverständnis. Die Versammlung Banja Luka setzte sich hauptsächlich aus jungen Männern zusammen, die man unbedingt einziehen wollte. Sie weigerten sich und wurden wiederholt geschlagen.

Osman Šaćirbegović erinnert sich: „Oft verhörte man uns. Die Polizisten beschimpften uns als Feiglinge, die ihre Familie nicht beschützen wollen.“

Osman argumentierte dann immer so: „Sie tragen Ihre Waffe doch zum Schutz, oder?“

„Klar“, antwortete der Polizist.

„Würden Sie sie gegen eine Kanone eintauschen, um noch besser geschützt zu sein?“

„Ja.“

„Und würden Sie eine Kanone gegen einen Panzer eintauschen?“

„Natürlich.“

„Sie möchten also den bestmöglichen Schutz haben. Mein Schutz kommt von Jehova, dem allmächtigen Gott, der das Universum erschaffen hat. Einen besseren Schutz gibt es für mich nicht.“

Das war ein überzeugendes Argument und man ließ ihn in Ruhe.

HILFSLIEFERUNGEN ERREICHEN IHR ZIEL

Die Brüder in Bosnien litten große Not. Daher überlegte man sich, wie man ihnen von Nachbarländern aus Hilfsgüter zukommen lassen könnte. Leider war das eine Zeit lang unmöglich. Im Oktober 1993 erfuhr man dann aber von offizieller Stelle, dass jetzt eventuell Hilfslieferungen möglich wären. Diese Gelegenheit ließen sich unsere Brüder natürlich nicht entgehen. Am 26. Oktober machten sich fünf Lkws auf die gefährliche Reise von Wien nach Bosnien. Sie hatten 16 Tonnen Lebensmittel und Brennholz geladen. Doch wie kam die Lkw-Kolonne durch die vielen heftig umkämpften Gebiete?c

Auf ihrer Fahrt waren die Brüder mehr als einmal in Lebensgefahr. Ein Fahrer berichtet: „An einem Vormittag bin ich erst spät losgekommen. Ich fuhr hinter anderen Lkws her, die auch Hilfsgüter geladen hatten. An einer Kontrollstelle mussten wir alle anhalten und unsere Papiere vorzeigen. Plötzlich fielen Schüsse. Ein Fahrer, der kein Zeuge Jehovas war, wurde von einem Heckenschützen getroffen.“

Nur die Fahrer durften mit ihren Lkws nach Sarajevo. Die Brüder, die sie begleitet hatten, mussten vorher aussteigen. Doch statt nur zu warten, suchten sie nach einer Möglichkeit, ihren Brüdern in Sarajevo etwas Gutes zu tun. Schließlich war es ihnen möglich, telefonisch nach Sarajevo durchzukommen und einen Vortrag zu halten, der den Verkündigern viel Kraft gab. Während des Krieges setzten reisende Aufseher, Bethelmitarbeiter und Mitglieder des Landeskomitees oft ihr Leben aufs Spiel, um ihre Brüder mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen und sie im Glauben zu stärken.

Fast vier Jahre lang kamen keine Hilfslieferungen nach Bihać. Buchstäbliche Speise konnte die Absperrungen nicht passieren, wohl aber geistige. Wie war das möglich? Über ein Faxgerät. Die Verkündiger erhielten ab und zu den Königreichsdienst und den Wachtturm als Fax, das sie dann für jede Familie abtippten. Zu Beginn des Krieges gab es in Bihać nur einen Bruder und zwei Schwestern. Zwölf ungetaufte Verkündiger warteten zwei Jahre lang sehnsüchtig auf eine Gelegenheit, sich taufen zu lassen.

Die lange Isolation machte ihnen ganz schön zu schaffen. Osman erzählt: „Die Interessierten waren noch nie auf einem Kongress gewesen und hatten auch noch nie einen Kreisaufseherbesuch miterlebt. Oft haben wir uns darüber unterhalten, wie es sein wird, wenn wir endlich mit unseren Brüdern und Schwestern zusammen sein können.“

Man muss sich ihre Freude vorstellen, als am 11. August 1995 in Bihać zwei Fahrzeuge ankamen, die die mutige Aufschrift trugen „Jehovas Zeugen — Humanitäre Hilfe“. Es waren die ersten zivilen Fahrzeuge mit Hilfsgütern, die seit dem Beginn der Belagerung in die Stadt gelangten. Die Hilfe kam zu einer Zeit, als die Brüder mit ihren Kräften und Nerven am Ende waren.

Die Leute in Bihać konnten beobachten, wie sich die Verkündiger gegenseitig halfen, beispielsweise beim Reparieren von Fenstern. „Das machte großen Eindruck auf unsere Nachbarn“, erzählt Osman. „Sie wussten ja, dass wir kein Geld hatten. Die Leute reden noch immer darüber. All das warf ein gutes Licht auf unseren Glauben.“ In Bihać gibt es heute eine starke Versammlung mit 34 Verkündigern und 5 Pionieren.

EINE UNVERGESSLICHE REISE

Die Brüder, die Lebensmittel und Literatur in die umkämpften Städte Bosniens brachten, riskierten wiederholt ihr Leben. Bei der Fahrt vom 7. Juni 1994 kam hinzu, dass sie etwas Besonderes vorhatten. Am frühen Morgen fuhren drei Lkws mit Brüdern vom Landeskomitee und zusätzlichen Helfern von Zagreb los. Sie wollten nicht nur Hilfsgüter abliefern, sondern auch zum ersten Mal nach drei Jahren einen Tagessonderkongress abhalten, allerdings mit verkürztem Programm.

Eine der Städte, wo der Kongress stattfinden sollte, war Tuzla. Bei Kriegsbeginn gab es in der Versammlung dort nur etwa 20 getaufte Verkündiger. Umso erstaunlicher war es, dass sich zum Programm mehr als 200 Besucher einfanden. 30 ließen sich taufen. Heute hat Tuzla drei Versammlungen und über 300 Verkündiger.

In Zenica gab es zwar einen geeigneten Versammlungsort, aber kein Becken für die Taufe. Nach langem Suchen fand sich ein Bottich. Das einzige Problem war der Geruch. In dem Bottich waren nämlich Fische aufbewahrt worden. Doch die Täuflinge, die auf Jesu Einladung hin „Menschenfischer“ werden wollten, ließen sich davon nicht abschrecken (Mat. 4:19). Herbert Frenzel, der heute zum kroatischen Zweigkomitee gehört, hielt die Taufansprache. Er sagt: „Die Taufbewerber hatten so lange gewartet, dass sie jetzt nichts von ihrem Entschluss abbringen konnte. Nach der Taufe hatten sie das Gefühl: ,Endlich haben wir’s geschafft!‘ “ Heute gibt es in Zenica eine eifrige Versammlung mit 68 Verkündigern.

In Sarajevo musste man den Kongress in der Nähe einer von Heckenschützen belagerten Kreuzung abhalten. Nachdem die Brüder sicher angekommen waren, standen sie vor dem Problem, erstens ein Taufbecken zu beschaffen und zweitens dafür zu sorgen, dass das kostbare Nass nicht verloren ging. Damit man genug Wasser für alle Täuflinge hatte, mussten sie sich der Statur nach aufstellen. Die Kleineren kamen zuerst dran und die kräftiger Gebauten zum Schluss.

Einen Tag lang vergaßen die Brüder und Schwestern das grauenvolle Geschehen um sie herum. Sie ließen sich die Freude über diesen Kongress durch nichts und niemanden trüben. Zurzeit gibt es in Sarajevo drei starke Versammlungen.

NACH DEM STURM

Nachdem die Versorgungswege wieder offen waren, war die Situation für unsere Brüder und Schwestern etwas erträglicher. Doch die Vertreibungen gingen weiter. Ivica Arabadžić, ein Ältester in Kroatien, musste sein Elternhaus in Banja Luka verlassen. Er erzählt: „Ein bewaffneter Mann eröffnete uns, dass er ab sofort in unserem Haus wohnt. Er war aus seinem Haus in Kroatien vertrieben worden, weil er Serbe war, und wollte jetzt uns vertreiben. Obwohl uns ein Militärpolizist, mit dem wir die Bibel studierten, zu Hilfe kam, mussten wir das Haus räumen. Wir konnten mit dem Serben aber einen Handel machen: unser Haus gegen sein Haus. So mussten wir schweren Herzens unsere Heimat und die Versammlung verlassen, in der wir die Wahrheit kennengelernt hatten. Wir nahmen nur das Nötigste mit und machten uns auf die Suche nach unserem ‚neuen‘ Haus in Šibenik. Als wir es gefunden hatten, stellten wir fest, dass es bereits bewohnt war. Jetzt standen wir vor dem Nichts. Doch die Brüder hießen uns herzlich willkommen und ein Ältester nahm uns für ein Jahr bei sich auf, bis die Sache geklärt war.“

Der politische Zustand in Bosnien-Herzegowina ist immer noch recht instabil. Doch die Versammlungen in diesem Land, in dem fast 40 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, wachsen und gedeihen. Seit Kriegsende sind einige dringend benötigte Königreichssäle gebaut worden. Der Saal in Banja Luka musste jedoch mit allen rechtlichen Mitteln erkämpft werden. In dieser Gegend hat die serbisch-orthodoxe Kirche einen großen Einfluss und unsere Brüder haben sich jahrelang vergeblich um eine Baugenehmigung bemüht. Obwohl unsere Tätigkeit in Bosnien rechtlich anerkannt ist, wurde der Antrag immer wieder abgelehnt. Doch nach vielen Gebeten und unzähligen Versuchen erhielten sie die nötigen Papiere. Nach diesem Sieg ist es heute in diesem Teil Bosnien-Herzegowinas leichter, Königreichssäle zu bauen.

Die neu gewonnene Freiheit ermöglichte es, dass 32 Sonderpioniere in Gegenden geschickt werden konnten, wo mehr Hilfe benötigt wird. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland. Sie haben einen guten Einfluss auf die Versammlungen, weil sie so eifrig sind und sich treu an das halten, was die Organisation vorgibt.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Heckenschützen in Sarajevo überall für Angst und Schrecken sorgten. Jetzt kommen dort Brüder und Schwestern aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawien zusammen und können in Ruhe und Frieden Kongresse abhalten. Wenn Bosnien-Herzegowina auch in der Vergangenheit von Kriegen erschüttert wurde — die „ungeheuchelte brüderliche Zuneigung“ unserer Brüder wurde dadurch nur noch fester (1. Pet. 1:22). Heute verherrlichen in dem schönen, gebirgigen Land 1 163 Verkündiger in 16 Versammlungen vereint den wahren Gott, Jehova.

Kroatien

Nach dem internationalen Kongress, der 1991 in Zagreb stattfand, war die Grenze zwischen Kroatien und Serbien mit einem Mal zu. Hauptverkehrsadern und wichtige Brücken waren zerstört oder verbarrikadiert. Viele Kongressbesucher aus Ostkroatien konnten nicht nach Hause zurückkehren. Ihre Brüder aus anderen Landesteilen waren so lieb, sie bei sich aufzunehmen, obwohl sie selber nicht viel besaßen.

In Zagreb gab es Tag und Nacht Fliegeralarm. Die Menschen rannten um ihr Leben. Manche blieben wochen- oder sogar monatelang in ihrem Unterschlupf. Der Keller des Bethels wurde wegen seiner sicheren Lage zum Luftschutzbunker erklärt. Hier fanden die Passanten nicht nur Schutz, sondern hatten auch die Gelegenheit, von der guten Botschaft zu erfahren. Einmal sprangen die Leute beim Sirenengeheul wie üblich schnell aus der Straßenbahn und liefen in den Keller. Während alle ängstlich warteten, fragte ein Ältester aus dem Bethel, ob er Dias von dem internationalen Kongress zeigen dürfe, der vor ein paar Monaten in Zagreb stattgefunden hatte. Alle waren einverstanden und bedankten sich hinterher.

Wegen der Kämpfe war es problematisch, die Zusammenkünfte zu besuchen. Leider wurden einige Königreichssäle durch Kugeln oder Granaten beschädigt. Doch unseren lieben Brüdern und Schwestern war die geistige Speise so wichtig wie noch nie, und sie wollten das „Zusammenkommen nicht aufgeben“ (Heb. 10:25). Šibenik wurde sechs Monate lang von Raketenwerfern beschossen. Es war unmöglich, sich im Königreichssaal zu versammeln. Ein Ältester erzählt: „Wir haben außerhalb der Stadt gewohnt und mussten daher das Buchstudium und das Wachtturm-Studium bei uns zu Hause abhalten. Trotz der gefährlichen Lage haben wir nicht aufgehört, an unserem Wohnort und in den Nachbardörfern zu predigen. Man hat uns immer sofort als Zeugen Jehovas erkannt. Wir sind aufgefallen, weil wir anders waren.“

SIE HALFEN, WO SIE KONNTEN

Viele Brüder, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, waren auf Hilfe angewiesen. Die Versammlungen standen ihnen gern zur Seite. Eine Schwester musste mit ihrer Familie aus Tuzla in Bosnien fliehen. Als sie nach diesem schrecklichen Erlebnis in Osijek (Kroatien) zum Königreichssaal kamen, wurden sie von der Versammlung mit offenen Armen begrüßt.

Die Behörden erlaubten der Familie, in ein altes Haus zu ziehen. Als die Brüder sahen, wie heruntergekommen es war, packten sie mit an. Einer kam mit einem Ofen, ein anderer mit einem Fenster und wieder andere mit einer Tür und einem Bett. Man schenkte der Familie Baumaterialien, Nahrungsmittel und Brennholz. Schon nach einem Tag war eines der Zimmer einigermaßen wohnlich eingerichtet. Trotzdem wäre es noch nicht möglich gewesen, in diesem Haus zu überwintern. Daher listete man auf, was noch fehlte. Die Verkündiger hatten zwar selbst nicht viel, schafften aber alles herbei: vom Löffel bis zu Dachmaterialien.

