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Der Tag, als die Zwillingstürme einstürztenErwachet! 2002 | 8. Januar
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Der Tag, als die Zwillingstürme einstürzten
DIE Ereignisse vom 11. September 2001 in New York, Washington (D. C.) und im US-Bundesstaat Pennsylvania haben sich Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen in der ganzen Welt unauslöschlich eingeprägt. Wo haben wir persönlich von den Anschlägen auf das World Trade Center und auf das Pentagon erfahren?
Die unglaublich schnelle Zerstörung großer materieller Werte und, weit schlimmer noch, die Auslöschung so vieler Menschenleben waren auch ein Grund, einmal innezuhalten und manches zu überdenken.
Sehen wir heute deutlicher, was in unserem Leben wichtig und wesentlich ist? Wie haben diese tragischen Ereignisse einige der edleren menschlichen Züge wie Selbstaufopferung, Mitgefühl, Ausdauer und Selbstlosigkeit in den Vordergrund gerückt? Dieser und der folgende Artikel werden auf letztere Frage eingehen.
Überlebende berichten
Da der U-Bahn-Betrieb unmittelbar nach der Katastrophe eingestellt worden war, verließen Scharen von Menschen die Südspitze Manhattans zu Fuß, viele über die Brooklyn Bridge sowie über die Manhattan Bridge. Sie konnten deutlich die Büro- und Druckereigebäude der Weltzentrale der Zeugen Jehovas sehen. Bald liefen einige von denen, die vor der Katastrophe flohen, dorthin.
Alisha (rechts), deren Mutter Zeugin Jehovas ist, war unter den Ersten, die dort eintrafen — von oben bis unten voll Staub und Asche.a Sie berichtete: „Ich war mit dem Zug zur Arbeit unterwegs und sah Rauch vom World Trade Center aufsteigen. Als ich am Unglücksort ankam, lag alles voller Glas, und ich konnte die Hitze spüren. Die Menschen liefen durcheinander, während die Polizei versuchte, das Gebiet zu räumen. Es sah aus wie im Krieg.
Eilig suchte ich in einem Gebäude in der Nähe Schutz. Dann hörte ich die Explosion, als das zweite Flugzeug in den Südturm raste. Es war unbeschreiblich, überall war schwarzer Rauch. Wir wurden angewiesen, die Gefahrenzone zu verlassen. Man brachte mich mit einer Fähre über den East River nach Brooklyn. Als ich auf der anderen Seite ankam, schaute ich hoch und sah einen großen Schriftzug: ‚WATCHTOWER‘. Das war das Hauptbüro der Religion meiner Mutter! Ich lief sofort zum Hauptgebäude. Mir war klar, dass ich nirgendwo besser aufgehoben wäre. Dort konnte ich mich waschen und dann meine Eltern anrufen.“
Wendell (rechts) arbeitete als Portier im Marriott-Hotel zwischen den beiden Türmen. Er berichtete: „Ich hatte gerade Dienst in der Eingangshalle, als sich die erste Explosion ereignete. Überall stürzten Trümmerteile herab. Auf der anderen Straßenseite sah ich einen Mann brennend auf dem Boden liegen. Ich riss mir Jacke und Hemd vom Leib, lief zu ihm hin und versuchte die Flammen zu ersticken. Ein Passant kam mir zu Hilfe. Bis auf die Socken und die Schuhe verbrannte alles, was der Mann anhatte. Schließlich kamen Feuerwehrleute und nahmen ihn mit, damit er medizinisch versorgt werden konnte.
