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Für die betagten Eltern sorgenErwachet! 1994 | 8. Februar
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Für die betagten Eltern sorgen
„ICH war Tag und Nacht auf den Beinen, aber dennoch empfand ich es als eine schöne Aufgabe.“ Das sagte eine Frau, die ihre betagte Mutter pflegte. Diese Frau und auch viele andere betrachten die Sorge für die alt gewordenen Eltern als positive Erfahrung.
Immer mehr sind davon betroffen. Die über 75jährigen sollen die am stärksten anwachsende Altersgruppe in den Vereinigten Staaten sein. 1900 waren weniger als eine Million Amerikaner 75 Jahre alt oder darüber. Dagegen hatten 1980 fast zehn Millionen die 75 überschritten. Ältere Menschen leben heute länger, und etwa ein Drittel der Altersgruppe ab 85 kommt nicht mehr allein zurecht.
Die Pflege kann zwar eine lohnende Aufgabe sein, doch ist sie auch mit Belastungen verbunden. Man sieht sich wahrscheinlich gewissen Schwierigkeiten gegenüber, wenn ein Elternteil oder beide Eltern alt und pflegebedürftig sind. Allein schon ansehen zu müssen, wie es gesundheitlich mit ihnen bergab geht, ist schmerzlich. Und wenn andere Angehörige kaum oder gar nicht bei der Pflege mithelfen, bleibt das meiste an einem selbst hängen.
Es kann auch sein, daß man sich in Gegenwart der Eltern nie erwachsen fühlt, ganz gleich, wie alt man ist. Sie neigen oft dazu, einen wie ein Kind zu behandeln, während man selbst vielleicht auch wie ein Kind reagiert. Mangel an emotionellem Beistand von Freunden kann die Pflege zusätzlich belasten.
Doch die Herausforderungen, die mit der Sorge für die Eltern verbunden sind, müssen das herzliche Verhältnis, das man bisher zu ihnen hatte, nicht unbedingt beeinträchtigen. In der Bibel werden Erwachsene unmißverständlich aufgefordert, „in ihrem eigenen Hause Gottergebenheit zu pflegen und ihren Eltern und Großeltern beständig eine gebührende Vergütung zu erstatten, denn das ist in Gottes Augen annehmbar“. Wer dagegen „eine Mutter fortjagt, ist ein schändlich und schimpflich handelnder Sohn“ (1. Timotheus 5:4; Sprüche 19:26).
Durch die Pflege der Eltern Gottergebenheit zu üben kann eine bereichernde Erfahrung sein. Zuerst muß man sich allerdings darüber im klaren sein, welche Art Unterstützung die Eltern überhaupt brauchen. Die anschließenden Artikel sollen dabei helfen, die Bedürfnisse der Eltern herauszufinden und ihnen gerecht zu werden. Diese Artikel konzentrieren sich zwar auf die häusliche Pflege, doch es versteht sich von selbst, daß Eltern in manchen Fällen wegen sehr schlechter Gesundheit oder sehr hohen Alters fachkundige Hilfe brauchen, wie sie in einem Altenpflegeheim geleistet wird.
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Die Bedürfnisse der Eltern herausfindenErwachet! 1994 | 8. Februar
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Die Bedürfnisse der Eltern herausfinden
UM DEN an Jahren fortgeschrittenen Eltern wirklich eine Hilfe zu sein, muß man ihre Bedürfnisse und Wünsche in Erfahrung bringen. Sonst trifft man womöglich in guter Absicht Regelungen, die gar nicht nötig sind und von ihnen überhaupt nicht gewünscht werden — was sie ihren Kindern aber unter Umständen nicht gern sagen. Solche Mißverständnisse können das gegenseitige Verhältnis unnötig belasten.
Welche Wünsche haben sie?
Eine Frau, die der Meinung ist, daß ihre Eltern eines Tages ohnehin bei ihr wohnen müssen, leitet den Umzug überstürzt in die Wege. Später stellt sie fest, daß ihre Eltern ohne weiteres in ihrer eigenen Wohnung hätten bleiben können und so auch glücklicher gewesen wären.
