Wachtturm ONLINE-BIBLIOTHEK
Wachtturm
ONLINE-BIBLIOTHEK
Deutsch
  • BIBEL
  • PUBLIKATIONEN
  • ZUSAMMENKÜNFTE
  • Eine Stimme inmitten des Schweigens
    Erwachet! 1995 | 22. August
    • Eine Stimme inmitten des Schweigens

      VOR fünfzig Jahren wurde ein Ungeheuer getötet. Als die Weltöffentlichkeit endlich den Vorhang beiseite schob und einen Blick auf das besiegte Dritte Reich warf, bot sich ihr ein greulicher Anblick, zu greulich, um das Geschehene begreifen zu können. Soldaten wie auch Zivilisten konnten nur in stillem Entsetzen auf die grausigen Überreste einer gewaltigen Tötungsmaschinerie schauen.

      In diesem Jahr haben Tausende von Menschen den 50. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager feierlich begangen; schweigend sind sie über die trostlosen Lagergelände gezogen. Nur schwer haben sie die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen begreifen können. Schließlich wurden allein in dem Vernichtungslager Auschwitz ungefähr 1 500 000 Menschen umgebracht! Es war eine Zeit der Besinnlichkeit, eine Zeit, darüber nachzudenken, wie unmenschlich Menschen einander behandeln können. Die düsteren Krematorien und die leeren Baracken hallten von quälenden Fragen, und die Berge von Schuhen, die man damals den Häftlingen abgenommen hatte, schrien nach Antworten.

      Heute herrscht Entrüstung und Entsetzen. Der Holocaust, in dem mehrere Millionen Menschen systematisch ermordet wurden, enthüllt, was für ein gräßliches Übel der Nationalsozialismus war. Wie sah es aber damals aus? Wer erhob seine Stimme? Und wer schwieg?

      Viele erfuhren erst am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Massenvernichtungen. In dem Buch Fifty Years Ago—Revolt Amid the Darkness wird erklärt: „Die einzelnen Fotos und die Filme der Wochenschau, die über die 1944 und 1945 von den Alliierten befreiten Tötungszentren und Lager berichteten, machten die breite Öffentlichkeit als erstes mit der brutalen Realität bekannt, vor allem im Westen.“

      Doch sogar bevor die Todeslager errichtet wurden, verkündete eine Stimme die mit dem Nationalsozialismus verbundenen Gefahren, und zwar mit Hilfe der englischen Ausgabe des Vorläufers der Zeitschrift Erwachet! Zuerst war diese Zeitschrift unter dem Namen Das Goldene Zeitalter bekannt, 1937 wurde sie dann in Trost umbenannt. Vom Jahr 1929 an warnte die Zeitschrift, die von Jehovas Zeugen herausgegeben wurde, nachdrücklich vor den Gefahren des Nationalsozialismus, was in Übereinstimmung mit der auf der Titelseite gedruckten Erklärung war, die lautete: „Eine Zeitschrift gegründet auf Tatsache, Hoffnung und Überzeugung“.

      „Wie ist es möglich, Stillschweigen zu bewahren über Greueltaten in einem Land wie Deutschland, wo auf einen Schlag 40 000 unschuldige Menschen verhaftet und in einer einzigen Nacht 70 von ihnen in einem Gefängnis hingerichtet werden, ... wo jedes Heim, jede Einrichtung und jedes Krankenhaus für die Alten, die Armen und die Hilflosen sowie jedes Waisenhaus zerstört wird?“ wurde 1939 in Trost (engl.) gefragt.

      Wie konnte es bloß angehen, daß darüber Stillschweigen bewahrt wurde? Im Gegensatz zu der Weltöffentlichkeit, die von den entsetzlichen Berichten, die aus Deutschland und aus den besetzten Ländern durchsickerten, im allgemeinen nichts wußte oder sie anzweifelte, konnten Jehovas Zeugen nicht schweigen. Sie kannten die vom NS-Regime verübten Grausamkeiten aus erster Hand, und sie fürchteten sich nicht, ihre Stimme zu erheben.

