Wir beobachten die Welt
„Massen-Unmenschlichkeit“ in sowjetischen Arbeitslagern
◆ Gemäß einer dpa-Meldung aus Brüssel hat das internationale Komitee für die Verteidigung der Menschenrechte der Sowjetunion „Massen-Unmenschlichkeit“ an einer Million Menschen in tausend Arbeitslagern der Sowjetunion vorgeworfen. Dieser Hinweis ist in einem Bericht enthalten, den das Komitee nach einer dreieinhalbjährigen Untersuchung über die Situation in sowjetischen Arbeitslagern in Brüssel veröffentlichte. Bei dem „Komitee“ handelt es sich um eine Vereinigung von Privatpersonen, ehemaligen Widerstandskämpfern, gegründet 1972. Der Verfasser des Berichts, der britische Soziologe Professor Reddaway, teilt die Arbeitslager in verschiedene Typen ein: das normale, das strengere, das verschärfte und das Sonderarbeitslager. Er sagte, daß die Menschen in den Arbeitslagern durch „wissenschaftlich ausgefeilte“ Methoden ihrer Persönlichkeit beraubt würden. Es gebe Folterungen. Sie seien aber nicht mehr so primitiv wie in der Stalin-Ära, als zwölf Millionen Sowjetmenschen in Lagern inhaftiert waren. Dazu gehöre, daß die Insassen ständig an der Grenze des Aushungerns gehalten würden, damit sie mürbe gemacht werden könnten. Das Komitee habe für seine Untersuchungen auch Aussagen von jüdischen Emigranten sowie aus Lagern und Gefängnissen herausgeschmuggelte Aussagen von Insassen benutzt. Dazu kämen Zeugenaussagen von Verwandten und Freunden von Inhaftierten.
Haltung der Sowjetunion gegenüber Religion
◆ Die Schwäbische Zeitung (Gränzbote) diskutiert dieses Thema in ihrem Artikel „Der Kampf gegen den Glauben ist noch nicht zu Ende“. Wie unterschiedlich die Religion in verschiedenen Zeitepochen betrachtet wurde, geht aus folgenden Ausführungen hervor: „Der sowjetischen Führung ist heute — auch vor der Weltöffentlichkeit — der Eindruck ausgesprochen unangenehm, als schränke sie die Gewissensfreiheit, das heißt auch das Recht auf Religionsausübung und auf Bildung religiöser Vereinigungen, ein.“ Auf die Anfänge des heutigen Regimes hinweisend, sagt der Artikel weiter: „Als die Revolution ausbrach, geschah das mit der Gewalt und Rücksichtslosigkeit einer Sturmflut. Die ehemaligen ,Unterdrücker‘ und alle, die sich gegen die kommunistische Flut stellten, wurden physisch vernichtet oder wenigstens an der Ausübung irgendeines Einflusses gehindert. Als das neue Regime dem Volk eine Konzeption vorlegte, nahmen darin die Entrechtung (zum Beispiel bei der Erziehung der Jugend) und die Enteignung der Kirche sowie die Begrenzung ihrer Wirksamkeit auf den liturgischen Raum eine wichtige Stelle ein. Als Institution schien die Kirche in den Jahren der Verfolgung fast auf dem Nullpunkt.“ Auch unter Stalin und Chruschtschow bekämpfte man die Religion mit brutalen Mitteln. Stalin soll zwar zu der Erkenntnis gekommen sein, „daß man zwar sehr leicht den Befehl erteilen könne, Kirchen zu schließen, ,aber dann werden der Bauer und die Bäuerin eine Kirche in der Seele aufbauen, und solche Kirchen entziehen sich der Kontrolle der politischen Polizei‘“. Nach wie vor wurden aber die Anhänger der Kirchen unterdrückt.
