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  • Der Wachtturm verkündigt Jehovas Königreich 1989
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  • „Die Insel der einsamen Männer“
  • Gefangen, aber trotzdem frei
  • Zeugen Jehovas auf San Lucas
  • Endlich frei!
Der Wachtturm verkündigt Jehovas Königreich 1989
w89 1. 6. S. 25-27

Auf der „Insel der einsamen Männer“ die Freiheit gefunden

DIE Barkasse, die durch die leichte Dünung des Golfes von Nicoya pflügte, hatte nur wenige Passagiere an Bord. Der Grund dafür war jedoch nicht das Ausbleiben der Touristen. Die Pazifikküste von Costa Rica mit ihrem wolkenlosen Himmel, dem smaragdgrünen Wasser, den weißen Sandstränden und wiegenden Kokospalmen übt eine große Anziehungskraft auf Menschen aus, die ein tropisches Paradies suchen. Ich war allerdings nicht auf Urlaub hier — auch die anderen Passagiere nicht.

„Die Insel der einsamen Männer“

Unser Ziel war die Insel San Lucas, eine Strafkolonie des costaricanischen Justizministeriums. Früher war San Lucas eines der berüchtigtsten Gefängnisse Lateinamerikas. Es war vorwiegend mit Schwerverbrechern belegt, und diejenigen, die dorthin gebracht wurden, mußten sich schnell mit den harten Tatsachen des Überlebenskampfes vertraut machen. Von offizieller Seite erhielten sie nur das Nötigste, während die Gefangenen ihre eigene Rangordnung festlegten und darum kämpfen mußten, ihr persönliches Los zu verbessern. Wer zu fliehen versuchte, wurde zumeist durch die starken Strömungen aufs Meer hinausgetrieben oder von Haien zerrissen.

Anfang der 50er Jahre schrieb José León Sánchez, ein ehemaliger Gefangener auf San Lucas, ein Buch über sein Leben in der Strafkolonie. Seine schonungslose und brutale, aber auf Tatsachen beruhende Geschichte, die er unter dem Titel La Isla de los Hombres Solos (Die Insel der einsamen Männer) veröffentlichte, wurde in Mexiko und Mittelamerika schnell zu einem Bestseller. In der costaricanischen Öffentlichkeit entfachte das Buch einen heftigen Proteststurm.

Zu jener Zeit bemühte sich die Regierung gerade, den Strafvollzug zu modernisieren. Es wurde mehr Nachdruck auf die Resozialisierung gelegt als auf die Bestrafung, und die Todesstrafe wurde abgeschafft. Da das Buch von Sánchez die Aufmerksamkeit auf die Insel San Lucas gelenkt hatte, änderte sich auch dort manches. Den Gefangenen wurden die Rinder- und Schweinezucht, das Fischen und andere Fertigkeiten beigebracht. Sie bauten außerdem zum Verkauf bestimmte Früchte an und wurden am Gewinn beteiligt. In bezug auf die Unterbringung wurden ebenfalls Verbesserungen vorgenommen. Anfang der 60er Jahre war San Lucas ein vorbildliches Resozialisierungszentrum für Gefangene der untersten Sicherungsstufe.

Als ich von der Barkasse auf den kleinen Anleger stieg, war mir die unrühmliche Vergangenheit der Insel sehr wohl bekannt. Ich war allerdings nicht als Gefangener hier, sondern als Gefängniswärter. Im Alter von 18 Jahren hatte ich mich für die nationalen Polizeikräfte gemeldet, und da ich für mein Alter recht groß war, wurde ich als erstes als Wärter auf die Insel San Lucas geschickt.

Gefangen, aber trotzdem frei

Ich wuchs bei Nonnen und Priestern auf, die mich im katholischen Glauben unterwiesen. Der Gedanke an eine Feuerhölle versetzte mich stets in Angst und Schrecken. Für mich war es daher das Wichtigste, nicht in der Hölle zu enden. Ich wunderte mich, warum sich die meisten offenbar kaum Gedanken über die Hölle machten. Der Priester kam zwar vor der Klasse darauf zu sprechen, aber außerhalb des Klassenzimmers wollte niemand über Religion oder über die Bibel reden. Wenn auch viele behaupteten, an die Feuerhölle zu glauben, erlegten sie sich doch in ihrem Leben kaum Beschränkungen auf.

