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  • Wir waren Geiseln bei einer Gefängnisrevolte
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Erwachet! 1996
g96 8. 11. S. 18-21

Wir waren Geiseln bei einer Gefängnisrevolte

AM Samstag, den 30. März 1996, gegen 15 Uhr trafen Edgardo Torres, Rubén Ceibel und ich im Hochsicherheitsgefängnis Sierra Chica ein, das in der argentinischen Provinz Buenos Aires liegt. Die für 800 Häftlinge gebaute Anstalt war mit 1 052 verurteilten Kriminellen überbelegt. Ihre Verbrechen reichten von Raub bis Serienmord. Wir waren als Besucher gekommen.

Für Edgardo und Rubén war es einer von vielen samstäglichen Besuchen in dieser weit und breit bekannten Strafvollzugsanstalt. Als Älteste einer nahe gelegenen Versammlung der Zeugen Jehovas gingen sie wöchentlich dorthin, um vor etwa 15 Häftlingen biblische Ansprachen zu halten. Für mich als reisenden Aufseher war dies eine seltene Gelegenheit, denn ich hatte noch nie eine Zusammenkunft in einer Haftanstalt geleitet.

Das Gefängnis besteht aus 12 fächerförmig angelegten Zellenblocks. Als wir den Komplex betraten, sahen wir in einiger Entfernung vier Insassen, die uns freudig zuwinkten. Sie hatten bei ihrem Bibelstudium so weit Fortschritte gemacht, daß sie nun ungetaufte Verkündiger der guten Botschaft von Gottes Königreich waren. Wir wurden sogleich in den Zellenblock 9 gebracht, wo die Zusammenkunft stattfinden sollte. Dort hatte man einen Raum frisch gestrichen und mit Vorhängen dekoriert, um ihm ein würdiges Aussehen zu geben.

Die Revolte beginnt

Irgend etwas schien allerdings nicht zu stimmen. Es waren nur 12 Gefangene da statt wie üblich 15. Wir wunderten uns alle darüber. Die Zusammenkunft begann wie immer mit Lied und Gebet. Nach ein paar Minuten zuckten wir zusammen, als plötzlich laute Schüsse und dann Maschinengewehrsalven abgegeben wurden. Darauf hörten wir Rufe und Schreie. Eine Gefängnisrevolte war ausgebrochen!

Mehrere vermummte Häftlinge mit selbstgemachten Messern stürmten in unseren Versammlungsraum. Sie waren überrascht, auf drei Besucher zu stoßen! Wir wurden sofort in eine mit Rauch erfüllte Halle gebracht. Matratzen brannten, Gefangene rannten hin und her, und ein Wärter lag verwundet am Boden. Der Wachturm im Zentrum der Gefängnisanlage war durch die Explosion einer selbstgebastelten Bombe in Brand geraten. Wir wurden nach draußen geführt und mußten ungefähr 50 Meter von der Hauptumzäunung entfernt stehenbleiben. Wenn wir geradeaus schauten, blickten wir direkt in die Gewehrläufe der Polizisten und Gefängniswärter außerhalb des Zauns. Eine Gruppe Gefangene, die sich hinter uns verschanzten, hielten uns ihre Messer an die Kehle. Sie benutzten uns als lebende Schutzschilde.

Noch mehr Geiseln

Fünf Stunden später, nach Sonnenuntergang, ließen die Anführer einen Arzt ins Gefängnis, der die Verletzten versorgen sollte. Auch der Arzt wurde als Geisel genommen. Gegen 21 Uhr brachte man uns dann zum Gefängniskrankenhaus. Dort befand sich bereits eine Gruppe von Wärtern, ebenfalls Geiseln. Nun zwangen die Meuterer alle Geiseln, in Schichten als Schutzschilde herzuhalten.

Nach kurzer Zeit wurden eine Richterin und ihr Sekretär zu den Aufständischen gelassen, um mit ihnen Vermittlungsgespräche zu führen. Die Krise spitzte sich zu, als die Häftlinge die beiden unverfroren zu Geiseln nahmen.

Die ganze Nacht kam es in Abständen immer wieder zu Kämpfen. Wir versuchten zu schlafen, aber jedesmal, wenn wir gerade eingenickt waren, schreckte uns ein lauter Schrei auf. In den frühen Morgenstunden waren wir dann wieder an der Reihe, uns als Schutzschilde aufzustellen.

