Wachtturm ONLINE-BIBLIOTHEK
Wachtturm
ONLINE-BIBLIOTHEK
Deutsch
  • BIBEL
  • PUBLIKATIONEN
  • ZUSAMMENKÜNFTE
  • Venezuela
    Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1996
    • Die Grundlage für ein ausgedehntes Zeugnis gelegt

      Zu der Zeit, als Kate Goas ihren Brief an die Gesellschaft schrieb, plante man in Brooklyn gerade, Missionare nach Venezuela zu senden, die in der Wachtturm-Bibelschule Gilead geschult worden waren. Nathan Knorr und Fred Franz — der damalige Präsident und der Vizepräsident der Watch Tower Society — waren wiederholt nach Lateinamerika gereist, um dort die Grundlage für eine ausgedehnte Missionartätigkeit zu legen. Für das Jahr 1946 planten sie einen Besuch in Venezuela. Drei Missionare, Absolventen der Gileadschule, sollten nach Venezuela gehen, doch sie hatten noch kein Visum erhalten. Wer würde alles für den Besuch des Präsidenten vom 9. bis 12. April 1946 organisieren?

      Einer der drei Missionare wurde mit einem Touristenvisum vorausgesandt. Er kam mit dem Flugzeug an und wohnte im Haus von Jeanette Atkins, einer gastfreundlichen Schwester, die durch Kate Goas die Wahrheit kennengelernt hatte. Doch drei Wochen nach seiner Ankunft verschwand der Missionar auf geheimnisvolle Weise. Seine Hauswirtin und Freunde fragten bei der Polizei und den Fluggesellschaften nach und fanden schließlich heraus, daß er wegen schrecklichen Heimwehs in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war!

      Bevor das geschah, hatten Bruder Knorr und Bruder Franz der Gruppe in Venezuela einen Besuch abgestattet, der sich als äußerst nützlich erwies. Rubén Araujo erinnert sich, daß noch am Tag ihrer Ankunft eine Zusammenkunft in dem Patio des Hauses von Jeanette Atkins stattfand, bei der 22 Anwesende die Vorträge von den Besuchern hörten.

      Unter den Anwesenden befand sich Pedro Morales, der von der guten Botschaft hellauf begeistert war. Später sagte er: „Ende der 30er Jahre gaben mir Kate Goas und ihre Tochter auf dem großen Markt von Maracaibo das Buch Reichtum. Jahre später las ich es; es erschloß mir die Bibel. Als ich zu dem Abschnitt kam, in dem es darum ging, diejenigen an ihrer Stirn zu kennzeichnen, die es verdienten, fing ich Feuer (Hes. 9:4). Das veranlaßte mich, die Menschen zu suchen, die diese Literatur schon hatten. Ich fand vier Personen, die Bücher von jemandem aus Trinidad erhalten hatten. Wir trafen uns jeden Abend, um das Buch Reichtum zu studieren, und benutzten unsere Wohnungen abwechselnd als Zusammenkunftsstätte.“

      Als Pedro eingeladen wurde, anläßlich des Besuches von Bruder Knorr eine Zusammenkunft in Caracas (etwa 700 Kilometer entfernt) zu besuchen, entschlossen sich er und ein Freund, dorthin zu reisen. Doch er mußte erst einige Probleme bewältigen. Pedro berichtete weiter: „Bei meiner schwangeren Frau setzten die Wehen ein, und ich mußte mich um das Geschäft kümmern. Was sollte ich tun? Ich holte eine Hebamme, die bei meiner Frau blieb, und überließ den Süßwarenladen meinen drei Kindern, die 14, 12 und 10 Jahre alt waren. Dann fuhren wir mit dem Bus nach Caracas; das war eine anstrengende Reise — zwei Tage über ungepflasterte Straßen.“ Wie er sich freute, die Zeugen in Caracas zu treffen! Dort erhielt er ein Telegramm aus Maracaibo: „Frau wohlauf. Kind geht’s noch besser. Kümmere mich ums Geschäft. Justo Morales.“ Unerwartet war sein Bruder aus Kolumbien gekommen und hatte sich um alles gekümmert.

