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Der Nutzen der RegenwälderErwachet! 1998 | 8. Mai
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„Für die Menge der Bäume in Indien [gemeint sind die Westindischen Inseln] gibt es keine Erklärung“, schrieb der spanische Chronist Gonzalo Fernandes de Oviedo im Jahr 1526. Knapp fünfhundert Jahre später ist diese Beurteilung nicht minder gültig. „Der Regenwald“, so schrieb die Autorin Cynthia Russ Ramsay, ist „das vielfältigste, komplexeste und am wenigsten verstandene Ökosystem der Erde“.
Der Tropenbiologe Seymour Sohmer meinte: „Wir sollten niemals vergessen, daß wir wenig oder gar nichts über die Struktur und das Funktionieren der meisten Tropenwaldsysteme wissen, von den dazugehörigen Arten ... gar nicht zu reden.“ Der ungeheure Artenreichtum und die komplizierten Wechselbeziehungen zwischen den Arten stellen Forscher vor eine höchst schwierige Aufgabe.
In den gemäßigten Breiten findet man auf einem halben Hektar Wald vielleicht gerade einmal eine Handvoll Baumarten. Auf einem halben Hektar tropischem Regenwald können jedoch mehr als 80 Arten wachsen, auch wenn die Zahl der Bäume pro Hektar insgesamt nur um die 700 beträgt. Da die Klassifizierung dieser Vielfalt eine mühsame und ermüdende Aufgabe ist, sind nur wenige Parzellen, die größer sind als ein Hektar, jemals untersucht worden. Die Parzellen, die untersucht wurden, haben jedoch zu erstaunlichen Erkenntnissen geführt.
Die große Baumvielfalt bietet einer riesigen Anzahl von Waldbewohnern, ja mehr Arten, als man je gedacht hätte, unzählige Nischen. Wie die Nationale Akademie der Wissenschaften in den USA erklärte, kann ein typisches 10 Quadratkilometer großes unberührtes Regenwaldgebiet 125 Säugetierarten, 100 Kriechtierarten, 400 Vogelarten und 150 Schmetterlingsarten beherbergen. Als Vergleich dazu: In ganz Nordamerika gibt es knapp 1 000 Vogelarten, die dort entweder beheimatet sind oder dort Zwischenstation machen.
Manche der unzähligen Pflanzen- und Tierarten sind in weiten Teilen des Regenwalds zu finden, andere wiederum nur im Bereich eines einzigen Gebirgszuges. Genau das macht sie auch so anfällig. Holzfäller schlugen vor einigen Jahren in Ecuador einen Gebirgskamm kahl; dabei starben 90 der endemischen Pflanzenarten aus.
Angesichts solcher Tragödien erklärt die Interagency Task Force on Tropical Forests der Vereinigten Staaten warnend: „Die Ländergemeinschaft muß das Problem verstärkt und gemeinsam schnellstens angehen, wenn die im Wert weit unterschätzten und wahrscheinlich unersetzbaren Ressourcen vor der faktischen Vernichtung Anfang des nächsten Jahrhunderts bewahrt werden sollen.“
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Der Nutzen der RegenwälderErwachet! 1998 | 8. Mai
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Der Mensch kann es sich nicht leisten, seine Nahrungsquelle zu ignorieren. Sowohl Kulturpflanzen als auch Zuchttiere können durch zuviel Inzucht geschwächt werden. Der Regenwald kann dank seines enormen Artenreichtums die genetische Vielfalt bieten, die nötig ist, um die Zuchtlinie dieser Pflanzen oder Tiere zu kräftigen. Der mexikanische Botaniker Rafael Guzmán entdeckte beispielsweise eine Grasart, die mit dem heutigen Mais verwandt ist. Seine Entdeckung begeisterte die Bauern, denn dieses Gras (Zea diploperennis) ist gegen fünf der sieben Hauptkrankheiten, die der Maisernte zusetzen, resistent. Wissenschaftler hoffen, mit dieser neuen Art eine gegen Krankheitserreger resistente Maisvariante züchten zu können.
Die mexikanische Regierung stellte die Gebirgsgegend, wo dieser Wildmais gefunden wurde, 1987 unter Naturschutz. Allerdings gehen durch die großflächige Zerstörung von Waldflächen kostbare Arten wie diese Pflanze verloren, bevor sie überhaupt entdeckt werden. In den Wäldern Südostasiens gibt es etliche Wildrindarten, durch die die Zuchtlinie von Hausrindern verstärkt werden könnte. Aber alle diese Arten stehen kurz vor der Ausrottung, weil ihr Lebensraum vernichtet wird.
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