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Erwachet! 1988
g88 22. 3. S. 19-22

Supraleitfähigkeit — Warum ist man so begeistert?

IN einem Gefäß, das aussieht wie die untere Hälfte eines Trinkbechers aus Kunststoff, befindet sich ein schwarzes Kügelchen von der Größe eines kleinen Knopfes. Auf dem Kügelchen liegt ein noch kleineres Metallscheibchen. Vorsichtig gießt der Schüler eine dampfende Flüssigkeit in den Becher, nach und nach ein wenig mehr. Alle, die um den Tisch herumstehen, sind gespannt vor Erwartung.

Zuerst sprudelt die Flüssigkeit bei der Berührung mit dem Becher. Aber bald beruhigt sich alles, und es tut sich nichts mehr. Dann beginnt das Scheibchen zu tänzeln. Plötzlich hebt es sich von dem Kügelchen ab und schwebt frei in der Luft. Der Schüler nimmt eine Drahtschleife und schiebt sie hinter das Scheibchen. Keine Tricks — das Scheibchen schwebt!

Hierbei handelte es sich um einen Versuch zum Nachweis der Supraleitfähigkeit, der von einer Schülergruppe an einer High-School in Kalifornien durchgeführt wurde. Vor nur ein oder zwei Jahren war ein solches Experiment lediglich in speziellen Forschungslaboratorien möglich, die mit hochentwickelten Geräten ausgestattet waren und auf solider finanzieller Grundlage arbeiteten. Daß Schüler in der Oberstufe heute so etwas vollbringen können, ist ein Zeichen für die rapide Entwicklung auf diesem Gebiet.

Im vergangenen Mai brachte die Zeitschrift Time eine Titelgeschichte mit dem Thema „Supraleiter — der verblüffende Durchbruch, der die Welt verändern könnte“. Die Zeitschrift Newsweek bezeichnete die Entdeckung als „eine neue Revolution in der Elektronik“. Im Magazin Life wurde das Thema unter dem Titel „Schnellimbiß-Physik“ behandelt, was darauf hindeutet, wie schnell es auf diesem Gebiet vorangeht. Was ist eigentlich die Supraleitfähigkeit, und warum ist man davon so begeistert?

Eine lang ersehnte Idealvorstellung

Die Leitfähigkeit ist ein Maß für das Vermögen eines Stoffes, den elektrischen Strom zu leiten. Allgemein ist bekannt, daß Materialien wie Glas und Porzellan keinen Strom leiten. Metalle wie Kupfer, Gold und Platin sind dagegen gute Leiter, da sie dem Strom relativ wenig Widerstand entgegensetzen. Supraleitfähigkeit ist die Abwesenheit jedes elektrischen Widerstandes — der Idealzustand, in dem der elektrische Strom ungehindert und verlustfrei fließen kann.

Wissenschaftler haben sich schon lange die ungeheuren Möglichkeiten ausgemalt, die ein solch ideales Material — ein Supraleiter — bieten würde. Starkstromleitungen aus Supraleitern würden zum Beispiel nicht nur die enorm hohen Energieverluste ausschalten, die durch den elektrischen Widerstand der herkömmlichen Leiter verursacht werden, sondern es würden auch keine kostspieligen Hochspannungsleitungen mehr die Landschaft verschandeln. Die Verwendung von Supraleitern würde die Herstellung von äußerst kompakten Supercomputern ermöglichen, die mit bisher unerreichbaren Geschwindigkeiten arbeiten. Die ungewöhnlichen magnetischen Eigenschaften der Supraleiter könnten eine neue Generation starker Elektromagnete einleiten, die medizinische Untersuchungsgeräte wie Scanner oder superschnelle Magnetkissenzüge, riesige Teilchenbeschleuniger und sogar die Kernfusion praktikabel machen.

