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  • Über 40 Jahre unter kommunistischem Verbot
  • Erwachet! 1995
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  • Wie wir Zeugen wurden
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  • Wiederholte Verhöre
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Erwachet! 1995
g95 22. 4. S. 18-24

Über 40 Jahre unter kommunistischem Verbot

VON JARMILA HÁLOVÁ ERZÄHLT

Die Zeit: nach Mitternacht, 4. Februar 1952. Der Ort: unsere Wohnung in Prag (Tschechoslowakei). Wir wurden durch anhaltendes Klingeln an der Tür geweckt. Dann stürmten Polizisten herein.

DIE Polizisten brachten meine Mutter, meinen Vater, meinen Bruder Pavel und mich in verschiedene Zimmer, postierten bei jedem eine Aufsichtsperson und fingen an, alles zu durchsuchen. Fast 12 Stunden waren sie damit beschäftigt. Nachdem sie von der gesamten Literatur, die sie fanden, eine Liste erstellt hatten, packten sie sie in Kartons.

Danach wurde mir befohlen, in einen Wagen zu steigen, und man setzte mir eine dunkle Brille auf. Das erschien mir merkwürdig, aber mir gelang es, die Brille etwas zu verschieben, um zu sehen, wohin sie mich brachten. Die Straßen waren mir vertraut. Unser Ziel war das berüchtigte Hauptquartier der Staatssicherheit.

Sie stießen mich aus dem Auto. Als mir später die Brille abgenommen wurde, fand ich mich in einem kleinen, schmutzigen Raum wieder. Eine Frau in Uniform befahl mir, meine Sachen auszuziehen und eine dicke Arbeitshose und ein Herrenhemd anzuziehen. Man wickelte mir einen Lumpen um den Kopf, und ich wurde mit verbundenen Augen aus dem Raum geführt und marschierte scheinbar endlose Korridore entlang.

Schließlich blieb die Aufseherin stehen, schloß eine eiserne Tür auf und stieß mich hindurch. Der Lumpen wurde mir vom Kopf gerissen, und die Tür wurde hinter mir verschlossen. Ich befand mich in einer Gefängniszelle. Eine Frau in den Vierzigern, die genauso gekleidet war wie ich, starrte mich an. Ich fand das Ganze irgendwie komisch, und — so seltsam es klingen mag — ich mußte einfach lachen. Als junges Mädchen von 19 Jahren hatte ich keine Ahnung, wie es im Gefängnis zuging, und so blieb ich guter Dinge. Bald wurde mir zu meiner großen Freude klar, daß niemand anders aus unserer Familie verhaftet worden war.

In der damaligen Tschechoslowakei war es in jenen Jahren gefährlich, ein Zeuge Jehovas zu sein. Das Land stand unter kommunistischer Herrschaft, und Jehovas Zeugen waren verboten. Wie kam es dazu, daß sich unsere Familie so sehr für eine verbotene Organisation engagierte?

Wie wir Zeugen wurden

Mein Vater, ein gebürtiger Prager, kam aus einer protestantischen Familie und war von seiner Religion völlig überzeugt. In den 20er Jahren lernte er meine Mutter kennen, die nach Prag gekommen war, um Medizin zu studieren. Sie stammte aus Bessarabien, das in ihrer Kindheit zu Rußland gehörte. Nach der Hochzeit schloß sie sich, obwohl sie Jüdin war, der Kirche ihres Mannes an, was sie jedoch nicht zufriedenstellte.

Während des Zweiten Weltkriegs kam mein Vater in ein Arbeitslager, und meine Mutter entging mit knapper Not dem Holocaust. Es waren harte Jahre für uns, aber wir alle überlebten. Mitte 1947, zwei Jahre nach Kriegsende, abonnierte eine Schwester meines Vaters, die eine Zeugin Jehovas geworden war, für unsere Familie den Wachtturm. Meine Mutter war diejenige, die ihn las, und sie nahm die Botschaft der Wahrheit, nach der sie gesucht hatte, sofort an.

Anfänglich erzählte sie uns anderen kaum etwas, doch sie erfuhr, wo in Prag die Zusammenkünfte abgehalten wurden, und begann, sie zu besuchen. Nach wenigen Monaten, im Frühling 1948, ließ sie sich auf einem Kreiskongreß der Zeugen taufen. Dann lud sie uns ein, gemeinsam mit ihr die Zusammenkünfte zu besuchen. Widerstrebend stimmte mein Vater zu.