      Gleich am ersten Tag dieser besonderen Zusammenkunft in Caracas sprach Bruder Franz über das Thema: „Jehovas Zeugen im Feuerofen“. Dann fuhr Bruder Knorr mit dem Thema fort, und Fred Franz übersetzte. Vielen wurden durch diesen Vortrag die Augen geöffnet. Die Aufmerksamkeit wurde auf das gelenkt, was Christen gemäß der Bibel von der Welt zu erwarten haben, und es wurde Näheres über die heftige Verfolgung berichtet, die Jehovas Zeugen während des Zweiten Weltkrieges in Europa durchgemacht hatten.

      Am nächsten Tag fand in Los Chorros eine Taufe statt, und zwar in einem Becken am Fuße eines Wasserfalles. 10 Personen ließen sich an diesem Tag taufen, darunter Winston Blackwood (den Schwester Goas in Quiriquire angesprochen hatte) und sein Sohn Eduardo, Horacio Mier y Terán sowie sein jüngerer Bruder Efraín, Pedro Morales, Gerardo Jessurun aus Suriname, Israel Francis und José Mateus.

      Pedro Morales und zwei weitere Brüder aus dem Westen des Landes waren überglücklich, als Bruder Knorr sagte, die Gesellschaft würde Missionare nach Maracaibo senden, sobald die Regierung es gestatte. Pedro selbst wurde allgemeiner Pionier und blieb es bis zu seinem Tod.

  • Venezuela
    Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1996
    • „Und wie lange bleibt ihr?“

      Am 2. Juni 1946, kurz nach Bruder Knorrs Besuch, trafen die beiden anderen Missionare der Gruppe ein, die nach Venezuela gehen sollte. Es waren Donald Baxter und Walter Wan. Der junge Rubén Araujo empfing sie in Caracas. Er beobachtete sie mißtrauisch und hatte zweifellos die Erfahrung mit dem vorigen Missionar noch frisch im Sinn, als er in gebrochenem Englisch fragte: „Und wie lange bleibt ihr?“

      Rubén hatte Vorbereitungen für ein Wachtturm-Studium getroffen, das genau an dem Tag durchgeführt wurde, an dem die Missionare eintrafen. Er versuchte, die Anweisungen von Bruder Franz in die Tat umzusetzen. Er tat es, so gut er konnte, doch es war ein Einmannstudium. Rubén las die Frage. Dann beantwortete er sie. Danach las er den Absatz. Er dachte daran, daß das Studium eine Stunde nicht überschreiten sollte; somit hörte er gehorsam pünktlich auf, obwohl er nur 17 Absätze behandelt hatte und nicht den ganzen Artikel! Mit der Zeit und mit Geduld würde er Erfahrung sammeln.

      Rückblickend auf die plötzliche Abreise des ersten Missionars, sagt Rubén Araujo: „Kurz danach wurde die Leere, die er hinterließ, von den zwei neuen Gileadabsolventen ausgefüllt. Wie glücklich wir über die von Jehovas Organisation erhaltene Gabe in Form dieser Missionare waren, die uns in unserem venezolanischen Mazedonien helfen sollten!“ (Vergleiche Apostelgeschichte 16:9, 10.) Zuvor hatte Bruder Knorr zu Bruder Baxter gesagt: „Bleibe in dieser Zuteilung, selbst wenn es deinen Tod bedeutet!“ Nun, das bedeutete es nicht, und Bruder Baxter dient fast 50 Jahre später immer noch in Venezuela.

      Sich an eine neue Umgebung angepaßt

      Das erste Missionarheim in Caracas befand sich in der Bucares Avenue 32, in einem Bezirk, der El Cementerio genannt wurde. Dort wurde am 1. September 1946 auch ein Zweigbüro eröffnet, und Donald Baxter diente als Zweigdiener. Die Wohnbedingungen waren alles andere als ideal. Die Straße war ungepflastert, und es gab kein fließendes Wasser. Verständlicherweise atmeten die Missionare auf, als das Zweigbüro und das Missionarheim 1949 von El Cementerio (Friedhof) nach El Paraíso (Paradies) verlegt wurden, wo es fließendes Wasser gab.