      [Bildnachweis auf Seite 3]

      Foto: U.S. National Archives

  • Warum sie mutig die Stimme erhoben
    Erwachet! 1995 | 22. August
    • Warum sie mutig die Stimme erhoben

      RÜCKBLICKEND läßt sich sagen, daß der Zusammenstoß zwischen Jehovas Zeugen und dem Nationalsozialismus absolut unausweichlich war. Wieso? Weil sich die harten Forderungen, die der Nationalsozialismus stellte, mit drei biblisch begründeten Grundlehren der Zeugen Jehovas nicht vereinbaren ließen. Diese waren: 1. Jehova Gott ist der höchste Souverän. 2. Wahre Christen verhalten sich in politischen Angelegenheiten neutral. 3. Wer Gott bis in den Tod treu bleibt, wird von ihm auferweckt.

      Diese drei biblisch begründeten Glaubensansichten veranlaßten Jehovas Zeugen, gegen die unchristlichen Forderungen des NS-Staates unerschütterlich Stellung zu beziehen. Sie erhoben daher mutig ihre Stimme und stellten den Nationalsozialismus als das Übel bloß, das er war.

      Jehovas Zeugen erhoben nicht den Arm zum Hitlergruß. Sie weigerten sich deshalb, weil sie ihre Rettung Gott zuschrieben und sich ihm allein hingegeben hatten. Die Bibel sagt über Jehova folgendes: ‘Du allein bist der Höchste über die ganze Erde’ (Psalm 83:18).

      Im Grunde wurde durch die Worte „Heil Hitler!“ zu verstehen gegeben, daß Hitler für Rettung sorgen könne. Jehovas Zeugen konnten nicht Gott die Treue halten und gleichzeitig einem Menschen Heil oder Rettung zuschreiben. Ihr Leben gehörte Gott, und ihm bewahrten sie Treue und Loyalität.

      Auf Grund von eindeutigen Beispielen wußten Jehovas Zeugen, daß sie die unzulässigen Forderungen Hitlers nicht erfüllen konnten. Als zum Beispiel im ersten Jahrhundert den Aposteln Jesu geboten wurde, mit dem Verkündigen der guten Botschaft über den Christus aufzuhören, weigerten sie sich, dem nachzukommen. Sie sagten: „Wir müssen Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen als den Menschen.“ Wie die Bibel berichtet, wurden sie für ihre entschlossene Haltung auf Anordnung von Vertretern der Obrigkeit ausgepeitscht, und man befahl ihnen, „nicht mehr aufgrund des Namens Jesu zu reden“. Die Apostel aber weigerten sich, diesem gegen Gott gerichteten Befehl zu gehorchen. Sie ‘fuhren ununterbrochen fort, zu lehren und die gute Botschaft zu verkündigen’ (Apostelgeschichte 5:29, 40-42).

      Viele der ersten Christen verloren ihr Leben, weil sie Gott mehr gehorchten als Menschen. Unzählige kamen in den römischen Arenen um, weil sie nicht bereit waren, Cäsar das Heil zuzuschreiben und ihm einen Akt der Anbetung darzubringen. Für sie war es eine Ehre und ein Sieg, Gott treu zu bleiben, auch wenn das bedeutete zu sterben, vergleichbar mit einem tapferen Soldaten, der bereit war, für sein Vaterland zu sterben.

      Da Jehovas Zeugen nur für eine einzige Regierung eintreten — Gottes Königreich —, halten einige sie für staatsgefährdend. Damit tun sie ihnen jedoch großes Unrecht. In Nachahmung der Apostel Jesu sind Jehovas Zeugen „kein Teil der Welt“ (Johannes 17:16). Sie verhalten sich in politischen Angelegenheiten neutral. Sie beachten die Gesetze menschlicher Regierungen, weil sie Gott gegenüber loyal sein möchten. Sie sind wirklich beispielhaft, was die Unterordnung unter die „obrigkeitlichen Gewalten“ angeht (Römer 13:1). Noch nie haben sie eine Rebellion gegen irgendeine menschliche Regierung befürwortet.