Kurz darauf rief Bryant Gumbel vom Fernsehsender CBS an und bat um einen telefonischen Augenzeugenbericht. Auf diese Weise erfuhr meine Familie auf den Virgin Islands aus dem Fernsehen, dass ich noch lebe.“
Donald ist kräftig und fast zwei Meter groß. Der Angestellte im World Financial Center befand sich im 31. Stock seines Gebäudes, genau gegenüber den Zwillingstürmen und dem Marriott-Hotel. Er sagte: „Der grauenhafte Anblick verschlug mir die Sprache. Menschen stürzten oder sprangen aus den Fenstern des Nordturms. Ich geriet in Panik und lief, so schnell ich konnte, nach draußen.“
Ein weiterer Bericht ist der einer Frau in den 60ern und ihrer beiden Töchter in den 40ern. Ruth und ihre Schwester Joni wohnten gemeinsam mit ihrer Mutter Janice in einem Hotel in der Nähe der Zwillingstürme. Ruth, eine Krankenschwester, erzählt, was sie erlebt haben: „Ich stand gerade unter der Dusche. Plötzlich riefen meine Mutter und meine Schwester, ich solle rauskommen. Wir waren in der 16. Etage, und sie konnten sehen, wie Trümmerstücke an unserem Fenster vorbeiflogen. Meine Mutter sah, wie ein Mann über ein Dach in der Nähe flog, als sei er irgendwo herausgeschleudert worden.
Ich zog mich schnell an, und dann liefen wir die Treppen hinunter. Von überall waren Schreie zu hören. Auf der Straße angekommen, hörten wir Explosionen und sahen Funken fliegen. Man wies uns an, nach Süden zum Battery Park zu laufen, zur Staten-Island-Fähre. Unterwegs verloren wir Mutter aus den Augen. Sie hat chronisches Asthma. Wie sollte sie in all dem Rauch, Staub und all der Asche überleben? Eine halbe Stunde lang suchten wir nach ihr, konnten sie aber nirgends finden. Doch zunächst machten wir uns keine allzu großen Sorgen, denn sie weiß sich zu helfen und verliert nicht so schnell die Nerven.
Irgendwann hieß es, wir sollten über die Brooklyn Bridge auf die andere Seite laufen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie erleichtert wir waren, als wir die Brooklyner Seite der Brücke erreichten und den Schriftzug ‚WATCHTOWER‘ sahen! Jetzt fühlten wir uns sicher.
Man nahm uns in Empfang und brachte uns unter. Wir erhielten auch etwas zum Anziehen, denn wir hatten ja nichts dabei. Aber wo war Mutter? Die ganze Nacht versuchten wir vergebens, herauszufinden, ob sie in irgendeinem Krankenhaus wäre. Am nächsten Tag gegen halb zwölf erhielten wir Nachricht. Mutter war unten in der Eingangshalle! Was war bloß mit ihr geschehen?“
Janice erzählt selbst weiter: „Als wir aus dem Hotel rannten, machte ich mir Sorgen um eine befreundete ältere Dame, die es nicht geschafft hatte, das Hotel zusammen mit uns zu verlassen. Ich wollte zurückgehen und sie selbst hinaustragen. Doch das war zu gefährlich. In dem ganzen Tumult wurde ich von meinen Töchtern getrennt. Aber ich war nicht wirklich besorgt, denn die beiden sind besonnen und Ruth ist eine gute Krankenschwester.
Wohin ich auch sah, überall brauchten Menschen Hilfe — vor allem Kinder und Babys. Ich half so vielen, wie ich konnte. In dem Bereich, wo die Opfer nach der Schwere ihrer Verletzungen eingeteilt und behandelt wurden, wusch ich den Feuerwehrmännern und Polizisten die ruß- und staubverkrusteten Hände und Gesichter. Dort blieb ich bis 3 Uhr morgens. Dann nahm ich die letzte Fähre nach Staten Island. Ich dachte, meine Töchter hätten sich vielleicht dorthin geflüchtet. Doch sie waren nicht zu finden.
Am Morgen wollte ich mit der ersten Fähre zurück nach Manhattan fahren, durfte aber nicht an Bord gehen, weil ich nicht zur Einsatztruppe gehörte. Da sah ich einen der Polizisten, denen ich geholfen hatte. Ich rief ihm zu: ‚John! Ich muss wieder nach Manhattan zurück!‘ ‚Kommen Sie einfach mit mir‘, antwortete er.