      Bruder Baxter erinnert sich an die Anfangsschwierigkeiten der Missionare in Verbindung mit der neuen Sprache und an ihre Gefühle der Enttäuschung. Sie brannten darauf, das in Gilead Gelernte anzuwenden, um anderen zu helfen, aber als sie ankamen, konnten sie sich nicht verständlich machen. Dieses vorübergehende Problem wurde jedoch durch hervorragende Ergebnisse im Dienst mehr als wettgemacht. Bruder Baxter berichtet von ihrem ersten Straßendienst: „Wir entschieden uns für das Gebiet im Stadtzentrum, das als El Silencio bekannt war, und wollten sehen, was passieren würde. Mein Partner Walter Wan stand an einer Ecke und ich an einer anderen. Die Menschen waren sehr neugierig; so etwas hatten sie noch nie gesehen. Wir brauchten kaum etwas zu sagen. Die Leute stellten sich sogar in einer Reihe auf, um Zeitschriften zu bekommen, und nach 10 oder 15 Minuten hatten wir alle abgegeben. Welch ein Unterschied zu dem, was wir aus den Vereinigten Staaten gewohnt waren!“ Walter Wan erzählt: „Bei einer ‚Bestandsaufnahme‘ stellte ich zu meinem Erstaunen fest, daß ich in vier ereignisreichen Tagen, an denen ich wie Jesus und die Apostel Jehova auf den Straßen und Marktplätzen gepriesen hatte, 178 Bibeln und Bücher abgegeben hatte.“

      Aus dem ersten Bericht, den das Zweigbüro an das Hauptbüro in Brooklyn (New York) sandte, ging hervor, daß es insgesamt 19 Verkündiger gab, die zwei Missionare und vier allgemeinen Pioniere eingeschlossen. Diese Pioniere waren Eduardo Blackwood, Rubén Araujo, Efraín Mier y Terán und Gerardo Jessurun. Eduardo Blackwood hatte den Pionierdienst in dem Monat von Bruder Knorrs Besuch aufgenommen und die anderen kurz danach. Neun Brüder predigten im Landesinneren. Winston und Eduardo Blackwood, die in El Tigre wohnten, gaben im Süden bis nach Ciudad Bolívar Zeugnis und im Osten bis zu den Siedlungen der Ölfirmen in der Nähe von Punta de Mata und Maturín. Pedro Morales predigte mit anderen in Maracaibo. Gerardo Jessurun, Nathaniel Walcott und David Scott predigten in den Siedlungen der Ölfirmen von Cabimas und Lagunillas an der Ostseite des Maracaibosees. Hugo Taylor, der 1995 immer noch als Sonderpionier diente, schloß sich ihnen später an. Alle zusammen bearbeiteten sie einen großen Teil des Landes. Bruder Baxter und Bruder Wan sollten bald selbst feststellen, was das bedeutete.

      Bemühungen, alle Gruppen zu besuchen

      Im Oktober und November 1947 reisten die beiden Missionare in die entfernten westlichen und östlichen Landesteile, um zu sehen, wie man den kleinen Gruppen helfen konnte. Ihr Ziel war es, aus diesen Gruppen Versammlungen zu bilden. „Wir fuhren mit dem Bus, was in Venezuela wirklich ein Erlebnis war“, berichtet Bruder Baxter und lächelt, wenn er sich an die denkwürdige Reise erinnert. „In den Bussen waren die Sitze klein und dicht beieinander, da die meisten Venezolaner klein sind; somit hatten wir zwei Nordamerikaner kaum genug Platz für unsere Beine. Oben auf dem Bus sah man gewöhnlich Betten, Nähmaschinen, Tische, Hühner, Truthühner und Bananen sowie das Gepäck der Reisenden. Wer nur eine kurze Strecke reiste, plagte sich nicht damit ab, seine Hühner oder kleinen Gegenstände nach oben zu befördern, sondern brachte sie mit in den Bus und verstaute alles in dem Gang zwischen den Sitzen. Der Bus hatte eine Panne, und bis ein anderer Bus kam, blieben wir stundenlang in einer Wildnis liegen, wo es nur Kakteen und Ziegen gab. Danach ging uns der Treibstoff aus.“

      In jeder der vier Ortschaften, die sie aufsuchten, trafen sie eine Gruppe von zirka 10 Personen an, die sich in jemandes Wohnzimmer versammelten. Die Missionare zeigten ihnen, wie man Zusammenkünfte durchführt, wie sie dem Zweigbüro regelmäßig über ihre Tätigkeit berichten sollten und wie sie Literatur für den Predigtdienst erhalten konnten.