Die Zusammenkünfte, die wir jetzt als Familie besuchten, wurden in einem kleinen Saal im Zentrum Prags abgehalten. Mein Vater und ich gingen mit gemischten Gefühlen — teils neugierig, teils mißtrauisch. Wir wunderten uns, daß meine Mutter schon neue Freunde hatte, und sie stellte sie uns vor. Mich beeindruckte die Begeisterung und die Vernünftigkeit dieser Menschen, aber auch, wie sehr sie ihre Bruderschaft zu schätzen schienen.

Als meine Mutter unsere positive Reaktion sah, schlug sie vor, Zeugen in unsere Wohnung einzuladen, damit wir uns eingehender unterhalten konnten. Es war ein großer Schock für meinen Vater und für mich, als sie uns in unserer eigenen Bibel zeigten, daß es keine unsterbliche Seele und keine Dreieinigkeit gibt. Ja, wir waren überrascht zu erfahren, was es in Wirklichkeit bedeutet, um die Heiligung des Namens Gottes und das Kommen seines Königreiches zu beten.

Einige Wochen später lud mein Vater mehrere Geistliche seiner Kirche zu uns ein. Er sagte: „Brüder, ich möchte einige Punkte aus der Bibel mit euch besprechen.“ Dann legte er Schritt für Schritt Grundlehren der Kirche dar und zeigte, wieso sie der Bibel widersprachen. Die Geistlichen gaben zu, daß er recht hatte. Zum Schluß sagte mein Vater: „Ich habe beschlossen — und ich spreche für meine ganze Familie —, die Kirche zu verlassen.“

Das Predigtwerk verboten

Im Februar 1948, kurz bevor mein Vater und ich begannen, die Zusammenkünfte zu besuchen, hatte die Kommunistische Partei das Land unter ihre Gewalt gebracht. Ich beobachtete, daß Mitschüler ihre Lehrer denunzierten, und sah, daß Lehrer Angst vor den Eltern ihrer Schüler bekamen. Jeder entfremdete sich vom anderen. Das Werk der Zeugen Jehovas blieb anfangs jedoch praktisch unbeeinträchtigt.

Ein Höhepunkt des Jahres 1948 war für uns der Kongreß der Zeugen Jehovas in Prag. Über 2 800 Personen waren vom 10. bis 12. September dort anwesend. Einige Wochen später, am 29. November 1948, drang die Geheimpolizei in das Zweigbüro ein, und man schloß es. Im April wurde unser Werk dann offiziell verboten.

Unsere Familie ließ sich durch diese Vorgänge nicht einschüchtern, und im September 1949 besuchten wir eine besondere Veranstaltung im Wald, außerhalb von Prag. Eine Woche darauf ließen mein Vater und ich uns taufen. Obwohl ich versuchte, im Predigtwerk vorsichtig zu sein, wurde ich, wie eingangs berichtet, im Februar 1952 verhaftet.

Wiederholte Verhöre

Nachdem man mich einige Male verhört hatte, kam ich zu dem Schluß, daß ich lange im Gefängnis sein würde. Die Vernehmungsbeamten schienen zu glauben, daß eine Person um so bereitwilliger kooperiert, je länger sie eingesperrt ist, ohne sich mit irgend etwas beschäftigen zu können. Doch mir kam immer wieder das in den Sinn, was meine Eltern mich gelehrt hatten, und das gab mir Kraft. Sie hatten oft Psalm 90:12 zitiert und mich ermuntert, ‘meine Tage zu zählen’, das heißt, sie einzuschätzen oder zu beurteilen, ‘um ein Herz der Weisheit einzubringen’.

Deshalb wiederholte ich im Geiste ganze Psalmen sowie andere Abschnitte der Bibel, die ich früher auswendig gelernt hatte. Ich dachte auch über Wachtturm-Artikel nach, die ich vor meiner Inhaftierung studiert hatte, und ich sang Königreichslieder vor mich hin. Abgesehen davon hatte ich in den ersten Monaten der Haft Zellengenossinnen, mit denen ich reden konnte. Außerdem konnte ich über Dinge nachdenken, die ich in der Schule gelernt hatte, denn ich hatte erst einige Monate zuvor meine Abschlußprüfung bestanden.