In Manhattan ging ich nochmals zum Marriott-Hotel.Vielleicht könnte ich meiner betagten Freundin ja noch irgendwie helfen. Keine Chance! Das Hotel war ein Trümmerhaufen. Das ganze Südende von Manhattan wirkte wie eine Geisterstadt — nirgendwo ein Lebenszeichen, nur die verhärmten, todtraurigen Gesichter der Polizisten und Feuerwehrmänner.
Ich machte mich auf den Weg zur Brooklyn Bridge. Als ich fast drüben war, erblickte ich die vertrauten Buchstaben: ‚WATCHTOWER‘. Vielleicht würde ich meine Töchter ja dort finden. Und tatsächlich, sie kamen die Treppe herunter. Was für ein Wiedersehen! Wir lagen uns in den Armen und weinten und weinten!
Erstaunlicherweise hatte ich trotz des ganzen Rauchs, Staubs und all der Asche keinen einzigen Asthmaanfall. Ich habe ständig gebetet, weil ich doch eine Hilfe sein wollte und keine Last.“
„Da kann man doch nirgends landen!“
Rachel, eine junge Frau Anfang 20, erzählte einem Erwachet!-Mitarbeiter: „Ich lief gerade an unserem Block im Süden Manhattans entlang, als ich über mir ein Flugzeug hörte. Es war so laut, dass ich hinaufsah. Ich traute meinen Augen nicht — da war dieser riesige Jet, und ganz offensichtlich war er im Sinkflug! Ich fragte mich, warum er bloß so tief und so schnell fliegt. Da kann man doch nirgends landen! Vielleicht hatte der Pilot ja die Kontrolle verloren. Dann hörte ich, wie eine Frau schrie: ‚Das Flugzeug hat das Gebäude gerammt!‘ Aus dem Nordturm schoss ein gewaltiger Feuerball hervor. Im Turm klaffte ein riesiges schwarzes Loch.
Das ist das Schrecklichste, was ich je gesehen habe. Es wirkte total unwirklich. Ich stand da und konnte es einfach nicht fassen. Kurz darauf wurde der zweite Turm von einem anderen Flugzeug getroffen und schließlich stürzten beide Türme ein. Da geriet ich total in Panik. Das war zu viel für mich!“
„Wenn es sein muss, schwimme ich“
Denise (16) war gerade in ihrer Schule neben der New Yorker Börse angekommen, drei Blocks südlich des World Trade Center. „Es war kurz nach neun. Ich hatte mitbekommen, dass irgendwas passiert war, wusste aber nicht, was. Wir hatten im 11. Stock Geschichtsunterricht. Die Schüler waren alle wie versteinert. Die Lehrerin wollte trotzdem noch einen Test mit uns schreiben. Aber wir wollten nur raus und nach Hause.
Dann, als das zweite Flugzeug in den Südturm einschlug, erzitterte unser Gebäude. Aber wir wussten immer noch nicht, was los war. Auf einmal hörte ich es aus dem Funkgerät der Lehrerin: ‚Zwei Flugzeuge sind in die Zwillingstürme gestürzt!‘ Ich dachte mir nur: ‚Es ist Irrsinn, hier sitzen zu bleiben. Das ist Terrorismus und als Nächstes trifft es die Börse.‘ Alle liefen nach draußen.
Während wir in Richtung Battery Park rannten, drehte ich mich um, weil ich sehen wollte, was passierte. Ich konnte erkennen, dass der Südturm einstürzen würde. Da dachte ich, es würde einen Dominoeffekt geben und all die hohen Gebäude würden einstürzen. Ich bekam kaum Luft, meine Nase und mein Rachen waren voller Asche und Staub. Ich rannte zum East River und dachte: ‚Wenn es sein muss, schwimme ich.‘ Beim Rennen betete ich zu Jehova, dass er mich retten möge.
