Steroide — Wie sie helfen, wie sie schaden
STEROIDE! Dieses Wort warf einen schockierenden, dunklen Schatten auf die Olympischen Spiele 1988 in Seoul (Republik Korea). Mehrere hoffnungsvolle Sportler wurden vom Internationalen Olympischen Komitee mit der Begründung gesperrt, sie hätten solche Mittel genommen. Der schnellste Sprinter der Welt sonnte sich nach seinem Sieg im Endlauf über 100 Meter im Ruhm der Goldmedaille — doch nicht lange. Die Tests nach dem Lauf wiesen bei ihm den Gebrauch von Steroiden nach. Dahin waren Goldmedaille und Weltrekord!
Aber das sollte die Sportwelt eigentlich nicht überrascht haben. Bei den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary (Kanada) wurde ein Teilnehmer gesperrt, weil der Steroid-Test positiv ausgefallen war. Gemäß Berichten erschienen bei dem bedeutenden Leichtathletikfestival mit Weltklassebesetzung in Zürich 1987 von 28 angemeldeten Teilnehmern für die Stoß- und Wurfwettbewerbe nur die Hälfte, nachdem man von Steroid-Tests erfahren hatte.
In Caracas (Venezuela) wurden 1983 bei den Panamerikanischen Spielen 15 Athleten wegen Steroid-Gebrauch gesperrt. Auch die Olympiade 1984 kam nicht ohne Steroid-Skandale mit disqualifizierten Medaillengewinnern davon.
Fast jede Sportart hat ihre eigenen Steroid-Skandale — ob Leichtathletik, Bodybuilding, Gewichtheben oder Football, um nur einige zu nennen. Mehr als 20 Footballspieler verschiedener amerikanischer Universitäten wurden wegen der Einnahme von Steroiden für Topveranstaltungen in der Saisonpause gesperrt. Über die Welt des professionellen Footballs hat ein bekannter Spieler, der seit 14 Jahren in einer Profiliga (NFL) spielt, gesagt: „In einigen Teams nehmen 75 bis 90 Prozent Steroide.“ Die Zeitschrift Psychology Today berichtete: „Viele der ... Befragten beziffern den Anteil der Steroid-Konsumenten unter denen, die wettkampfmäßig Bodybuilding betreiben, auf 100 Prozent.“
Doch der Mißbrauch von Steroiden ist nicht auf Profis und Collegesportler beschränkt. Heutzutage machen sowohl männliche wie auch weibliche Bodybuilder und Athleten, ja selbst Kinder großzügig davon Gebrauch.
Dr. William N. Taylor, Mitarbeiter des amerikanischen Olympischen Komitees zur Kontrolle des Medikamentengebrauchs, erklärte, die Einnahme dieser Mittel habe „epidemische Ausmaße“ angenommen. Wie weit hat sich die Epidemie ausgebreitet? Außer Sportlern treiben, wie Taylor bemerkte, Buchhalter und Professoren ebenso wie ungelernte Arbeiter und Polizisten Steroid-Mißbrauch. „Es ist nicht mehr allein ein Problem des Sports“, sagte er, „sondern eines der Gesellschaft. Und die Betreffenden spielen mit dem Feuer.“
Anabole Steroide (Anabolika) sind hochwirksame künstliche Versionen des männlichen Sexualhormons Testosteron. Seit Jahren werden Steroide klinisch unter sorgfältiger Aufsicht eingesetzt, um eine verzögerte Pubertät zu beschleunigen, durch Krankheit oder Operation geschwächte Muskeln aufzubauen und Blutzellen bei Bestrahlung oder Chemotherapie zu schützen. Steroide haben sich bei diesen und anderen physiologischen Problemen in der Hand von Medizinern als wirksame Mittel erwiesen.
In den 50er Jahren schlußfolgerten sowjetische Ärzte und Wissenschaftler, daß eine Überdosis des männlichen Sexualhormons Testosteron den Aufbau der Muskeln und der Körpermasse ihrer Sportler beschleunigen und so zu höheren Leistungen führen müsse. Die Athleten sollten dadurch schneller laufen, höher springen, Speer und Diskus weiter schleudern, schwerere Gewichte heben und bei allen Kraftsportarten herausragen. Die Folge war, daß sowjetische Sportler bei internationalen Wettkämpfen erheblich im Vorteil waren und in dieser Zeit die meisten Sportarten dominierten.
Das stachelte den Nationalismus an. Ein amerikanischer Arzt nahm sich vor, die sportliche Unterlegenheit durch die Entwicklung eines künstlichen Anabolikums — ein dem Testosteron ähnliches Mittel — wettzumachen, das einfacher und billiger zu produzieren sei und das man in Pillenform oder als Injektionen verabreichen könnte. Die von ihm gefundene Formel erwies sich als beängstigend erfolgreich. Jetzt machte die Chemie mächtigere Körper und bessere Leistungen möglich. Der Sportkrieg war ausgebrochen.