Durch die Verhöre wurde mir klar, daß bei einem meiner Bibelstudien ein Spitzel dabeigewesen war und meine Predigttätigkeit gemeldet hatte. Die Beamten schlußfolgerten, daß ich auch für die auf der Schreibmaschine hergestellten Abschriften biblischer Publikationen verantwortlich war, die in unserer Wohnung beschlagnahmt worden waren. In Wirklichkeit hatte mein erst 15 Jahre alter Bruder die Abschriften angefertigt.

Nach einiger Zeit erkannten die Vernehmungsbeamten, daß ich niemand anders in die Sache hineinziehen würde, daher bemühten sie sich, mich von meinen Glaubensansichten abzubringen. Sie konfrontierten mich sogar mit einem Mann, den ich als reisenden Aufseher der Zeugen Jehovas gekannt hatte. Obwohl er selbst im Gefängnis saß, half er jetzt den Kommunisten bei der Kampagne, die anderen inhaftierten Zeugen dazu zu bringen, ihrem Glauben abzuschwören. Was für eine jämmerliche Figur er abgab! Jahre später, als er wieder in Freiheit war, trank er sich zu Tode.

Einzelhaft

Nach sieben Monaten wurde ich in ein anderes Gefängnis verlegt und kam in Einzelhaft. Jetzt, da ich völlig allein war, lag es ganz bei mir, wie ich meine Zeit verbrachte. Bücher wurden auf Anfrage zur Verfügung gestellt, aber natürlich keine mit biblischem Inhalt. Daher stellte ich einen Plan auf, der sowohl Zeit zum Lesen als auch Zeit zum Nachsinnen über Glaubensdinge vorsah.

Ich muß sagen, nie zuvor fühlte ich mich in meinen Gebeten Jehova so nahe wie damals. Der Gedanke an unsere weltweite Bruderschaft war mir noch nie so kostbar. Jeden Tag versuchte ich mir vorzustellen, wie die gute Botschaft möglicherweise gerade in diesem Augenblick in verschiedenen Teilen der Welt verbreitet wurde. Ich malte mir aus, wie ich selbst dabei mitmachte und Menschen mit der Bibel ansprach.

In dieser ruhigen Atmosphäre geriet ich schließlich jedoch in eine Falle. Ich hatte schon immer gern gelesen, und wegen meines Hungers nach Eindrücken von draußen vertiefte ich mich manchmal so sehr in ein bestimmtes Buch, daß mein Nachsinnen über Glaubensdinge, wofür ich eigentlich Zeit eingeplant hatte, darunter litt. Wenn das geschehen war, hatte ich immer Gewissensbisse.

Eines Morgens brachte man mich in das Büro des Staatsanwalts. Es wurde über nichts Besonderes geredet, nur über die Ergebnisse früherer Verhöre. Ich war enttäuscht, weil für meinen Prozeß noch kein Datum feststand. Ungefähr eine halbe Stunde später war ich wieder in meiner Zelle. Dort verlor ich die Fassung und fing zu weinen an. Warum? Hatten mich die langen Wochen in Einzelhaft so stark mitgenommen?

Ich analysierte mein Problem und erkannte schnell den Grund. Am Tag zuvor hatte mich das Lesen so sehr gefesselt, daß ich mich wieder nicht mit Glaubensdingen beschäftigt hatte. Daher war ich, als ich unverhofft verhört wurde, nicht in der rechten gebetsvollen Verfassung. Sofort schüttete ich Jehova mein Herz aus und beschloß, Glaubensdinge nie wieder zu vernachlässigen.

Nach diesem Erlebnis entschied ich mich, das Lesen ganz und gar aufzugeben. Doch dann kam mir eine bessere Idee, nämlich mich zu zwingen, etwas in Deutsch zu lesen. Während der Besetzung durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mußten wir in der Schule Deutsch lernen. Aber wegen der schrecklichen Dinge, die die Deutschen taten, während sie Prag besetzt hielten, wollte ich nach dem Krieg alles Deutsche vergessen — auch die Sprache. Jetzt faßte ich also den Entschluß, mit mir selbst streng zu sein und von neuem Deutsch zu lernen. Was jedoch als Strafe gedacht war, wandelte sich in einen Segen um. Das möchte ich gern erklären.