      In El Tigre stellte Bruder Baxter fest, daß Alejandro Mitchell, einer der neuen Brüder dort, die Ermahnung aus Matthäus 10:27, von den Hausdächern zu predigen, sehr wörtlich genommen hatte. Auf dem Dach seines Hauses hatte er einen Lautsprecher aufgestellt, und jeden Tag las er etwa eine halbe Stunde lang ausgewählte Abschnitte aus den Büchern Kinder, Die Neue Welt oder aus anderen Veröffentlichungen der Gesellschaft vor. Dabei hatte er die Lautstärke so hoch eingestellt, daß er noch etliche Blocks weiter gehört werden konnte! Es überrascht nicht, daß sich die Nachbarn aufregten. Ihm wurde nahegelegt, daß es doch besser sei, von Haus zu Haus zu predigen und auf den Lautsprecher zu verzichten.

      Der Besuch der Brüder bei den verschiedenen kleinen Gruppen war sehr nützlich; in den zwei Monaten der Reise ließen sich 16 Personen taufen.

      Missionare treffen in Maracaibo ein

      Maracaibo liegt im Nordwesten des Landes und ist die zweitgrößte Stadt in Venezuela. Zwei ihrer herausragenden Merkmale sind die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit. Sie ist auch das Zentrum für den Ölhandel in Venezuela. Der neuere Teil der Stadt hebt sich deutlich von der Altstadt am Hafen ab; der ältere Stadtteil mit seinen engen Straßen und den Häusern im Kolonialstil, die aus luftgetrockneten Lehmziegeln gebaut wurden, hat sich seit dem vorigen Jahrhundert kaum verändert.

      Am 25. Dezember 1948 kamen sechs Missionare auf einem Frachter in Maracaibo an. Sie waren mit Winterkleidung schwer beladen, weil sie gerade aus dem kalten New York kamen. Zu der Gruppe gehörten Ragna Ingwaldsen, die sich 1918 taufen ließ und in Kalifornien immer noch im Pionierdienst steht, Bernice Greisen (jetzt „Bun“ Henschel, ein Mitglied der Bethelfamilie im Hauptbüro), Charles und Maye Vaile, Esther Rydell (Ragnas Halbschwester) und Joyce McCully. Sie wurden in der kleinen Wohnung eines Ehepaares willkommen geheißen, das seit kurzem mit den Zeugen verbunden war. Hier verstauten die schwitzenden Missionare ihre 15 Koffer und 40 Literaturkartons, so gut es ging. Vier schliefen in Hängematten und zwei in Betten, die sie aus den Bücherkartons machten, bis sie ein Haus als Missionarheim mieten konnten.

      Ragna erinnert sich, daß sie in den Augen der Maracuchos, wie der Volksmund die Einwohner Maracaibos nennt, sehr fremdartig aussahen. Mehrere Missionare waren groß und blond. „Im Haus-zu-Haus-Dienst folgten uns oftmals bis zu zehn nackte kleine Kinder, für die ihre Muttersprache aus unserem Mund fremdartig klang“, sagte Ragna später. „Keiner von uns sechs kannte mehr als ein Dutzend spanische Wörter. Doch wenn sie über uns lachten, lachten wir einfach mit.“ Als diese Missionare in Maracaibo eintrafen, gab es dort nur vier Verkündiger. Anfang 1995 waren es 51 Versammlungen mit insgesamt 4 271 Verkündigern.

      Sein Gebet wurde erhört

      Bei dem Ehepaar, das die sechs Missionare in seiner Wohnung freundlich willkommen hieß, handelte es sich um Benito und Victoria Rivero. Benito hatte das Buch „Das Königreich ist herbeigekommen“ von Juan Maldonado erhalten, einem Pionier aus Caracas. Benito war begeistert, als Pedro Morales ihm später ein Studium anbot; er studierte nicht nur, sondern besuchte sofort die Zusammenkünfte der kleinen Gruppe. Er ermunterte auch seine Frau, die Zusammenkünfte zu besuchen, und weil sie gern sang, erzählte er ihr, daß die Lieder der Zeugen sehr schön sind. Gewöhnlich begleitete sie ihn, aber sie verstand nicht alles, was gesagt wurde, und so schlief sie oft ein.