Ein Sohn sagt, nachdem er seine Eltern zu sich geholt hat: „Ich möchte von euch kein Geld dafür annehmen, daß ihr in meinem Haus wohnt — nach allem, was ihr für mich getan habt!“ Doch dadurch fühlen sich seine Eltern zu sehr in die Abhängigkeit getrieben. Schließlich offenbaren sie ihm, daß sie um ihrer Würde willen lieber einen finanziellen Beitrag leisten möchten.
Eine Familie nimmt den betagten Eltern jede noch so kleine Arbeit ab, damit sie sich wohl fühlen und sich nicht anstrengen müssen. Nach einiger Zeit stellt sich heraus, daß die Eltern auch noch selbst etwas tun wollen.
Bei allen gerade beschriebenen Beispielen waren die geleisteten Dienste überflüssig und wurden von den Eltern nicht einmal gewünscht. So etwas kann leicht vorkommen, wenn sich die wohlmeinenden Kinder von einem übertriebenen Pflichtgefühl leiten lassen oder die Bedürfnisse der Eltern nicht richtig wahrnehmen. Dadurch ergeben sich für alle Beteiligten unnötige Belastungen. Die Lösung besteht ganz einfach darin, herauszufinden, was die Eltern überhaupt wünschen und brauchen.
Man sollte sich fragen: Ist es nötig, daß meine Eltern zum jetzigen Zeitpunkt zu mir ziehen? Wollen sie das überhaupt? Mancher wird überrascht sein, zu erfahren, daß eine ganze Reihe von älteren Menschen so unabhängig wie nur möglich sein möchte. Weil sie nicht undankbar erscheinen wollen, zögern sie unter Umständen, ihren Kindern zu sagen, daß sie trotz gewisser Beschwerlichkeiten lieber allein in ihrer Wohnung leben würden. Sicher lieben sie ihre Kinder und sind gern mit ihnen zusammen. Aber von den eigenen Kindern abhängig sein? Das möchten sie nun doch nicht.
Es kann sein, daß man die Eltern eines Tages zu sich holen muß. Doch falls es noch nicht soweit ist und es ihr aufrichtiger Wunsch ist, in der eigenen Wohnung zu bleiben, warum sollte man ihnen dann diese Jahre der Unabhängigkeit vorenthalten? Könnten sie eventuell weiterhin allein leben, wenn man in ihrer Wohnung einige Veränderungen vornehmen und sie zu vereinbarten Zeiten regelmäßig anrufen oder besuchen würde? In den eigenen vier Wänden und mit mehr Entscheidungsfreiheit sind sie vielleicht glücklicher.
Eine Frau, die ihre Mutter übereilt zu sich geholt hatte, sagt: „Als mein Vater starb, nahmen wir meine Mutter bei uns auf, weil sie uns leid tat. Sie lebte noch 22 Jahre. Statt ihr Haus zu verkaufen, hätte sie durchaus weiter darin wohnen können. Man sollte nichts überstürzen. Eine Entscheidung wie diese ist schwer rückgängig zu machen.“ (Vergleiche Matthäus 6:34.)
Doch manche sagen sich: „Was ist, wenn meinen Eltern in ihrer Wohnung etwas zustößt? Sollte meine Mutter oder mein Vater hinfallen und sich verletzen, könnte ich mir das nie verzeihen!“ Das ist eine berechtigte Sorge, vor allem wenn die Gesundheit oder die Kraft der Eltern so weit nachgelassen hat, daß die Gefahr eines Unfalls nicht von der Hand zu weisen ist. Ist das allerdings nicht der Fall, dann sollte man sich fragen, ob man wirklich um die Eltern besorgt ist oder nicht eher um sich selbst, weil man vor Schuldgefühlen Angst hat.
Es ist sogar möglich, daß die Eltern in ihrer eigenen Wohnung besser aufgehoben sind. Die Buchautorinnen Edith M. Stern und Dr. Mabel Ross schrieben: „Studien haben gezeigt, daß ältere Menschen jünger und rüstiger bleiben, wenn sie ihre eigene Wohnung behalten. Kurz gesagt: Viele unangebrachte Versuche, das Älterwerden zu erleichtern, führen einzig und allein dazu, das Älterwerden zu beschleunigen“ (You and Your Aging Parents). Daher sollte man seine Eltern darin unterstützen, soviel Unabhängigkeit wie möglich zu bewahren, und ihnen gleichzeitig die Hilfeleistungen zukommen lassen, die sie tatsächlich benötigen. Auch ist es angebracht, hin und wieder zu überprüfen, ob die Bedürfnisse der Eltern zugenommen oder vielleicht sogar abgenommen haben, und sich darauf einzustellen.