Schließlich schickte man mich mit der Fähre nach New Jersey. Meine Mutter hat über 5 Stunden gebraucht, um mich zu finden, aber wenigstens war ich in Sicherheit!“
„Ist jetzt alles vorbei?“
Joshua (28) aus Princeton (New Jersey) leitete im 40. Stock des Nordturms gerade einen Lehrgang. Er erinnert sich: „Plötzlich war es, als sei eine Bombe hochgegangen. Alles vibrierte, und dann dachte ich: ‚Nein. Das muss ein Erdbeben sein.‘ Beim Blick nach draußen sah ich dann das Unglaubliche — um das ganze Gebäude wirbelten Rauch und Trümmerteile. Ich wandte mich an die Teilnehmer: ‚Alles liegen lassen. Wir gehen raus!‘
Wir liefen die Treppen hinunter, während sich das Treppenhaus mit Rauch füllte und Wasser aus der Sprinkleranlage sprühte. Aber es brach keine Panik aus. Die ganze Zeit über hoffte ich, das richtige Treppenhaus genommen zu haben und nicht direkt ins Feuer zu laufen.
Beim Hinunterlaufen fragte ich mich: ‚Ist jetzt alles vorbei?‘ Ich betete ununterbrochen zu Jehova und empfand ein seltsam friedliches Gefühl. Diese Art inneren Friedens habe ich noch nie zuvor erlebt. Das waren Augenblicke, die ich niemals vergessen werde.
Als wir endlich draußen waren, schickte die Polizei alle sofort weiter. Ich schaute an den Türmen hoch und sah, dass beide Gebäude aufgeschlitzt waren. Das Ganze wirkte surreal.
Da trat etwas Seltsames ein — eine fast unheimliche Stille, als ob Tausenden gleichzeitig der Atem stocken würde. New York schien stillzustehen. Dann folgten Schreie. Der Südturm stürzte in sich zusammen! Eine gewaltige Woge von Rauch, Asche und Staub raste auf uns zu. Es sah aus wie die Spezialeffekte im Kino. Aber das hier war Wirklichkeit! Sobald die Wolke uns eingeholt hatte, bekamen wir kaum noch Luft.
Ich war bis zur Manhattan Bridge durchgekommen, als ich mich umdrehte und den Nordturm mit seiner riesigen Fernsehantenne einstürzen sah. Auf dem Weg über die Brücke betete ich die ganze Zeit, es bis ins Bethel zu schaffen, wo sich die Weltzentrale der Zeugen Jehovas befindet. Nie zuvor war ich so froh, diesen Ort zu sehen. Und dort, an der Druckerei, stand der große Schriftzug, den jeden Tag Tausende sehen können: ‚Lies Gottes Wort, die Bibel, täglich‘! ‚Gleich hast du es geschafft‘, dachte ich, ‚lauf jetzt einfach weiter.‘
Beim Nachdenken über die Ereignisse ist mir bewusst geworden, dass ich mir über meine Prioritäten im Klaren sein muss — das Wesentliche muss im Leben Vorrang haben.“
„Ich habe Menschen aus dem Turm springen sehen“
Jessica (22) kam aus einer U-Bahn-Station in der Nähe des World Trade Center, als sie sah, was passiert war: „Ich schaute hoch und sah Asche, Trümmerstücke und alle möglichen Metallteile herabfallen. Die Leute standen Schlange vor den Telefonen und wurden immer hysterischer, weil sie warten mussten. Ich betete darum, ruhig zu bleiben. Dann gab es noch eine Explosion. Es regnete Stahl und Glas und ich hörte Schreie: ‚Das war noch ein Flugzeug!‘
Als ich wieder hinaufschaute, sah ich grauenhafte Szenen — Menschen sprangen aus den oberen Stockwerken, aus denen dichte Rauchwolken und Flammen schlugen. Ich sehe sie noch genau vor mir: ein Mann und eine Frau. Erst konnten sie sich eine Weile an einem Fenster festhalten. Dann mussten sie loslassen, und sie fielen und fielen und fielen. Es war so ein furchtbarer Anblick!