      Als Benito eines Abends zu Hause war und dachte, daß seine Frau schlafe, betete er laut zu Jehova und bat ihn, ihr Verständnis zu verleihen. Doch sie hörte das Gebet mit an und war davon tief bewegt. Nach Benitos Tod im Jahre 1955 wurde Victoria allgemeiner Pionier und dann Sonderpionier.

      Die Landgebiete um Maracaibo erreicht

      Zu denen, die im Gebiet von Maracaibo bereitwillig die Wahrheit annahmen, gehörte der Vater von Rebeca (jetzt Rebeca Barreto). Sie war erst fünf Jahre alt, als Gerardo Jessurun anfing, mit ihrem Vater die Bibel zu studieren; er machte so weit Fortschritte, daß er sich 1954 taufen lassen konnte. Freudig denkt sie an ihren Predigtdienst als Jugendliche zurück. Sie erinnert sich: „Wir mieteten einen Bus, und die ganze Versammlung fuhr ins Landgebiet. Die Menschen auf dem Land hatten kaum Geld, doch sie schätzten die Literatur. Das war vielleicht ein Anblick, als sich am Abend die Brüder und Schwestern mit Eiern, Kürbissen, Getreide und lebenden Hühnern, die ihnen im Tausch für Literatur gegeben worden waren, in den Bus drängten.“

      Doch nicht jeder sah sie gern. Schwester Barreto erinnert sich an einen Vorfall in dem Dorf Mene de Mauroa und berichtet: „Als wir von Haus zu Haus gingen, folgte uns der katholische Pfarrer des Ortes, riß die Literatur, die die Menschen genommen hatten, in Stücke und sagte ihnen, sie sollten Jehovas Zeugen nicht zuhören. Er hetzte einen Pöbel auf, zu dem viele junge Leute gehörten, und es gelang ihm, sie so wütend zu machen, daß sie uns mit Steinen bewarfen. Verschiedene Brüder und Schwestern wurden getroffen.“ Die Gruppe von Zeugen suchte beim prefecto der Gemeinde Hilfe. Da er den Zeugen gegenüber günstig eingestellt war, sagte er dem Priester, er müsse ihn „zu seinem eigenen Schutz vor diesen Predigern“ für ein paar Stunden in seinem Amtszimmer behalten. Die Menge, die jetzt keinen Anführer mehr hatte, zerstreute sich, und die Zeugen verbrachten die nächsten zwei Stunden in diesem Ort und gaben gründlich Zeugnis, ohne belästigt zu werden.

      Weitere Hilfe trifft ein

      Das Gebiet war groß, und man brauchte zusätzliche Unterstützung, um es zu bearbeiten. Im September 1949 kamen weitere Arbeiter an, die kurz zuvor die Gileadschule absolviert hatten, um sich an dem geistigen Erntewerk zu beteiligen. Sie waren bereit, ja sogar erpicht darauf mitzuhelfen, was aber nicht heißt, daß es leicht für sie war. Als Rachel Burnham durch das Bullauge ihrer Kabine auf der Santa Rosa die Hafenlichter sehen konnte, fühlte sie sich so erleichtert wie nie zuvor in ihrem Leben. Seitdem das Schiff New York verlassen hatte, war sie seekrank. Obwohl es drei Uhr morgens war, weckte sie aufgeregt die anderen drei. Ihre Schwester Inez und die beiden anderen, Dixie Dodd und deren Schwester Ruby (jetzt Baxter), hatten die Reise genossen, freuten sich aber, jetzt in ihrer neuen Zuteilung anzukommen.

      Zu der Gruppe, von der sie begrüßt wurden, gehörten Donald Baxter, Bill und Elsa Hanna (Missionare, die im Jahr zuvor angekommen waren) sowie Gonzalo Mier y Terán. Sie stiegen alle in einen Bus ein, der sie vom Hafen nach Caracas bringen sollte. Der Fahrer schien die Reise für die Neuankömmlinge zu einer Schreckensfahrt machen zu wollen, und zweifellos gelang ihm dies. Er durchfuhr eine Haarnadelkurve nach der anderen, oftmals am Rande eines Abgrundes und, wie es schien, viel zu schnell! Noch heute sprechen die Schwestern von dieser Fahrt.

