Ein Blick durch die Linse
WIE oft sehen wir, wie jemand Schwierigkeiten beim Lesen hat und die Zeitung vielleicht eine Armlänge von sich entfernt hält? Andere mögen nur lesen, wenn sie das Blatt sehr dicht an die Augen halten. Woher kommen diese Unterschiede im Sehen? Es hängt weitgehend mit der Wirkungsweise der Linse des Auges zusammen.
Linsen, die das Licht ablenken
Das Licht, das von Gegenständen rings um uns her reflektiert wird, kommt durch die Linse des Auges und läßt auf der Netzhaut, hinten im Augapfel, Bilder entstehen. Hier werden die Nerven angeregt, die zum Gehirn führen, das die so entstandenen beweglichen Bilder entwickelt. Aber diese Bilder erscheinen umgekehrt, das Oberste zuunterst! Welch ein Segen ist es doch für uns, daß der Erfinder des Auges auch dafür gesorgt hat, daß das Gehirn diese Bilder wieder umkehrt!
Daß die Bilder, wenn sie ins Auge eintreten, umgekehrt werden, liegt daran, daß die Linse unseres Auges konvex ist; sie hat ungefähr die Größe einer Aspirintablette. Und diese Art Linse hat die ungewöhnliche Eigenschaft, Lichtstrahlen, die sie durchdringen, zu „verdrehen“, so daß sie ein umgekehrtes Bild des Gegenstandes ergeben, von dem die Strahlen ausgehen.
Dies läßt sich mit einem Vergrößerungsglas veranschaulichen. Etwa wie zwei mit den Rändern aufeinandergelegte Untertassen ist das Vergrößerungsglas in der Mitte dicker als am Rand. In gewissen Entfernungen kann diese Linse dadurch, daß sie die hindurchgehenden Lichtstrahlen auf eine bestimmte Weise ablenkt, verwandt werden, um eine Vergrößerung von einem Gegenstand zu erhalten. Vielleicht liest du sogar diese Seite mit Hilfe einer solchen Linse. Eine Vergrößerung kommt jedoch nur zustande, wenn der betrachtete Gegenstand dicht an die Linse gehalten wird, das heißt dichter als die doppelte Brennweite der Linse. Vergrößere nun den Abstand zwischen deinem Auge und dem Vergrößerungsglas. Halte es eine Armlänge von dir und betrachte damit ein Bild an der Wand. Du wirst bemerken, daß alles auf dem Kopf zu stehen scheint. Warum? Weil die Lichtstrahlen beim Durchgang durch das Glas nach innen abgelenkt werden. Das Bild erscheint umgekehrt.
Die Lichtstrahlen, die durch die Mitte einer konvexen Linse gehen, werden nicht in wahrnehmbarem Ausmaß abgelenkt oder gebrochen. Aber die Strahlen, die die Linse in einer gewissen Entfernung vom Mittelpunkt treffen, werden gebrochen, so daß sie durch einen bestimmten Punkt gehen, der als Brennpunkt bezeichnet wird. Der Abstand zwischen diesem Punkt und dem Mittelpunkt der Linse heißt Brennweite.
Hast du schon einmal ein Vergrößerungsglas benutzt, um ein Feuer anzuzünden? Über die alten Griechen und Römer wird berichtet, daß sie mit Wasser gefüllte Glasbehälter als „Brenngläser“ benutzt hätten. Die Sonnenstrahlen gehen dabei durch das Wasser; sie laufen in einem Brennpunkt auf einem leichtentzündlichen Stoff zusammen und setzen diesen in Brand. Um dies zu zeigen, kann man die Strahlen der Sonne auf einem Stück Papier vereinigen, indem man den Abstand der Linse zum Papier so verändert, daß dort ein kleiner weißer Punkt entsteht. Dieser wird bald so heiß, daß das Papier anfängt zu brennen, denn dieser Punkt ist in Wirklichkeit ein Abbild der Sonne, das im Brennpunkt der Linse erscheint. Folglich ist es vernünftig, nie durch eine Linse in die Sonne zu schauen, besonders nicht mit einem Fernrohr oder Fernglas, denn dadurch könnte dem Auge unheilbarer Schaden zugefügt werden.