Während des Krieges wurden die Lebensmittelvorräte immer weniger. Im Bethel setzte man alles daran, die Brüder mit Hilfsgütern und Literatur zu versorgen. In Absprache mit der leitenden Körperschaft organisierte das Bethel Sammlungen von Nahrungsmitteln, Kleidung, Schuhen und Medikamenten. Die Brüder im Land gaben gern von dem wenigen, was sie hatten. Auch Brüder aus dem Ausland wollten ihren Teil tun. Aus Deutschland, Italien, Österreich und der Schweiz kamen Kleidung, Medikamente und Literatur. Tag und Nacht rollten Lkws an. Die Fahrer nahmen diese riskante Reise auf sich, weil sie ihren Brüdern und Schwestern in Kroatien unbedingt helfen wollten. Vom Zentrallager in Zagreb aus wurden die Hilfsgüter dann an die Versammlungen verteilt.

Aber auch die Brüder in Bosnien sollten nicht vergessen werden. Von Kroatien fuhren Lkws mit 16 Tonnen Nahrungsmitteln und Brennholz dorthin. Das war ein gefährliches Unterfangen. Es gab Berichte über Willkürakte von Soldaten. Die Fahrer hatten nicht nur Angst um die Hilfsgüter, sondern auch um ihr Leben.

Ein Bruder erzählt: „Auf der Fahrt durch die Wälder passierten wir eine Kontrollstelle nach der anderen. Manchmal mussten wir sogar an der Front entlangfahren. Das war nicht ungefährlich. Wir kamen aber sicher in Travnik an. Dort rannte ein Soldat zu dem Haus, wo unsere Brüder zusammengekommen waren, und rief: ‚Eure Leute sind mit den Lkws da!‘ Die Freude der Brüder war unbeschreiblich. Wir brachten die Nahrungsmittel in das Haus, wechselten ein paar Worte und mussten gleich weiter zu einer der nächsten Abladestellen.“

Viele Brüder bedankten sich beim Bethel in Zagreb für die Hilfslieferungen. Eine Versammlung schrieb: „Vielen Dank für alles, was ihr tut, damit wir regelmäßig geistige Speise bekommen. Wir freuen uns auch riesig über die Hilfsgüter. Sie werden dringend benötigt. Von ganzem Herzen möchten wir euch für eure liebevolle Fürsorge danken.“

In einem anderen Brief hieß es: „Einige Brüder sind Flüchtlinge, andere haben kein Einkommen. Als sie die vielen Hilfsgüter sahen, konnten sie ihre Tränen nicht zurückhalten. Die Liebe, Großzügigkeit und Opferbereitschaft ihrer Brüder hat sie tief bewegt und gestärkt.“

In dieser schweren Zeit wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Brüder und Schwestern mit geistiger Speise zu versorgen. Es war deutlich zu erkennen, wie ihnen Jehovas Geist half, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten und im Glauben noch gefestigter zu werden (Jak. 1:2-4).

EINE BOTSCHAFT, DIE HALT GAB

Humanitäre Organisationen leisteten enorme materielle Hilfe. Es gab jedoch noch etwas Wichtigeres. Jehovas Zeugen wollten den Menschen etwas Bleibendes geben. Unsere Brüder taten trotz der Kriegswirren ihr Möglichstes, die gute Botschaft von Gottes Königreich zu predigen.

Vukovar, das in der Nähe der serbischen Grenze liegt, wurde schwer verwüstet. Die meisten Einwohner, auch unsere Brüder, mussten fliehen. Als einzige Zeugin Jehovas blieb Marija zurück. Vier Jahre lang hatte sie keinerlei Kontakt zu ihren Brüdern in Kroatien. Doch sie sprach unverzagt mit den wenigen, die noch in der Stadt wohnten, über die Wahrheit und wurde für ihren Eifer reich belohnt. Die kroatischen Brüder machten große Augen, als 1996 zwanzig Personen aus Vukovar zum Bezirkskongress kamen.

Die biblische Botschaft kann Menschen verändern. Bei Kriegsbeginn machte ein junger Soldat in einer Eliteeinheit der kroatischen Armee eine steile Karriere. 1994 bekam er auf einem Bahnhof das Faltblatt Wer beherrscht die Welt wirklich? in die Finger. Er las es sofort durch und verstand, dass nicht Gott für die Grausamkeiten auf der Welt verantwortlich ist, sondern Satan. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Er war unter anderem deshalb ein so ehrgeiziger Soldat geworden, weil seine 19-jährige Schwester und zwei andere Angehörige im Krieg getötet worden waren. Sein Plan war, die Mörder an ihrem Wohnort aufzuspüren und sich zu rächen. Doch das Faltblatt brachte ihn zum Nachdenken. Er fing ein Bibelstudium an und arbeitete sehr an sich. 1997 ließ er sich taufen. Eines Tages kam er dann tatsächlich in das Dorf, in dem die Mörder seiner Angehörigen wohnten. Doch jetzt dachte er nicht mehr an Rache, sondern war froh, dass er den Menschen die gute Botschaft von Gottes Königreich überbringen und ihnen von der Güte Jehovas erzählen konnte.

Kroatien erlebte ein großartiges Wachstum. Die Verkündiger ließen selbst während der erbittertsten Kämpfe nicht in ihrem Eifer nach. Von Kriegsbeginn 1991 bis Kriegsende 1995 stieg die Zahl der Pioniere um 132 Prozent. Bibelstudien gab es 63 Prozent mehr und Verkündiger 35 Prozent. Die Brüder und Schwestern verkündigten mutig Gottes Wort und Jehova schenkte ihnen Erfolg.

SIE NAHMEN VIEL AUF SICH

Kurz vor dem internationalen Kongress 1991 kamen Daniel und Helen Nizan nach Kroatien. Sie stammten aus Kanada und waren die ersten Gileadmissionare im Land. Auch einige Ehepaare aus Europa, die Kroatisch gelernt hatten, wurden gebeten zu kommen.

Zu ihnen gehörten die Sonderpioniere Heinz und Elke Polach aus Österreich. Sie waren bis 1991 in Dänemark unter der jugoslawischen Bevölkerung tätig gewesen. Jetzt kamen sie in den Reisedienst. Gerade als sie mit ihrer neuen Aufgabe begannen, brach der Krieg aus. Zu ihrem Kreis gehörten Versammlungen in Dalmatien und Bosnien, wo der Krieg tobte. Heinz berichtet: „Während des Krieges war es gar nicht so leicht, die Versammlungen in Bosnien zu besuchen. Wir konnten unmöglich unser eigenes Fahrzeug nehmen. Das wäre viel zu gefährlich gewesen. Also wichen wir auf die unzuverlässigen Busse aus. Auf unseren Reisen konnten wir nur ein paar Koffer und eine Schreibmaschine mitnehmen.

Manchmal mussten wir ganz schön flexibel sein. Als wir einmal mit dem Bus von Tuzla nach Zenica unterwegs waren, wurden wir von Soldaten gestoppt. Sie sagten uns, die Weiterfahrt wäre zu riskant. Wir mussten alle aussteigen. Doch die Brüder in Zenica warteten auf uns. Deswegen suchten wir jemanden, der uns mitnehmen würde. Schließlich durften wir mit einem Tanklaster mitfahren, der im Konvoi fuhr und eine Sondergenehmigung hatte. Der Fahrer hörte uns gern zu, als wir mit ihm über die Wahrheit sprachen.

Wegen der Kämpfe wurden wir aufgehalten und mussten auf Nebenstraßen weiterfahren, die in schlechtem Zustand waren. Der Schnee tat sein Übriges. Oft halfen wir Fahrern, deren Lkw stecken geblieben war. Einmal wurden wir beschossen und mussten fliehen. Wir kamen bis Vareš, das etwa 50 Kilometer von unserem Ziel entfernt lag. Dort mussten wir die Nacht verbringen.

Der Fahrer schlief auf den Sitzen. Elke und ich legten uns im hinteren Teil des Führerhauses eng nebeneinander, um uns gegenseitig zu wärmen. Es war die längste Nacht meines Lebens. Als wir dann am nächsten Tag in Zenica ankamen, waren die Brüder überglücklich, uns zu sehen. Das war all die Strapazen wert! Die Brüder hatten kein fließendes Wasser und keinen Strom, taten aber alles, damit wir uns als ihre Gäste wohlfühlten. Sie waren zwar arm, hatten aber viele Schätze im Himmel und eine unerschütterliche Liebe zur Wahrheit.“

Seit Kriegsende sind fast 50 Sonderpioniere aus Deutschland, Italien, Österreich und anderen Ländern nach Kroatien geschickt worden. Jehovas Organisation sorgte noch für weitere Stärkung und Ermunterung und schickte mehr Missionare ins Land. Diese eifrigen Vollzeitdiener sind beim Predigen und in den Versammlungen eine große Hilfe.

„DASS ICH DAS NOCH ERLEBE!“

Bis Ende der 1980er-Jahre wurde außerhalb des Bethels eine monatliche Ausgabe des Wachtturms aus dem Deutschen ins Kroatische übersetzt. Seit 1991 gibt es direkt im Bethel eine Übersetzungsabteilung. Damals verwendeten die Verkündiger eine 150 Jahre alte Bibel mit veralteter Sprache und vielen schwer verständlichen Ausdrücken. Doch dann gab die leitende Körperschaft die Genehmigung, in drei Sprachen die Arbeit an der Neuen-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften aufzunehmen. Das kroatische Übersetzerteam übernahm die Vorreiterrolle und arbeitete eng mit dem serbischen und dem mazedonischen Team zusammen, sodass alle voneinander profitierten.

Der 23. Juli 1999, ein Freitag, ist den Zeugen Jehovas in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien und Mazedonien noch in lebhafter Erinnerung. Auf allen vier Bezirkskongressen „Gottes prophetisches Wort“ erschien die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Kroatisch und Serbisch. Außerdem wurde bekannt gegeben, dass die Arbeit an der mazedonischen Bibel gut voranging. Die Neuigkeit wurde mit minutenlangem tosenden Beifall aufgenommen. Der Redner kam kaum mehr zu Wort. Viele Kongressbesucher vergossen Freudentränen. „Dass ich das noch erlebe!“, sagte ein langjähriger Ältester. Die komplette Bibel in den drei Sprachen kam 2006 heraus.

Früher koordinierte ein Landeskomitee, das dem österreichischen Zweigbüro unterstand, die Predigttätigkeit in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. 1996 wurde dann ein vierköpfiges Zweigkomitee damit betraut. Jehova hat diese Entscheidung sehr gesegnet.

NEUES ZWEIGGEBÄUDE UND KÖNIGREICHSSÄLE

Die ständig steigende Zahl an Verkündigern hatte auch Auswirkungen auf die Bethelfamilie in Zagreb. Die Familie wuchs von 10 auf etwa 50 Mitarbeiter an. Da das Bethel aber nur für vier oder fünf Ehepaare geplant war, mussten in der Nähe Zimmer gemietet werden.

Kurz nachdem das Zweigkomitee eingesetzt worden war, kam von der leitenden Körperschaft der Auftrag, ein Grundstück für ein neues Bethel in Zagreb zu kaufen. Schon bald errichteten einheimische Brüder und Schwestern sowie internationale Baumitarbeiter ein schönes Zweiggebäude. Seither wird die Verkündigung des Königreichs von hier aus gefördert. Das neue Bethel und der dazugehörige Königreichssaal wurden am Samstag, den 23. Oktober 1999 zusammen mit einem Doppelsaal, der in der Stadtmitte von Zagreb steht, eingeweiht. Brüder und Schwestern aus 15 Ländern hörten den Vortrag zur Bestimmungsübergabe, den Gerrit Lösch von der leitenden Körperschaft hielt. Am nächsten Tag versammelten sich 4 886 Personen in einer großen Sporthalle zu einem besonderen Programm mit biblischen Vorträgen. Das war für alle Zeugen Jehovas in Kroatien ein unvergesslicher Tag. Einige von ihnen hatten Jehova schon 50 Jahre oder länger gedient und waren ihm auch unter schwierigsten Bedingungen treu geblieben.

Der Bau von Königreichssälen wurde vorangetrieben. Bis 1990 kamen viele Versammlungen in Kellerräumen oder Wohnungen zusammen. Die Versammlung Split traf sich beispielsweise 20 Jahre lang in einem Zimmer. Man hatte nur 50 Stühle. Es waren aber manchmal doppelt so viele Personen anwesend, von denen dann etliche draußen stehen mussten. An diesem Ort fanden auch Kongresse mit über 150 Anwesenden statt. Heute gibt es in Split zwei Königreichssäle für vier Versammlungen. Kongresse werden jetzt in dem Konferenzsaal eines Hotels abgehalten. Die Brüder, die den Bau von Königreichssälen organisieren und eng mit dem Planungsbüro in Selters zusammenarbeiten, haben nach wie vor alle Hände voll zu tun.

Auf den Baustellen packen Jung und Alt immer gern mit an. Und es ist viel erreicht worden: Bis jetzt wurden 25 Königreichssäle gebaut und 7 renoviert. All das trägt zum Wachstum bei und macht Jehova Ehre.

ES GEHT WEITER VORWÄRTS

Als Kroatien 1991 ein eigenständiger Staat wurde, blieb das alte Religionsgesetz zunächst bestehen. Der neu gegründete Staat war zu fast 90 Prozent katholisch. Daher hatte die Kirche großes Mitspracherecht. Trotzdem wurden Jehovas Zeugen am 13. Oktober 2003 vom Justizministerium zu einer offiziellen Religionsgemeinschaft erklärt, zumal sie ja schon früher rechtlich anerkannt gewesen waren und einen guten Ruf genossen. Nach der schweren Zeit, die unsere Brüder in Kroatien durchgemacht hatten, kann man sich gut vorstellen, wie sehr sie sich darüber freuten.

Anfang der 1990er-Jahre gab es im gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawien jährlich nur eine einzige Klasse der Pionierschule. Heute sind es allein in Kroatien mehrere Klassen pro Jahr. Im September 2008 waren in Kroatien 5 451 Verkündiger mit 69 Versammlungen verbunden. Besonders erfreulich war auch, dass zum vergangenen Gedächtnismahl 9 728 Besucher kamen. Man kann also noch mit einem beachtlichen Wachstum rechnen.