Nicht nur die Haltung der sowjetischen Führung gegenüber der Religion wird geschildert, sondern auch die Haltung der Kirche gegenüber dem Staat. Darüber heißt es in dem erwähnten Artikel: „Auch die Kirchenführung, besonders der orthodoxen Kirche, änderte sich. Während sich die ersten Patriarchen nach der Revolution dem Staat aufs schärfste widersetzten, dafür ihres Amtes enthoben oder verbannt wurden und dennoch nicht die geringste Erleichterung für ihr Kirchenvolk erkämpfen konnten, folgten diesen ,Bekennern‘ die ,Diplomaten‘. Nach der Loyalitätserklärung des Patriarchen Sergius dem Staat gegenüber wurde ein Teil der Kirchen, Klöster, Akademien und Seminare wieder eröffnet, die Erlaubnis zum Druck von Bibeln und Gebetbüchern erteilt.“ Jedoch weist der Artikel auch auf eine Personengruppe hin, die nicht bereit ist, Kompromisse mit dem Staat zu schließen, und wie sie behandelt wird, beschreibt der Artikel wie folgt: „Andererseits gibt es zahlreiche Gläubige in der UdSSR, die den Kurs der anerkannten Kirchen nicht mitmachen, deren Gemeinschaften vom Staat nicht zugelassen wurden ..., die ,straffällig‘ werden, weil sie staatliche Gesetze als gegen ihren christlichen Auftrag gerichtet ansehen. Ihnen drohen auch heute noch hohe Geld- und Freiheitsstrafen. Sie werden von Arbeit und Amt ausgeschlossen oder verschwinden in Kliniken, Arbeitslagern und in der Verbannung.“
Was ist aus der Kirche geworden?
◆ Ein Mitteilungsblatt der Russischen Orthodox-Christlichen Erneuerungs-(Reform-)Bewegung zitiert den Patriarchen Athenagoras, der sich kritisch über seine Kirche äußerte. Es heißt darin: „Was haben wir gemacht? ... Christus hat uns verlassen. Wir haben ihn verjagt. Durch unseren Haß, unseren Hochmut, durch unsere pharisäische Selbstzufriedenheit haben wir den Geist des Evangeliums zunichte gemacht. Und Christus ist von uns gegangen, Christus hat uns verlassen.“ Über die Kirche selbst wird gesagt: „Wir haben aus der Kirche eine Organisation wie alle übrigen gemacht. Wir haben unsere Kräfte damit vertan, sie aufzubauen, und setzen diese nun für ihr Funktionieren ein. Und sie funktioniert mehr oder weniger, mehr schlecht als recht, doch sie funktioniert — sie funktioniert wie eine Maschine! Wie eine Maschine — und nicht wie das Leben.“
Lenin: „Die Geistlichkeit brutal bekämpfen“
◆ Wie die Zeitung Die Welt berichtet, wurde jetzt der Inhalt eines geheimen Briefes, den Lenin im Jahre 1922 geschrieben hatte, bekannt. Bisher wurde man nur informativ über den Aufruf Lenins, die Geistlichkeit zu bekämpfen, unterrichtet. 1969 konnte man jedoch der Ausgabe 9 der „Chronik der laufenden Ereignisse“ entnehmen, daß der Geheimbrief Lenins Verbreitung gefunden hatte. Kurz bevor der Staatssicherheitsdienst am 12. September 1969 beim heute noch inhaftierten Anatolij Levitin eine Hausdurchsuchung unternahm, wurden beim Verlassen seiner Wohnung zwei seiner Freunde festgenommen. Einem von ihnen nahm der Staatssicherheitsdienst den vollen Text des Briefes Lenins ab. Später gelangte er ins Ausland und wurde, nach dem Bericht der Zeitung, von der russischen Exilpresse veröffentlicht und kommentiert. Die Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt am Main veröffentlichte eine deutsche Übersetzung. Auszugsweise schreibt Lenin folgendes gemäß dieser Übersetzung: „Ich komme daher zum zweifelsfreien Schluß, daß wir der reaktionären Geistlichkeit gerade jetzt eine entscheidende und erbarmungslose Schlacht liefern und ihren Widerstand mit einer solchen Brutalität brechen müssen, daß sie diese mehrere Jahrzehnte lang nicht vergessen soll.“
„Religion ist für die Partei keine Privatsache“