Das Ganze ist zwar faszinierend, doch die Sache hat einen Haken. Seit über 75 Jahren weiß man, daß gewisse Metalle supraleitend werden, wenn sie auf extrem niedrige Temperaturen abgekühlt werden, auf über 200 °C unter dem Gefrierpunkt. Im Jahre 1911 stieß der niederländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes als erster auf die Supraleitfähigkeit. Er hatte gerade eine Methode zur Verflüssigung von Helium entwickelt, für die er 1913 den Nobelpreis erhielt, und erforschte den Einfluß niedriger Temperaturen auf verschiedene Metalle. Unerwartet stellte er fest, daß Quecksilber bei −269 °C oder 4 Kelvin oberhalb des absoluten Nullpunkts der Kelvinskala seinen elektrischen Widerstand völlig verliert.a

Die Supraleitfähigkeit wurde zwar zufällig entdeckt, doch man begriff sehr schnell, wie wertvoll diese Entdeckung war. Die extrem niedrige kritische oder Sprungtemperatur, bei der das Material supraleitend wurde, war jedoch ein großes Hindernis. Hohe Kosten und das komplizierte Arbeiten bei derart tiefen Temperaturen begrenzten den praktischen Nutzen. In den folgenden Jahrzehnten experimentierte man mit anderen Stoffen in der Hoffnung, irgend etwas zu finden, was bei höheren Temperaturen supraleitend würde. Aber der Fortschritt war kläglich.

Im Laufe der Zeit stieß man auf andere Eigenschaften der Supraleiter. Eine der wichtigsten wurde 1933 entdeckt. Man fand heraus, daß Supraleiter ein von außen angelegtes magnetisches Feld aus ihrem Innern verdrängen oder selbst aus dem Feld herausgedrängt werden. Dieses Phänomen, der sogenannte Meißner-Effekt, war in dem angeführten Schulversuch die Ursache für das Aufsteigen. Jene Entdeckung gab der Suche nach Supraleitern im höheren Temperaturbereich erneut Aufschwung. Doch nach wie vor ging es nur im Schneckentempo vorwärts. Noch 1973 wurde der beste Supraleiter, eine Metallegierung, erst bei −250 °C oder 23 K supraleitend — eine für die Praxis immer noch unbrauchbare Temperatur. In den folgenden zwölf Jahren trat mehr oder weniger ein Stillstand ein.

Die Temperatur klettert!

Zu einer überraschenden Wende der Ereignisse kam es, als zwei Wissenschaftler im IBM-Forschungslabor Zürich auf den Gedanken kamen, der Grund für die anhaltende Erfolglosigkeit der Forschungen sei darin zu suchen, daß man sich mit den falschen Materialien befasse. Bis dahin beschäftigte man sich vorwiegend mit Metallen und Legierungen. „Ich kam zu der Überzeugung, daß man so nicht mehr weiterkommt“, sagte Professor Alex Müller, einer der beiden Wissenschaftler.

Professor Müller und Dr. Georg Bednorz hatten ihre Versuche an Metalloxyden im Jahre 1983 begonnen. Nachdem man jahrelang auf diesem Gebiet geforscht hatte, erzielten sie Anfang 1986 ihren ersten nennenswerten Fortschritt: Supraleitfähigkeit bei 35 K oder −238 °C, und zwar bei einem Werkstoff aus den Elementen Barium, Lanthan, Kupfer und Sauerstoff. Als die Neuigkeit schließlich im September 1986 veröffentlicht wurde, war die Wissenschaft überrascht. Der Werkstoff — eine Art Keramik — den die Wissenschaftler in dem schweizerischen Laboratorium verwendeten, ist normalerweise ein Isolator, und niemand hätte vermutet, daß der größte Durchbruch nach Jahrzehnten in diesem Bereich erzielt würde.