Trotz religiöser Vorurteile und immer schwierigerer Lebensbedingungen predigen unsere kroatischen Brüder und Schwestern unbeirrt die gute Botschaft von Gottes Königreich, ganz gleich was Satan in seiner Wut noch im Schilde führt (Offb. 12:12). Für einen Großteil der Bevölkerung dreht sich alles um den täglichen Existenzkampf. Doch es gibt auch immer wieder Menschen, die über den heutigen moralischen Verfall „seufzen und stöhnen“ und nach der biblischen Wahrheit hungern (Hes. 9:3, 4; Mat. 5:6). Solche Menschen gilt es zu suchen und zu dem allein wahren Gott zu führen, damit sie dann selbst den Aufruf ergehen lassen: „Kommt, und lasst uns zum Berg Jehovas hinaufziehen, zum Haus des Gottes Jakobs; und er wird uns über seine Wege unterweisen, und wir wollen auf seinen Pfaden wandeln“ (Jes. 2:3).

Mazedonien

Paulus sah in einer Vision einmal einen Mann, der ihn bat: „Komm herüber nach Mazedonien, und hilf uns!“ (Apg. 16:8-10). Diesen Auftrag, der von Gott kam, nahmen Paulus und seine Begleiter gern an. Sie waren die Ersten, die in Mazedonien die gute Botschaft vom Königreich verkündigten. So konnte sich dort das Christentum ausbreiten. Auch im heutigen Mazedonien — eine Landschaft im Norden des früheren Mazedonien — breitet sich die wahre Anbetung immer weiter aus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Mazedonien die südlichste Teilrepublik Jugoslawiens, bis es 1991 ein eigenständiger Staat wurde. Als Jehovas Zeugen 1993 dort rechtlich eingetragen wurden, richteten sie noch im selben Jahr ein Büro ein, das eng mit dem österreichischen Zweigkomitee zusammenarbeitet. Zu diesem Zweck kauften sie in Skopje ein Haus und funktionierten es zu einem Bethel um. Danach konnte das mazedonische Übersetzungsteam, das zuvor in Zagreb gearbeitet hatte, in dieses Gebäude in der Alžirskastraße einziehen.

Michael und Dina Schieben kamen aus Deutschland und wurden im Kreisdienst eingesetzt. Auch das kanadische Ehepaar Daniel und Helen Nizan wurde gebeten, nach Mazedonien zu gehen. Sie waren zuvor in Serbien tätig gewesen. Es konnte ein Landeskomitee gegründet werden und das Bethel nahm seine Arbeit auf.

IMPORTBESCHRÄNKUNGEN

Obwohl Jehovas Zeugen rechtlich anerkannt waren, wurde es den Brüdern schwer gemacht, Literatur zu importieren. Von 1994 bis 1998 durfte pro Verkündiger nur eine Zeitschrift eingeführt werden. Für Interessierte mussten die Studienartikel kopiert werden. Zum Glück kamen die Zeitschriften auch auf anderem Weg ins Land, beispielsweise mit der Post aus dem Ausland oder durch Einreisende, die ein paar Zeitschriften mitbringen durften. Nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen legte das Oberste Gericht fest, dass die Einfuhr unserer Literatur nicht beschränkt werden darf.

Im August 2000 gab es zum ersten Mal über 1 000 Verkündiger im Land, nämlich 1 024. Wegen der Zunahme an Verkündigern und weil immer mehr Veröffentlichungen in Mazedonisch erschienen, wurden mehr Bethelmitarbeiter benötigt. Das Bethel in der Alžirskastraße platzte aus allen Nähten und musste unbedingt erweitert werden. 2001 wurden in der Nachbarschaft drei Gebäude gekauft und abgerissen. Anschließend errichtete man dort zwei neue Gebäude. Heute wohnen und arbeiten in den drei gut ausgestatteten Gebäuden 34 Bethelmitarbeiter. Die zwei neuen Häuser wurden am 17. Mai 2003 von Guy Pierce, einem Mitglied der leitenden Körperschaft, ihrer Bestimmung übergeben.

BAU VON KÖNIGREICHSSÄLEN

Die Brüder und Schwestern in ganz Mazedonien sind froh über das Bauprogramm für Länder mit begrenzten Mitteln. Ein Team von fünf Brüdern unterstützt die Versammlungen im Land beim Bau von Königreichssälen. Von 2001 bis 2007 sind neun neue Säle entstanden. Die internationale Baumannschaft ist positiv aufgefallen, weil unter den Helfern Frieden und Einheit herrscht und niemand wegen seiner Herkunft diskriminiert wird. Ein Händler, der sich einen Saal angeschaut hat, war von der guten Arbeit begeistert und sagte: „Diesem Gebäude sieht man die Liebe an, die hineingesteckt wurde.“

Beim Saalbau in Štip hatte ein Nachbar so seine Zweifel, ob etwas daraus wird. Die Baumannschaft kam ihm noch etwas grün hinter den Ohren vor. Doch als das Gebäude stand, war er beeindruckt. Er brachte den Brüdern die Pläne für sein eigenes Haus und bat sie, es gegen großzügige Bezahlung für ihn zu bauen. Als er erfuhr, dass sie den Saal nicht für Geld gebaut hatten, sondern aus Liebe zu Gott und ihren Mitmenschen, kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus.

NEUE-WELT-ÜBERSETZUNG

Im gleichen Zeitraum nahm eine kleine Gruppe engagierter Brüder und Schwestern ein schwieriges Projekt ganz anderer Art in Angriff — die Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift in Mazedonisch. Jehova schenkte ihnen seinen Segen und in nur fünf Jahren war die komplette Bibel fertig. Auf dem Bezirkskongress „Befreiung greifbar nahe“, der 2006 in Skopje stattfand, stellte Gerrit Lösch von der leitenden Körperschaft die gelungene neue Übersetzung vor. Die Anwesenden waren außer sich vor Freude und spendeten brausenden Beifall. Vielen kamen die Tränen. Schon in der Mittagspause konnte man etliche beobachten, die voller Genuss das Wort Gottes in ihrer Muttersprache lasen.

Viele Mazedonier haben große Achtung vor der Bibel. Orhan zum Beispiel fing vor sechs Jahren ein Bibelstudium an, obwohl er Analphabet war. Der Bruder, der sich um ihn kümmerte, brachte ihm Lesen und Schreiben bei. Seit seiner Taufe vor drei Jahren hat Orhan die Bibel schon sechs Mal durchgelesen.

Eine Zeit lang war Orhan der einzige Zeuge Jehovas in Resen. Dieser ehemalige Analphabet war Stadtgespräch. Einige Eltern baten um ein Bibelstudium für ihre Kinder, die sich von Orhan eine Scheibe abschneiden sollten. Da immer mehr Menschen die Wahrheit kennenlernen wollten, konnte in der Stadt ein Versammlungsbuchstudium eingerichtet werden. Ein Interessierter ist inzwischen ungetaufter Verkündiger und Orhan ist Pionier und Dienstamtgehilfe.

SIE KAMEN HERÜBER NACH MAZEDONIEN

Im Juli 2004 kam ein Sonderpionierehepaar von Albanien nach Mazedonien, um dort im albanischsprachigen Gebiet die gute Botschaft zu verkündigen. Sie waren die Einzigen, die dieses riesige Gebiet bearbeiteten. Es umfasst etwa ein Viertel der Bevölkerung, also über eine halbe Million Menschen. Nach einem Jahr wurde ein anderes Ehepaar aus Albanien gebeten, ihnen zu helfen. Die vier Sonderpioniere kümmerten sich um eine Gruppe von sieben Interessierten in Kičevo, das im Zentrum des Gebiets liegt. Die kleine Gruppe war überglücklich, als zum nächsten Gedächtnismahl 61 Personen kamen. Die Ansprache wurde in Albanisch und Mazedonisch gehalten. Seitdem ist die Gruppe weiter gewachsen. Heute gibt es in der Stadt 17 eifrige Verkündiger und zu den Zusammenkünften kommen meistens über 30 Personen.

Es gab in Mazedonien aber viele Gegenden, in denen noch nie gepredigt worden war. Daher genehmigte die leitende Körperschaft für die Zeit von April bis Juli 2007 eine Sonderaktion. Dabei wollte man sich vor allem auf unbearbeitete Gebiete konzentrieren und möglichst viele Albaner erreichen.

Die Aktion wurde sehr gut unterstützt. 337 Brüder und Schwestern aus sieben Ländern meldeten sich dafür. Was konnten sie erreichen? Sie predigten in über 200 Gegenden Mazedoniens. In diesem Gebiet leben rund 400 000 Menschen, die zum größten Teil noch nie etwas von der Wahrheit gehört hatten. Die Verkündiger verbreiteten in den vier Monaten über 25 000 Bücher und Broschüren und weit mehr als 40 000 Zeitschriften. Sie setzten rund 25 000 Stunden ein und konnten über 200 Bibelstudien starten.

Ein Bruder berichtete: „Einige Leute hatten Tränen in den Augen, als sie erfuhren, woher wir kamen und warum wir sie besuchten. Andere waren von dem, was sie in der Bibel lasen, ganz ergriffen.“

Die Aktion hat die Verkündiger einfach begeistert. Eine Schwester schrieb: „Eine Lehrerin sagte uns: ‚Gott segne Sie! Sie tun ein sehr gutes Werk. Ihre Worte geben mir viel Kraft.‘ “

„Es bricht einem das Herz, wenn man so ein ‚Missionargebiet‘ wieder verlassen muss“, erzählte ein Verkündiger. „Wir haben gesehen, wie sehr diese Menschen die Wahrheit brauchen. Der Abschied von den Interessierten fiel uns sehr schwer.“

Ein Ehepaar meinte: „Jetzt, wo wir gesehen haben, wie viel dort zu tun ist, bereuen wir, dass wir nicht noch mehr Urlaub genommen haben.“

Ein Verkündiger sagte stellvertretend für viele: „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir mit unserer Familie je so viel Spaß gehabt haben.“

Eine Gruppe Verkündiger besuchte nahe der Stadt Tetovo ein Bergdorf, in dem noch nie gepredigt worden war. Zwei von ihnen arbeiteten auf der linken Seite einer Straße und zwei auf der rechten. Sie waren erst an der dritten Tür, als bereits die ganze Straße wusste, dass sie kommen. Ihr Besuch sprach sich schnell überall im Dorf herum. Um die Schwestern sammelte sich eine Traube interessierter Frauen. Weiter unten auf der Straße warteten 16 Männer gespannt auf die Brüder. Man brachte vier Stühle für die Verkündiger und ein Mann kochte für sie Kaffee. Die Verkündiger lasen viele Bibelstellen vor und verteilten an alle Literatur.

Die Leute stellten zahlreiche Fragen und hörten aufmerksam zu. Am Ende des Besuchs wollten es sich viele nicht nehmen lassen, sich persönlich bei den Verkündigern zu verabschieden. Plötzlich erschraken die Brüder. Eine ältere Frau fuchtelte mit ihrem Gehstock und drohte: „Euch geb ich’s gleich!“ Warum war sie so aufgeregt? Sie schimpfte: „Jeder hat ein Buch bekommen, nur ich nicht. Ich möchte so ein großes gelbes haben.“ Sie zeigte auf das Geschichten-Buch, das ihre Nachbarn erhalten hatten. Die Brüder rückten schleunigst ihr letztes Buch heraus.

POSITIVE REAKTIONEN DER ROMA

In Mazedonien gibt es viele Roma, die zwar Mazedonisch können, deren Muttersprache aber ein nur gesprochenes Romani ist. Es ist ein Mix aus mehreren Romani-Dialekten. Die Hauptstadt Skopje soll das größte Roma-Viertel in Europa haben. In der Vorstadt Šuto Orizari leben etwa 30 000 Roma. Dort gibt es drei Versammlungen, in denen Romani gesprochen wird. Sie versammeln sich in einem Doppelsaal. Die 200 Verkündiger freuen sich über ihr fruchtbares Gebiet. Das Verkündiger-Einwohner-Verhältnis ist mit 1 zu 150 eines der besten im Land. Zum Gedächtnismahl 2008 kamen 708 Besucher. Daran kann man erkennen, dass die Wahrheit unter der Roma-Bevölkerung großen Anklang findet.

Was ist getan worden, damit diese demütigen, wahrheitsliebenden Menschen in ihrer Muttersprache erfahren können, was Gott für die Zukunft vorgesehen hat? Man hat die Disposition für den Sondervortrag von 2007 ins Romani übersetzt. Ein Ältester, der selbst zu den Roma gehört, hielt diesen Vortrag vor 506 aufmerksamen Zuhörern. Auf dem Bezirkskongress 2007 erschien die Broschüre Was erwartet Gott von uns? in Romani. Darüber freuten sich nicht nur Romani sprechende, sondern auch Mazedonisch und Albanisch sprechende Verkündiger. Zuvor hatten sie Bibelstudien in ihrer eigenen Sprache geleitet und mazedonische Literatur verwendet. Jetzt gebrauchen sie mit großem Erfolg die Erwartet-Broschüre in Romani, weil sie viel eher das Herz der Roma anspricht.

Die 1 277 Verkündiger in Mazedonien sind mit 21 Versammlungen verbunden. Sie strengen sich sehr an, dem Beispiel des Apostels Paulus zu folgen. An den positiven Reaktionen unter der mazedonischen Bevölkerung sieht man, wie gut es ist, dass auch heute viele dem Aufruf gefolgt sind: „Komm herüber nach Mazedonien, und hilf uns!“

Serbien

Im Zentrum der Balkanhalbinsel liegt Serbien — ein Land mit verschiedenen Kulturen und Nationalitäten. In Belgrad wurde 1935 ein Büro eröffnet, das für ganz Jugoslawien zuständig war. Dadurch kam die Predigttätigkeit so richtig in Gang. Nach dem Zerfall Jugoslawiens hat man von Serbien aus die Brüder in den neuen Ländern immer gut unterstützt.

In der Zeit, als überall die Grenzen geschlossen wurden und die religiös und ethnisch motivierten Spannungen zunahmen, arbeiteten in Kroatien Brüder aller Volksgruppen friedlich unter einem Dach zusammen. Das Bethel lag in Zagreb. Wegen der Fremdenfeindlichkeit in der Umgebung des Bethels waren die serbischen Bethelmitarbeiter 1992 allerdings gezwungen, nach Belgrad zu gehen. So kam es, dass sich nach fast 50 Jahren die serbische Übersetzungsabteilung wieder in Belgrad befand. Diese Veränderung wirkte sich gut aus und kam genau zur richtigen Zeit.

In Bosnien tobte der Krieg und die Brüder brauchten dringend Hilfsgüter. Das österreichische Bethel organisierte Hilfslieferungen, die dann von serbischen Brüdern nach Bosnien gebracht wurden. Sie waren am besten in der Lage, in die von Serben besetzten Gebiete zu gelangen.