Von einigen Büchern konnte ich sowohl die deutsche als auch die tschechische Ausgabe erhalten, und so begann ich, mich darin zu üben, aus dem Deutschen ins Tschechische und aus dem Tschechischen ins Deutsche zu übersetzen. Es stellte sich heraus, daß diese Tätigkeit nicht nur ein weiteres Gegenmittel gegen die möglicherweise schlimmen Auswirkungen der Einzelhaft war, sondern später einem guten Zweck diente.

Freilassung und weitere Predigttätigkeit

Endlich, nach acht Monaten Einzelhaft, kam mein Fall vor Gericht. Ich wurde der subversiven Tätigkeit angeklagt und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Da ich aber bereits 15 Monate verbüßt hatte und in Verbindung mit der Wahl eines neuen Präsidenten eine Amnestie erlassen worden war, wurde ich freigelassen.

Im Gefängnis hatte ich darum gebetet, daß meine Familie sich um mich keine Sorgen macht, und als ich nach Hause kam, stellte ich fest, daß dieses Gebet erhört worden war. Mein Vater war Arzt, und er ermunterte viele seiner Patienten, die Bibel zu studieren. Daher führte meine Mutter wöchentlich ungefähr 15 Bibelstudien durch. Darüber hinaus leitete mein Vater ein Gruppenstudium an Hand der Zeitschrift Der Wachtturm. Außerdem übersetzte er Literatur der Watch Tower Society aus dem Deutschen ins Tschechische, und mein Bruder tippte die Manuskripte ab. Ich stürzte mich also sofort in den christlichen Dienst, und schon bald leitete ich Bibelstudien.

Eine neue Aufgabe

An einem regnerischen Nachmittag im November 1954 klingelte es an der Tür. Draußen stand Konstantin Paukert; das Wasser lief an seinem dunkelgrauen Plastikregenmantel herunter. Er war einer von denen, die im Predigtwerk die Führung übernommen hatten. Gewöhnlich wollte er mit meinem Vater oder meinem Bruder Pavel sprechen, aber diesmal fragte er mich: „Kannst du zu einem kurzen Spaziergang mitkommen?“

Wir gingen eine Zeitlang, ohne ein Wort zu reden; einige Passanten gingen an uns vorbei. Das schwache Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf dem nassen, schwarzen Pflaster. Konstantin blickte sich um; die Straße hinter uns war menschenleer. „Würdest du bei einigen Arbeiten aushelfen?“ fragte er plötzlich. Erstaunt bejahte ich mit einem Nicken. „Es muß einiges übersetzt werden“, fuhr er fort. „Du mußt dir einen Platz suchen, wo du arbeiten kannst, aber nicht zu Hause und nicht bei jemandem, der bei der Polizei bekannt ist.“

Einige Tage darauf saß ich an einem Schreibtisch in der kleinen Wohnung eines älteren Ehepaars, das ich kaum kannte. Sie waren Patienten meines Vaters, und mit ihnen war erst kurz zuvor ein Bibelstudium begonnen worden. Daß ich im Gefängnis Deutsch gelernt hatte, erwies sich somit als sehr wertvoll, weil wir damals unsere Literatur aus dem Deutschen ins Tschechische übersetzten.

Einige Wochen darauf kamen die Glaubensbrüder, die die Führung im Werk übernommen hatten, ins Gefängnis, auch Bruder Paukert. Aber unser Predigtwerk wurde dadurch nicht gestoppt. Frauen, unter anderem meine Mutter und ich, halfen, indem sie sich um die Bibelstudiengruppen kümmerten und unseren christlichen Predigtdienst organisierten. Mein Bruder Pavel, der noch ein Teenager war, diente als Kurier und verbreitete im ganzen tschechischsprachigen Teil des Landes Literatur und organisatorische Anweisungen.

Ein geliebter Gefährte

Ende 1957 wurde Jaroslav Hála, ein Zeuge, der 1952 verhaftet und zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden war, vorübergehend aus dem Gefängnis entlassen, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Pavel nahm sofort Kontakt mit ihm auf, und kurz darauf war Jaroslav voll damit beschäftigt, den Brüdern zu helfen. Da er beide Sprachen gut beherrschte, erledigte er den größten Teil der Übersetzungsarbeit.

