Das Streben nach Freiheit in Senegal
VOR Dakar, der modernen Hauptstadt Senegals, liegt die kleine Insel Gorée. Hier steht ein Gebäude, das an eine finstere Epoche der Geschichte erinnert — ein im Jahre 1776 errichtetes Sklavenhaus.
Einst gab es viele solche Gebäude, in denen zwischen 150 und 200 Sklaven unter erbärmlichen Bedingungen bis zu drei Monate lang eingepfercht waren, bevor man sie an ferne Orte verschiffte. Familien wurden auseinandergerissen, und keiner sollte den anderen jemals wiedersehen; der Vater mag nach Louisiana in Nordamerika gekommen sein, die Mutter nach Brasilien oder Kuba und die Kinder nach Haiti, Guyana oder Martinique. Welche Mißachtung der menschlichen Freiheit! Und wie deutlich einem dadurch vor Augen geführt wird, daß die Freiheit ein kostbares Gut ist, das keineswegs zu allen Zeiten der Besitz aller Menschen war.
Ich erfuhr davon aus einer Broschüre für Touristen, die ich auf dem Flug nach Senegal las, dem westlichsten Land auf der vorspringenden Landmasse Westafrikas. Senegals Savannen liegen zwischen den Wüsten im Norden und Osten und den dichten Urwäldern im Süden. Hier findet man die majestätischen, alten Baobabs mit ihren seltsamen Früchten, Affenbrot genannt, aus denen Weinstein gewonnen wird. Es ist auch das Land von Affen und bunten Vögeln sowie malerischen Dörfern inmitten von Mangowäldern.
Ich lehnte mich zurück und dachte an meinen lang ersehnten Besuch in diesem Land, dem Tor zu Westafrika. Heute herrscht in Senegal mit seinen sieben Millionen Einwohnern unterschiedlichster ethnischer Herkunft völlige Freiheit. Könnte es jedoch sein, daß jemand zwar körperlich frei, aber dafür Bräuchen und abergläubischen Vorstellungen versklavt ist, die ihm die wahre Freiheit rauben? Ich war gespannt auf das Zusammentreffen mit meinen Glaubensbrüdern, um mich aus erster Hand über die Fortschritte der Wahrheit, die die Menschen frei macht, in jenem Teil der Welt zu informieren (Johannes 8:32).
„Jehova ... wünscht, daß Sie dieses Gebäude bekommen“
Auf meinem Plan stand zunächst ein Besuch im Zweigbüro und Missionarheim der Watch Tower Society in Dakar. Als wir das moderne Gebäude in einem ruhigen Vorort von Dakar erreichten, bemerkte ich ein großes J an der Vorderseite. Meine erste Frage während der Führung durch das Zweigbüro war daher, wofür das J stand.
„Das ist eine interessante Geschichte“, erklärte mein Führer. „1985 suchten wir nach einem größeren Zweiggebäude und besichtigten auch dieses Gebäude, das noch im Bau war. Wir hatten jedoch den Eindruck, es sei für unsere Bedürfnisse zu groß. Als der Eigentümer erfuhr, daß wir Zeugen Jehovas waren, wollte er es sehr gern an uns vermieten, da er unsere Ehrlichkeit kannte. ‚Ich bin sicher, daß Ihr Gott, Jehova, wünscht, daß Sie dieses Gebäude bekommen‘, sagte er. ‚Schauen Sie! Hier an der Vorderseite steht sogar ein großes J. Es sollte eigentlich für meinen Namen, John, stehen, aber jetzt glaube ich, daß es für den Namen Gottes, Jehova, steht!‘ Wir freuen uns, seit fünf Jahren in dem schönen Gebäude zu sein.“
Als nächstes wollte ich wissen, wie das Predigtwerk in Senegal seinen Anfang nahm.
„Die befreienden Wasser der Wahrheit kamen Anfang der 50er Jahre hierher, und zwar durch einen Zeugen Jehovas aus Frankreich, der in Senegal einen Arbeitsvertrag hatte. 1965 wurde in Dakar ein Zweigbüro eröffnet, das sich um das Werk in den französischsprachigen Ländern Senegal, Mali und Mauretanien sowie im englischsprachigen Gambia kümmern sollte. Seit 1986 beaufsichtigen wir auch das Werk in Guinea-Bissau, wo Portugiesisch gesprochen wird.“
Da mir bekannt war, daß mehr als 90 Prozent der einheimischen Bevölkerung Nichtchristen sind, fragte ich, welche Fortschritte gemacht wurden. „Es stimmt, daß viele Menschen in diesen Ländern die Bibel nicht kennen“, sagte mein Führer, „aber das Werk geht beständig voran. Im Januar 1991 freuten wir uns darüber, daß 596 Königreichsverkündiger tätig waren. Das ist ein Beweis für die wirklich eifrige Tätigkeit der einheimischen Brüder und der Missionare.“
„Wie ich hörte, dienen hier viele Missionare“, erwähnte ich.
