Lebensgemeinschaften der Pflanzen
ES WAR noch früh am Morgen, als Hans sein Haus verließ. Er war im Vorstand des Kleingartenvereins als Berater tätig und ein vielbeschäftigter Mann. Auch heute wartete wieder eine Menge Arbeit auf ihn.
In letzter Zeit hatten die Kleingärtner viel Ärger gehabt. Man hatte ihnen einen interessanten Vortrag über „Mischanbau“ gehalten. Voller Begeisterung waren sie nach Hause gegangen, um die Anregungen sofort in die Tat umzusetzen und munter draufloszumischen. Und das Ergebnis? Es war erschreckend gewesen.
„Hallo, Hans!“ Dieser Gruß riß ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Ohne sich dessen bewußt geworden zu sein, war er bereits in der Gartenkolonie angekommen. „Morgen, Werner!“ rief er zurück. „Wie kommst du denn schon so zeitig hier heraus?“
„Na, du weißt doch, wie gern ich im Garten bin. — Aber heute kommst du mir nicht davon. Heute mußt du mir unbedingt einige Fragen beantworten. Du kennst doch meinen Reinfall im Mischanbau. Mich würde brennend interessieren, was die Ursache ist und was man dabei alles zu beachten hat!“
„Ja, Werner, das ist nicht so kurz erklärt. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Um dir aber ein wenig dabei zu helfen, möchte ich einige Hauptpunkte herausgreifen. Denken wir zuerst einmal an die Beschaffenheit des Bodens und die wechselseitige Beeinflussung der Pflanzen untereinander.“
Welche Rolle spielt die Beschaffenheit des Bodens?
„Wußtest du schon, daß du nicht allein in deinem Garten arbeitest? Raupen, Regenwürmer, ja ein Heer von Kleinlebewesen in Form von Algen, Bakterien und Pilzen sind dir dabei behilflich. All dein Wirken wäre oft vergeblich, wären diese Kleinlebewesen nicht vorhanden. Was nützte es, wenn du mit viel Mühe den Boden auflockertest, da doch beim nächsten Regenschauer die Krümel wieder in sich zusammenfallen würden, so daß das Erdreich fest und undurchdringlich wäre?“
„Aber welche Rolle spielen dabei die Kleinlebewesen, und wie gelangen sie überhaupt in den Boden?“
„Bist du nicht immer bemüht, reifen Kompost in die Erde zu bringen? Dadurch entsteht eine üppige Pilzflora in Form von Pilzfäden. Diese kleinen Pilzfäden, die nicht von langer Lebensdauer sind, befestigen die aufgelockerten Krümel, so daß sie nicht zusammenfallen können. Später lösen Bakterien sie ab, und auch diese sind noch nicht die letzten ihrer Art, wodurch ein lückenloses und formenreiches Leben im Boden herrscht.
Dadurch wird dafür gesorgt, daß der Boden ‚gar‘ ist, was bedeutet, daß die Krümel erhalten bleiben und infolgedessen Wärme und Wasser in den Boden eindringen können. Gleichzeitig zersetzen die Kleinlebewesen den Boden, so daß die Nährstoffe, die im Boden vorhanden sind, sich auflösen und von der Pflanze aufgenommen werden können.“
„Aber was hat das alles mit dem Mischanbau zu tun.“
„Dein Einwand ist berechtigt, und ich hoffe, daß ich dir eine zufriedenstellende Erklärung geben kann. Du erinnerst dich sicherlich, daß schon während des Vortrags gezeigt wurde, daß man viele Versuche und Untersuchungen durchgeführt hat. Immer wieder verglich man die natürlichen Lebensgemeinschaften mit dem Alleinbau. Professor Dr. Sekera machte dabei eine interessante Entdeckung. Er stellte fest, daß im Acker eine formenärmere Kleinwelt und weniger wasserfeste Krümel waren als unter der natürlichen Pflanzengesellschaft des Ackerrains. Wiederum hatte er die Bestätigung erhalten, daß die Pflanzengemeinschaft zusammen mit einer formenreichen Kleinstgesellschaft im Boden lebt.