Es gibt noch eine andere Art Linsen; sie werden als konkav bezeichnet und sind wie zwei Untertassen geformt, deren Böden aufeinanderliegen, so daß sie am Rand dicker sind als in der Mitte. Diese Linsen zerstreuen die hindurchgehenden Lichtstrahlen. Konkave Linsen werden meistens in Verbindung mit konvexen Linsen verwendet, und dadurch, daß sie Lichtstrahlen zerstreuen können, werden sie als Hilfe für die Augen gebraucht
Bei Glaslinsen vorkommende Probleme
Du hast vielleicht bemerkt, daß Linsen kein einfaches Fensterglas sind, sondern daß sie gewöhnlich aus einem besonderen Glas hergestellt werden, dessen Winkel und Bögen sorgfältig gemäß komplizierten optischen Formeln berechnet worden sind. Im allgemeinen sind sie, wenn sie in optischen Geräten verwendet werden, viel dünner als Leselupen.
Bei einfachen Linsen treten verschiedene Probleme auf, von denen die häufigsten die sphärischen und chromatischen Abweichungen sind. Wenn du auf einem Bildschirm ein von einer einfachen Linse erzeugtes Bild genau betrachtest, wirst du eine sogenannte sphärische Abweichung bemerken. Das ist eine Verzerrung des Bildes, die dadurch entsteht, daß die Lichtstrahlen von dem Gegenstand her in etwas unterschiedlichen Winkeln durch die Linse gehen und sich demzufolge nicht genau an derselben Stelle sammeln. Bei unserem Auge haben wir diese Schwierigkeit nicht, und auch nimmt die Schärfe am äußersten Ende unserer Linse nicht ab, was bei künstlichen Linsen der Fall ist.
Auch leiden wir nicht unter chromatischen Abweichungen. „Weißes Licht“ wird, wenn es stark genug gebrochen wird, in die sieben Farben des Spektrums (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigoblau und Violett) zerlegt, von denen jede in einem etwas anderen Winkel gebrochen wird und eine vor der anderen erscheint, zuerst Violett und zuletzt Rot. Dadurch entsteht der regenbogenartige Rand des Bildes, der als chromatische Abweichung bezeichnet wird.
Obwohl es unmöglich ist, alle bekannten Abweichungen bei künstlichen Linsen zu beheben, lassen sie sich doch durch die Kombination verschiedener Präzisionslinsen erfolgreich korrigieren. Diese können mit Kanadabalsam, einem Harz der nordamerikanischen Balsamtanne, zusammengekittet werden. Einige Linsen werden beschichtet, um das Entstehen von Doppelbildern oder Spiegelbildern zu verhindern.
Komplizierte Optiken werden auch in Teleskopen, Ferngläsern und Mikroskopen verwendet. Hierbei wird das Prinzip einer konvexen Objektivlinse angewandt, um in den Tubus des Mikroskops oder Teleskops ein Bild zu werfen, das nicht auf einem Bildschirm erscheint, sondern in die Brennweite eines Okulars fällt. Das Bild, das dort entsteht, wird dann durch das Okular betrachtet, wo man eine Vergrößerung des Gegenstandes sieht.
Daß das Bild umgekehrt erscheint, spielt beim Mikroskop keine besondere Rolle. (Der betrachtete Objektträger kann vorher gedreht werden.) Aber kein Schiffskapitän hätte Freude an seinem Fernglas oder Fernrohr, wenn sein nächster Anlaufhafen umgekehrt erscheinen würde. Aus diesem Grund wird zur Korrektur ein Satz Linsen oder Prismen zwischen die Objektivlinse und das Okular eingefügt, um diese Schwierigkeit zu beheben.