„Ja, den verschiedenen Gebieten, um die wir uns kümmern, sind etwa 60 Missionare zugeteilt, und sie kommen aus 13 Ländern. Sie arbeiten hart und haben wesentlich dazu beigetragen, daß das Werk auf einer soliden Grundlage steht. Diesen Geist spiegeln die einheimischen Brüder in ihrer Liebe und ihrem Eifer für die Wahrheit wider. Trotz Problemen wie Arbeitslosigkeit und sehr begrenzter materieller Mittel setzen viele Brüder jeden Monat 15 und mehr Stunden im Predigtdienst ein. Wir hoffen, daß du bei deinem Besuch einige dieser eifrigen Arbeiter kennenlernen wirst.“
Das wollte ich gern.
Mit Missionaren im Predigtdienst
Margaret (die inzwischen verstorben ist, nachdem sie über 20 Jahre im Missionardienst stand) erklärte sich bereit, mich in ihr Gebiet im Zentrum der Stadt mitzunehmen. Um ein wenig vom Leben der Einheimischen mitzubekommen, fuhren wir mit einem car rapide (schnelles Auto). Das ist eigentlich ein Kleinbus, der häufig anhält. Er nahm 25 Fahrgäste auf, und wenn alle schlank gewesen wären, wäre die Fahrt fast komfortabel gewesen. Die beiden Frauen, die mit mir die Sitzreihe teilten, waren jedoch alles andere als schlank. Ich ertrug die Situation mit einem Lächeln.
„In meinem Gebiet in der Stadt kannst du viele interessante Dinge sehen“, erzählte Margaret, als wir unser Ziel erreicht hatten. „Siehst du diese bunten Sandalen?“ fragte sie und deutete auf einige Stände auf dem Bürgersteig. „Sie werden aus gefärbten Häuten von Schafen und Ziegen gemacht.“ Wir gingen zu den Sandalenherstellern, und Margaret sprach sie in Wolof an. Sie hörten aufmerksam zu und waren von den Bildern von Adam und Eva in der farbigen Broschüre fasziniert.
Bald wurden wir von Straßenhändlern angesprochen, die dort als bana-bana-Männer bezeichnet werden und eine endlose Vielfalt von Waren anbieten. Einige hatten Besen, andere Kleidung, Schlösser, Medikamente, Geldbörsen, Orangen und sogar lebende Vögel. Einer von ihnen wollte mir eine kora verkaufen, ein Saiteninstrument, das aus einem halben Flaschenkürbis und einem Stock als Hals besteht; sie wird beidhändig gespielt. Ich bemerkte auf ihrer Rückseite das kleine Bild einer Maske aus Leder, Ziegenhorn und winzigen „Glücksmuscheln“. Wir erklärten ihm, daß wir nichts kaufen wollten, was mit Zeichen verziert war, die möglicherweise mit Zauberei oder unchristlichen Riten zu tun hatten. Zu unserer Überraschung stimmte uns der bana-bana-Mann zu und gab sich selbst als Muslim zu erkennen. Er verbarg die kora unter seinem langen wallenden Gewand oder boubou und hörte aufmerksam zu, als Margaret ihm eine arabische Broschüre anbot. Er war so begeistert, daß er die Broschüre nahm und sie auf der Stelle zu lesen begann. Nachdem er sich bei uns überschwenglich bedankt hatte, ging er mit der Broschüre und der unverkauften kora seines Weges. Wir waren uns sicher, daß er die Broschüre zu Hause studieren würde.
Später sprach ich mit John, der ebenfalls seit über 20 Jahren Missionar ist.
„Die Leute hier sind sehr freundlich, und man kann mit fast jedem sprechen, den man trifft“, erzählte er mir. „Der übliche Gruß, ‚assalam alaikum‘, bedeutet ‚Friede sei mit dir‘, und die meisten Menschen sind friedlich. Dies ist das Land der teranga oder Gastfreundschaft, und sie äußert sich in Freundlichkeit, menschlicher Wärme und Fröhlichkeit.“ Jetzt konnte ich leichter verstehen, warum so viele junge Zeugen aus dem Ausland bereit waren, ihre Angehörigen und Freunde zu verlassen, um in diesem Missionargebiet zu dienen.