Sieh dir doch den natürlich gewachsenen Wald an: Eichen — Buchen — Sträucher — Stauden und das sich am Boden entlangschlängelnde Immergrün, das selbst noch den üppigen Moosteppich überwuchert. Jedes Plätzchen ist ausgenutzt — und doch behindert keine Pflanze die andere. Im Gegenteil! Jede dient zur Förderung der anderen. Und da jeder Baum, ja jede Pflanze von einer bestimmten Art Kleinlebewesen begleitet wird, entsteht im Boden eine Ansiedlung der verschiedensten Kleinlebewesen. Die Folge davon ist, daß der Boden nie in Verlegenheit kommt, ‚müde‘ zu werden oder leistungsunfähig zu sein. Er bleibt ‚gar‘ und gesund.
Natürlich darf man hierbei nicht vergessen, daß auch das Blätterdach und die abfallenden Blätter als Hilfe für den Boden dienen. Sie schützen ihn vor den sengenden Sonnenstrahlen, bewahren ihn vor dem Austrocknen durch den Wind und vor dem Verschlemmen durch Regengüsse. Auch durch diese Vorkehrung des Waldes bleibt der Boden ‚gar‘. Nur spricht man in diesem Falle von einer ‚Schattengare‘.
Du könntest solch eine ‚Schattengare‘ im Kleinen auch im Garten fördern. Stell dir vor, du hättest ein Beet dicker Bohnen gesät. Bald würdest du folgendes Bild vor Augen haben: Einsam und verlassen stände Pflänzchen an Pflänzchen. Kein schützendes Blätterdach könnte das Austrocknen des Bodens durch die sengende Sonne verhindern. Allmählich würdest du eine feste Kruste beobachten. Durch die dadurch entstehenden Risse entwiche unweigerlich die letzte noch vorhandene Feuchtigkeit aus dem Boden. Die Kohlensäure jedoch, die der Boden als Nährgas für die Blätter abgeben müßte, würde durch die feste Kruste gestaut. Bald könntest du die Folgen erkennen. Die übriggebliebenen Kleinlebewesen, die nicht durch mangelnde Feuchtigkeit in tiefere Schichten abgewandert wären, würden nun durch die Kohlensäure vergiftet, ja selbst die Wurzeln wären dem Erstickungstod ausgeliefert.
Durch das Dazwischenpflanzen von Spinat oder Gartenmelde erhieltest du ein entschieden anderes Bild. Spinat oder Gartenmelde wächst verhältnismäßig schnell und schützt durch ihr Blätterdach das Erdreich. Unter diesem Schutzdach wäre der Boden ‚gar‘. In jeder Beziehung könntest du nun das Gegenteil beobachten. Und wodurch? Durch den ‚Mischanbau‘.“
„Das leuchtet mir ein. Aber du siehst ja, was ich persönlich mit meiner Mischung erreicht habe.“
Die Beeinflussung der Pflanzen untereinander
„Ja, mein Lieber, du hast vergessen, daß Pflanzen auch Lebewesen sind. Was aber stellst du im Verhalten der verschiedenen Lebewesen untereinander fest? Die Pflanzen produzieren genau wie Menschen und Tiere zufolge von Stoffwechsel Ausscheidungen, die sich auf andere Pflanzen gut oder schlecht auswirken können.
Dr. Madaus (Dresden) spricht von drei verschiedenen Arten: von Duft-, Wurzel- und Blattausscheidungen. Duft- und Wurzelausscheidungen sind gasartig. Blattausscheidungen zeigen sich besonders darin, daß die durch Tau, Regen oder Nebel benetzten Blätter organische und anorganische Stoffe abgeben. Diese Stoffe gelangen wieder zurück in den Boden, um aufs neue ihren Zweck zu erfüllen.
Hast du schon einmal Stinkkohl gerochen? Gewisse Pflanzen können die Duftausscheidungen anderer nicht ertragen. Niemand könnte es dem Fenchel übelnehmen, wenn er den Wermut nicht in seiner Nähe dulden würde. Besonders dann nicht, wenn man das Ergebnis eines Versuchs von Prof. Dr. Koegel hört. Er stellte fest, daß die Duftausscheidungen des Wermuts so stark sind, daß der Fenchel in 70 cm Entfernung nur 5,7 cm hoch wurde, während er im Abstand von 1,30 m seine normale Höhe von 39 cm erreichte. Hier wirkt also die Duftausscheidung hemmend auf das Wachstum der Partnerpflanze. Es wäre infolgedessen angebracht, dies beim Anbau zu berücksichtigen.