      Es gibt jedoch eine Linie, die unter keinen Umständen überschritten werden kann. Diese Linie zieht eine Grenze zwischen der Schuldigkeit der Zeugen gegenüber Menschen und ihrer Schuldigkeit gegenüber Gott. Sie geben dem Cäsar (das heißt den Regierungen), was ihm gebührt, doch Gott, was Gott gebührt (Matthäus 22:21). Verlangt irgend jemand von ihnen das, was Gott gebührt, wird er keinen Erfolg haben.

      Was aber, wenn einem Zeugen Jehovas mit dem Tod gedroht wird? Nun, Jehovas Zeugen haben unerschütterliches Vertrauen in die Fähigkeit Gottes, sie wieder zum Leben zu erwecken (Apostelgeschichte 24:15). Somit sind sie wie drei junge Hebräer eingestellt, die im alten Babylon lebten. Als ihnen mit dem Tod in einem brennenden Feuerofen gedroht wurde, sagten sie zu König Nebukadnezar: „Wenn es sein soll, so kann uns unser Gott, dem wir dienen, befreien. ... dir, o König, [werde] kund, daß wir deinen Göttern nicht dienen, und das Bild aus Gold, das du aufgerichtet hast, werden wir nicht anbeten“ (Daniel 3:17, 18).

      Als sich daher Hitler als selbsternannter Gott über alle anderen erhob, war, wie bereits erwähnt, eine ideologische Auseinandersetzung unausweichlich. Das Dritte Reich stand mit gezücktem Schwert einer kleinen Schar Zeugen Jehovas gegenüber, die dem wahren und allmächtigen Gott, Jehova, Loyalität geschworen hatten. Der Ausgang stand jedoch schon vor Beginn der Auseinandersetzung fest.

      [Kasten auf Seite 5]

      Treu bis in den Tod

      WOLFGANG KUSSEROW wurde hingerichtet, weil er Gott die Treue bewahrte und sich weigerte, den Nationalsozialismus zu unterstützen. Kurz vor seiner Enthauptung am 28. März 1942 schrieb er an seine Eltern und Geschwister: „Nun werde ich als Euer dritter Sohn und Bruder morgen früh von Euch gehen müssen. So seid nicht traurig, es wird einmal die Zeit kommen, wo wir wieder alle zusammensein werden.  ... Wie groß wird die Freude sein, wenn wir uns alle wiedersehen.  ... So sind wir nun alle auseinandergerissen, jeder steht seinen Mann, ja das wird uns alles belohnt werden.“

      Kurz vor seiner Hinrichtung am 8. Januar 1941 schrieb Johannes Harms in einem Abschiedsbrief an seinen Vater: „Schon jetzt ist das Todesurteil gegen mich ausgesprochen, ich liege Tag und Nacht in Fesseln — die Druckstellen [auf dem Papier] stammen von den Handschellen ... Mein lieber Vater, im Geiste rufe ich dir zu, bleibe auch Du treu, wie ich mich bemühe, treu zu sein, dann werden wir uns wiedersehen. Ich werde auch Deiner bis zuletzt gedenken.“

  • Die Verbrechen der Nationalsozialisten aufgedeckt
    Erwachet! 1995 | 22. August
    • Die Verbrechen der Nationalsozialisten aufgedeckt

      IN DEN 20er Jahren, als Deutschland sich nur schwer von der Niederlage im Ersten Weltkrieg erholte, verbreiteten Jehovas Zeugen eifrig enorme Mengen biblischer Literatur. Dadurch wurde den Menschen in Deutschland nicht nur Trost und Hoffnung vermittelt, sondern ihnen wurde auch die wachsende Macht des Militarismus ins Bewußtsein gebracht. Zwischen 1919 und 1933 ließen die Zeugen durchschnittlich 8 Bücher, Broschüren oder Zeitschriften in jedem der schätzungsweise 15 000 000 deutschen Haushalte zurück.