Ein feines Gespür entwickeln
Je nach Gesundheit und Lebensumständen der Eltern kann es für sie jedoch durchaus das Beste sein, zu ihren Kindern zu ziehen. Wenn dem so ist, dann sollte man ein Gespür dafür haben, daß sie wahrscheinlich soviel wie möglich selbst tun wollen. Wie jeder andere auch — unabhängig vom Alter — möchten sie sicher ihre Identität bewahren, ihren Tagesablauf selbst bestimmen und einen eigenen Freundeskreis haben. Das kann sehr förderlich sein. Obwohl es schön ist, einiges als Großfamilie zu unternehmen, sollte man doch manche Aktivitäten nur für die eigentliche Familie reservieren und andererseits auch den Eltern ihre privaten Unternehmungen zugestehen. Eine Frau gab den vernünftigen Rat: „Achten Sie darauf, daß Ihre Eltern vertraute Möbel und Fotos haben, die ihnen viel bedeuten.“
Um die tatsächlichen Bedürfnisse der Eltern herausfinden zu können, ist es unerläßlich, mit ihnen darüber zu reden. Man muß sich ihre Sorgen anhören und ein feines Gespür dafür entwickeln, was sie einem mitteilen wollen. Man sollte ihnen erklären, was man für sie tun kann und was nicht, damit sie nicht aufgrund falscher Erwartungen enttäuscht sind. „Es muß geklärt werden, was von den einzelnen Familienmitgliedern erwartet werden kann“, empfahl ein Mann. „Man sollte häufig Gespräche führen, damit keine Verbitterung und kein Groll aufkommen.“ Bei irgendwelchen langfristigen Versprechungen („Ich rufe dich jeden Montagnachmittag an“ oder: „Ich mache mit dir jedes Wochenende einen Ausflug“) ist es ratsam, klarzustellen, daß man das eine bestimmte Zeit lang probieren möchte, um zu sehen, ob es zu schaffen ist. Falls sich die Regelung nämlich als schwer durchführbar erweist, kann man sie ohne weiteres abändern.
Nichts von dem, was bis hierher gesagt wurde, sollte als Argument verstanden werden, seinen Eltern die ihnen zustehende Ehre und Hilfe vorzuenthalten. Der Standpunkt unseres Schöpfers auf diesem Gebiet ist klar. Erwachsene Kinder schulden es ihren Eltern, sie zu achten, zu pflegen und zu unterstützen. Jesus verurteilte die selbstgerechten Pharisäer, weil sie die Schrift verdrehten, um die Vernachlässigung der Eltern zu rechtfertigen. Die anschaulichen Worte in Sprüche 30:17 offenbaren Gottes Abscheu vor jemandem, der gegenüber seinen Eltern respektlos ist: „Das Auge, das einen Vater verspottet und das den Gehorsam gegenüber einer Mutter verachtet — die Raben des Wildbachtals werden es aushacken, und die Söhne des Adlers werden es auffressen.“ (Siehe Markus 7:9-13; 1. Timotheus 5:4, 8.)
Während man seinen Eltern die notwendige Hilfe leistet, wird man wahrscheinlich mit neuen Belastungen konfrontiert. Wie kann man damit fertig werden? Der nächste Artikel gibt einige Anregungen.
[Bilder auf Seite 5]
Ältere unternehmen gern etwas mit ihren Angehörigen, aber sie möchten auch manchmal allein mit Bekannten zusammensein
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Mit den tagtäglichen Belastungen fertig werdenErwachet! 1994 | 8. Februar
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Mit den tagtäglichen Belastungen fertig werden
WENN die Pflege Belastungen mit sich bringt — noch dazu solche, mit denen du nicht gerechnet hast —, kommen womöglich Schuldgefühle auf. Du fragst dich vielleicht: „Ist an dem Verhältnis zwischen mir und meinen Eltern etwas nicht in Ordnung? Leben nicht in vielen Kulturen Erwachsene bis zum Tod ihrer Eltern glücklich mit ihnen zusammen?“
Schon möglich, aber deine Situation mag anders sein. Deine Eltern sind wahrscheinlich zu dir gezogen, nachdem sie 20, 30, 40 oder noch mehr Jahre woanders gewohnt hatten. Das bedeutet, daß Eltern und Kinder sich während eines Großteils ihres Lebens unabhängig voneinander gewisse Gewohnheiten und Lebensweisen angeeignet haben. Diese sind im Laufe mehrerer Jahrzehnte vielleicht auseinandergedriftet. Doch nun sieht man sich vor die Notwendigkeit gestellt, das eigene Leben mit dem des Pflegebedürftigen harmonisch zu verschmelzen. Das kann schwieriger sein, als wenn man die ganze Zeit über zusammengelebt hätte.