Befreit — und dann den Vollzeitdienst angestrebt
Der Missionargeist hat einen nachhaltigen Einfluß auf die einheimischen Zeugen. Das ist wirklich offenkundig, denn wegen der großen Arbeitslosigkeit ist es eine echte Herausforderung, den Pionierdienst (Vollzeitpredigtdienst) aufzunehmen. Marcel und Lucien, die aufgrund dessen, daß sie die Wahrheit kennengelernt hatten, von vielen schädlichen Gewohnheiten frei wurden, berichteten:
„Wir wollten unsere Wertschätzung dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir den Pionierdienst aufnahmen. Es war jedoch schwer, eine Teilzeitarbeit zu finden. Wir versuchten es mit Gartenarbeiten, doch das erwies sich als undurchführbar. Wäschewaschen kostete uns zuviel Zeit. Jetzt sind wir im Bäckereigewerbe tätig und beliefern regelmäßig bestimmte Geschäfte. Das geht recht gut.“ Es kostete sie natürlich ein großes Maß an Glauben und Findigkeit sowie echte Anstrengungen, aber ihr Beispiel zeigt, daß es selbst unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen möglich ist, im Vollzeitdienst zu stehen.
Als Zeugen Jehovas mit Michel ein Bibelstudium begannen, besuchte er in Dakar die Universität. „Mich bedrückte der unmoralische Geist vieler Studenten, und verwirrende Fragen quälten mich“, berichtete er. „Warum war der Mensch solch schädlichen Praktiken und Zuständen versklavt? Die Bibel lieferte mir die Antwort. Ich hatte das Empfinden, mir sei eine große Last von den Schultern genommen worden. Meine Eltern bestanden zwar darauf, daß ich mein Studium fortsetzte, aber ich führte während meiner restlichen Studienzeit den Hilfspionierdienst und später den allgemeinen Pionierdienst durch. Für mich ist es die größte Freude, als Pionier anderen die gute Botschaft zu überbringen, statt in einem System, das bald enden wird, Karriere zu machen.“ Michel dient jetzt in Mbour als Sonderpionier.
Polygamie kontra christliche Monogamie
Die Landessitten sind nicht immer im Einklang mit christlichen Grundsätzen, und das kann zu speziellen Problemen führen. Alioune, der vorsitzführende Aufseher in einer der sechs Versammlungen der Zeugen Jehovas im Großraum Dakar, erzählte: „Ich hatte zwei Frauen, als ich die Wahrheit, die die Menschen frei macht, zum erstenmal vernahm. Einem strenggläubigen Muslim gestattet seine Religion sogar noch mehr Frauen. Mein Vater hatte vier Frauen, und die meisten meiner Freunde hatten ebenfalls mehrere. Das ist hier in Afrika Brauch.“ Doch wie wirkte sich diese Lebensweise aus?
„Wer mehr als eine Frau hat, muß mit vielen Problemen rechnen“, erklärte Alioune, „vor allem was die Kinder betrifft. Ich habe zehn Kinder mit meiner ersten Frau und zwei mit der zweiten. In solchen Familien ist der Vater für seine Kinder oft ein Fremder, so daß er ihnen nicht helfen und sie nicht zurechtweisen kann. Die Polygamie bewahrte mich auch nicht vor gelegentlichen Seitensprüngen. Das ist nur der Selbstbeherrschung, einer Frucht des Geistes Gottes, gelungen.“ Was tat Alioune also?
„Ich brachte meine zweite Frau zu ihren Eltern zurück“, fuhr er fort, „und erklärte taktvoll, der Grund dafür sei nicht, daß mir irgend etwas an ihr mißfallen würde, sondern daß ich Gottes Anforderungen erfüllen wollte. Ich traf besondere Vorkehrungen, um für alle meine Kinder materiell und geistig zu sorgen, und ich bin dankbar, daß auch sie heute Jehova dienen. Von den neun, die bereits Verkündiger sind, haben sich fünf taufen lassen, zwei dienen als Sonderpioniere und die anderen drei als allgemeine Pioniere oder Hilfspioniere. Die Wahrheit hat mich wirklich von vielen Problemen frei gemacht, die mit der Erziehung von Kindern verbunden sind.“
Fetischkult kontra wahre Anbetung
Meine Reise führte mich als nächstes in das Casamanche-Gebiet im Süden. Es war auffällig, welch frischen, grünen Eindruck alles machte. Der etwa 300 km lange Landstreifen, der vom breiten Casamanche gut bewässert wird, bringt reiche Ernten an Reis, Mais und Erdnüssen. Überall auf dem Land stehen runde, zweistöckige Hütten mit trichterförmigen Strohdächern, die dazu dienen, Regenwasser für die Trockenzeit zu sammeln. Die Provinzhauptstadt Ziguinchor wurde im Schutz eines riesigen Palmenhains errichtet. Ich freute mich, dort eine eifrige Versammlung des Volkes Jehovas vorzufinden.