Die Herstellung von Linsen durch intelligente Leute erfordert eine gründliche Kenntnis der Optik und mathematischer Formeln der Lichtbrechung sowie Geduld und Geschick; all das lernt jemand im Laufe vieler Jahre der Ausbildung bei einem Fachmann. Deshalb ist es angebracht, ebenso wie Isaac Newton, als er über den Ursprung des Lebens sprach, zu fragen, durch was für eine Überlegung manche Menschen zu dem widersinnigen Schluß kämen, die komplizierten Wunder der Natur seien ohne einen intelligenten Schöpfer ins Dasein gekommen.
Die unübertreffliche Linse des Auges
Wenn du in das „schwarze Loch“ im Auge schaust, blickst du in Wirklichkeit durch die Linse ins dunkle Innere des Augapfels. Die winzige Linse wird hinter der farbigen Regenbogenhaut durch Linsenmuskeln an ihrer Stelle gehalten, und bei ihr gelten dieselben Prinzipien der Lichtbrechung, die sich der Mensch bei den künstlichen Linsen zunutze gemacht hat. Dadurch, daß das Gehirn die Nervenimpulse, die ihm von der Netzhaut übermittelt werden, in farbige, dreidimensionale bewegliche Bilder umwandelt, erhalten wir ein wunderbares aufrechtes Bild von etwas, was größer ist als das Bild auf der Netzhaut, aber stets in einem optisch proportionalen Verhältnis zu unserem Körper. Das ist so, ungeachtet ob es sich um eine Erbse oder um einen Teller, um eine Vase mit Flieder oder um herrliche, schneebedeckte Berge handelt.
Daß wir in dem einen Augenblick auf eine Landkarte blicken können, die auf unseren Knien ruht, und im nächsten Augenblick eine Gebirgslandschaft betrachten können, die viele Kilometer entfernt ist, zeigt, daß die Linse des Auges vollkommen entworfen worden ist. Sie kann sich augenblicklich scharf einstellen und automatisch Abweichungen korrigieren, die bei künstlichen Linsen vorhanden wären. Wie verwirrend wäre es doch, wenn man ein verzerrtes Bild sähe, das sich ständig, mit jeder Kopfbewegung, verändern würde und bunte Ränder hätte!
Die Teile des Auges, die das Licht brechen und sammeln, die Linse selbst und die Hornhaut (die gewölbte durchsichtige Schicht über dem Auge), verkündigen wahrhaftig das von Intelligenz zeugende Werk eines Schöpfers. Selbst Charles Darwin gab die Sinnwidrigkeit seiner Theorie von der natürlichen Zuchtwahl zu, als er über das Auge schrieb: „Die Annahme, daß das Auge mit all seinen unnachahmlichen Einrichtungen: die Linse den verschiedenen Entfernungen anzupassen, wechselnde Lichtmengen zuzulassen und sphärische wie chromatische Abweichungen zu verbessern, durch die natürliche Zuchtwahl entstanden sei, erscheint, wie ich offen bekenne, im höchsten Grade als absurd“ (Die Entstehung der Arten, S. 245).
Die Linse der Brille
Die Linse des Auges ist äußerst elastisch und kann sich biegen, sie läßt sich ausdehnen oder strecken und kann flacher gedrückt werden. Diese Fähigkeit in Verbindung mit der Brechungskraft der Hornhaut gestattet die schnelle, genaue, verzerrungsfreie Einstellung. Durch das Altern kann sich jedoch die Linse oder die Linsenmuskeln verhärten, so daß die Anpassung (als Akkommodation bezeichnet) und scharfe Einstellung schwierig wird. Bei einigen Menschen stellt sich das Auge schlecht ein, weil der Augapfel eine ungewöhnliche Form hat; seine Länge beträgt entweder mehr oder weniger als die durchschnittliche Länge von vierundzwanzig Millimetern.