Schließlich erreichte ich die Brooklyn Bridge, zog die unbequemen Schuhe aus und rannte auf die Brooklyner Seite des Flusses. Dort lief ich zum Watchtower-Verwaltungsgebäude, wo man mir sofort half, mich zu beruhigen.
Am Abend habe ich zu Hause im Erwachet! vom 22. August 2001 die Artikelserie ‚Posttraumatische Belastungsstörungen — Was man tun kann‘ gelesen. Das war genau das, was ich brauchte!“
Das unvorstellbare Ausmaß der Katastrophe bewog die Menschen, einander zu helfen, so gut sie nur konnten. Der folgende Artikel beleuchtet diese Seite des Geschehens.
[Fußnote]
a Von den vielen Überlebenden, mit denen Erwachet! gesprochen hat, können in diesem kurzen Rückblick nur einige erwähnt werden; durch die Mitwirkung aller konnten die Berichte ergänzt und vervollständigt werden.
[Diagramm/Bilder auf Seite 8, 9]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
ZERSTÖRT
1 NORDTURM World Trade Center 1
2 SÜDTURM World Trade Center 2
3 MARRIOTT-HOTEL World Trade Center 3
7 WORLD TRADE CENTER 7
SCHWER BESCHÄDIGT
4 WORLD TRADE CENTER 4
5 WORLD TRADE CENTER 5
L ONE LIBERTY PLAZA
D DEUTSCHE BANK 130 Liberty St.
6 US-ZOLLAMT World Trade Center 6
N S NÖRDLICHE UND SÜDLICHE FUSSGÄNGERBRÜCKE
TEILWEISE BESCHÄDIGT
2F WORLD FINANCIAL CENTER 2
3F WORLD FINANCIAL CENTER 3
W WINTERGARTEN
[Nachweis]
Stand: 4. Oktober 2001 3D Map of Lower Manhattan by Urban Data Solutions, Inc.
[Bilder]
Ganz oben: Der Südturm stürzte zuerst zusammen
Oben: Einige flüchteten sich zu den Watchtower-Gebäuden
Rechts: Hunderte von Feuerwehrleuten und Rettungsmannschaften arbeiteten unermüdlich am Ground Zero
[Bildnachweis]
AP Photo/Jerry Torrens
Andrea Booher/FEMA News Photo
[Bildnachweis auf Seite 3]
AP Photo/Marty Lederhandler
[Bildnachweis auf Seite 4]
AP Photo/Suzanne Plunkett
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Hilfe und Mitgefühl von allen SeitenErwachet! 2002 | 8. Januar
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Hilfe und Mitgefühl von allen Seiten
DIE freiwilligen Helfer kamen von überall aus den Vereinigten Staaten sowie aus anderen Ländern. Einer dieser Freiwilligen war Tom (29, oben), ein Feuerwehrmann aus Ottawa (Kanada). Er berichtete Erwachet!: „Ich hatte im Fernsehen gesehen, was passiert war, und wollte meine Kameraden von der New Yorker Feuerwehr moralisch unterstützen. Am Freitag bin ich runtergefahren und habe am Samstag am Ground Zero meine Hilfe angeboten. Dort wurde ich einer so genannten Eimerbrigade zugeteilt, die Eimer für Eimer den Schutt abträgt.
Langsam durchsuchten wir Schaufel für Schaufel die Trümmer und achteten auf Gegenstände, die vielleicht zur Identifizierung umgekommener Feuerwehrleute beitragen könnten. Ich fand Schlauchkupplungen und ein Brechwerkzeug zum Öffnen von verschlossenen Türen. Es war eine mühsame Arbeit. Um einen Kipper zu beladen, brauchten etwa 50 Freiwillige zwei Stunden.