      Sie wurden dem Zweigbüro und Missionarheim in El Paraíso zugeteilt. Rachel diente treu in ihrem Missionargebiet bis zu ihrem Tod 1981; Inez starb 1991. Die anderen Mitglieder der Gruppe dienen Jehova immer noch loyal.

      Wenn Dixie Dodd auf die ersten Monate des Dienstes in ihrem Gebiet zurückblickt, sagt sie: „Wir hatten solches Heimweh. Aber wir hätten nicht einfach zum Flughafen fahren können, selbst wenn wir es gewollt hätten. Das Geld hätte nicht gereicht!“ Statt dessen konzentrierten sie sich darauf, daß Jehovas Organisation ihnen eine Aufgabe als Missionare in einem fremden Land anvertraut hatte. Schließlich träumten sie nicht mehr davon, in ihre Heimat zurückzukehren, und widmeten sich der Arbeit.

      Mißverständnisse

      Für die meisten der neuen Missionare war die Sprache ein Problem — jedenfalls eine Zeitlang.

      Dixie Dodd erinnert sich, daß sie zuerst unter anderem lernten, immer „Mucho gusto“ zu sagen, wenn sie jemandem vorgestellt wurden. Am gleichen Tag wurden sie zu einem Versammlungsbuchstudium mitgenommen. Während der Busfahrt wiederholten sie die Wörter immer wieder: „Mucho gusto. Mucho gusto.“ „Doch als wir dann vorgestellt wurden“, erzählt Dixie, „hatten wir’s vergessen.“ Mit der Zeit dachten sie aber daran.

      Bill und Elsa Hanna, die von 1948 bis 1954 als Missionare dienten, erinnerten sich noch lange an manche ihrer Schnitzer. Als Bruder Hanna einmal ein Dutzend weiße Eier kaufen wollte, fragte er nach huesos blancos (weißen Knochen) statt nach huevos blancos. Ein anderes Mal wollte er einen Besen kaufen. Da er befürchtete, daß er nicht verstanden worden war, versuchte er, sich genauer auszudrücken: „Um ‚el cielo‘ (den Himmel) zu fegen“, sagte er, anstelle von el suelo (den Boden). Mit einem Anflug von Humor erwiderte der Ladeninhaber: „Da haben Sie sich aber viel vorgenommen, mein Herr.“

      Als Elsa, Bills Frau, zur Botschaft ging, bat sie darum, daß ihr Paß remover (entfernt) werde, statt daß er renovar (erneuert) werde. Der Sekretär fragte: „Meine Dame, was haben Sie damit gemacht — ihn verschluckt?“

      Genee Rogers, eine Missionarin, die 1967 eintraf, war anfangs etwas entmutigt, als nach jeder sorgfältig geprobten Darbietung der Wohnungsinhaber sich an ihre Begleiterin wandte und fragte: „¿Qué dijo?“ (Was hat sie gesagt?) Doch Schwester Rogers versuchte es immer wieder, und in etwa 28 Jahren als Missionarin hat sie 40 Menschen geholfen, die Wahrheit kennenzulernen und so weit Fortschritte zu machen, daß sie sich taufen ließen.

      Willard Anderson, der mit seiner Frau Elaine im November 1965 von der Gileadschule dorthin kam, gibt offen zu, daß Sprachen nie seine Stärke waren. Er kann immer über seine Fehler lachen und sagt: „Sechs Monate hatte ich in der Schule Spanisch gelernt, bis ich meinem Lehrer versprechen mußte, nie wieder einen Kurs bei ihm zu belegen!“

      Doch mit Jehovas Geist, Ausdauer und einem gesunden Sinn für Humor fühlten sich die Missionare in der neuen Sprache bald zu Hause.

      Auch die Häuser haben Namen

      Für die Missionare war nicht nur die Sprache neu. Sie mußten sich auch umstellen, wenn es darum ging, zu notieren, wo sie wieder vorsprechen wollten. Damals hatten viele Häuser in Caracas keine Nummern. Jeder Hausbesitzer gab seinem Haus einen Namen. Die Häuser der oberen Gesellschaftsschicht sind als quintas bekannt und werden häufig nach der Dame des Hauses benannt. Beispielsweise kann Quinta Clara eine Adresse sein. Oft ist es eine Kombination aus den Namen der Kinder: Quinta Carosi (Carmen, Rosa, Simon). Der Eigentümer des ersten Zweigbüros und Missionarheimes, das die Gesellschaft gemietet hatte, hatte sein Haus bereits Quinta Savtepaul (Sankt Vinzenz von Paul) genannt, und da es an einer Hauptstraße lag, wurde es schnell als Zusammenkunftsstätte von Jehovas Zeugen bekannt.