      Die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter beziehungsweise Trost lenkte die Aufmerksamkeit ihrer Leser des öfteren auf die Militarisierung in Deutschland. 1929, mehr als drei Jahre bevor Hitler an die Macht kam, machte die deutsche Ausgabe des Goldenen Zeitalters folgende kühne Aussage: „Der Nationalsozialismus ist ... eine Bewegung, die ... direkt im Dienste des Feindes der Menschen, des Teufels, ... tätig ist.“

      Unmittelbar vor der Machtübernahme Hitlers hieß es im Goldenen Zeitalter vom 4. Januar 1933 (engl.): „Die Maschinerie der nationalsozialistischen Bewegung rückt bedrohlich näher. Es scheint unfaßbar, daß eine politische Partei, die so klein begann und eine so ungewöhnliche Politik betreibt, im Laufe von nur wenigen Jahren eine Größe angenommen hat, die das Gefüge einer nationalen Regierung in den Schatten stellt. Dennoch, Adolf Hitler und seine nationalsozialistische Partei haben diese seltene Leistung vollbracht.“

      Bitte um Verständnis

      Am 30. Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler, und einige Monate später, am 4. April 1933, beschlagnahmte man das Magdeburger Zweigbüro der Zeugen Jehovas. Am 28. April 1933 wurde die Verfügung aufgehoben und das Eigentum zurückgegeben. Was geschah als nächstes?

      Trotz der offenkundig feindseligen Haltung des Hitlerregimes veranstalteten Jehovas Zeugen am 25. Juni 1933 einen Kongreß in Berlin. Etwa 7 000 Personen waren anwesend. Die Zeugen taten ihre Absichten öffentlich kund. „Unsere Organisation ist keineswegs politisch; wir bestehen nur darauf, das Wort Jehova Gottes dem Volke zu lehren und dies ohne Behinderung tun zu können.“

      Demnach bemühten sich Jehovas Zeugen aufrichtig, ihren Fall darzulegen. Mit welchen Folgen?

      Der Angriff beginnt

      Die unverrückbar neutrale Haltung der Zeugen Jehovas sowie ihre Loyalität gegenüber Gottes Königreich war für die Reichsregierung unannehmbar. Die Nationalsozialisten beabsichtigten nicht, jemand zu tolerieren, der sich in irgendeiner Form weigerte, ihre Ideologie zu unterstützen.

      Am 28. Juni 1933, unmittelbar nach dem Kongreß in Berlin, ließ die Reichsregierung das Zweigbüro in Magdeburg erneut beschlagnahmen. Zusammenkünfte der Zeugen wurden aufgelöst und einige Zeugen verhaftet. Bald darauf wurden Zeugen Jehovas von ihrem Arbeitgeber entlassen. Ihre Häuser wurden durchsucht, sie wurden geschlagen und verhaftet. Bis Anfang 1934 waren 65 Tonnen biblische Literatur beschlagnahmt und außerhalb von Magdeburg verbrannt worden.

      Jehovas Zeugen bleiben standhaft

      Trotz dieser ersten Angriffe blieben Jehovas Zeugen standhaft und prangerten die Ungerechtigkeiten und die Unterdrückung öffentlich an. Im Wachtturm vom 1. Dezember 1933 erschien der Artikel „Fürchtet euch nicht“. Er war vor allem für die Zeugen in Deutschland gedacht; sie wurden ermahnt, angesichts des zunehmenden Druckes Mut zu fassen.

      Am 9. Februar 1934 schickte J. F. Rutherford, der Präsident der Watch Tower Society, ein Protestschreiben an Hitler, in dem es unter anderem hieß: „Sie können einem und jedem Menschen erfolgreich widerstehen, dem Allmächtigen aber können Sie nicht erfolgreich Widerstand leisten. ... im Namen Jehova Gottes und seines gesalbten Königs, Christus Jesus, verlange ich, dass Sie allen Behörden und Beamten Ihrer Regierung Befehl geben, dass Jehovas Zeugen ... sich in Deutschland friedlich versammeln und ungehindert Gott anbeten und seinen Geboten gehorchen dürfen.“

      Rutherford gab der Reichsregierung bis zum 24. März 1934 Zeit. Sollte den Zeugen in Deutschland bis dahin keine Erleichterung zuteil werden, dann würden die Tatsachen über die Verfolgung in ganz Deutschland und in der übrigen Welt bekanntgemacht, so schrieb er. Das NS-Regime reagierte auf Rutherfords Forderung mit verstärkten Mißhandlungen, und viele Zeugen Jehovas wurden in die gerade errichteten Konzentrationslager eingewiesen. Die Zeugen gehörten damit zu den ersten Häftlingen in diesen Lagern.