Mitte 1958 lud Jaroslav eines Abends Pavel und mich zu einem Spaziergang ein. Es war üblich, organisatorische Angelegenheiten auf diese Weise zu besprechen, denn in unserer Wohnung waren überall Wanzen installiert. Aber nachdem er vertraulich mit Pavel geredet hatte, bat er ihn, auf einer Parkbank zu warten, während wir beide weitergingen. Nach einem kurzen Gespräch über meine Aufgaben fragte er mich, ob ich ihn trotz seiner angegriffenen Gesundheit und der ungewissen Zukunft heiraten würde.

Der aufrichtige, direkte Heiratsantrag überraschte mich, doch ich nahm ihn ohne Zögern an, weil ich die größte Achtung vor Jaroslav hatte. Durch unsere Verlobung kam ich in engen Kontakt mit Jaroslavs Mutter, einer gesalbten Christin. Sie und ihr Mann gehörten zu den ersten Zeugen, die es Ende der 20er Jahre in Prag gab. Beide waren während des Zweiten Weltkriegs von den Nationalsozialisten ins Gefängnis gebracht worden, und er war 1954 in einem kommunistischen Gefängnis gestorben.

Bevor wir heirateten, wurde Jára, wie wir ihn nannten, vorgeladen. Ihm wurde gesagt, er müsse sich wegen seiner chronischen Rippenfellentzündung operieren lassen — was damals bedeutet hätte, eine Bluttransfusion zu akzeptieren — oder den Rest seiner Strafe verbüßen. Da er eine Operation ablehnte, bedeutete das für ihn fast zehn weitere Jahre Gefängnis. Ich entschloß mich, auf ihn zu warten.

Eine Zeit der Prüfung und des Mutes

Anfang 1959 wurde Jára ins Gefängnis gebracht, und nicht lange danach bekamen wir einen Brief, aus dem hervorging, daß er guten Mutes war. Danach gab es eine lange Pause, bis wir einen Brief erhielten, der uns wie ein Schlag traf. Darin kam Bedauern, Trauer und Angst zum Ausdruck, als habe Jára einen Nervenzusammenbruch erlitten. „Das muß jemand anders geschrieben haben“, sagte seine Mutter. Aber es war seine Handschrift.

Seine Mutter und auch ich schrieben ihm und drückten unser Gottvertrauen aus und ermunterten ihn. Nach vielen Wochen kam wieder ein Brief an, der uns vor noch größere Rätsel stellte. „Das kann er nicht geschrieben haben“, sagte seine Mutter wieder. Und doch, es war einwandfrei seine Handschrift, und es waren auch seine typischen Ausdrücke. Mehr Briefe erhielten wir nicht, und es waren auch keine Besuche erlaubt.

Jára hatte ebenfalls beunruhigende Briefe erhalten, die angeblich von uns waren. In den Briefen seiner Mutter wurde er beschuldigt, sie in ihrem vorgerückten Alter allein zu lassen, und meine Briefe zeigten Verärgerung darüber, daß ich so lange auf ihn warten mußte. Auch sie entsprachen genau unserer Handschrift und Ausdrucksweise. Anfangs war auch er beunruhigt, doch dann gelangte er zu der Überzeugung, daß wir die Briefe nicht geschrieben haben konnten.

Eines Tages erschien jemand an unserer Wohnungstür, übergab mir ein Päckchen und verschwand hastig. Es enthielt Dutzende Blätter Zigarettenpapier, mit winzig kleiner Schrift beschrieben. Jára hatte unsere angeblichen Briefe sowie eine Anzahl seiner eigenen unzensierten Briefe abgeschrieben. Wir waren überaus erleichtert und Jehova sehr dankbar, als wir diese Briefe erhielten, die ein entlassener Sträfling, der kein Zeuge war, aus dem Gefängnis geschmuggelt hatte. Bis heute haben wir nicht herausgefunden, wer diesen teuflischen Anschlag auf unsere Lauterkeit ausgeheckt hat.

