„Entschuldige bitte, daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe“
HAST du dir schon öfter vorgenommen, einen Brief zu schreiben, es aber immer wieder hinausgeschoben? Waren, als du dir dessen richtig bewußt wurdest, Wochen oder vielleicht Monate vergangen? Kein Wunder, daß dein Brief mit einer Bitte um Entschuldigung begann, als du endlich schriebst.
Denke nicht, es gehe nur dir so. Haben nicht Briefe, die du erhalten hast, ähnlich angefangen? So wie du wußten auch andere: Längst hätte ich schreiben sollen. Und je länger man mit Schreiben wartet, desto peinlicher wird die Situation, so daß man dann vielleicht ganz davon absteht zu schreiben. Warum besteht vielfach diese Neigung, das Briefeschreiben hinauszuschieben?
Unsere Zeit ist bemessen, und vieles verlangt unsere Aufmerksamkeit. Doch wir nehmen uns Zeit für wichtige Dinge wie Arbeit, Essen, Einkaufen und Schlafen. Manchmal geht es deshalb nur darum, daß wir uns die Zeit nehmen, Freunden zu antworten, über deren Brief wir uns gefreut haben.
Warum wir schreiben
Bei der Besprechung dieses Problems kommen wir vielleicht einen Schritt weiter, wenn wir uns überlegen, warum Briefe an Freunde und Verwandte geschrieben werden. Früher lebten die Familien meist an einem Ort zusammen. Die Verwandten wohnten gleich in der Nachbarschaft oder im nächsten Ort. Dies hat sich geändert. Heute sind die Familien oft auseinandergerissen, der eine lebt in dieser Ecke des Landes und der andere in einer anderen oder gar in einem anderen Land.
Besteht nicht eine moralische Verpflichtung, sich umeinander zu kümmern, die Eltern um ihre Kinder und Kinder um ihre Eltern? Man kann bestimmt sagen, daß es Eltern oder Kindern an der natürlichen Liebe fehlt, wenn sie nicht so handeln.
Aber abgesehen von der Pflicht bereitet es einem ausgesprochene Freude, etwas zu tun, wodurch man die Bedürfnisse eines andern stillt. Das befriedigt mehr, als wenn man ein Geschenk bekommt. Für deine Freunde und Angehörigen wird es bestimmt eine Ermunterung sein, wenn sie erfahren, daß es dir gutgeht, wenn sie von dir einen schönen Brief voller Neuigkeiten erhalten. Bezweifelst du das? Dann denke nur daran, wie du dich über einen Brief freust.
Es gibt nicht vieles, worüber man sich mehr freut, als wenn man von lieben Menschen Post erhält. Man gerät dadurch in freudige Erregung. Macht es uns nicht froh, daß jemand an uns gedacht hat? Und voller Erwartung öffnen wir den Brief. Bis dahin ist er eine Art Geheimnis. Was wird darin stehen? Es mögen interessante Erlebnisse sein, oder der Brief mag ein Ausdruck der Liebe sein, die der Absender für uns empfindet, oder der Güte und Aufmerksamkeit.
Wir möchten somit ganz bestimmt auch die Ursache dafür sein, daß jemand anders in freudige Erregung versetzt wird, weil er einen Brief erhält!
Was wir tun können
Kannst du, selbst wenn du außerordentlich beschäftigt bist, etwas tun, um mit deinen Freunden und Angehörigen in Verbindung zu bleiben? Wie wäre es mit einer Briefkarte oder einer Ansichtskarte? Du kannst ihnen auch nur ein paar wenige Zeilen schreiben. Es ist gar nicht nötig, daß du ihnen einen langen Brief schreibst. Lange Briefe mögen ermüden, besonders Personen, die auch viel zu tun haben. In dem Buch Along the Road (Am Wege) wird über das Briefeschreiben folgendes gesagt:
„Es gibt viele Leute, die ihren alten Freunden sozusagen nie schreiben, weil sie glauben, wenn sie schreiben würden, dürfte es nur ein langer Brief sein. Aber das ist ein großer Irrtum; und zufolge dieser Einstellung wird manche schöne Freundschaft nicht gepflegt. Wichtig ist der Brief, nicht seine Länge oder der Stil, in dem der Brief geschrieben ist. Es genügt auch nicht, jährlich drei- bis viermal ein paar Worte auf ein Stück Papier zu kritzeln, um eine gute Freundschaft zu erhalten; wenn man so handelt, wird sie aus Mangel an Pflege bestimmt sterben.“
Nein, man braucht mit Schreiben nicht so lange zu warten, bis man genügend Stoff für einen langen Brief hat. Der Empfänger deines Briefes ist vielleicht in erster Linie daran interessiert, zu wissen, ob du in körperlicher und geistiger Hinsicht gesund bist. Warum also lange warten, bis man ihm das schreibt? Und vergiß ja nicht, dich danach zu erkundigen, wie es dem Briefempfänger geht.
Eine Freundschaft ist etwas Kostbares. Freunden ist daran gelegen, einander mitzuteilen, was sie erlebt haben und wie sich die Dinge, für die sie sich interessieren, entwickeln. Zwischen Eltern und Kindern besteht ein festes Band. Jugendliche, die von zu Hause fort sind, sollten sich bestimmt dafür interessieren, wie es ihren Eltern geht. Und die Eltern können der jüngeren Generation brieflich guten Rat vermitteln.
Briefeschreiben kann ein Vergnügen sein
Das Schreiben braucht keine lästige Bürde zu sein. Man kann sich auf einem Merkzettel alles notieren, was man im nächsten Brief erwähnen möchte: vielleicht eine lustige Geschichte oder ein Erlebnis. Erlebnisse, die dich erfreut haben, werden anderen ebenfalls Freude bereiten. Nimm dir auch vor, etwas zu schreiben, was den Briefempfänger erbaut.
Außerdem kannst du immer über gemeinsam Erlebtes schreiben. Dadurch kommen Freunde sich noch näher. Schreibst du den Eltern, dann wäre es schön, sie wissen zu lassen, daß du gerne an die Zeit zurückdenkst, die du im Elternhaus verbracht hast, daß du auch die Pflanze in der Stube, auf die Mutter so stolz war, nicht vergessen hast und noch weißt, wie schön der blühende Kirschbaum vor dem Küchenfenster aussieht. Arbeitet Vater immer noch am Ausbau des Erdgeschosses? Muß der jüngere Bruder nun die Arbeiten im Haus verrichten, die du früher getan hast? Deine Fragen zeigen, daß du immer noch an allem Anteil nimmst.
Ja, nicht nur du, sondern auch andere erhalten gern Post. Denke immer daran, wenn du das Briefeschreiben aufschieben möchtest, wieviel Gutes ein solcher Brief bewirken kann. Suche zu vermeiden, daß du deine Briefe mit den Worten beginnen mußt: „Entschuldige bitte, daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe.“ Schreibe bald!