      Greueltaten des NS-Regimes aufgedeckt

      Wie Jehovas Zeugen es angekündigt hatten, begannen sie nun, die Greueltaten in Deutschland aufzudecken. Zeugen aus aller Welt sandten wiederholt Protestschreiben an die Hitlerregierung.

      Am 7. Oktober 1934 kamen alle Versammlungen der Zeugen Jehovas in Deutschland zusammen, und ein Brief wurde vorgelesen, der an die Beamten der Hitlerregierung geschickt werden sollte. Darin stand: „Es besteht ein direkter Widerspruch zwischen Ihrem Gesetz und Gottes Gesetz.  ... Daher teilen wir Ihnen mit, daß wir um jeden Preis Gottes Gebote befolgen, daß wir uns versammeln werden, um sein Wort zu erforschen, und daß wir ihn anbeten und ihm dienen werden, wie er geboten hat.“

      An demselben Tag versammelten sich in 49 anderen Ländern Zeugen Jehovas zu einer besonderen Zusammenkunft, um folgendes Telegramm an Hitler zu senden: „Ihre schlechte Behandlung der Zeugen Jehovas empört alle guten Menschen und entehrt Gottes Namen. Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten.“

      Daraufhin nahm die Verfolgung fast unverzüglich zu. Hitler selbst schrie einmal: „Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!“ Aber je stärker der Widerstand wurde, desto entschlossener wurden die Zeugen.

      Im Jahr 1935 enthüllte die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter (engl.) die inquisitionsähnlichen Foltermethoden des NS-Regimes und sein System von Spitzeln. Außerdem wurde offen dargelegt, daß mit Hilfe der Hitler-Jugend die deutsche Jugend vom Glauben an Gott „gesäubert“ werden sollte. Im darauffolgenden Jahr führte eine landesweite Kampagne der Gestapo zur Verhaftung von Tausenden von Zeugen Jehovas. Kurze Zeit später, am 12. Dezember 1936, führten die Zeugen ihre eigene Kampagne — bis in alle Ecken und Winkel Deutschlands wurden Zehntausende von Exemplaren einer Resolution verteilt, in der gegen die Verfolgung protestiert wurde.

      Am 20. Juni 1937 verteilten die Zeugen, die sich noch in Freiheit befanden, eine weitere Botschaft, die schonungslos Einzelheiten über die Verfolgung enthüllte. Darin wurden Namen von Beamten, Zeitpunkte und Orte genannt. Die Gestapo war entsetzt über diese Bloßstellung und auch darüber, daß den Zeugen die Verbreitung geglückt war.

      Es geschah aus Nächstenliebe, daß die Zeugen die Deutschen davor warnten, sich nicht von der hochtrabenden Vision eines ruhmvollen tausendjährigen Deutschen Reiches täuschen zu lassen. „Wir müssen die Wahrheit kundtun und die Warnung geben“, hieß es in der Broschüre Schau den Tatsachen ins Auge!, die 1938 herausgegeben wurde. „Wir erkennen in der Totalitätsherrschaft ... das Machwerk Satans, das als Ersatz für Gottes Königreich hervorgebracht worden ist.“ Jehovas Zeugen gehörten zwar zu den ersten Opfern des NS-Staates, aber sie verurteilten auch entschieden die Grausamkeiten, die an Juden, Polen, Behinderten und anderen begangen wurden.

      In der Resolution „Warning!“ (Warnung!), die 1938 auf einem Kongreß der Zeugen Jehovas in Seattle (Washington, USA) angenommen wurde, hieß es: „Die Faschisten und die Nationalsozialisten, zwei radikale politische Organisationen, haben widerrechtlich die Herrschaft über viele Staaten in Europa an sich gerissen ... Alle Menschen werden in Reih und Glied gestellt, ein jeder wird all seiner Freiheiten beraubt und gezwungen, sich der Herrschaft eines Willkürdiktators zu beugen, und schließlich wird die Inquisition wieder vollends zum Leben erwachen.“

      J. F. Rutherford bediente sich immer wieder der Ätherwellen, um eindringliche Vorträge über die satanische Natur des Nationalsozialismus zu halten. Seine Reden wurden von Rundfunkstationen in der ganzen Welt gesendet; außerdem wurden davon Millionen Exemplare gedruckt und verbreitet. Am 2. Oktober 1938 hielt Rutherford den Vortrag „Faschismus oder Freiheit“, in dem er Hitler ganz eindeutig verurteilte.