      Als 1954 ein ganz neues Gebäude gekauft wurde, das als Zweigbüro und Missionarheim dienen sollte, war es an den Brüdern, ihre Phantasie zu gebrauchen und einen passenden Namen zu finden. Sie dachten an Jesu ernste Ermahnung: „Laßt euer Licht vor den Menschen leuchten“ und nannten das Haus Luz (Licht) (Mat. 5:16). Zwar wurde das Zweigbüro später auf ein größeres Gelände verlegt, doch Anfang 1995 wohnten in Quinta Luz immer noch 11 Missionare.

      Das Zentrum von Caracas hat ein einzigartiges Adreßsystem. Wenn man nach der Adresse eines Geschäftes oder Apartmenthauses fragt, kann man zum Beispiel hören „La Fe a Esperanza“. „ ‚Von Glauben bis Hoffnung‘? Das hört sich aber nicht wie eine Adresse an!“ könnte man sagen. Doch in Caracas hat jede Straßenkreuzung einen Namen. Somit ist die gesuchte Adresse in dem Block zwischen den Straßenkreuzungen Glauben und Hoffnung zu finden.

      Von Venezuela nach Gilead und zurück

      Im Laufe der Jahre kamen 136 in Gilead geschulte Missionare aus anderen Ländern nach Venezuela, darunter 7 von der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung. Sie kamen aus den Vereinigten Staaten, aus Kanada, Deutschland, Schweden, Neuseeland, England, von Puerto Rico, aus Dänemark, Uruguay und Italien. Zwischen 1969 und 1984 kamen von Gilead keine neuen Missionare mehr nach Venezuela, da es unmöglich war, Visa zu erhalten. Jedoch gelang es 1984 mit vereinten Kräften, eine Einreiseerlaubnis für zwei Ehepaare zu erhalten, und 1988 kamen zwei weitere Missionare an. Auch sechs venezolanische Zeugen haben aus der Schulung in Gilead Nutzen gezogen.

      Als Bruder Knorr 1946 zu Besuch kam, fragte der junge Rubén Araujo ihn, ob er sich eines Tages für den Besuch der Gileadschule eignen würde. „Wenn du dein Englisch verbesserst, ja“ war die Antwort. „Es ist überflüssig zu sagen, daß ich sehr glücklich war“, erzählt Rubén. „Im Oktober 1949, drei Jahre danach, bekam ich von Bruder Knorr ein Einladungsschreiben für die 15. Klasse, die im Winter, Anfang 1950, beginnen sollte.“

      Die fünf anderen Brüder aus Venezuela, die nach Gilead eingeladen wurden, sind Eduardo Blackwood und Horacio Mier y Terán (beide ließen sich 1946 bei Bruder Knorrs erstem Besuch taufen), Teodoro Griesinger (über den noch mehr berichtet wird), Casimiro Zyto (er war aus Frankreich ausgewandert und durch Einbürgerung Venezolaner geworden) und vor kurzem Rafael Longa (der als Kreisaufseher dient).

  • Venezuela
    Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1996
    • [Bild auf Seite 199]

      Inez Burnham, Ruby Dodd (jetzt Baxter), Dixie Dodd und Rachel Burnham verlassen 1949 New York. Bevor das Schiff ablegte, waren alle in guter Verfassung!

      [Bilder auf Seite 200, 201]

      Einige Missionare, die seit vielen Jahren im venezolanischen Gebiet dienen: (1) Donald und Ruby Baxter, (2) Dixie Dodd, (3) Penny Gavette, (4) Leila Proctor, (5) Ragna Ingwaldsen, (6) Mervyn und Evelyn Ward, (7) Vin und Pearl Chapman

Deutsche Publikationen (1950-2025)
Abmelden
Anmelden
  • Deutsch
  • Teilen
  • Einstellungen
  • Copyright © 2025 Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania
  • Nutzungsbedingungen
  • Datenschutzerklärung
  • Datenschutzeinstellungen
  • JW.ORG
  • Anmelden
Teilen