Bei den Wurzelausscheidungen kam man zu einer weiteren interessanten Entdeckung. So beobachtete man, daß sich die Wurzelausscheidungen einer Pflanze auf die Wurzeln der in der Nachbarschaft lebenden Pflanze gleicher Art sehr ungünstig auswirkten. Man hatte unbedingt das Empfinden, daß sie die Ausscheidungen der gleichen Art nicht vertragen konnten. Beim Mischanbau hingegen trat das Gegenteil ein.“
„Du, Hans, das erinnert mich an ein Beispiel aus der Tierwelt. Ein Bauer trieb seine Rinder immer auf die gleiche Weide. Im Laufe der Zeit hatten sich durch die Ausscheidungen der Rinder sogenannte Geilstellen gebildet. Die Tiere weigerten sich ständig, dieses Gras abzuweiden. So kam man eines Tages auf die Idee, Pferde und Schafe auf die Weide zu schicken, und siehe da, mit wahrem Wohlbehagen verzehrten diese zuerst das Gras, das die Rinder verschmäht hatten.“
„Wenn ich mir deine Buschbohnen so ansehe, dann habe ich das Empfinden, daß sie ebenso unglücklich sind wie die Rinder, die immer auf die gleiche Weide geschickt wurden.
Mach’s doch wie der Bauer, gib deinen Buschbohnen einen Partner, der ihre Stoffwechselschlacken ‚auffrißt‘, damit sich deine Bohnen in Ruhe entwickeln können. Für sie besteht das willkommene Gegenstück im Wirsing. Er nimmt ihre Schlacken auf und macht sie unschädlich, während seine Ausscheidungen der Bohne sogar als Nährstoffe dienen. Auch in der Aufnahme der Nährstoffe aus dem Boden ergänzen sich beide ausgezeichnet.
Erinnerst du dich noch an deinen jungen Apfelbaum, der schon kurze Zeit, nachdem du ihn angepflanzt hattest, verkümmerte?“
„Ja, richtig! Aber bis heute kann ich noch immer nicht begreifen, wieso das geschehen konnte. Sieh dir doch den jungen Kirschbaum an, er steht auf der gleichen Stelle und gedeiht prächtig!“
„Überleg doch mal, Werner. Du hast den jungen Apfelbaum an die gleiche Stelle gepflanzt, an der vorher der alte Baum gestanden hat, der vom Unwetter entwurzelt wurde. In diesem Falle wirkten nicht nur die durch Wurzelausscheidungen entstandenen Schlacken, sondern auch die Rückstände der Blattausscheidungen giftig auf das junge Bäumchen. Für den jungen Kirschbaum aber war das der willkommene Nährboden.“
„Wie konnte aber der alte Apfelbaum so gut gedeihen?“
„Das, wozu der junge Baum noch nicht in der Lage war, gelang dem alten. Er verstand es, seine Feinwurzeln, die zur Aufnahme der Nährstoffe vorhanden sind, aus dem Bereich der Schlacken herauszuschieben, um so auf zugeneigte Pflanzenarten zu treffen und auf diese Weise eine Lebensgemeinschaft zu bilden, die den Baum gesund erhielt, wovon du natürlich nichts bemerken konntest.“
„Also glaubst du, Hans, ich stehe immer wieder vor neuen Rätseln. Wie kann so etwas nur möglich sein!“
„Wir wissen und erkennen in dieser Hinsicht auch noch lange nicht alles. Demütige Wissenschaftler geben zu, daß man im Erforschen aller Zusammenhänge der Lebensgemeinschaften der Pflanzen noch längst nicht am Ende ist. Die bereits gewonnenen Erkenntnisse sind jedoch so aufschlußreich und nützlich, daß sie es wert sind, erörtert und angewandt zu werden.“
Wie wirkt sich die Gemeinschaft auf das Ungeziefer aus?