      „Das allgemeine Volk in Deutschland liebt den Frieden“, verkündete Rutherford. „Der Teufel hat dort als seinen Vertreter einen unbarmherzigen, grausamen, fanatischen Menschen zur Macht erhoben ... Auf unmenschliche Art verfolgt er die Juden, weil sie einst Jehovas Bundesvolk waren und den Namen Jehovas trugen, und weil Christus Jesus ein Jude war.“

      Als das NS-Regime immer schlimmer gegen Jehovas Zeugen wütete, nahmen die Bloßstellungen von seiten der Zeugen sogar noch an Schärfe zu. In der englischen Ausgabe der Zeitschrift Trost vom 15. Mai 1940 hieß es: „Hitler ist durch und durch ein Kind des Teufels, so daß Reden und Entscheidungen aus ihm heraussprudeln wie Wasser aus einer hervorragend funktionierenden Abwasserleitung.“

      Die Grauen der Lager aufgedeckt

      Obwohl die Öffentlichkeit bis 1945 größtenteils keine Kenntnis von der Existenz der Konzentrationslager hatte, wurden bereits in den 30er Jahren in den Veröffentlichungen der Watch Tower Society Einzelheiten darüber berichtet. 1937 berichtete Trost (engl.) beispielsweise über Experimente mit Giftgas in Dachau. Bis 1940 waren in den Veröffentlichungen der Zeugen Jehovas 20 verschiedene Lager namentlich genannt worden, und es waren Berichte über die menschenunwürdigen Bedingungen erschienen.

      Woher wußten Jehovas Zeugen über die Konzentrationslager so gut Bescheid? Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, befanden sich bereits 6 000 Zeugen in den Lagern und in Gefängnissen. Der deutsche Historiker Detlef Garbe schätzt, daß die inhaftierten Zeugen zu jener Zeit zwischen 5 und 10 Prozent aller Häftlinge ausmachten.

      Bei einer Informationsveranstaltung über den Holocaust und Jehovas Zeugen sagte Garbe: „Von den etwa 25 000 Personen, die sich zu Beginn des Dritten Reiches als Zeugen Jehovas bekannten, wurden ungefähr 10 000 für eine unterschiedlich lange Dauer inhaftiert. Von diesen wurden über 2 000 in Konzentrationslager eingewiesen. Jehovas Zeugen wurden somit von allen religiösen Gruppen nach den Juden am härtesten von der SS verfolgt.“

      In einer im Juni 1940 erschienenen englischen Ausgabe von Trost war zu lesen: „Als Deutschland seinen Blitzkrieg startete, lebten in Polen 3 500 000 Juden ..., und sollten die Berichte, die die westliche Welt erreichen, richtig sein, so ist die Vernichtung der Juden voll im Gange.“ 1943 wurde in Trost (engl.) bemerkt: „Ganze Völker — Griechen, Polen und Serben — werden systematisch ausgelöscht.“ Bis zum Jahr 1946 waren in den englischen und den deutschen Ausgaben der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter beziehungsweise Trost die Namen von insgesamt 60 Gefängnissen und Konzentrationslagern genannt worden.

      Frustration bei der NS-Macht

      Der NS-Staat versuchte zwar, die Flut von Veröffentlichungen der Watch Tower Society einzudämmen, aber ein Beamter aus Berlin erklärte damals, es sei schwer, ausfindig zu machen, wo die Schriften der Bibelforscher immer noch heimlich gedruckt würden; keiner trage irgendwelche Namen oder Adressen bei sich und keiner verrate den anderen.