In rascher Aufeinanderfolge wurde ein Rekord nach dem anderen gebrochen. Im Februar 1987 entdeckte ein Forscherteam unter der Leitung von C. W. Chu an der Universität Houston (Texas) einen Werkstoff, der bei der Rekordtemperatur von 93 K oder −180 °C supraleitend wird. Dies gelang ihnen dadurch, daß sie das Element Lanthan in dem Werkstoff von Professor Müller durch ein anderes Element aus der Gruppe der seltenen Erden, durch Yttrium, ersetzten.

Durch diese Leistung wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der Hochtemperatur-Supraleitfähigkeit aufgeschlagen. Bisher war flüssiges Helium nötig gewesen, um das Untersuchungsmaterial auf die erforderlichen Temperaturen abzukühlen — ein sehr teurer und aufwendiger Vorgang. Seit der neuen Entdeckung reicht die Kühlung mit flüssigem Stickstoff aus, der bei 77 K oder −196 °C flüssig wird. Flüssiger Stickstoff ist schnell verfügbar, nicht teurer als Milch und kann ohne aufwendige Apparaturen gehandhabt werden. Diese Entdeckung und die Tatsache, daß der Oxyd-Werkstoff leicht herzustellen und billig ist, trugen wesentlich dazu bei, daß die Supraleitungsforschung erneut Auftrieb erhielt.

Das Endziel ist natürlich ein Supraleiter bei Raumtemperatur, so daß jede Kühlung entfallen würde. Und die Wissenschaftler streben weltweit mit aller Macht dieses Ziel an. Tatsächlich sind schon Meldungen über „flüchtige Spuren“ von Supraleitfähigkeit bei Raumtemperatur zu hören.

Ende Mai 1987 übertrumpften C. W. Chu und seine Gruppe ihren eigenen Rekord. Sie fanden heraus, daß ein kleiner Teil einer Probe bei 225 K oder −48 °C supraleitend wurde, doch nur vorübergehend. „Man kann es einmal beobachten“, sagte Pei-Heng Hor, ein Mitarbeiter in dieser Gruppe, „dann verschwindet es nach einiger Zeit, aber man kann es erneut beobachten.“ Eine andere Gruppe, die an der Staatsuniversität von Kalifornien in Berkeley arbeitet, berichtete über das Auftreten von Supraleitfähigkeit bei 292 K oder 19 °C bei einem Versuchsmaterial, allerdings konnte sie dieses Ergebnis nicht wiederholen.

Steht ein goldenes Zeitalter kurz bevor?

Der Trommelwirbel um die Supraleiter hat vielen Menschen den Eindruck vermittelt, daß wir an der Schwelle einer neuen Ära stehen, eines technologischen goldenen Zeitalters. Unser Leben wird sich verändern, sagt man, so wie durch die Erfindung des elektrischen Lichts und des Transistors. Sind all die wunderbaren Dinge, die die Supraleiter ermöglichen sollen, jedoch wirklich so greifbar nahe?

Zuerst einmal „müssen wir vollständigere Grundkenntnisse erlangen, bevor wir die Supraleitfähigkeit allgemein einsetzen können“, bemerkte Erich Bloch, Direktor der U.S. National Science Foundation. Man kann bis jetzt nicht genau erklären, warum die künstlichen Keramikwerkstoffe sich so verhalten.

Zahlreiche Experten meinen deshalb, daß noch Jahre ins Land gehen werden, bis die Supraleiter die Laboratorien verlassen und allgemein Verwendung finden. „Die Möglichkeiten, die diese Werkstoffe bieten, sind großartig, aber der Fahrplan, den die Presse aufgestellt hat, stimmt nicht“, sagte ein Forscher des National Bureau of Standards. „Es wird fünf Jahre dauern, bis sie in dünnen Filmen in Computern zu finden sind, und zwanzig Jahre, bis wir sie in Massenfertigung vorfinden.“

Ein Hindernis ist, daß die Hochtemperatur-Supraleiter nicht wie Metalle verformt und bearbeitet werden können. Ferner sind jene spröden Werkstoffe nicht sehr biegsam, wie jeder weiß, dem schon einmal ein Teller heruntergefallen ist. Um die Supraleiter in der Praxis einsetzen zu können, müssen sie in Form von Drähten oder Filmen hergestellt werden. In Computern und elektronischen Schaltkreisen dürften die Filme nur Bruchteile von einem tausendstel Millimeter dünn sein. Für Wicklungen in Motoren und Magneten benötigt man biegsame Drähte, und Starkstromleitungen müssen stark und biegsam sein.