In Serbien selbst wurde zwar nicht gekämpft, doch auch dort spürte man die Auswirkungen des Krieges. Wegen eines Wirtschaftsembargos war es nicht leicht, die in Deutschland gedruckte Literatur ins Land zu bekommen. Wenn die Brüder die aktuellen Zeitschriften nicht hatten, besprachen sie in den Zusammenkünften einfach ältere Artikel. Letztendlich mussten sie aber auf keine Ausgabe verzichten.

EINE „STÄRKENDE HILFE“

Der Gileadmissionar Daniel Nizan erzählte: „Als wir 1991 in Serbien ankamen, gab es dort schwere politische Unruhen. Trotz der schwierigen Lage ließen die Brüder in ihrem Eifer nicht nach. Das hat uns sehr beeindruckt. Ich kann mich noch gut erinnern, dass sich bei dem ersten Tagessonderkongress, den meine Frau und ich besuchten, etwa 50 Neue taufen ließen. Da haben wir nicht schlecht gestaunt und fühlten uns so richtig motiviert.“

Die Nizans waren beim organisatorischen Aufbau in Belgrad eine große Hilfe. Das Büro in der Milorada-Mitrovića-Straße bot Platz für 10 Personen. In der unteren Etage war ein Königreichssaal. Da das Übersetzungsteam immer größer wurde, suchte man ein Grundstück für ein neues Bethel. Nachdem man es gefunden hatte, konnten die Bauarbeiten beginnen. Ende 1995 zog die Bethelfamilie in die neuen Gebäude ein.

Die kritische Lage im Land veranlasste die Leute, eher auf die gute Botschaft zu hören. Wegen der wachsenden Verkündigerzahl bestand ein größerer Bedarf an Ältesten und Dienstamtgehilfen. Er wurde teilweise durch dynamische, opferbereite Sonderpioniere aus Italien gedeckt. Obwohl es unter den gegebenen Umständen alles andere als leicht war, eine neue Sprache zu lernen und sich einer anderen Kultur anzupassen, waren diese Vollzeitdiener eine „stärkende Hilfe“ für die Brüder in Serbien (Kol. 4:11).

Rainer Scholz, der Koordinator des serbischen Landeskomitees, sagte, die ausländischen Pioniere seien auf vielen Gebieten eine große Unterstützung gewesen, ganz besonders in organisatorischen Angelegenheiten. Heute gibt es in Serbien 70 Sonderpioniere, die mit 55 Versammlungen verbunden sind.

HYPERINFLATION

Serbien blieb von den wirtschaftlichen Folgen des Krieges nicht verschont. Besonders verheerend war die Inflation. In einem Bericht heißt es: „In den 116 Tagen vom 1. Oktober 1993 bis zum 24. Januar 1994 stieg die Inflationsrate auf 500 Billionen Prozent an.“ Mira Blagojević, die seit 1982 im Bethel ist, weiß noch genau, wie sie mit einer ganzen Einkaufstasche voll Geld zum Markt ging und nur eine Handvoll Gemüse dafür bekam.

Als die Mutter von Gordana Siriški einmal ihre Rente abholte, hätte sie davon nur eine Rolle Toilettenpapier kaufen können. Gordana sagt: „Man kann sich kaum vorstellen, wie die Leute das geschafft haben. Ihr ganzer Besitz war auf einmal nichts mehr wert. Was für ein Glück, dass wir unsere weltweite Bruderschaft hatten und Hilfslieferungen aus dem Ausland bekamen! In dieser Zeit, als keiner mehr Vertrauen zu den Banken oder der Regierung hatte, fanden viele Menschen zum Glauben an Gott und die Brüder und Schwestern rückten näher zusammen.“

DAS ÜBERSETZEN DER BIBEL

Die verschiedenen jugoslawischen Übersetzerteams hatten jahrelang in Zagreb (Kroatien) Seite an Seite gearbeitet. Nach dem Krieg zogen sie dann in ihre eigenen Länder, hielten aber engen Kontakt zum kroatischen Team. Das war besonders in der Zeit, als das serbische Team an der Neuen-Welt-Übersetzung arbeitete, ein großer Vorteil. Geplant war, dass die Christlichen Griechischen Schriften auf dem Sommerkongress 1999 erscheinen.

Als die Übersetzungsarbeiten so gut wie abgeschlossen waren, herrschte in Serbien Kriegsstimmung. Während der zu erwartenden Bombenangriffe konnten die Telefonverbindungen ausfallen. Wie sollte man das Material dann von Belgrad zur Druckerei in Deutschland schicken? Am Dienstag, den 23. März arbeitete das Übersetzerteam die ganze Nacht durch, weil man jederzeit mit Luftangriffen rechnen musste. Am frühen Morgen konnte man die Dateien schnell nach Deutschland schicken. Ein paar Stunden später war Bombenalarm und das Team brachte sich in Sicherheit. Allen fiel ein Stein vom Herzen! Vier Monate später war die Bibel gedruckt. Trotz der Bombardierungen und der vielen Stromausfälle übersetzten die Brüder und Schwestern weiter Literatur. Oft mussten sie alles stehen und liegen lassen und Schutz suchen. Es war eine aufregende Zeit. Doch sie waren glücklich, dass sie dabei mithelfen konnten, die dringend benötigte geistige Speise herzustellen.

Die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften, die im Juli 1999 in Belgrad erschien, war das Ergebnis unermüdlicher Arbeit und des Segens Jehovas. Die Kongressbesucher hätten vor Freude am liebsten Luftsprünge gemacht, als sie diese Übersetzung in ihrer Muttersprache erhielten. 2006 erschien dann die komplette serbische Neue-Welt-Übersetzung in kyrillischer und lateinischer Schrift.

DIE KIRCHE ÜBT DRUCK AUS

Die Mehrheit der Bevölkerung gehört der serbisch-orthodoxen Kirche an. Nicht wenige sind der Meinung, ein richtiger Serbe müsste orthodox sein. Trotzdem haben in den 1990er-Jahren viele die Wahrheit angenommen. Bis zum Kriegsende 1999 hatte sich die Zahl der Verkündiger nahezu verdoppelt. Sie stieg auf 4 026.

Diese Zunahme war der Kirche ein Dorn im Auge. Sie versuchte die Verkündigung der guten Botschaft zu stoppen, indem sie den Nationalismus schürte. Gegner beeinflussten die Gesetzgeber und übten offene Gewalt aus, um unsere Brüder zu zermürben. Die meisten Brüder, die wegen ihrer neutralen Haltung eingesperrt worden waren, wurden zwar kurz nach dem Krieg entlassen und freuten sich, dass Jehova ihnen beigestanden hatte, doch 21 von ihnen mussten im Gefängnis bleiben.

Am 9. April 2001 verbot das Innenministerium von heute auf morgen die Einfuhr unserer Literatur. Wie wurde das Verbot begründet? Man behauptete, unsere Veröffentlichungen hätten einen negativen Einfluss auf die Jugend im Land. Unter den verbotenen Büchern war sogar die Bibel.

Wegen der negativen Pressemeldungen und Fernsehreportagen wurden manche Leute sogar gewalttätig, wenn unsere Brüder vor der Tür standen. Ein Sonderpionier erzählte: „Beim Predigen von Haus zu Haus schlug man uns manchmal mit Fäusten oder wir bekamen Ohrfeigen. Manche warfen mit Steinen nach uns.“ Es wurden auch Königreichssäle beschädigt. Heute müssen unsere Brüder und Schwestern immer noch vorsichtig sein, können aber ungehindert zusammenkommen.

Die gute Botschaft wird weiter eifrig verkündigt. Jeder kann sehen, dass Jehovas Zeugen keine Vorurteile haben und christliche Liebe praktizieren. In den letzten Jahren wurden Sonderaktionen organisiert, für die sich Verkündiger aus dem Ausland extra Urlaub nahmen. Sie predigten in nicht zugeteilten Gebieten Serbiens und Montenegros. In diesen Gegenden, in denen etwa drei Millionen Menschen leben, gibt es immer noch viel zu tun.

Das Bethel in Belgrad besteht aus drei Gebäuden mit schönen Gartenanlagen. Die drei Brüder vom Landeskomitee kümmern sich um die Tätigkeit in Serbien und Montenegro. Wenn wir das nächste Mal etwas von Serbien hören, denken wir vielleicht an den Eifer und die Entschlossenheit der Zeugen Jehovas in diesem kriegsgeplagten Land.

Kosovo

In den 1980er-Jahren herrschten zwischen den Serben und den Albanern im Kosovo Spannungen, die sich in den 90er-Jahren zu einem offenen Konflikt ausweiteten. Das brachte unsagbares Leid mit sich. Die Zeugen Jehovas im Land waren gefordert, Glaubensbrüdern aller Volksgruppen mit „ungeheuchelter brüderlicher Zuneigung“ zu begegnen (1. Pet. 1:22). Außerdem hielten sie sich an Jesu Gebot, ihre Feinde zu lieben und für die zu beten, die sie verfolgen (Mat. 5:43-48). Das war allerdings nicht immer leicht.

Saliu Abazi, ein Albaner und Exmuslim, berichtet: „Brüder, die früher muslimisch waren, stoßen bei strenggläubigen Muslimen oft auf Ablehnung. Unsere Familien fühlen sich verraten, weil wir zu einem anderen Glauben übergetreten sind. Und wegen der Feindseligkeiten zwischen Albanern und Serben ist es für ehemalige Muslime gar nicht so einfach, mit Serben über die Wahrheit zu reden.“

Dennoch traf sich bei Saliu zu Hause immer eine multikulturelle Gruppe von etwa 30 Personen. Er erzählt: „Damals wurden die Zusammenkünfte in Serbisch abgehalten und wir bekamen unsere Literatur aus Belgrad. Einmal tauchten ganz unerwartet Polizisten auf. Wir hatten uns alle versammelt und die Brüder aus Belgrad waren gerade mit Literatur gekommen. Als ich den Polizisten sagte, dass das meine Brüder sind, schauten sie mich ungläubig an. Für sie war es ein Rätsel, dass sich Albaner und Serben als Brüder ansahen.“ 1998 konnte diese Verkündigergruppe in der Hauptstadt Priština einen Raum für ihre Zusammenkünfte mieten.

Im Frühjahr 1999 spitzten sich die ethnischen Auseinandersetzungen zu und der Nationalismus schlug hohe Wellen. Saliu sagt: „Mein Nachbar drohte damit, dass unser Haus angezündet wird, wenn mein Sohn und ich nicht in den Krieg gehen. Durch die politische Situation zeigten sich die Leute von ihrer hässlichsten Seite. Da sie die serbische Regierung nicht anerkannten, herrschte Anarchie. Es brach Gewalt aus und jeder machte, was er wollte.“

Wegen des sich auswachsenden Konflikts wurde es für die Serben im Kosovo immer gefährlicher. Während der Unruhen 1999 mussten Tausende von Serben und Albanern in Nachbarländer fliehen. In diesem Klima extremer Feindseligkeiten setzte Saliu sein Leben aufs Spiel, als er serbische Glaubensbrüder bei sich zu Hause versteckte.

SIE LERNTEN, WIE JEHOVA ZU DENKEN

„Der Hass zwischen Serben und Albanern war eigentlich unüberwindlich“, erzählte eine Schwester. „Wir wurden schon als Kinder dazu erzogen, die Serben zu hassen. Wenn jemand die Wahrheit kennenlernt, kann er diese Gefühle nicht sofort abstellen. Viele von uns mussten sich um 180 Grad drehen, um so zu denken wie Jehova. Obwohl ich wusste, wie liebevoll unser Gott ist, versuchte ich, einer Schwester in der Versammlung aus dem Weg zu gehen, nur weil sie Serbin war. Doch mit der Zeit habe ich besser verstanden, dass die biblische Wahrheit Menschen vereint, während die Lehren anderer Religionen trennend wirken.“ Die Bibel hat die Kraft, Menschen zu ändern. So konnte auch diese Schwester die neue Persönlichkeit anziehen. „Heute freue ich mich, zusammen mit meinen serbischen Brüdern und Schwestern in einer Versammlung zu sein“ (Kol. 3:7-11; Heb. 4:12).

In der heutigen religiös gespaltenen Welt ist die Einheit unter wahren Christen etwas Einzigartiges. Während andere, getrieben von Nationalismus, Häuser anzündeten und Handgranaten warfen, fuhren unsere Brüder und Schwestern im Juli 1998 friedlich zu einem Kongress nach Belgrad (Serbien). Im Bus waren Albaner, Kroaten, Mazedonier und Roma. Dashurie Gashi, die sich auf dem Kongress taufen ließ, erzählt: „Soldaten, die uns angehalten hatten, sahen uns völlig entgeistert an. Überall waren die ethnischen Spannungen zu spüren, doch wir waren als ein Volk vereint — als Jehovas Volk.“

Eine junge Romni lernte die Wahrheit als Kind von ihren Tanten kennen, die im Ausland lebten. Sie war allerdings Analphabetin. Doch aus Liebe zu Jehova lernte sie in den drei Jahren ihres Bibelstudiums Lesen und Schreiben. Ihr Großvater, bei dem sie wohnte, machte große Schwierigkeiten. Sie erzählt: „Um zu den Zusammenkünften zu kommen, musste ich mich jedes Mal aus dem Haus schleichen.“ Wenn sie nach Hause kam, wurde sie immer von ihrem Großvater geschlagen. Rückblickend sagt sie: „Auch wenn ich wegen der Wahrheit viel durchmachen musste, habe ich nie aufgegeben. Oft dachte ich daran, wie sehr der treue Hiob leiden musste. Ich liebte Jehova über alles und war entschlossen, ihn immer besser kennenzulernen.“ Heute ist sie Pionierin und leitet ein Bibelstudium mit zwei Mädchen, die nicht lesen und schreiben können. Sie ging zwar nie zur Schule, ist aber durch die Theokratische Predigtdienstschule eine Lehrerin geworden. Dafür ist sie sehr dankbar.