◆ Gemäß einer Meldung der Nachrichtenagentur KNA berichtete das Organ des Büros des Zentralkomitees der tschechischen KP, Trybuna, daß, vom Standpunkt des Staates aus betrachtet, Religion zwar „Privatsache“ sei, nicht jedoch vom Standpunkt der Partei aus. Wenn der Grundsatz der Religionsfreiheit auch in der Verfassung verankert sei, so verpflichteten die Parteistatuten eindeutig jedes Mitglied, „gegen religiöse Vorurteile“ zu kämpfen. Die Tatsache, daß die sozialistische Gesellschaft jedem Bürger die Freiheit des Bekenntnisses garantiere, bedeute nicht, daß die Partei und der sozialistische Staat „nicht gegen die Religion, gegen religiöse Vorurteile und für ihre Überwindung kämpfen“ würden, fährt die Trybuna fort. Das Gegenteil sei der Fall. „Die Durchführung einer wirksamen und wissenschaftlichen atheistischen Aufklärung ist geradezu die tägliche Aufgabe nicht nur aller Parteiorgane und Organisationen, sondern auch aller Organe des sozialistischen Staats und besonders der Schulen.“ Zur Erreichung dieser „Ziele einer sozialistischen Gesellschaft“ — und damit praktisch zur Eigenaufgabe — hat der neue „Verband der Geistlichen der Tschechoslowakei“, die Nachfolgeorganisation der Friedenspriesterbewegung, seine Mitglieder aufgerufen.
„Religion ist eine unfruchtbare Blüte“
◆ Die Kritik an der Kirche in der CSSR hat nach einem Bericht des Parteiorgans Rude Pravo den Zweck, „die Absurdität des Glaubens an Gott“ aufzuzeigen. Das KP-Zentralorgan schreibt: „Dank dem Bewußtsein und der inneren Reife unserer werktätigen Bevölkerung werden die vorgefaßten religiösen Meinungen nach und nach überwunden.“ Die Absicht der Kritik an der Religion sei nicht nur, „die Absurdität des Glaubens an Gott aufzuzeigen, sondern ebenso, den Menschen zu helfen, ihre religiösen Illusionen aufzugeben“. „Die Religion ist eine unfruchtbare Blüte“, schreibt Rude Pravo, „weil sie eine falsche Weltanschauung anbietet.“ „Wir bekämpfen die Religion nicht mit Polizeimaßnahmen und mit Gewalt ... aber niemand kann von uns erwarten, daß wir die Freiheit einschränken, atheistische Ideen und die Erkenntnisse der Naturwissenschaften zu verbreiten.“
Auseinandersetzungen unter den Kirchen in Polen
◆ Der Schweiz. Evang. Pressedienst weist auf den Zustand der Kirchen in Polen hin. Die dominierende Kirche in diesem Land ist die römisch-katholische Kirche. Sie erhebt den Anspruch, Trägerin der polnischen Kultur und Tradition zu sein. Ihr steht der Polnische Ökumenische Rat gegenüber, der aus der evangelisch-lutherischen, der evangelisch-reformierten, der Methodisten- und der Baptistenkirche sowie 4 weiteren Freikirchen besteht. Diese beiden Richtungen stehen sich sehr abweisend, wenn nicht gar feindlich gegenüber. So stellt zum Beispiel der Redakteur der lutherischen Kirchenzeitung des Landes fest, die katholische Kirche sei in Polen heute mächtiger denn je; sie habe früher andere Christen systematisch ignoriert und erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil versucht, „durch freundliche Gesten ihre starre Haltung zu mildern“. Auch in bezug auf „Mischehen“ wird die katholische Kirche angegriffen. Noch immer übe sie in der Praxis der „Mischehen“ einen unzulässigen Druck auf den nichtkatholischen Partner aus. In einer These des polnischen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes heißt es sogar: „Wir verwerfen die ökumenischen Bemühungen der römisch-katholischen Kirche, die nach der Einigung aller Christen unter die Oberherrschaft des Papstes streben.“ Von römisch-katholischer Seite sieht man zwar in der ökumenischen Bewegung in Polen Fortschritte, man weiß aber, nach den Worten eines polnischen Bischofs, daß es „ab und zu auch Spannungen zwischen Katholiken und anderen Kirchen gibt“.