Am Montag, den 17. September, bargen wir die Leichen einiger Feuerwehrleute, die am Dienstag davor in das Gebäude geeilt waren. Ich werde die Szene niemals vergessen: Alle Rettungshelfer unterbrachen die Arbeit, nahmen die Helme ab und standen still — zum Zeichen der Achtung vor den umgekommenen Kollegen.
Als ich dastand und die Zerstörung am Ground Zero betrachtete, wurde mir deutlich bewusst, wie vergänglich das Leben heute ist. Ich musste über mein eigenes Leben nachdenken, über meine Arbeit und meine Familie. Trotz der Risiken gibt mir meine Arbeit sehr viel, da ich Menschen helfen und sogar Leben retten kann.“
Jehovas Zeugen bieten praktische Hilfe an
In den ersten zwei Tagen nach der Katastrophe fanden ungefähr 70 Personen in der Weltzentrale der Zeugen Jehovas Zuflucht. Einige, die kein Hotelzimmer und keine Kleidung mehr hatten, erhielten eine Unterkunft und etwas zum Anziehen. Die Hilfesuchenden wurden beköstigt. Was aber vielleicht noch wichtiger war: Erfahrene christliche Älteste leisteten ihnen emotionalen Beistand.
Jehovas Zeugen stellten den Such- und Rettungsmannschaften, die in dem später Ground Zero genannten Gebiet arbeiteten, auch Notfallausrüstung und Vorräte zur Verfügung. Außerdem halfen sie der Feuerwehr dabei, Feuerwehrleute zum Rettungseinsatz zu fahren. Ricardo, ein 39-jähriger Zeuge Jehovas (rechts oben), der bei der Müllabfuhr arbeitet, räumte zusammen mit Hunderten anderen Helfern täglich tonnenweise Schutt weg. Gegenüber Erwachet! sagte er: „Der Anblick machte allen unglaublich zu schaffen, besonders den Feuerwehrleuten, die nach verschollenen Kameraden suchten. Ich sah, wie ein Feuerwehrmann lebend geborgen wurde. Ein anderer Feuerwehrmann war von einem herabfallenden Körper erschlagen worden. Vielen Feuerwehrmännern liefen die Tränen übers Gesicht. Ich brach weinend zusammen. An diesem Tag hat niemand mehr Mut gezeigt als diese Männer.“
„Zeit und unvorhergesehenes Geschehen“
Die Katastrophe forderte Tausende von Todesopfern. Unter ihnen sind mindestens 14 Zeugen Jehovas, die gerade am Ort der Tragödie oder in der Nähe waren. Joyce Cummings (65), die ursprünglich aus Trinidad stammt, hatte unweit des World Trade Center einen Zahnarzttermin. Leider war das etwa zum Zeitpunkt der Katastrophe. Sie war offensichtlich im Rauch zusammengebrochen und wurde so schnell wie möglich ins Krankenhaus gebracht. Doch man konnte sie nicht mehr retten. Sie war eine von vielen, die auf schmerzliche Weise von ‘Zeit und unvorhergesehenem Geschehen’ getroffen wurden (Prediger 9:11). Joyce war als eine sehr eifrige Evangeliumsverkündigerin bekannt.