Auf San Lucas war die Situation nicht viel anders. Obwohl sich ein Großteil der Wärter und der Gefangenen zu demselben Glauben bekannte, schien dieser kaum Auswirkungen auf sie zu haben. Eine obszöne Sprache und unreine Praktiken waren üblich. Einmal wurde ein Aufseher gefaßt, der Marihuana auf die Insel geschmuggelt hatte, und er mußte dann selbst als Gefangener dort einsitzen. Mein unmittelbarer Vorgesetzter geriet leicht in Wut. Zweimal forderte er aufsässige Gefangene zu einem Faustkampf heraus. In meiner vielen Freizeit dachte ich oft über das nach, was ich auf der Insel beobachtete. Einen unerfahrenen jungen Mann wie mich verwirrten und desillusionierten die Zustände.

Eines Abends wurde ich von Franklin, einem vertrauenswürdigen Gefangenen, eingeladen, einem biblischen Gespräch beizuwohnen. Obwohl ich nicht besonders interessiert daran war, entwickelte sich schnell eine Unterhaltung.

„Es muß schwierig sein, als Gefangener die Bibel zu studieren“, sagte ich. Nie werde ich vergessen, was Franklin darauf erwiderte.

„Körperlich bin ich ein Gefangener“, entgegnete er, „aber geistig bin ich frei.“

Wie gern ich diese Art von Freiheit begriffen hätte!

Zeugen Jehovas auf San Lucas

Es stellte sich heraus, daß Franklin mit Zeugen Jehovas die Bibel studierte. Sonntags durften Verwandte und Freunde auf die Insel kommen. Oft kamen bis zu 30 Zeugen aus der Versammlung Puntarenas in zwei oder drei Booten über die Bucht herüber. Anfangs war ich überrascht, daß die Beamten die Zeugen an den Kontrollstellen einfach passieren ließen, während alle anderen gründlich durchsucht wurden. Noch mehr wunderte mich, daß die Zeugen Gefangene und Wärter mit dem gleichen Respekt behandelten und mit jedem über ihre biblische Botschaft sprachen.

Einige Gefangene hatten ein regelmäßiges persönliches Bibelstudium mit den Zeugen, das jeweils an diesen Sonntagen durchgeführt wurde. Zu ihnen gehörte auch Franklin, an dem mich etwas besonders beeindruckte. Ich erfuhr, daß er zu einer 12jährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war, weil er einen Geschäftskonkurrenten getötet hatte. Im Gefängnis hatte er durch ein Fernstudium Buchführung gelernt. Da er weder trank noch rauchte, noch Drogen nahm, wurde ihm die Verantwortung für die Gefängnisbibliothek übertragen. Später erhielt er seine eigene Hütte, und man betraute ihn sogar mit noch größerer Verantwortung.

In der Schule hatte Franklin einige Freunde gehabt, die Zeugen Jehovas waren. Ihm war aufgefallen, daß sie sich nie in Streitigkeiten oder Schlägereien verwickeln ließen, auch nicht, wenn andere sie reizten. Obwohl er die Religion nicht ernst nahm, wußte er, daß die Zeugen friedliche und sittlich einwandfreie Menschen waren. Als er daher erfuhr, daß sich unter den Gefangenen ein „Atalaya“ („Wachtturm“, wie einige die Zeugen Jehovas nannten) befand, wurde er neugierig.