Hinzu kommt, daß die Eltern womöglich ernstlich krank sind oder aus anderen Gründen eine spezielle Betreuung brauchen. Während man lobenswerterweise die erforderliche Hilfe leistet und noch keine Notwendigkeit sieht, die Eltern in ein Pflegeheim zu geben, bringt die Situation doch tagtäglich für alle Beteiligten Belastungen mit sich. Für die Eltern zu sorgen ist etwas Natürliches, alt und krank zu werden dagegen nicht. Unser Schöpfer hat nie beabsichtigt, daß Menschen mit dem Alter ihre Kraft und Gesundheit einbüßen. Du brauchst also nicht zu denken, irgend etwas sei mit dir nicht in Ordnung, nur weil dir die Situation emotionell und körperlich mehr abverlangt, als du dir vorgestellt hast (1. Mose 1:26-31; Psalm 90:10).
Belastungen, die mit der Pflege einhergehen, spiegeln nicht unbedingt ein schlechtes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wider. Vor allem wenn man ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hatte, bevor sie pflegebedürftig wurden, sind die augenblicklichen Schwierigkeiten höchstwahrscheinlich die Folge der Herausforderungen, die die Pflege mit sich bringt. Wie kann man den tagtäglichen Belastungen erfolgreich begegnen?
Mit Schuldgefühlen umgehen
Selbst Erwachsene, die für ihre Eltern alles tun, was sie können und sollten, haben bisweilen Schuldgefühle, weil sie meinen, sie müßten noch mehr tun. Doch unangebrachte Schuldgefühle können ein Problem sein. Man trifft vielleicht Entscheidungen, die einen von Schuldgefühlen befreien sollen, die aber nicht unbedingt dem eigenen Wohl oder dem der Eltern zuträglich sind. Was wäre beispielsweise, wenn sich eine Frau, um ihre unangebrachten Schuldgefühle loszuwerden, bei der Pflege völlig verausgaben und dabei ihren Mann und die Kinder vernachlässigen würde? Darunter müßten sie, ihr Mann und die Kinder leiden. Deshalb sollte man sich nicht von unangebrachten Schuldgefühlen beherrschen lassen.
Fühlst du dich manchmal schuldig, weil du für deine Eltern anscheinend nie genug tun kannst? Wenn ja, dann ist es durchaus möglich, daß es deine Kräfte übersteigt, die Bedürfnisse der Eltern zu befriedigen. Die Situation sieht dann wahrscheinlich so aus, daß es, so sehr du dich auch bemühst, immer noch mehr zu tun gibt. Übrigens, wenn du meinst, du könntest deinen Eltern durch die Pflege all das zurückzahlen, was sie für dich getan haben, als du noch klein warst, wirst du dich immer schuldig fühlen, weil das einfach nicht möglich ist.
Das Buch You and Your Aging Parents zeigt, wie wichtig es ist, festzulegen, wieviel man für seine Eltern tun kann. Es heißt darin: „Sie werden sich eine Menge Strapazen ersparen, wenn Sie Ihre Entscheidungen nicht in erster Linie auf das gründen, was Sie gern tun würden oder sollten, sondern auf das, was Sie tun können.“
Stell realistische Überlegungen an, was du von dir erwarten kannst. Einen guten Freund zu Rate zu ziehen, der deine Fähigkeiten, Grenzen und deine häusliche Situation kennt, kann eine Hilfe sein. Folgende Fragen sind von Bedeutung: Kann ich meine Eltern überhaupt zu mir holen? Habe ich genug Platz? Sind sie einverstanden, zu mir zu ziehen? Wie oft kann ich meine Eltern, sofern sie nicht bei mir wohnen, besuchen, und wann? Wenn man tut, was man kann, sind Schuldgefühle unbegründet. Fühlt man sich dennoch schuldig, dann sollte man sich darüber im klaren sein, daß dieses Gefühl unangebracht ist, und seine Entscheidungen nicht davon bestimmen lassen.