Adem Grajçevci war Muslim, als er 1993 in Deutschland die Wahrheit kennenlernte. Er sagt: „Mir ging ein Licht auf, als ich erfuhr, dass Satan der Herrscher der Welt ist und hinter all den Gräueltaten steckt.“ 1999 kehrte Adem in seine Heimat, den Kosovo, zurück. Wer dort ein Zeuge Jehovas wird, stößt bei seinen Angehörigen oft auf Vorurteile und Widerstand. Adem ging es nicht anders. Sein Vater war über den christlichen Glauben seines Sohnes alles andere als erfreut und sagte zu ihm, er müsse sich zwischen seiner Familie und Jehova entscheiden. Adem entschied sich für Jehova, machte schöne Fortschritte und ist heute ein Ältester. Sein Vater ist nicht mehr so gegnerisch eingestellt und respektiert Adems Entscheidung.

Adems Sohn Adnan interessierte sich als Kind überhaupt nicht für Religion. Seine große Leidenschaft war der Kampfsport. Von seinen Wettkampfgegnern wurde er „Killer“ genannt. Doch mit der Zeit lernte er die Wahrheit lieben und änderte sein Leben von Grund auf. „Kurz nach meiner Taufe musste ich eine wichtige Entscheidung treffen“, erzählt er. „Ich habe gut verdient, doch für meinen Glauben tat ich recht wenig. Ich ging kaum in den Predigtdienst. Das wollte ich unbedingt ändern. Also kündigte ich.“ Adnan nahm den Pionierdienst auf, wurde Dienstamtgehilfe und besuchte später die erste Klasse der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung in Albanien. Jetzt ist er Ältester und seine Frau Hedije und er sind Sonderpioniere. Wie denkt er heute über seine Entscheidung? „Das war das Beste, was ich tun konnte“, sagt er. „Ich würde mich wieder für den Vollzeitdienst entscheiden.“

SIE SIND IM GLAUBEN VEREINT

Heute kommen alle sechs Versammlungen, die es im Kosovo gibt, in gemieteten Räumen zusammen. Einige Versammlungen sind recht klein, wie zum Beispiel die in Peć mit ihren nur 28 Verkündigern. Da es so wenige Älteste und Dienstamtgehilfen gibt, haben manche Versammlungen nicht jede Woche einen öffentlichen Vortrag. Doch zum Wachtturm-Studium und zu den anderen Zusammenkünften treffen sich die Brüder und Schwestern regelmäßig Woche für Woche.

Jahrelang hatte sich das serbische Landeskomitee unter extrem schwierigen Bedingungen um alle Zeugen Jehovas im Kosovo gekümmert. Im Jahr 2000 wurde dann Albanien von der leitenden Körperschaft mit dieser Aufgabe betraut, weil sich die Situation im Land verändert hatte.

Früher waren die meisten Zeugen Jehovas im Kosovo Serben, und die Zusammenkünfte fanden in Serbisch statt. Es wurde aber dafür gesorgt, dass auch die Albaner etwas vom Programm mitbekamen. Inzwischen ist es genau umgekehrt. Die meisten Brüder und Schwestern im Kosovo sind Albaner. Es gibt nur eine serbischsprachige Versammlung. Ansonsten werden die Zusammenkünfte in Albanisch abgehalten und ins Serbische gedolmetscht. Auch auf den Kongressen sind beide Sprachen vertreten. Beim Sommerkongress 2008 wurden die Vorträge in Albanisch gehalten und ins Serbische übersetzt. Die Hauptvorträge wurden jedoch zusätzlich in Serbisch gehalten, und zwar von kosovarischen Ältesten. Ein Bruder meinte dazu: „Draußen trifft man überall auf Hass, aber hier drinnen sind wir alle eine Familie.“

Die Kosovaren sind zwar vorwiegend muslimisch, achten aber die Bibel und unterhalten sich gern über religiöse Themen. 2008 wurde im Kosovo die Zahl von 164 Verkündigern erreicht, was große Freude auslöste. Im Vertrauen auf Jehova werden die Brüder und Schwestern auch weiter ihr Bestes tun, um ihr gesamtes Gebiet zu bearbeiten und Menschen aller Volksgruppen die gute Botschaft zu überbringen.

Montenegro

Dieses kleine Land mit seinen abwechslungsreichen, atemberaubend schönen Landschaften wird zu Recht als Perle der Adria bezeichnet. Montenegro ist umgeben von Albanien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. Es hat eine ungefähr 300 Kilometer lange, traumhafte Küste. Die Taraschlucht ist einer der längsten und tiefsten Cañons in Europa. Der Skutarisee, der größte See auf der Balkanhalbinsel, ist zugleich eines der größten Vogelschutzgebiete Europas. Und das alles auf einer Fläche, die nur einem Drittel der Schweiz entspricht.

Das Land hat aber auch Krieg, Leid und Elend erlebt. All das ging an den Montenegrinern nicht spurlos vorüber und hat ihre Tradition, Mentalität und Kultur stark geprägt. Dieser Menschenschlag lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Tapferkeit, Treue, Würde, Demut, Opferbereitschaft und Respekt werden bei ihnen großgeschrieben. Auch hier gibt es Menschen, die auf die gute Botschaft vom Königreich gehört haben und treu die biblische Wahrheit verteidigen.

DAS PREDIGEN TRÄGT FRÜCHTE

Die Besucher, die 1991 zu dem Kongress in Zagreb (Kroatien) kamen, werden die Liebe und Einheit unter den Brüdern und Schwestern aus ganz Jugoslawien nie vergessen. Savo Čeprnjić, damals ein Neuinteressierter, sagt: „Krieg war im Anzug, und das Reisen von Montenegro nach Kroatien war ein gefährliches Unterfangen. Dass so viele Busse problemlos die Kongressstätte erreichten, erstaunte mich. Noch mehr beeindruckt hat mich der Frieden und die Einheit unter den Kongressbesuchern. Am ersten Tag wurden noch Hunderte von Polizeibeamten eingesetzt. Doch da alles so friedlich ablief, kamen an den anderen Tagen nur noch sehr wenige Polizisten.“

Vor dem Krieg fuhr ein Ehepaar immer von Kroatien nach Montenegro, um Savo die Bibel zu erklären. Doch wie ging das Bibelstudium weiter, als die Grenzen geschlossen wurden?

Savo erzählt: „Interessierte, die schon etwas weiter waren, mussten Bibelstudien leiten. Zunächst hatte ein Bruder mit mir das Buch Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben besprochen. Als das dann nicht mehr möglich war, hat ein Interessierter weitergemacht. 1992 war die Gruppe, die sich in Herceg-Novi zum Buchstudium und zum Wachtturm-Studium traf, auf 15 Personen angewachsen.“ Savo ließ sich 1993 zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter taufen. Heute haben die 25 Verkündiger in diesem malerischen Küstenstädtchen einen eigenen Königreichssaal.

Anfang der 1990er-Jahre traf sich auch in der Hauptstadt Podgorica eine Gruppe Verkündiger. Als sie immer größer wurde, plante man, einen Königreichssaal zu bauen. Das Grundstück, das 1997 dafür gekauft wurde, war mit einer Mauer umgeben, die die Brüder belassen wollten, um sich in Ruhe versammeln zu können. Doch ein Polizist, der in einer nahen Kellerwohnung lebte, bat sie, die Mauer abzureißen, damit er mehr Licht abbekommt. Die Brüder wollten sich mit dem Nachbarn gut stellen und ersetzten die Mauer durch einen Zaun. Das war das Beste, was sie tun konnten.

Als andere Nachbarn den Brüdern Schwierigkeiten machten, drohte der Polizist mit einer Anzeige, falls sie den Saal beschädigen würden. Heute gibt es dort nicht nur einen schönen Königreichssaal, sondern auch ein Haus für Sonderpioniere und einen großen, überdachten Parkplatz, auf dem Kongresse stattfinden können.

Den Brüdern in Nikšić erging es nicht so gut. Sie kauften 1996 ein Grundstück, um darauf einen Königreichssaal zu bauen. Die Öffentlichkeit war aber absolut gegen den Bau. Er musste zum Schutz vor den Nachbarn Tag und Nacht bewacht werden. Eines Tages trommelte ein Pfarrer etwa 200 Personen zusammen, die dann mit Schusswaffen und Stöcken das Gelände stürmten. Sie schossen in die Luft und trugen den Bau Stein für Stein ab. Die Polizei sah tatenlos zu.

Da es unmöglich war, eine friedliche Lösung zu finden, suchten die Brüder ein anderes Grundstück. Nach vier Jahren fanden sie ein Gebäude, das sie renovieren konnten. Zunächst sah es so aus, als ob die Öffentlichkeit nichts gegen den Königreichssaal hätte. Doch nach einigen Monaten ging der Saal unter rätselhaften Umständen in Flammen auf. Unsere Brüder ließen sich aber nicht entmutigen und bauten den Saal wieder auf. Seitdem hat man ihnen keine Probleme mehr gemacht.

Die vier Versammlungen in Montenegro werden vom serbischen Landeskomitee betreut. Das Verkündiger-Einwohner-Verhältnis beträgt 1 zu 2 967. Die 201 Verkündiger sind für die Unterstützung der 6 Sonderpioniere sehr dankbar. Auch wenn Religion für die meisten Leute in Montenegro mehr mit Tradition zu tun hat als mit dem Lesen in der Bibel, verkündigen unsere Brüder und Schwestern weiter mutig die gute Botschaft.

Slowenien

Slowenien liegt im Nordwesten des ehemaligen Jugoslawien. Nachdem es 1991 die Unabhängigkeit erlangt hatte, ging es mit der Wirtschaft stetig bergauf. Seit 2004 ist Slowenien Mitglied der EU. Das Land ist zwar relativ klein, aber reich an landschaftlichen Kontrasten. Da gibt es Hochgebirge, Bergseen, dichte Wälder, riesige Tropfsteinhöhlen und die reizvolle Slowenische Riviera. Wandert man von den Alpen zur Adriaküste hinunter, wechselt man innerhalb einer guten Stunde von eisiger Bergluft zu einem milden mediterranen Klima mit den typischen Olivenhainen und Weinbergen. Kulturgeschichtliche Sehenswürdigkeiten, Naturparks und historische Städte laden zu Erkundungstouren ein. Aber auch über Jehovas Zeugen in Slowenien gibt es einiges zu erfahren.

KÖNIGREICHSSÄLE UND PIONIERE

Maribor ist uns vielleicht noch als die Stadt in Erinnerung, in der die „Bibelfriseure“ ihren neuen Glauben publik machten. Es formierte sich eine kleine Gruppe, die sich in einem Restaurant traf. Diese Gaststätte erhielt später den bezeichnenden Namen „Novi Svet“ (Neue Welt). Heute sind die slowenischen Brüder und Schwestern Jehova dankbar, dass sie sich in schönen Königreichssälen versammeln können. Die relativ stabile politische Lage in den 1990er-Jahren und die wachsende Verkündigerzahl führte dazu, dass ein regionales Baukomitee gegründet wurde. Durch den Einsatz von über 100 Helfern und mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland konnten seit 1995 immerhin 14 Königreichssäle renoviert oder gebaut werden.

Nicht nur die Zahl der Verkündiger stieg, sondern auch die der Pioniere — von 10 im Jahr 1990 auf 107 im Jahr 2000. Zu ihnen gehörte Anica Kristan, die sich früher politisch stark engagiert hatte.

Brüder und Schwestern aus dem Ausland haben die Verkündigung der guten Botschaft enorm vorangetrieben. Die ersten Missionare, Franco und Debbie Dagostini, trafen 1992 ein. Als sie nach Afrika versetzt wurden, kamen die österreichischen Missionare Daniel und Karin Friedl ins Land. Danach sind noch Geoffrey und Tonia Powell sowie Jochen und Michaela Fischer dazugestoßen. Diese Gileadmissionare und die Sonderpioniere aus Italien, Österreich und Polen haben eine tiefe Liebe zu Jehova und den brennenden Wunsch, anderen zu helfen.

KRANKENHAUS-VERBINDUNGSKOMITEES

1994 wurde im Bethel der Krankenhausinformationsdienst eingerichtet und zwei Krankenhaus-Verbindungskomitees (KVKs) wurden gegründet. Man kam mit dem Gesundheitsminister zusammen, der daraufhin alle Klinikdirektoren Sloweniens zu einem Treffen einlud. Dort konnten die Brüder erklären, wie ein KVK arbeitet und warum Jehovas Zeugen Bluttransfusionen ablehnen. Nach diesem Treffen waren die Ärzte eher bereit, unseren Standpunkt zu respektieren, und in Fachzeitschriften erschienen Artikel über Behandlungen ohne Bluttransfusion.

1995 wurde in Slowenien die erste Operation am offenen Herzen ohne Bluttransfusion durchgeführt. Die Medien berichteten über diesen erfolgreichen Eingriff und der Chirurg schrieb zusammen mit dem Anästhesisten einen Fachartikel darüber. Seitdem gibt es immer mehr kooperative Ärzte.

VOM KLEINEN BÜRO ZUM GROSSEN BETHEL

Nach den politischen Veränderungen im Jahr 1991 entschied die leitende Körperschaft, in Slowenien ein Büro zu eröffnen, damit die Predigttätigkeit besser koordiniert werden konnte. Man kaufte im Zentrum der Hauptstadt Ljubljana ein eingeschossiges Gebäude und renovierte es. Am 1. Juli 1993 konnte die Bethelfamilie einziehen. Die Zahl der Bethelmitarbeiter stieg innerhalb von zehn Jahren von 10 auf 35. Deshalb mietete man in der Nähe ein Haus, in dem die Küche, der Speisesaal und die Wäscherei untergebracht wurden. Gleichzeitig zogen mehrere Bethelmitarbeiter in nahe gelegene Wohnungen um, damit man mehr Bürofläche hatte. 1997 wurde aus diesem Bethel ein Zweigbüro.

Als die leitende Körperschaft den Bau eines neuen Bethels genehmigte, suchte man ein geeignetes Grundstück. Die Brüder sahen sich 40 Bauplätze an und entschieden sich dann für ein Grundstück bei Kamnik, das 20 Kilometer von der Hauptstadt entfernt am Fuß der Alpen liegt. Man stellte den Bauantrag, bekam die Genehmigung, schloss einen Vertrag mit einer Baufirma und lud internationale Baufachleute ein. Es konnte losgehen — so schien es jedenfalls.