Calvin Dawson (siehe nebenstehenden Kasten) arbeitete in einem Maklerbüro im 84. Stock des Südturms. Er befand sich in seinem Büro, von wo aus er den Nordturm unmittelbar nach dem Einschlag des Flugzeugs deutlich sehen konnte. Sein Arbeitgeber, der sich nicht im Gebäude befand, rief an, um herauszufinden, was passiert war. Sein Bericht: „Calvin versuchte mir zu beschreiben, was er sah. ‚Die Leute springen!‘, sagte er. Ich sagte ihm, er solle machen, dass er rauskomme, und das Büro räumen lassen.“ Calvin selbst hat es nicht mehr nach draußen geschafft. Sein Chef ergänzte noch: „Ich muss Ihnen sagen, dass Calvin ein wunderbarer Mensch war, den wir alle sehr geschätzt haben, sogar diejenigen von uns, die nicht religiös sind. Wir haben seinen tiefen Glauben und seine Menschlichkeit immer bewundert.“
Ein weiterer Zeuge Jehovas, der sein Leben verlor, war James Amato, Vater von vier Kindern und Captain bei der New Yorker Feuerwehr (unteres Bild auf Seite 10). Diejenigen, die ihn kannten, sagten, er habe den Mut gehabt, „selbst dann noch in einem brennenden Gebäude nach oben zu gehen, wenn die Leute schon davonliefen“. James wurde postum zum Battalion Chief befördert.
George DiPasquale war ebenfalls ein Zeuge Jehovas. Der Feuerwehrmann mit 7 Jahren Berufserfahrung hatte mit seiner Frau Melissa eine 2-jährige Tochter, Georgia Rose. Er war Ältester in einer Versammlung der Zeugen Jehovas auf Staten Island. Als der Südturm einstürzte, befand er sich im 10. Stockwerk. Auch er starb bei dem Versuch, andere zu retten.
Die beiden sind nur zwei von mehreren hundert Feuerwehrleuten, Polizisten und Rettungskräften, die ums Leben kamen, während sie mutig versuchten, andere zu retten. Die Tapferkeit all dieser Rettungskräfte kann nicht genug betont werden. Später sagte der Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, zu einer Gruppe von Feuerwehrleuten, die befördert worden waren: „Ihre Bereitschaft, sich unter schwersten Bedingungen nicht einschüchtern zu lassen, sondern weiterzumachen, inspiriert uns alle. ... Es gibt ... kein leuchtenderes Beispiel des Mutes als die Feuerwehr der Stadt New York.“
Ein Trost bringender Dienst
In den Tagen nach der Tragödie versuchten die rund 900 000 Zeugen Jehovas in den Vereinigten Staaten überall im Land, der trauernden Bevölkerung gezielt Trost zu spenden. Ihre Nächstenliebe motivierte sie, die Trauernden zu trösten (Matthäus 22:39). In ihrem Dienst bemühten sie sich außerdem, auf die einzige wirkliche Hoffnung für die leidende Menschheit aufmerksam zu machen (2. Petrus 3:13).
Die Zeugen gingen mitfühlend auf ihre Mitmenschen ein. Sie beabsichtigten, Trost aus der Bibel zu vermitteln und andere so zu stärken wie Jesus Christus, der sagte: „Kommt zu mir alle, die ihr euch abmüht und die ihr beladen seid, und ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin mild gesinnt und von Herzen demütig, und ihr werdet Erquickung finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“ (Matthäus 11:28-30).
Gruppen von Ältesten aus Versammlungen der Zeugen Jehovas in Manhattan wurde gestattet, das Ground-Zero-Gebiet zu betreten, um dort mit den Rettungsmannschaften zu reden und ihnen Trost zu spenden, was ein sehr positives Echo fand. Einige der Ältesten berichteten: „Den Männern standen Tränen in den Augen, als wir mit ihnen über biblische Gedanken sprachen.“ In einem Jachthafen lag ein Boot, auf dem sich Rettungskräfte erholen konnten. „Die Männer wirkten so verloren, wie sie mit gesenktem Kopf dasaßen und mit all dem, was sie gesehen hatten, einfach nicht fertig wurden. Wir setzten uns zu ihnen und sprachen mit ihnen über einige Bibeltexte. Die Männer bedankten sich von ganzem Herzen für unser Kommen und sagten, das sei genau der Trost gewesen, den sie gebraucht hätten.“
Nach der Tragödie baten viele Personen um Lesestoff. Tausende von Broschüren mit Titeln wie Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist oder Wird es je eine Welt ohne Krieg geben? sowie Kümmert sich Gott wirklich um uns? wurden kostenfrei verteilt. Außerdem fanden zwei Titelserien der Zeitschrift Erwachet! besondere Beachtung: „Das neue Gesicht des Terrorismus“ (22. Mai 2001) und „Posttraumatische Belastungsstörungen — Was man tun kann“ (22. August 2001). Zeugen Jehovas konnten mit vielen über die biblische Auferstehungshoffnung sprechen (Johannes 5:28, 29; Apostelgeschichte 24:15). So wurden wahrscheinlich Millionen von Menschen mit dieser tröstlichen Botschaft erreicht.