Die Linse deines Auges ruht, wenn du entfernte Gegenstände betrachtest, aber sie wird durch die Linsenmuskeln zusammengedrückt, so daß sie dicker ist, wenn sie sich auf Dinge in der Nähe einstellen soll. Durch diese Tätigkeit der Muskeln kommt es zur „Überanstrengung der Augen“, wenn wir in unmittelbarer Nähe der Augen eine Arbeit verrichten, lesen oder schreiben.
Ist der Augapfel zu lang, so erscheint das Bild vor der Netzhaut; es wird verschwommen, so daß es zu Kurzsichtigkeit kommt. Sie läßt sich durch die Verwendung einer Brille mit konkaven Gläsern korrigieren, die das in das Auge eintretende Licht zerstreuen und der konvexen Linse des Auges helfen, den Brennpunkt auf die Netzhaut zu bringen.
Weitsichtigkeit dagegen kommt daher, daß der Augapfel zu klein ist und das Bild hinter der Netzhaut entstehen würde. Ein konvexes Brillenglas vor dem Auge sammelt die eintretenden Strahlen und lenkt sie richtig auf die Netzhaut.
Die Entstehung eines Bildes hinter der Netzhaut kommt auch dann vor, wenn die Linse des Auges ihre Akkommodationsfähigkeit verliert und sich nicht mehr so stark wölben kann, wie es nötig ist, um sich auf nahe Gegenstände einzustellen. Dieser Zustand, von dem meistens Personen betroffen werden, die über das mittlere Alter hinaus sind, ist als „Alterssichtigkeit“ bekannt und erfordert zur Korrektur der Fehlsichtigkeit konvexe Brillengläser.
Wir sollten unsere Augen sehr sorgfältig behandeln. Bohre nicht im Auge herum, wenn Sand hineingekommen ist, und reibe auch nicht mit schmutzigen Fingern oder Tüchern daran. Vielleicht kann dir jemand anders den Fremdkörper sorgfältig mit einem sauberen Taschentuch herausholen — vielleicht sogar ein Arzt, wenn es nötig ist. Und wenn du abends liest, so wirst du deine Augen in einem gleichmäßig gut erleuchteten Zimmer nicht so anstrengen wie unter einer kleinen Lampe, die nur wenig Licht gibt.
Die Linsen anderer Geschöpfe
Wenn du durch die Linsen einiger Insekten blicken könntest, würdest du feststellen, daß sie sich für einen pfeilschnellen Flug oder zum Abschätzen der Geschwindigkeit eignen. Ihre Augen bestehen aus zahlreichen Linsen, die Einzelbilder entstehen lassen. Die Zeit, die vergeht, wenn ein Bild von einem Teil des Auges zum anderen gelangt, dient als Hinweis auf die Geschwindigkeit.
Wirbeltiere besitzen zum Sehen paarweise angeordnete Linsen. Einige, wie zum Beispiel das Pferd, haben einen Rundblick und können fast alles um sich her sehen. Andere, wie Eulen und Affen, und auch der Mensch haben die Augen mehr an der Vorderseite des Kopfes, wodurch sich das Gesichtsfeld beider Augen teilweise überschneidet. Die Augen der Vögel sind mit höchst ungewöhnlichen Linsen versehen, die teleskopisch und mikroskopisch wirken. Dadurch haben sie unter allen Geschöpfen den schärfsten Blick. Adler, Geier und andere Raubvögel können aus ungeheuren Entfernungen winzige Dinge erkennen.
Viele natürliche Anwendungen der Prinzipien der Lichtbrechung und der Optik haben den Menschen in Staunen versetzt und bewirkt, daß er sie zu seinem eigenen Vorteil anwendet, und zwar auf vernünftige Weise, nachdem er aus den Werken des Schöpfers gelernt hat.
[Diagramm auf Seite 15]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Das kurzsichtige Auge: Der Augapfel ist zu lang, und das Bild erscheint vor der Netzhaut.
Kurzsichtigkeit wird durch konkave Gläser korrigiert, die der Linse des Auges helfen, das Bild auf der Netzhaut erscheinen zu lassen.