      Trotz verzweifelter Bemühungen gelang es der Gestapo zu keiner Zeit, mehr als die Hälfte aller Zeugen in Deutschland einzusperren. Man stelle sich vor, wie frustrierend das angesichts des gewaltigen Spitzelapparats des NS-Staates gewesen sein muß — die kleine Gruppe von Zeugen konnte weder gefaßt noch zum Schweigen gebracht werden, noch war man imstande, die emsige Verbreitung ihrer Veröffentlichungen zu stoppen. Die Schriften wurden verbreitet und überwanden selbst die Stacheldrahtzäune der Konzentrationslager.

      Sieg über die Barbarei

      Die NS-Schergen, die als Meister im Brechen des menschlichen Willens galten, versuchten verzweifelt, Jehovas Zeugen dazu zu bewegen, ihre christliche Neutralität aufzugeben, doch sie versagten kläglich. In dem Buch Der SS-Staat heißt es: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die SS psychologisch mit dem Problem der Bibelforscher nicht ganz fertig wurde.“

      Tatsächlich gewannen die Zeugen, gestützt durch Gottes Geist, den Kampf. Christine King, Historikerin und Kanzlerin der Staffordshire-Universität in England, beschrieb die beiden gegnerischen Parteien in dem Konflikt: „Auf der einen Seite ... [die Nationalsozialisten]: gewaltig, mächtig, scheinbar unbezwingbar. Auf der anderen Seite die verschwindend kleine Zahl [der Zeugen] ..., die außer ihrem Glauben keine andere Waffe besaßen ... Moralisch gesehen, brachen die Zeugen die Macht der Gestapo.“

      Jehovas Zeugen waren eine kleine, friedliche Insel im Herrschaftsgebiet der Nationalsozialisten. Dennoch führten sie auf ihre eigene Weise einen Kampf, den sie auch gewannen — einen Kampf für das Recht, ihren Gott anzubeten, einen Kampf für die Nächstenliebe und einen Kampf für das Bekanntmachen der Wahrheit.

      [Kasten auf Seite 9]

      Jehovas Zeugen deckten die Existenz der Lager auf

      DIE Namen Auschwitz, Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen waren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs allgemein unbekannt, doch nicht den Lesern der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter beziehungsweise Trost. Die Berichte von Zeugen Jehovas, die unter großen Gefahren aus den Lagern geschmuggelt wurden und dann in Wachtturm-Publikationen erschienen, legten die mörderischen Absichten des Dritten Reiches bloß.

      Im Jahr 1933 brachte Das Goldene Zeitalter (engl.) den ersten von vielen Berichten über die Existenz von Konzentrationslagern in Deutschland. 1938 veröffentlichten Jehovas Zeugen das Buch Kreuzzug gegen das Christentum in Deutsch, Französisch und Polnisch. Darin wurden die boshaften Angriffe der Nationalsozialisten gegen Jehovas Zeugen gründlich dokumentiert und die Konzentrationslager Sachsenhausen und Esterwegen schematisch dargestellt. (Siehe auch Das Goldene Zeitalter vom 1. Juni 1934, Seite 3—15.)

      Der Nobelpreisträger Dr. Thomas Mann schrieb: „Ich habe Ihr so schauerlich dokumentiertes Buch mit größter Ergriffenheit gelesen, und ich kann die Mischung von Verachtung und Abscheu nicht beschreiben, die mich beim Durchblättern dieser Dokumente menschlicher Niedrigkeit und erbärmlicher Grausamkeit erfüllte. ... durch Schweigen [wird] der Welt die moralische Apathie ... nur allzu bequem gemacht ... auf jeden Fall haben Sie Ihre Pflicht getan, indem Sie mit diesem Buch vor die Öffentlichkeit traten“ (Kursivschrift von uns).

      [Kasten auf Seite 10]

      Zeugen Jehovas unter den ersten in den Lagern

      MADAME Geneviève de Gaulle, Nichte des ehemaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle, gehörte der französischen Widerstandsbewegung an. Nachdem sie festgenommen und 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht worden war, lernte sie Zeuginnen Jehovas kennen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt Madame de Gaulle in weiten Teilen der Schweiz Vorträge und sprach oft von der Integrität und dem Mut der Zeugen Jehovas. In einem Interview am 20. Mai 1994 sagte sie von ihnen:

      „Sie gehörten zu den ersten, die als Gefangene in das Lager deportiert wurden. Viele waren bereits gestorben ... Wir erkannten sie an ihrem besonderen Abzeichen. ... Es war ihnen nicht nur strengstens verboten, über ihren Glauben zu sprechen, sondern auch irgendwelche religiösen Bücher zu besitzen, allem voran die Bibel, die als das aufrührerische Buch schlechthin galt. ... Ich weiß jedenfalls von einer Bibelforscherin [Zeugin Jehovas] — und wie ich hörte, war sie nicht die einzige —, die hingerichtet wurde, weil sie ein paar Seiten mit Bibelpassagen besaß. ...