Andere sind auf dem „Egotrip“. „Anschwellende Muskeln sind heute in“, sagte ein Vertreter der amerikanischen Nahrungs- und Arzneimittelbehörde. „Die jungen Männer wollen am Strand eine gute Figur abgeben; Oberschüler möchten ihre Chance auf ein Sportstipendium vergrößern, Berufssportler werden oder das Mädchen ihrer Träume für sich gewinnen.“ Im Wall Street Journal (4. Oktober 1988) hieß es: „Hunderttausende von amerikanischen Jugendlichen schlucken oder spritzen Anabolika, um besser zu spielen oder um einfach besser auszusehen.“
Unter Druck
High-School-Sportler mit Starambitionen, ihre Trainer und eventuell ihre Eltern wissen, daß einige Kilogramm, einige Muskeln am richtigen Platz den Unterschied zwischen Starruhm und Mittelmäßigkeit ausmachen können. Angesichts stattlicher sechs- und siebenstelliger Summen für Stars sowie des Ruhms für Schule und Trainer und des Ansehens für die Eltern steht der „Staranwärter“ unter dem Druck, zu Steroiden zu greifen, um im Wettkampf die Nase vorn zu haben.
Dr. Taylor schrieb in der Zeitschrift Psychology Today: „Dutzende von Vätern haben mich gebeten, ihre normalwüchsigen Kinder kräftiger zu machen. Man hat mir 5stellige Dollarbeträge angeboten, damit ich Kinder chemisch manipuliere.“ Ein anerkannter Experte für Sporterziehung meinte, High-School-Sportler hätten für den Gebrauch von Steroiden sowohl die Rückendeckung ihrer Trainer als auch ihrer Eltern.
Steroid-Konsumenten bestätigen die Wirkung — der versprochene Muskel- und Kräftezuwachs stellt sich wirklich ein. Ein ehemaliger Profiringer sagte: „Ich schluckte täglich 15 Milligramm Steroide. Nach 30 Tagen drückte ich auf der Bank 177 statt 143 Kilo. Normalerweise braucht man für eine solche Steigerung sechs Monate.“ Gewichtheber erklärten, daß sie länger mit schwereren Gewichten arbeiten könnten und daß die Erholungsphase zwischen den Trainingseinheiten drastisch verkürzt würde.
Auch in anderen Ländern wächst die Bodybuilding-Manie. China beispielsweise wird, wie die Zeitschrift Women’s Sports & Fitness (August 1987) schrieb, von einer Fitneßwelle „überrollt“. „Zeitschriften über Bodybuilding sind jetzt in allen größeren Städten erhältlich.“
In der Deutschen Demokratischen Republik spielen Steroide im Leben der Athleten eine wichtige Rolle. Ein Zitat aus dem Wall Street Journal soll an dieser Stelle genügen: „‚Steroide aus der DDR gelten als die besten‘, erklärt ein kalifornischer Polizist. ‚Ihre Athleten stehen in dem Ruf, besser, größer und stärker zu sein.‘“
Welchen Preis für Ruhm?
„Man denkt, Kokain sei ein großes Problem“, sagte ein bekannter Physiotherapeut, der mit Sportlern arbeitet. „Doch Anabolika sind ein noch schwerwiegenderes; unter Jugendlichen nimmt es epidemische Ausmaße an.“ Weltweit wollen Jugendliche den Anschluß nicht verpassen. Um die körperliche Leistung zu steigern, spielen sie ein lebensgefährliches Spiel mit hohem Einsatz.
„Ängste, Halluzinationen, Größenwahn und die Neigung zur Gewalttätigkeit sind erschreckend, wo immer sie auftreten“, heißt es in Psychology Today. „Bodybuilder, die zu Steroiden greifen, können für solche psychotischen und manischen Störungen anfällig sein, wie eine noch laufende Untersuchung am McLean Hospital in Belmont (Massachusetts) ergeben hat.“
Zusätzlich kann es bei Männern zu einer Schrumpfung der Hoden, einer Vergrößerung der Brüste — was manchmal eine Operation erforderlich macht — und zu Impotenz kommen. Auch besteht das Risiko von Lebertumoren, Nierenschäden, Schlaganfällen, Herzkrankheiten oder einer Persönlichkeitsveränderung, die zu Gewalttätigkeit und Selbstmordversuchen führen kann.
Bei Frauen können die Nebenwirkungen in irreversibler Vermännlichung bestehen: Wachstum der Körper- und Barthaare, Stimmvertiefung, Verkleinerung der Brüste und Ausbleiben der Periode.
Betrachtet man diejenigen, die im Zuge der Fitneßwelle Medikamente benutzen, um einen kräftigeren und schöneren Körper zu haben, muß man sich fragen, ob es echte Fitneß oder nur Täuschung ist. Was geschieht mit der Fitneß, wenn der Glanz vorbei ist? Werden die Betreffenden, wenn sie auf ihre Jugend zurückschauen, feststellen müssen, daß sie einen horrenden Preis für Starruhm oder nichtige Eigenliebe zu bezahlen haben? Jugendlichen, die vernünftig sind, ist klar, daß die Aufopferung des eigenen Körpers für kurzlebigen Glanz und Bewunderung durch Menschen des gegenwärtigen Systems der Dinge wirklich ein Haschen nach Wind ist.