Nachdem die Öffentlichkeit von dem Projekt erfahren hatte, regte sich in der Nachbarschaft Widerstand. An dem Tag, als die Bauarbeiten anfangen sollten, versperrten Demonstranten die Zufahrt zur Baustelle. Außerdem hängten sie überall Transparente auf. Sechs Tage später, um die Mittagszeit, kamen städtische Arbeiter in Begleitung von 30 Polizisten, um die Barrikaden zu entfernen. Die Polizisten wurden von den Demonstranten wüst beschimpft. Inzwischen war der Baubeginn aber verschoben worden, sodass zu dem Zeitpunkt weder die Brüder noch die Baufirma vor Ort waren. Durch die Verzögerung beruhigte sich die Lage und man bemühte sich um eine friedliche Lösung.

Insgesamt drei Mal wurde der Bauzaun von Demonstranten abgerissen. Doch nach einem Monat konnte man endlich mit Bauen anfangen und von da an verlief alles ziemlich ruhig. Die Angriffe auf Jehovas Zeugen hatten einen positiven Nebeneffekt, weil ein Medienereignis daraus wurde. Es gab über 150 Fernseh-, Rundfunk- und Zeitungsberichte zu dem Projekt. Nach ungefähr elf Monaten war der Bau fertig, und im August 2005 konnte die Bethelfamilie einziehen.

Seither lebt man in bestem Einvernehmen miteinander. Viele Nachbarn haben das Bethel besichtigt. Ein ehemaliger Gegner interessierte sich sehr für das Projekt. Er erkundigte sich, wer wir sind und was wir da drinnen machen. Bei einer Besichtigung war er von der Freundlichkeit der Mitarbeiter und der Sauberkeit des Gebäudes tief beeindruckt. Er sagte zu den Brüdern: „Die Nachbarn fragen mich andauernd, ob ich jetzt auf eurer Seite bin. Ich sage dann immer, dass ich so, wie ich früher gegen euch war, jetzt für euch bin, weil ihr einfach nette Menschen seid.“

Am 12. August 2006 herrschte große Freude, als Theodore Jaracz von der leitenden Körperschaft die Ansprache zur Bestimmungsübergabe hielt. Es waren 144 Brüder und Schwestern aus 20 Ländern mit dabei. Außerdem sprach er bei einer besonderen Zusammenkunft in Ljubljana zu 3 097 Zuhörern aus Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina.

ES GEHT WEITER VORAN!

Jehovas Zeugen in Slowenien vertrauen voll und ganz darauf, dass ihr Vater im Himmel ihnen auch künftig beistehen und sie segnen wird. Als sie 2004 auf dem Bezirkskongress die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Slowenisch erhielten, waren sie überglücklich. Durch ihr gut ausgestattetes neues Bethel und die vielen fleißigen Pioniere können sie den Auftrag, zu predigen und Jünger zu machen, noch besser ausführen (Mat. 28:19, 20).

Slowenien ist zwar ein katholisches Land, doch unter der kommunistischen Herrschaft sind etliche zu Atheisten geworden. Bei vielen dreht sich alles nur um den täglichen Überlebenskampf oder um das Geld. Für andere ist Sport und Freizeit das Wichtigste im Leben. Die Brüder treffen aber immer wieder auf Menschen, die gern erfahren möchten, was die Bibel über die Zukunft sagt.

Es geht weiter voran! Im August 2008 wurde eine Höchstzahl von 1 935 Verkündigern erreicht. Ein Viertel von ihnen stand in irgendeiner Art des Pionierdienstes. Außer in Slowenisch wird auch in Albanisch, Chinesisch, Englisch, Kroatisch, Serbisch und in der Slowenischen Gebärdensprache gepredigt. Aus den zwei Friseuren, die das Verkündigen der guten Botschaft in Slowenien in Gang gebracht haben, ist eine riesige multikulturelle Gruppe von Verkündigern geworden. Sie setzen alles daran, Menschen zu dem wahren Gott, Jehova, hinzuführen (Mat. 10:11).

Die Menschen im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien mussten viel Leid und Elend durchmachen. In einem Klima religiöser Intoleranz und ethnischen Hasses haben Jehovas Diener vorgelebt, was es heißt, ein Nachfolger Christi zu sein. Die Liebe, die sie zueinander haben, beweist, dass es nichts Besseres gibt, als Jehova anzubeten. Durch diese Liebe haben viele Menschen zum wahren Glauben gefunden und unsere Brüder sind in ihrem Entschluss bestärkt worden, Jehova für immer und ewig in Einheit zu dienen (Jes. 2:2-4; Joh. 13:35).

[Fußnoten]

a Die Ustascha war eine faschistische Organisation, die mit Unterstützung der katholischen Kirche für die Unabhängigkeit Kroatiens kämpfte. Sie war für ihre Brutalität berüchtigt.

b Wegen der politischen Situation wurde das Motto geändert, um deutlich zu machen, um was für eine Freiheit es ging.

c Siehe den Artikel „Hilfe für unsere Familie der Gläubigen in Bosnien“ in der Wachtturm-Ausgabe vom 1. November 1994, Seite 23—27.

[Herausgestellter Text auf Seite 165]

Im Land herrschte zwar ein Klima von Nationalstolz und religiösen Feindseligkeiten, doch unsere Brüder zogen alle am selben Strang

[Herausgestellter Text auf Seite 173]

„Möchte ich irgendeinem Menschen gefallen? Nein. Hängt mein Leben davon ab, was andere sagen, denken oder tun? Nein.“

[Kasten auf Seite 144]

Gegensätze im Vielvölkerstaat Jugoslawien

Fragt man nach den kulturellen Gegensätzen im ehemaligen Jugoslawien, bekommt man ganz unterschiedliche Antworten. Generell herrscht aber Einigkeit darüber, dass dieser Staat aus sieben Völkern mit unterschiedlichen Sprachen und sogar verschiedenen Alphabeten bestand. Insbesondere unterscheiden sich die ethnischen Gruppen jedoch in den Glaubensrichtungen. Vor über 1 000 Jahren spaltete sich die Christenheit in die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche auf. In Jugoslawien lief die Trennungslinie mitten durch das Land. Kroatien und Slowenien sind überwiegend römisch-katholisch, Serbien und Mazedonien orthodox. In Bosnien sind der Islam, die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche vertreten.

Neben der Religion wirken auch die Sprachen trennend. Mit Ausnahme des Kosovo spricht man im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien südslawische Sprachen. Serben, Kroaten, Bosnier und Montenegriner haben zwar unterschiedliche Sprachen, aber viele gemeinsame Wörter und können sich daher miteinander verständigen. Im Kosovo, in Mazedonien und in Slowenien ist das allerdings nicht so einfach. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann man über eine gemeinsame Schriftsprache nachzudenken, doch der Zerfall Jugoslawiens im Jahr 1991 machte diesen Bemühungen ein Ende. In letzter Zeit wollen sich die einzelnen Länder durch ihre Sprache eher voneinander abgrenzen.

[Kasten/Bild auf Seite 148]

Ein Uhrmacher, der nicht nur Uhren reparierte

In den 1930er-Jahren zog Antun Abramović in Kroatien von Dorf zu Dorf und reparierte Uhren aller Art. In einem Gasthaus entdeckte er eine unserer Broschüren. Alles, was er darin las, erschien ihm auf Anhieb richtig und berührte ihn tief. In einem Brief bat er um weiteren Lesestoff. Es dauerte nicht lange, und er ließ sich taufen. Danach reparierte er auf seiner Wanderschaft nicht nur Uhren, sondern sprach mit den Leuten auch über die Bibel. Die „Tarnung“ als Uhrmacher kam ihm dabei sehr gelegen, weil unsere Tätigkeit damals verboten war. In dem kleinen Ort Privlaka gab es ein paar Leute, die für die gute Botschaft Feuer und Flamme waren, sodass eine kleine Versammlung entstand. Von dort aus kam die Wahrheit auch nach Vinkovci und Umgebung.

Während des Zweiten Weltkriegs half Bruder Abramović dabei mit, heimlich Literatur zu drucken, die in ganz Jugoslawien verbreitet wurde. Wegen seines unermüdlichen Einsatzes wurde er 1947 zusammen mit 13 anderen Brüdern zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung war er reisender Aufseher. Seinen Eifer für Jehova hat er sich sein ganzes Leben hindurch bewahrt.

[Kasten/Bild auf Seite 151]

Vom Dirigenten zum Pionier

Vor vielen Jahren erhielt im heutigen Bosnien-Herzegowina der Dirigent des Militärorchesters, Alfred Tuček, von seinem Kollegen Fritz Gröger biblische Literatur. Später, wahrscheinlich gegen Ende der 1920er-Jahre, wandte sich Alfred an die „Leuchtturm-Gesellschaft“ in Maribor, weil er Pionier werden wollte. Er wurde einer der ersten Pioniere in Jugoslawien. Aus Liebe zu Jehova hängte er seine gut bezahlte Arbeit an den Nagel und blickte nicht mehr „nach den Dingen ..., die dahinten sind“ (Luk. 9:62). Anfang der 1930er-Jahre reiste er mit deutschen Pionieren durch die Lande, um das „Photo-Drama der Schöpfung“ vorzuführen. Er half auch mit, das Predigen der guten Botschaft in Jugoslawien zu organisieren und Gebietskarten herzustellen. Nach seiner Heirat im Jahr 1934 ging er mit seiner Frau Frida, einer deutschen Pionierin, zunächst nach Sarajevo (Bosnien). Später predigten sie in Mazedonien, Montenegro, Kroatien und Serbien. Anfangs war ihr wichtigstes Transportmittel das Fahrrad. Später waren sie mit einem Motorrad unterwegs. Obwohl nur wenige auf die gute Botschaft hörten und das Verkündigen verboten war, legten sie großen Wert darauf, so viele Menschen wie möglich zu erreichen.

[Kasten/Bilder auf Seite 155, 156]

Er gab trotz Krankheit nicht auf

Martin Pötzinger hatte bereits in verschiedenen mitteleuropäischen Ländern die gute Botschaft verkündigt, als er sich um eine Gruppe Pioniere in Jugoslawien kümmern sollte. Etwa um diese Zeit hatte er Gertrud Mende kennengelernt, eine engagierte Pionierin aus Deutschland, die er später heiratete. Als Bruder Pötzinger in Zagreb schwer krank wurde, musste er sich voll und ganz auf Jehova verlassen. Als Pionier hatte er keine Krankenversicherung, aber irgendwie ging es immer weiter. In besonders kritischen Situationen gebrauchte Jehova hilfsbereite Menschen, um ihm beizustehen.

Gertrud, die sich aufopferungsvoll um ihn kümmerte, erinnert sich: „Mitte der 30er-Jahre wurden Martin und ich nach Sarajevo geschickt. Es kam aber alles ganz anders als geplant. Eines Abends klagte Martin über Schüttelfrost und bekam in der Nacht 39,5 Grad Fieber. Als ich am nächsten Morgen wieder bei ihm vorbeischaute, machte sich die Vermieterin große Sorgen um ihn. Wir probierten es mit einem alten Hausmittel: Glühwein mit viel Zucker. Leider half es nicht. Ich rief alle im Telefonbuch verzeichneten Ärzte an, doch keiner wollte sofort kommen. Jeder hatte eine andere Ausrede.

Die Vermieterin brachte mich auf die Idee, im Krankenhaus anzurufen. Also telefonierte ich mit dem Chefarzt Dr. Thaler und sagte ihm, dass Martin mit 40 Grad Fieber im Bett lag. Der Arzt war sehr entgegenkommend. Als Martin von Sanitätern abgeholt wurde, meinte die Vermieterin: ‚Den sehen Sie nicht wieder!‘

Nun stand uns noch ein Problem bevor: Unsere finanzielle Lage war nicht sehr rosig. Das Geld, das wir durch die Verbreitung von Literatur bekamen, reichte gerade mal, um davon leben zu können. Was nun? Wie viel würde ein Chefarzt wohl verlangen? Dr. Thaler sagte, Martin habe eine Rippenfellentzündung und müsse operiert werden. Es würde einige Zeit dauern, bis er wieder gesund sei.

Dr. Thaler muss unsere schwierige finanzielle Situation irgendwie bemerkt haben. Er sagte: ‚Leute, die so einen starken Glauben haben, unterstütze ich gern.‘ Er berechnete nichts für die Operation. So war es uns mit Jehovas Hilfe möglich, diese schwere Zeit zu überstehen. Wegen Martins Krankheit wurde nichts aus Sarajevo. Wir mussten nach Deutschland zurückkehren.“

[Bild]

Martin Pötzinger in Deutschland (1931)

[Kasten/Bild auf Seite 161, 162]

Tags im Beruf, nachts beim Drucken

LINA BABIĆ

GEBURTSJAHR: 1925

TAUFE: 1946

KURZPORTRÄT: Von 1953 an, als das Verbot aufgehoben wurde, hat sie sich treu fürs Bethel eingesetzt. Sie hat beim Drucken und Versenden von Literatur mitgeholfen. Heute ist sie im Bethel in Zagreb.

NACH der Freilassung der Brüder wurde ganz schnell alles für die Vervielfältigung von Zeitschriften vorbereitet. Es gab nur wenige Brüder, aber jede Menge Arbeit. Als ich mir das durch den Kopf gehen ließ, wollte ich mich gern nützlich machen, obwohl ich berufstätig war. Also arbeitete ich tagsüber in meinem Beruf und war dann bis spät in die Nacht hinein mit Drucken beschäftigt.

Damals hatten wir noch kein eigenes Büro in der Stadt. Deshalb stellten Petar und Jelena Jelić, ein älteres Ehepaar, ihre winzige Wohnung zur Verfügung. Sie bestand lediglich aus einem 4,5 mal 4,5 Meter großen Zimmer. Wir legten einen mit Leinen bespannten Holzrahmen auf das Bett und stapelten die fertigen Seiten darauf. Neben dem Bett stand auf einem Tisch das handbetriebene Vervielfältigungsgerät. Wir druckten ungefähr 800 Seiten in der Stunde. Das ist im Vergleich zu dem, was heute moderne Druckmaschinen leisten, natürlich nicht viel. Aber wir waren froh, dass wir mit Geduld und Fleiß genug Literatur herstellen konnten.

Es war immer ein rührender Anblick, wie geduldig die Jelićs warteten, bis wir aufhörten zu arbeiten und das Bett frei machten, damit sie schlafen gehen konnten. Sie beklagten sich nie. Im Gegenteil, ihre Augen leuchteten vor Freude, dass sie auf diese Weise ihren Teil tun konnten. Jelena und einige andere ältere Schwestern halfen, sooft sie konnten, beim Sammeln, Heften und Falzen mit. Diese Hilfe war Gold wert.