Eines Tages sah Franklin vor dem Mittagessen einen Gefangenen allein vor dem Speisesaal sitzen. Sein gepflegtes Aussehen veranlaßte Franklin zu der Frage, ob er der „Atalaya“ sei. Als der Betreffende bejahte, wollte Franklin sofort wissen: „Warum bist du hier?“ Der Mann berichtete, daß er nach seiner Einlieferung in das Zentralgefängnis der Hauptstadt San José begonnen hatte, mit Jehovas Zeugen die Bibel zu studieren. Er wurde nach San Lucas verlegt, wo er sein Studium mit einem Zeugen aus Puntarenas fortgesetzt hatte. Schließlich war er am Cocostrand von San Lucas getauft worden.

Dieses Zusammentreffen war ein Wendepunkt in Franklins Leben. Von da an führte er mit den Zeugen jedesmal, wenn sie kamen, lebhafte Gespräche. Er begann anderen Gefangenen und den Wärtern von den Dingen zu erzählen, die er kennengelernt hatte. Sein Lebenswandel, seine Kleidung und sein Haarschnitt änderten sich zum Besseren. Er und sein getaufter Gefährte erlangten die Achtung aller.

Franklins 12jährige Haftstrafe wurde schließlich auf 3 Jahre und 4 Monate verkürzt. Zusammen mit seinem Freund studierte er weiter die Bibel. Trotz der schlechten Gefängnisatmosphäre waren sie glücklich, was auch von ihrem Gesicht abzulesen war. Sie bemerkten, daß ich mich von den anderen Aufsehern unterschied, da ich keine schmutzigen Witze machte und mich nicht an obszönen Späßen beteiligte. Daher luden sie mich zu biblischen Gesprächen in ihre Hütten ein. Was ich von ihnen und von den Zeugen, die zu Besuch kamen, hörte, war für mich sehr interessant, besonders der Aufschluß über den Zustand der Toten und daß es keine Feuerhölle gibt. Man gab mir ein Exemplar des Buches Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt, und ich begann es zu lesen. Auch wenn ich es damals nicht erkannte, wurde dadurch doch der Same der Wahrheit in mein Herz gesät, der später Frucht tragen sollte.

Endlich frei!

Nachdem ich aus dem Polizeidienst ausgeschieden war, lebte ich kurze Zeit in Miami (Florida). Eines Tages begann ein Arbeitskollege sich mit mir über die Bibel zu unterhalten. Seine Sprache, seine Kleidung und sein Haarschnitt sagten mir, daß ich einen Zeugen Jehovas vor mir hatte. So stiegen die Erinnerungen an die Insel San Lucas wieder in mir auf, und ich fragte ihn, warum niemand daran interessiert zu sein schien, über geistige Dinge zu reden. Er erklärte es mir kurz und bot sich an, bei mir zu Hause darüber zu sprechen. Das führte zu einem regelmäßigen Bibelstudium. Später gab ich mich Gott hin und ließ mich taufen.

Im Jahre 1975 kehrte ich nach Costa Rica zurück und besuchte in San José einen Bezirkskongreß. Ich weiß bis heute nicht, wer von uns beiden überraschter war, als wir, Franklin und ich, uns zufällig auf dem Kongreß trafen. Er befand sich nun wieder auf freiem Fuß und hatte sich ebenfalls taufen lassen. Als ich San Lucas verlassen hatte, war sich Franklin nicht sicher gewesen, wie groß mein Interesse an der Bibel war. Aber hier standen wir nun — ein ehemaliger Strafgefangener und ein ehemaliger Aufseher —, wirklich vereint in der Freiheit, die die Anbetung Jehovas, des wahren Gottes, mit sich bringt.

Einige haben nur unangenehme Erinnerungen an die Strafkolonie auf der „Insel der einsamen Männer“. Für mich wurde dort die Grundlage für die geistige Freiheit gelegt. Als christlicher Ältester beteilige ich mich heute daran, denjenigen Freiheit zu bringen, die sich frei wähnen, aber in Wahrheit so gefangen sind wie die Männer, die ich früher bewacht habe. (Von David Robinson erzählt.)

[Karte auf Seite 25]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Nicaragua

KARIBISCHES MEER

Costa Rica

Puntarenas

Golf von Nicoya

San José

PANAMA

PAZIFISCHER OZEAN

km 0 50 100

Meilen 0 50 100

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