Dominic, ein Missionar, der das Gebiet in und um Ziguinchor bearbeitet, erklärte mir, daß das Predigtwerk in dieser Gegend gute Fortschritte macht. „Vor nur zehn Jahren“, sagte er, „gab es in der Versammlung Ziguinchor 18 Verkündiger. Heute sind es 80. Um dieser großen Mehrung gerecht zu werden, haben wir einen schönen neuen Königreichssaal gebaut. Wir verwendeten dafür den roten Lehm, der auf dem Bauplatz vorhanden war. Das Projekt erwies sich am Ort als großes Zeugnis. Daß Menschen aus so vielen verschiedenen Stämmen friedlich zusammenarbeiteten, fand ein positives Echo bei den Leuten. Die Höchstzahl der Anwesenden auf einem unlängst abgehaltenen Kreiskongreß betrug 206, und 4 Personen wurden getauft.“
Viele Menschen in diesem Teil Senegals praktizieren immer noch den animistischen Glauben ihrer Vorfahren und verehren Fetische, obwohl sie behaupten, Christen oder Muslime zu sein. Aufmerksam hörte ich zu, als Victor, ein Ältester in der Versammlung Ziguinchor, seine Geschichte erzählte.
„Ich wurde in Guinea in eine große Familie von Fetischanbetern hineingeboren. Mein Vater weihte mich bei der Geburt einem bestimmten Geist oder Dämon. Um dessen Gunst zu gewinnen, holte ich später regelmäßig einen schwarzen Koffer unter dem Bett hervor, errichtete einen kleinen Altar und brachte dem Horn, das meinen dämonischen Beschützer darstellte, Blutopfer dar. Selbst nachdem ich zum Katholizismus übergetreten war, fühlte ich mich den Dämonen noch versklavt. Dann zog ich nach Senegal, und bald darauf begannen Zeugen Jehovas mit mir die Bibel zu studieren. Wir, meine Frau und ich, erfuhren, daß wir nicht fortfahren durften, ‘am Tisch Jehovas und am Tisch der Dämonen teilzuhaben’ (1. Korinther 10:21). Aber sobald ich keine Opfer mehr darbrachte, wurden wir von den Dämonen angegriffen. Ich hatte Angst, den schwarzen Koffer mit all den dämonischen Objekten wegzuwerfen, da ich einen Mann kannte, der daraufhin den Verstand verloren hatte.“ In welch verzweifelten Lage sich Victor doch befand!
„Die Worte aus Römer 8:31, 38, 39 gaben uns schließlich die nötige Kraft, uns von allem zu trennen, was mit dem Fetischkult zu tun hatte. Seitdem wir unser Vertrauen auf Jehova gesetzt haben, sind wir wirklich frei gemacht worden. Meine ganze Hausgemeinschaft hat die wunderbare Hoffnung auf ewiges Leben in einem irdischen Paradies, in dem die gesamte Menschheit frei sein wird vom Einfluß böser Dämonen.“
Dann kam die Zeit für meine Abreise. Als ich die Koffer packte, dachte ich über meinen unvergeßlichen Besuch in Senegal nach. Wie glaubensstärkend war es doch für mich, so viele Menschen kennenzulernen und zu sprechen, die aus der Sklaverei des Drogenmißbrauchs, der Unsittlichkeit oder des Aberglaubens befreit worden sind und nun wahre Freiheit genießen. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse finden sie Freude und Zufriedenheit darin, Jehova zu dienen, der ihnen die sichere Hoffnung auf ewiges Leben auf einer paradiesischen Erde gegeben hat. Wie dankbar sind wir ihm, der es ermöglicht hat, daß solch eine gute Botschaft während ‘des Jahres des Wohlwollens seitens Jehovas’ verkündigt wird — nicht nur in Senegal, sondern sogar weltweit! (Jesaja 61:1, 2). (Eingesandt.)
[Karte auf Seite 8]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
SENEGAL
St. Louis
Louga
Thiès
Dakar
Kaolack
GAMBIA
Banjul
[Bilder auf Seite 9]
Die befreienden Wasser der Wahrheit werden in den Dörfern freigebig ausgeteilt
Das Missionarheim und Zweigbüro der Zeugen Jehovas in Dakar (Senegal)
[Bild auf Seite 10]
Auch an der Küste hören die Senegalesen die christliche Botschaft