1958 wurde ein elektrisches Vervielfältigungsgerät angeschafft. Das machte das Ganze leichter. 1931 hatte man mit nur 20 Zeitschriften angefangen. Anfang der 1960er-Jahre waren es 2 400 Zeitschriften in drei Sprachen: Kroatisch, Serbisch (kyrillische Schrift) und Slowenisch. Bücher konnten wir keine herstellen, aber wir druckten Berge von Broschüren. 1966 standen wir vor unserem größten Projekt. Wir ließen das Buch „Dinge, in denen es unmöglich ist, dass Gott lügt“ als 12 Broschüren drucken. Für 50 000 Bücher in unseren drei Sprachen mussten 600 000 Broschüren gedruckt werden.

Heute bin ich im Bethel in Zagreb. Ich bin glücklich, dass ich Jehova schon so lange dienen darf und beobachten konnte, wie er unsere Tätigkeit in allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien gesegnet hat.

[Kasten/Bild auf Seite 176, 177]

Morgen kann schon alles ganz anders sein

IVICA ZEMLJAN

GEBURTSJAHR: 1948

TAUFE: 1961

KURZPORTRÄT: Er kam wegen seiner neutralen Haltung fünf Mal ins Gefängnis. Später war er Wochenend-Kreisaufseher und heute ist er ein Ältester in einer Zagreber Versammlung.

MEINE Eltern hatten einen starken Glauben und bei uns zu Hause drehte sich alles um die Wahrheit. Nach meiner Einberufung meldete ich mich bei der zuständigen Stelle und erklärte meine neutrale Haltung. Man machte mir den Prozess und verurteilte mich zu neun Monaten Gefängnis. Nach meiner Freilassung wurde ich wieder einberufen. Man stellte mich wieder vor Gericht und verurteilte mich diesmal zu einem Jahr Haft. Danach ging das Ganze von vorne los: Ich wurde zum dritten Mal einberufen, kam vor Gericht und musste fünfzehn Monate ins Gefängnis. Beim vierten Mal waren es zwanzig Monate und beim fünften Mal zwei Jahre. Insgesamt also über sechs Jahre. Das alles geschah zwischen 1966 und 1980.

Zwei Mal musste ich auf die Adriainsel Goli. Die ganze Insel war ein Gefängnis für politische Häftlinge. Und genauso wurde ich auch behandelt. Unsere Aufgabe war es, „das Meer zu füllen“. Wir schleppten eine Holzkiste voll Steine von einem Ende der Insel zum anderen und schütteten sie ins Meer aus. Dann gingen wir zurück und holten die nächste Ladung. Es waren jedes Mal 100 Kilo. Mit dieser sinnlosen Arbeit mussten wir den ganzen Tag zubringen.

Als ich das zweite Mal nach Goli kam, war es üblich, jeden Neuankömmling einen Monat lang in Einzelhaft zu stecken. Es war einfach schrecklich, völlig allein eingesperrt zu sein. In dieser Zeit habe ich so viel gebetet wie noch nie. Ich hatte keine Bibel und keine biblische Literatur. Ein Brief von meinen Eltern war der einzige Lichtblick. Damals ging es mir so, wie es der Apostel Paulus beschrieben hat: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich machtvoll“ (2. Kor. 12:10). Als ich wieder freikam und Arbeit fand, war ich heilfroh und fühlte mich stark.

In einem anderen Gefängnis musste ich zu einem Psychologen, der sehr unfreundlich war und mich beschimpfte. Er schrie mich an und meinte, ich sei wohl nicht ganz normal. Ich durfte nichts zu meiner Verteidigung sagen. Am nächsten Tag musste ich wieder dorthin. Diesmal sprach er in einem ganz anderen Ton: „Ich habe über Sie nachgedacht. Dieses Gefängnis ist nichts für Sie. Ich werde mich darum kümmern, dass Sie außerhalb des Gefängnisses eine Arbeit bekommen.“ Er hat tatsächlich Wort gehalten! Ich weiß zwar nicht, warum er plötzlich so anders war, doch eines habe ich aus dieser Situation gelernt: Wir brauchen nicht ängstlich zu sein und zu denken, es gäbe keinen Ausweg. Morgen kann schon alles ganz anders sein. Ich bin Jehova für alles dankbar, was ich mit ihm erlebt habe. Das hat mich ihm viel näher gebracht.

[Kasten/Bild auf Seite 179]

Darf man über Fußball reden?

HENRIK KOVAČIĆ

GEBURTSJAHR: 1944

TAUFE: 1962

KURZPORTRÄT: 1973 war er im Wochenend-Reisedienst und von 1974 bis 1976 im regulären Reisedienst. Heute gehört er zum kroatischen Zweigkomitee.

WENN wir predigen gingen, wussten wir nie, ob wir auch wieder nach Hause kommen würden. Oft wurden wir verhaftet und verhört. Man hatte viele falsche Vorstellungen von uns.

Auf einem Polizeirevier sagte man mir, wir dürften nur an den vorgesehenen Orten über Gott sprechen und nicht auf der Straße oder an den Türen. Ich sprach ein Stoßgebet wie Nehemia, damit ich das Richtige darauf sage. Dann fragte ich den Untersuchungsbeamten: „Darf man hier nur in einem Stadion über Fußball reden oder auch woanders?“ Er antwortete, über Fußball könne man reden, wann immer man Lust und Laune dazu hat. Darauf ich: „Dann müsste man auch überall über Gott reden können, nicht nur in einer Kirche oder so.“ Das Verhör dauerte fünf Stunden, aber danach konnten mein Predigtdienstpartner und ich wieder gehen.

Ana, meine Frau, und ich sind uns einig, dass wir die 40 Jahre im Dienst für Jehova gegen nichts in der Welt eintauschen würden. Zusammen konnten wir fast 70 Personen helfen, die Wahrheit kennenzulernen. Jede Aufgabe, die Jehova uns überträgt, bereichert uns.

[Kasten/Bild auf Seite 195, 196]

Wir kehrten zurück

HALIM CURI

GEBURTSJAHR: 1968

TAUFE: 1988

KURZPORTRÄT: Er half dabei mit, humanitäre Hilfe für Sarajevo zu organisieren und Hilfsgüter zu verteilen. Zurzeit ist er Ältester, gehört zu einem Krankenhaus-Verbindungskomitee und ist Rechtsvertreter für Jehovas Zeugen in Bosnien-Herzegowina.

SARAJEVO war 1992 unter Belagerung. Als die Literaturlieferungen ausblieben, behalfen wir uns mit älteren Zeitschriften. Einige von uns schrieben mit einer alten Schreibmaschine Studienartikel ab. Es gab zwar nur 52 Verkündiger, aber bei den Zusammenkünften waren wir über 200. Bibelstudien hatten wir ungefähr 240.

Im November 1993, als der Krieg am schlimmsten wütete, wurde unser Töchterchen Arijana geboren. Es war nicht gerade die ideale Zeit, ein Kind zur Welt zu bringen. Zeitweise hatten wir wochenlang kein fließendes Wasser und keinen Strom. Wir fingen schon an, Möbel zu verheizen. Der Weg zu den Zusammenkünften führte durch gefährliches Gebiet. Heckenschützen feuerten wild drauflos. Oft mussten wir rennen, um lebend über die Straße zu kommen oder Straßensperren zu passieren.

An einem ruhigen Tag waren Amra und ich mit unserem Baby und Bruder Dražen Radišić gerade auf dem Heimweg von einer Zusammenkunft, als plötzlich Maschinengewehre losfeuerten. Obwohl wir uns auf die Straße legten, traf mich eine Kugel in den Magen. Es tat furchtbar weh. Viele Leute hatten von ihrem Fenster aus alles beobachtet. Ein paar mutige junge Männer liefen aus den Häusern und brachten uns in Sicherheit. Ich wurde schleunigst in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort wollte man mir unbedingt eine Bluttransfusion geben. Ich sagte dem Arzt, mein Gewissen lasse das nicht zu. Man bedrängte mich, aber ich blieb fest. Die Operation dauerte zweieinhalb Stunden. Ich überstand sie ohne Bluttransfusion.

Danach brauchte ich dringend Ruhe, was im Krieg jedoch ein Ding der Unmöglichkeit war. Also beschlossen wir, unsere Familie in Österreich zu besuchen. Der einzige Weg, der aus Sarajevo hinausführte, war ein Tunnel unter dem Flughafen. Er war fast einen Kilometer lang und etwa 1,2 Meter hoch. Amra hatte unser Baby auf dem Arm, und ich versuchte das Gepäck zu tragen. Da ich aber noch sehr geschwächt war, musste sie mir dabei helfen.

Der Besuch in Österreich war eine einzige Freude. Doch bei unserer Abreise aus Sarajevo hatten wir unseren Brüdern und unserem Schöpfer versprochen zurückzukehren, wenn wir uns etwas erholt hätten. Der Abschied von unseren Verwandten fiel uns schwer, besonders von meiner Mutter. Wir erzählten ihnen von dem Versprechen, das wir Gott gegeben hatten. Wie könnten wir jetzt zu ihm sagen: „Vielen Dank, dass du uns hierher gebracht hast! Wir fühlen uns wohl und würden gern bleiben“? Außerdem brauchten uns die Brüder in Sarajevo. Amra stand bei alldem voll hinter mir.

Im Dezember 1994 durchquerten wir den Tunnel also noch einmal, nur in umgekehrter Richtung. Die Leute, die uns begegneten, sagten zu uns: „Was macht ihr denn hier? Alle wollen raus, und ihr geht in eine belagerte Stadt!“ Ich kann gar nicht beschreiben, wie groß die Freude war, als wir unsere Brüder im Königreichssaal wiedersahen. Wir haben es nie bereut, dass wir zurückgekehrt sind.

[Kasten auf Seite 210]

Die kroatischen Inseln

Die Küste Kroatiens ist über 1 700 Kilometer lang. In ihrer Nähe liegen mehr als 1 000 Inseln, von denen ungefähr 50 bewohnt sind. Sie sind zwischen gut einem und 400 Quadratkilometer groß.

Die Inselbewohner betreiben vor allem Fischerei, bauen Oliven und Wein an und pflegen ihre Gärten. Der Kornati-Nationalpark ist Teil einer Inselgruppe, die aus etwa 140 Inseln und Felsriffen besteht. Er ist ein Paradies für Taucher. Unter den Bewohnern von Krapanj und Zlarin gibt es viele Korallen- und Schwammtaucher. Die Insel Hvar liefert Lavendel, Honig und Rosmarinöl. Auf der kargen Insel Pag wird ein Feinschmeckerkäse hergestellt. Die Milch dafür liefern robuste Schafe, die sich von Kräutern und salzigem Gras ernähren.

Jehovas Zeugen unternehmen besondere Anstrengungen, um möglichst allen Inselbewohnern die gute Botschaft zu bringen. Zu den einzelnen Inseln kommt man teils mit der Fähre, teils einfach über eine Brücke. Die Brüder organisieren gern Aktionen, bei denen Gruppen von Verkündigern mehrere Tage auf einer Insel predigen. Es ist allerdings gar nicht so leicht, sich mit den Inselbewohnern zu unterhalten. Sie haben einen eigenen Dialekt, der für Leute vom Festland schwer zu verstehen ist.

Erfreulicherweise findet die gute Botschaft auf den Inseln Resonanz. Auf Korčula gibt es eine Versammlung mit 52 Verkündigern. Brüder, die dort einen Vortrag halten möchten, müssen einiges auf sich nehmen. Doch durch ihren Einsatz kann sich diese abgelegene Versammlung mit der weltweiten Bruderschaft eng verbunden fühlen (1. Pet. 5:9).

[Kasten/Bild auf Seite 224]

Ich meldete mich 11 Tage früher

PAVLINA BOGOEVSKA

GEBURTSJAHR: 1938

TAUFE: 1972

KURZPORTRÄT: Sie fing 1975 mit dem Pionierdienst an. 1977 wurde sie die erste Sonderpionierin in Mazedonien. Bis jetzt konnte sie 80 Personen helfen, die Wahrheit kennenzulernen.

BEIM Predigen kam es nicht selten vor, dass jemand die Polizei rief. Ich musste dann mit auf die Wache und wurde manchmal stundenlang verhört. Oft bekam ich eine Geldstrafe. Vor Gericht beschuldigte man mich, eine Staatsfeindin zu sein und westliche Propaganda zu verbreiten. Einmal musste ich 20 Tage ins Gefängnis, ein andermal 30 Tage.

Die 20-tägige Haftstrafe sollte ich ausgerechnet antreten, als unser Bezirkskongress anfing. Ich bat um Aufschub, aber das wurde abgelehnt. Daraufhin meldete ich mich einfach 11 Tage früher im Gefängnis. Die Beamten staunten nicht schlecht. Es war ihnen unbegreiflich, dass es jemand so eilig haben konnte, ins Gefängnis zu kommen. Ich nahm die Gelegenheit wahr, über meinen Glauben zu sprechen, und sie versprachen mir, ihr Möglichstes für mich zu tun. Nach 11 Tagen kam ein Polizist zum Gefängnis, um nachzusehen, ob ich schon erschienen war. Man kann sich sein verdutztes Gesicht vorstellen, als er erfuhr, dass ich schon 11 Tage abgesessen hatte. Den Kongress konnte ich jedenfalls besuchen.

[Kasten/Bild auf Seite 232]

Sie hätten ihr letztes Hemd hergegeben

ŠANDOR PALFI

GEBURTSJAHR: 1933

TAUFE: 1964

KURZPORTRÄT: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg lernten seine Eltern die Wahrheit in einem Gefangenenlager der Partisanen kennen. Er war eine Zeit lang im Wochenend-Reisedienst und gehört zum serbischen Landeskomitee.

MEINE Familie ist ungarischer Abstammung. Daher kamen wir für kurze Zeit in ein Gefangenenlager der Partisanen. Das hatte aber auch sein Gutes, denn meine Eltern lernten dort die Wahrheit kennen. Ich selber hatte als Jugendlicher nicht viel dafür übrig. Der Wendepunkt in meinem Leben kam, als Franz Brand für ein paar Jahre zu uns zog. Er bat mich, eine ungarische Publikation ins Serbische zu übersetzen. Das machte ich gern, da ich ihm einen Gefallen tun wollte. Wie ich später herausfand, wäre das aber gar nicht nötig gewesen. Bruder Brand wollte nur sicherstellen, dass ich sie auch lese. Seine Taktik funktionierte. 1964 ließ ich mich taufen.