Die Last teilen
Das Bibelbuch Prediger betont, wie schädlich es ist, „allzu böse“, aber auch „allzu gerecht“ zu sein, denn wäre man allzu gerecht, würde man ‘Verwüstung über sich bringen’ (Prediger 7:16-18). Soweit könnte es kommen, wenn man versuchte, mehr zu leisten, als man tun möchte, tun kann oder auch tun sollte.
Hatte man bereits einen ausgefüllten Zeitplan, bevor man für die Eltern sorgte, dann muß man entweder andere Tätigkeiten zurückstellen oder sich helfen lassen. Doch viele, die Hilfe brauchen, zögern, darum zu bitten. Vielleicht sind sie schüchtern oder meinen, andere seien nicht bereit zu helfen. Aber man erweist sich selbst und allen, die um einen herum sind, einen schlechten Dienst, wenn man sich völlig verausgabt. In ihrem Buch über die Pflege älterer Menschen bezeichnet E. Jane Mall eine solche Selbstüberforderung als das „Märtyrersyndrom“. Sie rät: „Sie sollten eine Dringlichkeitsliste aufstellen, und drei der Prioritäten sollten sein: Zeit für den Ehemann haben, Zeit mit den Kindern und Freunden verbringen und Zeit für sich selbst reservieren.“
Ja, es mag notwendig sein, die Last zu teilen. An wen kann man sich aber wenden? Angehörige, Freunde, Nachbarn und Altenpfleger können einen unterstützen. Man muß allerdings um die Hilfe bitten. Und man muß direkt fragen. Mit Andeutungen ist es nicht immer getan. Man wird vielleicht überrascht sein, zu sehen, wer alles bereit ist, mit anzupacken, vorausgesetzt natürlich, daß man seine Bedürfnisse klarmacht und seine Wünsche genau formuliert. Eine Möglichkeit wäre, jemanden zu bitten, beim Reinigen der Wohnung zu helfen. Sofern dadurch die Last leichter wird, sollte man nicht meinen, nur man selbst würde es richtig machen.
Falls du Geschwister hast, sind auch sie verpflichtet, für die Eltern zu sorgen. Womöglich hast du die Pflege bislang überwiegend allein bewältigt in der Meinung, sie seien dazu weder bereit noch imstande. Hast du sie aber direkt um ihre Hilfe gebeten? Nicht wenige reagieren positiv, wenn man ihnen vor Augen führt, daß ihre Hilfe notwendig ist.
Manche wollen das Monopol auf die Pflege der Eltern haben, um sich deren Gunst zu sichern. Oder sie haben das Gefühl, besonders pflichttreu zu handeln, wenn sie die ganze Arbeit allein tun. Vielleicht beklagen sie sich, andere würden ihnen nicht bei der Pflege helfen, geben jedoch gleichzeitig Signale, die zeigen sollen, daß es ihnen eigentlich so lieber ist. Das kann ein Zeichen dafür sein, daß man allzu gerecht ist. Warum sich aber unnötige Härten aufladen? Wenn Hilfe erhältlich ist, dann sollte man auch darum bitten und sie annehmen.
Ein Wort zur Vorsicht: Man darf nicht erwarten, daß alle Geschwister der Verantwortung zu gleichen Teilen nachkommen. Von Ausnahmen einmal abgesehen, machen ihre Lebensumstände das oft schwierig oder sogar unmöglich. Häufig ist es praktischer, wenn ein Familienmitglied die Hauptlast der Pflege übernimmt, während andere Angehörige, insbesondere die Geschwister, finanziell helfen, telefonieren, zu Besuch kommen und die Eltern gelegentlich zu sich nach Hause holen oder sie auf einen Wochenendausflug mitnehmen.