Es sollte uns nachdenklich stimmen
Tragödien wie die von New York sollten uns alle veranlassen, darüber nachzudenken, was wir mit unserem Leben anfangen. Leben wir nur für eigennützige Ziele, oder versuchen wir, zum Wohlergehen anderer beizutragen? Der Prophet Micha fragte: „Was fordert Jehova von dir zurück, als Recht zu üben und Güte zu lieben und bescheiden zu wandeln mit deinem Gott?“ (Micha 6:8). Ein bescheidener Mensch wird sich bereitwillig an Gottes Wort wenden, um die wahre Hoffnung für die Verstorbenen kennen zu lernen und zu erfahren, auf welche Weise Gott bald das Paradies auf der Erde wiederherstellen wird. Wenn Sie mehr über die Verheißungen der Bibel erfahren möchten, bitten wir Sie, sich an Zeugen Jehovas in Ihrer Nähe zu wenden (Jesaja 65:17, 21-25; Offenbarung 21:1-4).
[Kasten/Bilder auf Seite 11]
TATIANAS GEBET
Lena, die Witwe von Calvin Dawson, berichtete Erwachet! von einem Gebet ihrer 7-jährigen Tochter Tatiana. Es war, einige Tage nachdem Tatiana erfahren hatte, dass ihr Vater nicht mehr nach Hause kommen würde. Lena hatte ein Gebet gesprochen, worauf Tatiana sie fragte: „Mutti, darf ich auch ein Gebet sprechen?“ Die Mutter war einverstanden. Dann betete Tatiana: „Jehova, unser himmlischer Vater, wir wollen dir für unser Essen und für diesen Tag des Lebens danken. Und wir wollen dich bitten, mir und Mutti deinen Geist zu geben, damit wir stark sein können. Und wir wollen dich bitten, Vati deinen Geist zu geben, damit er stark ist, wenn er zurückkommt. Und wenn er zurückkommt, dass er lieb, stark und glücklich und gesund ist und wir ihn wiedersehen. Im Namen Jesu ... ach, und vergiss nicht, Mutti Kraft zu geben. Amen.“
Lena war sich nicht ganz sicher, ob Tatiana alles richtig verstanden hatte, und sagte: „Tiana, das hast du schön gesagt. Aber Spatz, du weißt doch, dass Vati nicht mehr zurückkommt?“ Auf einmal schaute Tatiana ganz verstört. „Er kommt nicht?“, fragte sie. „Nein“, antwortete ihre Mutter, „ich dachte, ich hätte es dir erklärt. Ich dachte, du hättest verstanden, dass Vati nicht zurückkommt.“ Tatiana erwiderte: „Aber du hast mir doch immer erzählt, dass er in der neuen Welt zurückkommt!“ Jetzt verstand Lena, was ihre Tochter gemeint hatte, und sagte: „Es tut mir leid, Tatiana, ich habe dich missverstanden. Ich dachte, du meintest, Vati würde morgen zurückkommen.“ Lena bemerkte zu diesem Gespräch: „Es tat gut, zu wissen, dass die neue Welt für sie so real ist.“
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