Später wurde es Járas Mutter erlaubt, ihren Sohn zu besuchen. Bei solchen Gelegenheiten brachte ich sie bis zum Gefängnistor und beobachtete, wie diese kleine, zarte Frau großen Mut bewies. Unter den Augen der Wachen nahm sie die Hand ihres Sohnes und übergab ihm die fotografisch stark verkleinerte Literatur. Eine Entdeckung hätte schwere Strafen nach sich gezogen, besonders für ihren Sohn, doch sie vertraute auf Jehova, da sie wußte, daß der Erhalt der geistigen Gesundheit immer das Wichtigste ist.

Einige Zeit danach, 1960, wurde eine Generalamnestie verkündet, und man entließ die meisten Zeugen aus dem Gefängnis. Jára kam nach Hause, und ein paar Wochen darauf waren wir ein glückliches, jungverheiratetes Paar.

Mein veränderter Lebensstil

Jára wurde mit dem Reisedienst beauftragt, wodurch er den Interessen der Bruderschaft im ganzen Land diente. 1961 erhielt er den Auftrag, die erste Klasse der Königreichsdienstschule im tschechischsprachigen Teil des Landes zu organisieren und danach noch viele weitere Klassen.

Wegen der politischen Veränderungen in der Tschechoslowakei im Jahre 1968 konnten etliche von uns im folgenden Jahr den internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas „Friede auf Erden“ in Nürnberg besuchen. Jára erhielt jedoch von den Behörden keine Erlaubnis, das Land zu verlassen. Einige von uns machten von diesem großen Kongreß Dias, und Jára hatte das Vorrecht, an einem glaubensstärkenden Programm beteiligt zu sein, bei dem diese Bilder im ganzen Land gezeigt wurden. Viele wollten die Dias immer wieder sehen.

Wir hatten keine Ahnung, daß dies Járas letzter Besuch bei den Brüdern war. Anfang 1970 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dramatisch. Durch die chronische Entzündung, mit der er zu leben gelernt hatte, waren seine Nieren angegriffen, und ein Nierenversagen führte zu seinem Tod. Er starb mit 48 Jahren.

Gestärkt durch Jehovas Hilfe

Mir war der genommen, den ich so innig geliebt hatte. Doch durch die Organisation Gottes erhielt ich sofort Hilfe, denn ich durfte beim Übersetzen von biblischer Literatur mithelfen. Ich hatte das Gefühl, daß mein Mann mir — wie in einem Staffellauf — den Staffelstab übergeben hatte, damit ich einen Teil der Arbeit, die er selbst getan hatte, fortsetzte.

Viele von uns in Osteuropa haben Jehova über 40 Jahre lang unter kommunistischem Verbot gedient. 1989, als der Eiserne Vorhang fiel, änderte sich das Leben hier drastisch. Ich hatte zwar davon geträumt, daß Jehovas Zeugen in Prags riesigem Strahov-Stadion einen Kongreß abhielten, aber nicht wirklich geglaubt, daß dieser Traum jemals wahr würde. Doch im August 1991 wurde er auf wunderbare Weise Wirklichkeit, als sich über 74 000 Personen freudig zur Anbetung versammelten.

Im Januar 1993 hörte die Tschechoslowakei auf zu bestehen, und aus dem einen Land wurden zwei — die Tschechische Republik und die Slowakei. Wie glücklich waren wir, als die Tschechische Republik am 1. September 1993 Jehovas Zeugen offiziell anerkannte!

Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß Jehova immer Segnungen für uns bereithält, vorausgesetzt, wir lassen uns von ihm belehren, wie wir unsere Tage zählen sollen (Psalm 90:12). Ich bete unablässig darum, daß Gott mich lehren möge, wie ich meine verbleibenden Tage in diesem System der Dinge zählen soll, damit ich in den zahllosen künftigen Tagen in seiner neuen Welt unter seinen glücklichen Dienern sein kann.

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Meine Eltern

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Eine Zusammenkunft im Wald im Jahre 1949, während des Verbots: 1 Mein Bruder Pavel, 2 meine Mutter, 3 mein Vater, 4 ich, 5 Bruder Hála

[Bild auf Seite 22]

Mein Mann Jára und ich

[Bilder auf Seite 23]

Járas Mutter und die abfotografierte Literatur, die sie ihm zusteckte

[Bild auf Seite 24]

Heute arbeite ich im Zweigbüro in Prag

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