Die Gewalt eskaliert

Am Sonntag, den 31. März, dem zweiten Tag der Revolte, wurde die Lage brenzlig. Die Rädelsführer konnten sich nicht auf ihre Forderungen einigen. Dadurch entstand eine wut- und gewaltgeladene Atmosphäre. Banden von Meuterern streiften umher und zerstörten und verbrannten alles, was ihnen im Weg war. Alte Streitigkeiten entluden sich in Gewalt und Mord. Eine Anzahl Häftlinge, die sich nicht an der Meuterei beteiligen wollten, wurden hingerichtet. Einige Leichen verbrannte man im Ofen der Bäckerei.

Alle möglichen Gerüchte und widersprüchlichen Meldungen über unsere Freilassung machten innerhalb der Gefängnismauern die Runde. Das war für uns Geiseln ein nervenaufreibendes Auf und Ab. Hin und wieder durften wir die Nachrichten im Fernsehen anschauen. Wir wunderten uns, wie weit die Fernsehreportagen von der Wirklichkeit abwichen. Es war entmutigend.

Wie begegneten wir dieser Situation? Wir konzentrierten uns darauf, zu beten, in der Bibel zu lesen und mit anderen über die biblischen Verheißungen einer glücklichen Zukunft zu sprechen. Daraus schöpften wir unsere innere Kraft während dieser Zerreißprobe.

Am Montag erklärten sich die Anführer bereit, mit den Behörden zu verhandeln. Die Revolte schien zu einem Ende zu kommen. Doch plötzlich brach unter den Gefangenen eine Schießerei aus, bei der Edgardo und mehrere Gefängniswärter als Schutzschilde benutzt wurden. In dem Drunter und Drüber eröffneten auch die Polizisten das Feuer, weil sie dachten, Geiseln würden erschossen. Edgardo überlebte den Kugelhagel, aber einige der gefangengenommenen Wärter waren tödlich getroffen worden.

Dem Tod nahe

Wir Geiseln wurden auf ein Dach gebracht, damit man sehen konnte, daß wir noch am Leben waren. Trotzdem schossen die Polizisten weiter. Das versetzte die Meuterer in Rage. Auf einmal schrien alle durcheinander. Einige forderten lautstark: „Macht die Geiseln nieder! Macht sie nieder!“ Andere riefen: „Noch nicht! Warten wir noch!“ Wir sahen dem Tod ins Auge. Rubén und ich gaben uns durch Blicke zu verstehen: „Also dann bis zur neuen Welt.“ Wir beteten beide im stillen. Sofort verspürten wir innere Ruhe und Herzensfrieden, was unter diesen Umständen nur von Jehova kommen konnte (Philipper 4:7).

Plötzlich hörten die Polizisten auf zu schießen, und einer der Anführer blies unsere Hinrichtung ab. Dem jungen Häftling, der mich festhielt, wurde befohlen, als Warnung für die Polizei mit mir auf dem Dach auf und ab zu gehen. Er war nur noch ein Nervenbündel. Trotzdem gelang es mir, ein Gespräch mit ihm zu beginnen, das uns beide ruhiger werden ließ. Ich erklärte ihm, Satan und seine Dämonen seien für das Leid der Menschen verantwortlich und Jehova Gott werde bald allem Leid ein Ende machen (Offenbarung 12:12).

Als wir zum Gefängniskrankenhaus zurückgebracht wurden, sahen wir, daß viele der Geiseln von Panik ergriffen waren. Da versuchten wir, sie an unserem Glauben an die Verheißungen Jehovas teilhaben zu lassen. Wir sprachen über unsere biblisch begründete Hoffnung, einmal in einem irdischen Paradies zu leben. Einige Geiseln begannen, Jehova mit Namen anzurufen. Der Arzt zeigte großes Interesse und stellte eine Reihe konkreter Fragen. So entspann sich eine längere Unterhaltung an Hand des Buches Erkenntnis, die zu ewigem Leben führt.

Das Gedächtnismahl

Am Dienstag, unserem vierten Tag in Gefangenschaft, jährte sich der Todestag Jesu Christi. An diesem Tag kamen weltweit Millionen Zeugen Jehovas und interessierte Personen zusammen, um aus Gehorsam gegenüber Jesu Gebot dieses Ereignisses zu gedenken (Lukas 22:19). Auch wir trafen Vorbereitungen für das Gedächtnismahl.