      Ich bewunderte sie sehr, denn sie hätten ja von heute auf morgen freikommen können, wenn sie durch eine Unterschrift ihrem Glauben abgeschworen hätten. Im Grunde waren diese Frauen, die so schwach und ausgemergelt aussahen, stärker als die SS, die die Macht hatte und alle Mittel aufbieten konnte. Sie hatten Kraft, Willenskraft, und die konnte niemand beugen.“

      [Kasten auf Seite 11]

      Verhalten der Zeugen Jehovas in den Lagern

      AUS Nächstenliebe teilten die Zeugen Jehovas nicht nur ihre geistige Speise mit anderen Gefängnis- oder Lagerinsassen, sondern auch ihre kargen Essenrationen.

      Ein Jude, der das Konzentrationslager Buchenwald überlebte, erzählte: „Dort traf ich die Bibelforscher [Jehovas Zeugen]. Sie bezeugten ständig ihren Glauben. In der Tat, es konnte sie nichts aufhalten, über ihren Gott zu sprechen. Sie waren andern Gefangenen immer behilflich. Als am 10. November 1938 mit dem Pogrom Massen von Juden in das Lager eingeliefert wurden, gingen die ‚Jehovas Schweine‘, wie die Wächter sie nannten, mit einer Brotration zu den alten und ausgehungerten Juden und blieben dafür selbst etwa vier Tage ohne Nahrung.“

      Eine Jüdin, die im Lager Lichtenburg eingesperrt war, sagte von den Zeugen Jehovas: „Sie waren sehr mutig und ertrugen ihr Geschick mit Geduld. Obwohl den nichtjüdischen Häftlingen verboten war, mit uns zu sprechen, richteten sich jene Frauen nicht danach, sondern beteten für uns, als ob wir zu ihrer Familie gehörten, und ermahnten uns durchzuhalten.“

      [Kasten auf Seite 12]

      Bemühungen, den Holocaust zu leugnen, vorausgesagt

      DIE englische Ausgabe der Zeitschrift Trost vom 26. September 1945 wies darauf hin, daß man in Zukunft möglicherweise versuchen würde, die Geschichte umzuschreiben und das Geschehene zu leugnen. In dem Artikel „Ist der Nationalsozialismus ausgerottet?“ hieß es:

      „Propagandisten halten das Volk für vergeßlich. Sie verfolgen die Absicht, Vergangenes auszuradieren und sich in einem neuen Gewand, dem eines Wohltäters, zu präsentieren, um gegen sie sprechendes Beweismaterial unter den Teppich zu kehren.“

      In der erwähnten Ausgabe wurde in Vorausschau warnend gesagt: „Bis Jehova in der Schlacht von Harmagedon kämpft, wird der Nationalsozialismus immer wieder aufflammen.“

      [Diagramme auf Seite 11]

      (Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

      Diese Zeichnungen von Konzentrationslagern erschienen 1937 in den Veröffentlichungen von Jehovas Zeugen

      [Bild auf Seite 7]

      Die 150 Mitarbeiter im Magdeburger Zweigbüro der Zeugen Jehovas im Jahr 1931

      [Bilder auf Seite 8]

      Veröffentlichungen von Jehovas Zeugen, die die Zusammenarbeit der Kirche mit dem Nationalsozialismus aufdeckten

Deutsche Publikationen (1950-2025)
Abmelden
Anmelden
  • Deutsch
  • Teilen
  • Einstellungen
  • Copyright © 2025 Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania
  • Nutzungsbedingungen
  • Datenschutzerklärung
  • Datenschutzeinstellungen
  • JW.ORG
  • Anmelden
Teilen