Auf engem Raum zusammenleben
Auf engem Raum zusammenzuleben kann dazu führen, daß man sich hin und wieder gereizt fühlt. Gewohnheiten, die man bei einem Bekannten ohne weiteres entschuldigen würde, findet man bei einem Familienmitglied vielleicht unerträglich.
Außerdem machen Eltern mitunter Bemerkungen wie: „Ich wünschte, du könntest mehr Zeit mit mir verbringen, aber ich weiß ja, daß du dafür zu beschäftigt bist.“ Damit wollen sie unter Umständen andeuten, daß sie nicht genug Zuwendung erhalten. Du könntest auf diese Äußerung verärgert reagieren. Doch wäre es nicht besser, statt dessen auf die eigentliche Sorge der Eltern einzugehen, nämlich daß sie mehr Zeit mit dir verbringen möchten? Selbst wenn du ihrem Wunsch nicht nachkommen kannst, bringt eine freundliche Erklärung sicher mehr als eine verletzende Antwort (Sprüche 12:18).
Das ernstliche Bemühen, die in der Bibel angeratenen Eigenschaften zu entwickeln, hilft einem, freundlich, aber falls notwendig auch fest zu bleiben. Das Bibelbuch Kolosser trifft die realistische Feststellung, daß wir mitunter „Ursache zu einer Klage gegen einen anderen“ haben. Dennoch werden wir angewiesen, weiterhin „einander zu ertragen und einander bereitwillig zu vergeben“. Der Text fordert uns auf, uns „mit der innigen Zuneigung des Erbarmens, mit Güte, Demut, Milde und Langmut“ zu kleiden (Kolosser 3:12-14). Diese Eigenschaften tragen bestimmt entscheidend dazu bei, die Reibereien, die durch ein Zusammenleben auf engem Raum entstehen, auf ein Minimum zu beschränken.
Doch selbst wenn man ab und zu einen Fehler macht, die Geduld verliert oder etwas sagt, was einem nachher leid tut, gilt der Rat: „Laßt die Sonne nicht über eurer gereizten Stimmung untergehen.“ Am besten ist es, sich sofort zu entschuldigen und die Sache zu vergessen. So etwas sollte nicht zu noch mehr Schuldgefühlen Anlaß geben (Epheser 4:26, 27).
Die Privatsphäre wahren
Wenn man mit seinen Eltern unter einem Dach wohnt, ist die Privatsphäre wahrscheinlich ein Problem. Aber die Eltern und die eigene Familie brauchen ein gewisses Maß an Ungestörtheit. Man kann mit den Eltern über dieses Problem diskutieren und sich darauf einigen, daß bestimmte Zeiten und Räume für die eigene Familie reserviert sind. Zum Beispiel wird in manchen Familien — allerdings nicht in allen — eine geschlossene Tür mit dem Schild „Bitte nicht stören!“ von allen so verstanden, daß es sich um einen privaten Bereich handelt oder der Betreffende eine Zeitlang für sich allein sein möchte.
Falls das Zimmer keine Tür hat, tut es auch ein Wandschirm oder eine andere Abtrennung. Sollte trotzdem jemand einfach hereinplatzen, ist eine taktvolle Erinnerung angebracht. Entscheidend ist, daß jedes Familienmitglied das Bedürfnis der übrigen nach Ungestörtheit respektiert.
Ein Vorrecht
Eines darf man nicht vergessen: Obwohl die nachlassende Gesundheit der Eltern für einen selbst schmerzlich ist, möchte Jehova, unser Schöpfer, daß wir auch unter schwierigen Umständen ein gewisses Maß an Freude haben. Die Pflege der Eltern kann eine engere Verbindung zu Jehova bewirken, da man sich im Gebet auf ihn stützt. Eine Frau sagte: „Ich hatte schon immer ein enges Verhältnis zu Jehova, aber durch die Pflege habe ich gelernt, mich völlig auf ihn zu verlassen. Es war so wie der Unterschied zwischen einem Ferngespräch und einer direkten Unterhaltung. Jehova war direkt bei mir.“
Die Betreuung der betagten Eltern ist sowohl ein Vorrecht als auch eine Pflicht. Man sollte mit ihnen Gedankenaustausch pflegen, um über ihre Bedürfnisse Bescheid zu wissen. Wichtig ist, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden und dabei nicht die Freude zu verlieren (Philipper 4:4-7; 1. Petrus 5:7).
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