Mit die schönste Zeit in meinem Leben war der Reisedienst. Weil die Brüder in sehr einfachen Verhältnissen lebten, war es aber alles andere als leicht. Oft schlief ich mit der ganzen Familie in einem Zimmer. Doch all die Opfer haben sich gelohnt. Zu erleben, wie sehr sich die Brüder auf den Besuch freuten, machte mich glücklich. Sie hätten für mich ihr letztes Hemd hergegeben. Da muss man doch einfach dankbar sein!

[Kasten/Bild auf Seite 236, 237]

Wo finde ich diese Leute?

AGRON BASHOTA

GEBURTSJAHR: 1973

TAUFE: 2002

KURZPORTRÄT: Er war Soldat in der „Befreiungsarmee für Kosovo“ (UÇK). Heute ist er Pionier und Dienstamtgehilfe.

ALS ich die Grausamkeiten des Krieges mit ansehen musste — sogar kleine Kinder wurden umgebracht —, verlor ich immer mehr den Glauben an Gott. „Wenn es ihn gibt, warum tut er dann nichts dagegen?“, dachte ich. Und als ich bei uns Muslimen beobachtete, wie die religiösen Führer den Krieg gegen die Serben unterstützten, verlor ich erst recht alle Illusionen. Am Ende des Krieges war ich Atheist und kämpfte in der UÇK. Ich war zwar nur kurze Zeit dabei, verschaffte mir aber großen Respekt und genoss viele Privilegien. Das machte mich aggressiv und stolz, denn ich gewöhnte mich daran, dass meine Befehle immer sofort ausgeführt wurden.

Leider behandelte ich auch meine Frau so. Ich erwartete, dass sie auf der Stelle tat, was ich sagte. Merita war während des Krieges mit Jehovas Zeugen in Kontakt gekommen und hatte ein paar Hefte von ihnen. Einmal vor dem Zubettgehen sagte sie zu mir: „Lies das doch mal. Da steht etwas über Gott drin.“ Es machte mich wütend, dass sie dachte, sie könnte mir etwas von Gott erzählen. Um mich nicht noch mehr zu verärgern, verschwand sie ins Schlafzimmer.

Als ich so ganz alleine vor diesen Heften saß, weckte die Broschüre Was erwartet Gott von uns? meine Neugierde. Danach las ich auch noch das Heftchen Die Zeit, sich Gott wirklich zu unterwerfen. Als Muslim war ich überrascht, darin Zitate aus dem Koran zu finden. Anschließend blätterte ich ein paar Wachtturm- und Erwachet!-Ausgaben durch. Dann lief ich ins Schlafzimmer und weckte meine Frau. „Wo hast du das her?“, wollte ich wissen. „Wo finde ich diese Leute?“

Was ich gelesen hatte, berührte mich tief. Doch meine Frau traute dem Frieden nicht und hatte Angst, ich würde etwas Unüberlegtes tun. Trotzdem riefen wir noch in derselben Nacht eine Zeugin Jehovas an und erkundigten uns, wann und wo die Zusammenkünfte stattfanden. Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg. Ich war sehr beeindruckt, wie lieb uns die Brüder aufnahmen. Nie hätte ich gedacht, dass es solche Menschen gab. Man merkte sofort, wie anders sie waren. Während der Zusammenkunft brannte mir eine Frage auf den Nägeln. Ich meldete mich sogar. Die Ältesten wussten natürlich nicht, was mich so brennend interessierte, und wurden schon leicht nervös. Ihnen muss ein Stein vom Herzen gefallen sein, als ich einfach nur fragte, was ich tun müsste, um ein Zeuge Jehovas zu werden.

Noch am gleichen Tag fing ich ein Bibelstudium an. Ich nahm mir vor, mich von Grund auf zu ändern. Aber das war gar nicht so leicht. Ich musste mit dem Rauchen aufhören und den Kontakt zu meinen alten Freunden abbrechen. Doch weil ich viel betete und die Zusammenkünfte besuchte, konnte ich mein früheres Leben aufgeben und die neue Persönlichkeit anziehen. Durch die Wahrheit ist unser Familienleben wie umgewandelt. Meine Frau und ich sind inzwischen Pioniere und 2006 wurde ich zum Dienstamtgehilfen ernannt. Heute kann ich anderen erklären, warum es so viel Leid gibt und wie Jehova bald alle Probleme lösen wird.

[Kasten/Bild auf Seite 249, 250]

Jehova muss ihnen die Augen verschlossen haben

JANEZ NOVAK

GEBURTSJAHR: 1964

TAUFE: 1983

KURZPORTRÄT: Er brachte wegen seines Glaubens drei Jahre im Gefängnis zu. Heute gehört er zum slowenischen Zweigkomitee.

IM Dezember 1984 wurde ich wiederholt einberufen. Schließlich steckte man mir den Einberufungsbescheid an die Tür und drohte mir, mich von der Militärpolizei abholen zu lassen. Da beschloss ich, mich in der Kaserne zu melden, um meinen Standpunkt zu erklären. Das nützte allerdings nichts. Man wollte mit allen Mitteln einen Soldaten aus mir machen. Ich wurde kahl rasiert. Man nahm mir die Zivilkleidung weg und hielt mir eine Uniform hin. Als ich mich weigerte, sie zu nehmen, zog man sie mir mit Gewalt an. Dann bekam ich einen Stift in die Hand gedrückt und sollte unterschreiben, Soldat zu werden. Ich lehnte ab.

Ich weigerte mich auch, morgens an den Übungen und am Fahnengruß teilzunehmen. Als mich vier Soldaten auf den Kasernenhof führten und mir befahlen mitzumachen, hob ich nicht einmal die Hände. Daraufhin zerrten sie an meinen Armen, bis ihnen klar wurde, wie lächerlich das eigentlich war. Dann richteten sie ein Gewehr auf mich und drohten mir, mich zu erschießen. Manchmal versuchten sie auch, mich mit Kaffee und Kuchen zu bestechen.

Meine Entschlossenheit trieb manchen Tränen der Verzweiflung in die Augen. Andere wurden wütend, als ich mich weigerte, auf ein Bild von General Tito zu spucken, das sie mir vors Gesicht hielten. Ein paar Tage später sollte ich eine Waffe tragen, was ich ebenfalls ablehnte. Das galt als Gehorsamsverweigerung und ich wurde für einen Monat in der Kaserne unter Arrest gestellt. Danach wartete ich einige Wochen lang in einer Gefängniszelle in Zagreb auf die Urteilsverkündung. In der Zelle brannte die ganze Nacht eine rote Lampe. Nur wenn der Verantwortliche bei guter Laune war, durfte ich zur Toilette gehen.

Ich wurde zu drei Jahren Haft auf der Adriainsel Goli verurteilt. Dorthin kamen nur Schwerverbrecher. Man lieferte mich mit Ketten an den Händen ein, weil ich mich geweigert hatte zu kämpfen. Das Gefängnis war für die Brutalität seiner Häftlinge bekannt. Ich traf dort vier Glaubensbrüder, die ebenfalls wegen ihrer neutralen Haltung in Haft saßen.

Wir durften keine Bibel und auch sonst nichts zu lesen mitbringen. Eine Bibel war jedoch vorhanden. Meine Familie schickte mir in einem Karton mit doppeltem Boden den Wachtturm. Die Wachen haben unsere Literatur nie entdeckt und auch nicht gemerkt, dass wir Zusammenkünfte abhielten. Wenn sie hereinkamen, lag manchmal direkt vor ihrer Nase etwas zu lesen. Doch Jehova muss ihnen die Augen verschlossen haben.

Ein Jahr später wurde ich nach Slowenien verlegt, um meine Haftstrafe dort zu Ende abzusitzen. Noch im Gefängnis heiratete ich. Nach meiner Entlassung fingen Rahela und ich gleich mit dem Pionierdienst an. Seit 1993 sind wir im slowenischen Bethel.

[Übersicht auf Seite 244, 245]

Das ehemalige Jugoslawien — WICHTIGE ETAPPEN

1920er-Jahre: In Maribor (Slowenien) trifft sich eine kleine Gruppe zum Bibelstudium.

1930er-Jahre: Deutschsprachige Pioniere werden nach Jugoslawien geschickt.

1935: In Belgrad (Serbien) wird ein Zweigbüro eröffnet.

1940

1941: Mit dem Einmarsch deutscher Truppen setzt heftige Verfolgung ein.

1950

1953: Jehovas Zeugen werden amtlich registriert, können aber nicht ohne Weiteres von Haus zu Haus predigen.

1960

1969: Im Nürnberger Stadion findet ein internationaler Kongress statt.

1970

1990

1991: Internationaler Kongress in Zagreb (Kroatien). Erste Gileadmissionare treffen ein. In Slowenien wird ein Büro eröffnet, das dem österreichischen Zweigbüro untersteht. Krieg bricht aus.

1993: Jehovas Zeugen werden in Mazedonien rechtlich eingetragen.

1994: In Slowenien wird der Krankenhausinformationsdienst eingerichtet.

2000

2003: Jehovas Zeugen werden in Kroatien als Religionsgemeinschaft anerkannt. In Mazedonien ist die Bethelerweiterung abgeschlossen.

2004: Die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften erscheint in Slowenisch.

2006: In Slowenien wird ein neues Zweigbüro eröffnet. Die Neue-Welt-Übersetzung erscheint in Kroatisch, Serbisch und Mazedonisch. In Belgrad (Serbien) wird eine chinesischsprachige Gruppe gegründet.

2007: Der Sondervortrag wird in Mazedonien auch in Romani gehalten. Die erste Veröffentlichung in Romani kommt heraus.

2010

[Übersicht]

(Siehe gedruckte Ausgabe)

Verkündiger

Pioniere

14 000

10 500

7 000

3 500

1940 1950 1960 1970 1990 2000 2010

[Karten auf Seite 147]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

TSCHECHISCHE REPUBLIK

ÖSTERREICH

WIEN

SLOWAKEI

BRATISLAVA

UNGARN

BUDAPEST

RUMÄNIEN

BULGARIEN

GRIECHENLAND

ALBANIEN

TIRANA

IONISCHES MEER

ITALIEN

ADRIATISCHES MEER

EHEM. JUGOSLAWIEN

SLOWENIEN

LJUBLJANA

Maribor

Kamnik

KROATIEN

ZAGREB

SLAWONIEN

Osijek

Vukovar

Vinkovci

Privlaka

Jasenovac

Šibenik

Split

DALMATIEN

Goli

Pag

Kornat

Zlarin

Krapanj

Hvar

Korčula

BOSNIEN UND HERZEGOWINA

SARAJEVO

Bihać

Banja Luka

Tuzla

Travnik

Zenica

Vareš

Mostar

SERBIEN

BELGRAD

WOJWODINA

Bor

MONTENEGRO

PODGORICA

Nikšić

Herceg-Novi

Tara

Skutarisee

KOSOVO

Peć

Priština

MAZEDONIEN

SKOPJE

Tetovo

Kočani

Štip

Kičevo

Strumica

Resen

Anmerkung: Wie die Vereinten Nationen berichten, hat der Kosovo im Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Um die Angelegenheit zu klären, hat die UN-Vollversammlung den Internationalen Gerichtshof angerufen.

[Ganzseitiges Bild auf Seite 142]

[Bild auf Seite 145]

Franz Brand

[Bilder auf Seite 146]

Rudolf Kalle und eine seiner Schreibmaschinen

[Bild auf Seite 149]

Mit einem gemieteten Lkw auf Predigttour in Slowenien

[Bild auf Seite 154]

Die ersten Pioniere hatten es nicht leicht

[Bild auf Seite 157]

Alfred und Frida Tuček mit ihren Fahrrädern

[Bild auf Seite 158]

Rudolf Kalle vor dem Bethel in Belgrad

[Bilder auf Seite 168]

Franc Drozg und sein Abschiedsbrief

[Bild auf Seite 180]

Rechts: Dieser Königreichssaal in Ljubljana (Slowenien) war früher ein Stall

[Bild auf Seite 180]

Unten: Einer der ersten Königreichssäle in Zagreb (Kroatien)

[Bild auf Seite 182]

Stojan Bogatinov

[Bilder auf Seite 184, 185]

Hintergrund: Internationaler Kongress „Friede auf Erden“ in Nürnberg (1969); links: Sonderzug aus Jugoslawien; rechts: Nathan Knorr

[Bild auf Seite 188]

Ðuro Landić

[Bilder auf Seite 192]

Taufe auf dem internationalen Kongress „Freunde der göttlichen Freiheit“ in Zagreb und Milton Henschel bei einem Vortrag (1991)

[Bild auf Seite 197]

Ljiljana und ihre Töchter

[Bilder auf Seite 199]

Hilfslieferungen aus Österreich

[Bild auf Seite 200]

Die Familie Ðorem (1991)

[Bild auf Seite 204]

Taufe in einem Fischbottich (Zenica, 1994)

[Bilder auf Seite 209]

In Zagreb gelagerte Hilfsgüter

[Bild auf Seite 215]

Elke und Heinz Polach

[Bilder auf Seite 216]

Das kroatische Zweigkomitee und das Bethel

[Bild auf Seite 228]

Hilfsgüter werden in Bosnien ausgeladen

[Bilder auf Seite 233]

Das serbische Landeskomitee und das Bethel in Belgrad

[Bild auf Seite 235]

Saliu Abazi

[Bilder auf Seite 243]

Beim Predigen in Podgorica; Königreichssaal in Podgorica

[Bild auf Seite 247]

Das alte Städtchen Piran

[Bild auf Seite 251]

Ehemaliges Bethel in Ljubljana (2002)

[Bild auf Seite 253]

Bethel in Kamnik (2006)

[Bild auf Seite 254]

Slowenisches Zweigkomitee

    Deutsche Publikationen (1950-2025)
    Abmelden
    Anmelden
    • Deutsch
    • Teilen
    • Einstellungen
    • Copyright © 2025 Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania
    • Nutzungsbedingungen
    • Datenschutzerklärung
    • Datenschutzeinstellungen
    • JW.ORG
    • Anmelden
    Teilen