Polnisches Geschichtsbuch — ein „ideologisch schädliches Werk“
◆ Ein Geschichtswerk, das den Beginn des kalten Krieges angeblich der Sowjetunion anlastet und deshalb von Polens Parteipresse kritisiert wurde, ist nach Angaben literarischer Kreise in Warschau aus dem Verkehr gezogen worden. Das Magazin Nowe Drogi, eine Publikation des ZK der kommunistischen Partei, bezeichnete das Geschichtsbuch als ein „ideologisch schädliches Werk“. Das Buch mit dem Titel „Register der ersten Dekade 1945 bis 1954“, das von Professor Maria Turlejska verfaßt wurde, war im letzten Jahr erschienen. Der Autorin wurde vorgeworfen, sie habe versäumt, die Nachkriegszeit richtig marxistisch historisch zu interpretieren. Nowe Drogis hauptsächliche Beschwerde richtete sich jedoch gegen die Behandlung des kalten Krieges. Das Magazin zitierte als Beispiel verschiedene Passagen, darunter ein Kapitel mit der Überschrift „Entspannung in der Welt“, dessen erste Zeile lautet: „Am 5. März 1953 starb Josef Wissarionowitsch Stalin.“ Es sei offensichtlich, meinte Nowe Drogi, daß die Autorin versuche, „die Sowjetunion und Stalin für den Ausbruch des kalten Krieges verantwortlich zu machen“.
Polnische Kirche kritisiert Bericht über Jugenderziehung
◆ Die katholische Kirche Polens hat einen veröffentlichten Bericht des Parlaments über neue Richtlinien für die Erziehung der Jugend kritisiert. Die Jugend, so hieß es in dem Bericht, müsse patriotisch und internationalistisch ausgerichtet und gegen reaktionäre Ansichten und Modelle immunisiert werden, die in kultureller und moralischer Hinsicht wertlos seien. Die Kirche wurde in diesem Bericht mit keinem Wort erwähnt. In einem vom polnischen Episkopat verbreiteten Kommuniqué hieß es, daß der Bericht des Parlaments Elemente enthalte, die mit einer religiösen Erziehung unvereinbar seien. Das Vereinen der Gesellschaft auf rein materialistischer Basis, wie dies die Regierung beabsichtige, laufe dem Prinzip der Gewissensfreiheit zuwider und sei zudem gefährlich. Als moralische Autorität habe die Kirche die Pflicht, das Recht der Eltern, ihre Kinder in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Glauben aufzuziehen, zu verteidigen.
Wie viele Kirchenmitglieder gibt es in der DDR?
◆ Eine Arbeitsgemeinschaft der Kirchen in der DDR ermittelte einige Zahlen über die Zugehörigkeit zu den Kirchen. Nach diesen kirchlichen Schätzungen gehören etwa 10,47 Millionen DDR-Bürger einer Kirche an. Das sind 61,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mit 9,07 Millionen sind die zum Evangelischen Kirchenbund in der DDR gehörenden acht Landeskirchen am stärksten vertreten. Hinzu kommen etwa 1,3 Millionen Angehörige der römisch-katholischen Konfession und hunderttausend Angehörige anderer Konfessionen.