Was die Sache noch komplizierter macht, ist die Tatsache, daß Wissenschaftler nicht mit Sicherheit sagen können, ob die supraleitenden Werkstoffe den erforderlichen Starkstrom oder die erforderlichen starken Magnetfelder bewältigen können. Jeder Supraleiter hat ein Grenze, jenseits deren er seine Supraleitfähigkeit verliert. Zur Zeit liegt diese Grenze sehr niedrig. All jene Probleme können vielleicht gelöst werden, aber ganz sicher nicht schon morgen.

Doch es gibt eine weit dunklere Schattenseite. Man spricht bereits davon, zur Kriegführung im Weltraum Supraleiter in Teilchenwaffen oder in Waffen, die mit gebündelter Energie arbeiten, einzusetzen. Werden sich die Supraleiter für jedermann als der prophezeite und erhoffte Segen erweisen? Oder wird es damit so ausgehen wie mit anderen umwälzenden Erfindungen in der Vergangenheit — wie mit der Entdeckung des Schießpulvers oder der Kernspaltung? Auf diese Frage weiß bis jetzt niemand eine Antwort.

[Fußnote]

a Der absolute Nullpunkt oder −273,15 °C ist die Temperatur, bei der die Bewegungsenergie der Moleküle auf ein Mindestmaß zurückgeht und die Molekülbewegung so gut wie aufhört. In der Tieftemperaturforschung wird die Kelvinskala bevorzugt, die bei dem absoluten Nullpunkt beginnt. Die Temperaturen werden in K ohne das Gradzeichen (°) angegeben.

[Kasten auf Seite 21]

Was Supraleiter ermöglichen

„Praktisch verwendbare, stickstoffgekühlte Supraleiter könnten für die Versorgungsbetriebe Einsparungen in Milliardenhöhe bedeuten — sie würden genügend Energie einsparen, um 50 oder mehr Kraftwerke einzumotten“, heißt es in der Publikation Business Week. Supraleitende Generatoren und Starkstromleitungen würden auch die Leistungsfähigkeit der Kraftwerke steigern, die dann weiter von den Städten entfernt liegen können, um Verschmutzung, Kosten und Gefahren zu vermindern.

Magnetkissenzüge, die eine Geschwindigkeit von 480 Stundenkilometern erreichen, könnten durch leichte supraleitende Elektromagnete praktisch einsetzbar sein. Elektroautos, die von Supraleitermotoren angetrieben werden, würden in den Städten die Luftverschmutzung mindern. Sogar Schiffe ließen sich mit solchen Motoren antreiben.

Geräte mit supraleitenden Mikrochips, die tausendmal schneller als Siliziumtransistoren sind, befinden sich bereits in der Entwicklung. Mit solchen Chips bestückte Computer werden nicht nur schneller, sondern auch viel kleiner sein und viel weniger Wärme erzeugen. Tischcomputer werden so leistungsfähig sein wie heute ganze Zentraleinheiten.

Kernspin-Tomographen und SQUID-Geräte ermöglichen einen Einblick in den menschlichen Körper und gestatten den Nachweis von Gehirnwellen. Die Kostensenkung und die einfachere Handhabung zufolge der Supraleiter würden solche Geräte allgemein für Krankenhäuser und Kliniken erschwinglich machen.

Die Möglichkeiten, die sich durch die Supraleiter eröffnen, sind großartig. Wieviel davon wird verwirklicht werden?

[Bildnachweis auf Seite 19]

IBM-Forschung

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