Wir reservierten eine Ecke des Raumes. Ungesäuertes Brot und Rotwein als Symbole waren nicht zu beschaffen. Dennoch freuten wir drei uns, Jehova Loblieder zu singen, zu beten und den Bibelbericht über Jesu letzte Nacht und über andere Geschehnisse in Verbindung mit seinem Tod zu betrachten. Wir fühlten uns eng mit unseren Angehörigen und unseren Glaubensbrüdern und -schwestern verbunden, die zur gleichen Zeit im ganzen Land das Gedächtnismahl feierten.

Die Nervenprobe geht zu Ende

In den nächsten vier Tagen herrschte eine Atmosphäre von Angespanntheit, Angst und Ungewißheit. Ein Trost waren uns die zahlreichen Briefe von Angehörigen und Freunden, die uns die Häftlinge zukommen ließen. Einmal durften wir sogar mit unseren Angehörigen telefonieren. Ihre Stimmen zu hören und ihre Zeilen zu lesen, die von Liebe und Sorge zeugten, ließ uns aufleben.

Am Samstag, dem achten Tag in Gefangenschaft, konnten sich die Meuterer mit den Behörden einigen. Es hieß, wir würden am nächsten Tag freikommen. Am Sonntag, den 7. April, um 14.30 Uhr erhielten wir die Nachricht: „Macht euch zum Gehen bereit!“ Die Häftlinge bildeten eine „Ehrengarde“, um uns in die Freiheit zu eskortieren. Beim Verlassen des Krankenhauses ging der Sprecher der Rädelsführer zu Edgardo und sagte: „Bruder, ich bin schwer beeindruckt von eurem Verhalten. Ich verspreche, daß ich von jetzt an dabei bin, wenn ihr samstags eure Zusammenkünfte im Gefängnis abhaltet. Ihr kommt doch noch, trotz allem, was hier passiert ist, oder?“ Edgardo antwortete mit einem Lächeln: „Selbstverständlich!“

Draußen erwartete uns eine Überraschung. Sobald wir das Gebäude verlassen hatten, brachen alle Insassen uns zu Ehren in Beifall aus. Das war ihre Art, uns zu zeigen, daß ihnen das Geschehene leid tat. Es war ein ergreifender Moment. Zweifellos waren sie alle von unserem christlichen Benehmen während der vorangegangenen neun Tage beeindruckt, und das gereichte Jehova zur Ehre.

Außerhalb der Gefängnisumzäunung warteten unsere Angehörigen und etwa 200 unserer Glaubensbrüder und -schwestern auf uns. Zutiefst erleichtert fielen wir uns in die Arme. Wir waren noch am Leben! Eine der Geiseln sagte zu meiner Frau gewandt: „Ich glaube, Jehova hat mein Herz erreicht und möchte, daß ich ihm diene.“

Edgardo, Rubén und ich haben auf ganz ungewöhnliche Weise erlebt, daß Jehova seine Diener auch in den grauenhaftesten Situationen stützen kann. Wir können aus Erfahrung sagen, wie wunderbar es ist, zu Jehova zu beten und von ihm erhört zu werden. Uns ist zumute wie dem Psalmisten, der sagte: „Ich werde dich erheben, o Jehova, denn du hast mich heraufgezogen, und du hast nicht zugelassen, daß meine Feinde sich über mich freuen. O Jehova, mein Gott, ich rief zu dir um Hilfe, und du gingst daran, mich zu heilen. O Jehova, du hast aus dem Scheol meine Seele heraufgebracht; du hast mich am Leben erhalten, daß ich nicht in die Grube hinabfahren sollte“ (Psalm 30:1-3). (Von Darío Martín erzählt.)

[Herausgestellter Text auf Seite 19]

Vermummte Häftlinge mit selbstgemachten Messern stürmten in unseren Versammlungsraum

[Herausgestellter Text auf Seite 20]

Die Meuterer benutzten Edgardo und mehrere Gefängniswärter als Schutzschilde

[Herausgestellter Text auf Seite 21]

Die Häftlinge bildeten eine „Ehrengarde“, um uns in die Freiheit zu eskortieren

[Bild auf Seite 18]

Die drei Besucher (von links nach rechts): Edgardo Torres, Rubén Ceibel und Darío Martín

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