„Ich denke hierbei auch an eine besondere Wirkung, die man durch den Mischanbau hervorrufen kann. Wie erklärst du dir, daß sich — wie man in jüngster Zeit festgestellt hat — besonders im Mischwald die Schädlinge schwerer ausbreiten können?“
„Soll das denn auch mit dem Mischanbau zusammenhängen?“
„Auf jeden Fall! Man hat herausgefunden, daß die Duftausscheidungen der einen Pflanze für die Partnerpflanze Abwehrmittel gegen Schädlinge sind. Ein bezeichnendes Beispiel — von vielen Biologen und Gartenbauexperten bestätigt — ist die Gemeinschaft zwischen der kurzlaubigen Frühmöhre und dem Porree.
Der Feind der Möhre ist die Möhrenfliege, während der Porree unter der Zwiebelfliege und Lauchmotte zu leiden hat. Leben beide in Gemeinschaft, dann erschüttert der scharfe, andersartige Geruch der Partnerpflanze die jeweiligen Schädlinge so sehr, daß sie nicht einmal den Versuch unternehmen, ihre Eier an der betreffenden Pflanze abzulegen. Sie fliehen, so schnell sie können, um dem Geruch zu entkommen.
Ähnlich verhält es sich bei Kohlrabi und Radieschen in Gemeinschaft mit Salat. Kohlrabi und Radieschen werden vom Erdfloh hart bedrängt, der aber, sobald er den Salatgeruch in seiner Nase verspürt, die Flucht ergreift. Sollten Pflanzen von Krankheiten befallen werden, so kann man dieses Übel ebenfalls durch Mischanbau beheben.“
Gemeinschaft im Obstbau
„Nachdem ich dir jetzt einige kleine Winke für den Gemüsemischanbau geben konnte, möchte ich noch auf eine ganz andersartige Lebensgemeinschaft zu sprechen kommen. Du weißt ja, wieviel Freude mir immer die Obstbäume bereiten. Einige Birnbäume der Sorte ‚Williams Christ‘ waren mein ganzer Stolz. Aber obwohl sie jedes Jahr in voller Blüte standen, erfolgte kein Fruchtansatz. An dem Bienenflug konnte es nicht liegen; denn die Witterung war gut. Ein Nachbar, der die gleiche Sorte angepflanzt hatte, begann alle Birnbäume zu entfernen. Ich wartete jedoch damit und versuchte, die Ursache zu ergründen.
Durch Zufall fiel mir eine Tabelle über Pollenspender in die Hände. Du weißt ja, daß es sich bei Pollen um Blütenstaubkörnchen handelt, die zur Befruchtung unbedingt erforderlich sind. Dabei machte ich eine interessante Entdeckung. Alle Sorten der Kernobstarten und der Süßkirsche können sich nicht mit eigenem Blütenstaub befruchten. Man bezeichnet sie als ‚selbstunverträglich‘. Sie sind infolgedessen auf den Blütenstaub einer anderen Sorte der gleichen Art angewiesen. So benötigte meine ‚Williams Christ‘ die ‚Gellerts Butterbirne‘. Da diese Sorte in meinem sowie im Garten des Nachbarn nicht vorhanden war, konnte die ‚Williams Christ‘ nicht befruchtet werden.
So besorgte ich mir Edelreiser der ‚Gellerts Butterbirne‘ und setzte sie in die Krone der ‚Williams Christ‘. Im darauffolgenden Jahr blühten diese eingesetzten Reiser mit. Die Bienen gingen eifrig ihrer Arbeit nach; denn Kernobst wird ja ausschließlich von Insekten befruchtet. Welche Überraschung! Einige Zeit später hingen die Bäume voller Birnen. Ich hatte wieder einmal dazugelernt!“
„Ich muß immer wieder feststellen, daß wir Menschen niemals auslernen werden!“
„Ja, Werner, es ist genauso wie beim Universum. Je tiefer man eindringt, um so größer und unerforschlicher wird es für uns. Alles zeugt von der unabänderlichen Macht dieses großen allweisen Schöpfers, dessen Gesetzen wir uns unterordnen müssen. Sie sind überall vorhanden, selbst die Lebensgemeinschaften der Pflanzen sind ihnen unterworfen.“
[Bild auf Seite 17]
BUSCHBOHNEN
WIRSING
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