Unsichtbares sichtbar machen — Die Wissenschaft der Optik
MALERISCHE Landschaften, prachtvolle Sonnenuntergänge, liebliche Blumen — Anblicke dieser Art sind wirklich eine Augenweide. Zwar denken wir vielleicht selten darüber nach, wodurch das Sehen ermöglicht wird, doch wir sind bestimmt froh, daß wir sehen können.
So wunderbar das Auge auch ist, was wir mit bloßem Auge erkennen können, macht nur einen winzigen Bruchteil dessen aus, was es zu sehen gibt. Mit der Hilfe optischer Instrumente — angefangen beim einfachen Vergrößerungsglas bis hin zu Teleskopen, Mikroskopen, Spezialkameras, Spektroskopen usw. — hat die Wissenschaft der Optik, wie man das Studium des Lichts nennt, unser Wissen über uns selbst und über die Welt, in der wir leben, enorm erweitert.
Wir kennen vielleicht einige optische Instrumente. Aber wissen wir, wie sie funktionieren? Warum vergrößert zum Beispiel ein Vergrößerungsglas? Warum verschafft das eine Instrument Zugang zur Welt der Mikroorganismen, wohingegen das andere Einblick in die Weiten des Universums gewährt? Seit langem ist die Wissenschaft der Optik ein faszinierendes Studiengebiet.
Der Grundbaustein
Wer je mit einer Lupe Sonnenstrahlen auf ein Stück Papier gebündelt und so ein Loch hineingebrannt hat, der hat dabei ein optisches Instrument in seiner einfachsten Form verwendet: eine Linse. Der kleine Punkt auf dem Papier war in Wirklichkeit ein von der Linse erzeugtes Abbild der Sonne. Weil die ganze Energie der Sonnenstrahlen in einem winzigen Punkt vereinigt wurde, entstand genügend Hitze, um das Papier zu entzünden.
Vielen ist auch eine Kameralinse ein Begriff. Uns ist vielleicht bekannt, daß eine Aufnahme entsteht, indem die Linse das von einem Objekt kommende Licht bündelt und eine Abbildung auf dem Film hervorruft. Das ist im wesentlichen die Funktion einer Linse. Sie bündelt das Licht und ruft ein Abbild von geeigneter Größe und Intensität hervor, das daraufhin beobachtet oder aufgezeichnet werden kann. Wodurch wird aber bewirkt, daß das Licht von der Linse gebrochen und gebündelt wird? Das liegt an dem optischen Phänomen der Refraktion oder Lichtbrechung.
Was sieht man, wenn man einen Stock ins Wasser hält? Scheint es nicht so, als sei der Stock an dem Punkt, an dem er ins Wasser eindringt, gekrümmt? Diese alltägliche und doch eigentümliche Erscheinung veranschaulicht, daß Lichtstrahlen nicht geradlinig von einem Stoff in einen anderen — z. B. von Wasser in Luft — übergehen; sie werden gekrümmt, es sei denn, sie treffen rechtwinklig auf die Grenzfläche auf. Man nennt das Refraktion. Wie stark das Licht gebrochen wird, hängt vom jeweiligen Stoff ab — Luft, Wasser, Öl, Glas usw. — sowie vom Einfallswinkel, d. h. dem Winkel zwischen dem Lichtstrahl und der Senkrechten auf der Grenzfläche an der Eintrittsstelle.
Beim Betrachten einer Kameralinse wird man feststellen, daß die Linsenoberfläche nicht flach ist, sondern kreisförmig gekrümmt, d. h. konvex. Stellen wir uns vor, Lichtstrahlen treffen aus einiger Entfernung auf die Linsenoberfläche auf. In der Mitte verläuft das Licht im rechten Winkel zur Oberfläche und wird überhaupt nicht gebrochen. Zum Rand der Linse hin wird der Einfallswinkel zunehmend größer. Das bedeutet, daß auch die von der Linse hervorgerufene Lichtbrechung größer ist, je weiter entfernt von der Mitte das Licht auftrifft. Deswegen werden alle Strahlen, die von einem bestimmten Punkt auf der einen Seite einer richtig geformten Linse ausgehen, auf der anderen Seite gebündelt und in einem Punkt vereinigt und lassen ein Bild entstehen.
Aufbau eines optischen Systems
Kompliziert wird die Angelegenheit allerdings dadurch, daß Licht verschiedener Farben bzw. Wellenlängen unterschiedlich stark gebrochen wird. Deshalb spaltet ein Prisma Sonnenstrahlen in ihre Farbbestandteile auf, wodurch ein Regenbogen entsteht. Das gleiche geschieht bei einer einfachen Linse; die Ränder der Abbildung sind gewöhnlich unscharf und farbig (Aberration).
Eine sorgfältige Konstruktion kann hier Abhilfe schaffen. Man weiß zum Beispiel, daß die Brechungseigenschaften von Linsen von der chemischen Zusammensetzung des Glases abhängen. Aberration und Verzeichnung können durch ein System von Linsen aus verschiedenartigem Glas und mit unterschiedlicher Krümmung auf ein Minimum beschränkt werden.
Es ist jedoch nicht einfach, ein solches System zu entwerfen. Früher waren gewöhnlich etliche Personen wochen- oder monatelang damit beschäftigt, mühsame Berechnungen für einen Entwurf anzustellen. Heute setzt man Computer ein, um alle möglichen Winkelvarianten, den Abstand zwischen den Linsen, die Krümmung jeder Linse sowie zahllose andere Faktoren zu berechnen. Der Computer ist jeweils so programmiert, daß er die Kombination auswählt, die in einem System von höchster Genauigkeit resultiert.
Ein gutes Kameraobjektiv kann aus vier, sieben oder mehr Einzellinsen bestehen, deren Oberflächenschliff auf zehntausendstel Millimeter genau sein muß. Die Anordnung jeder Linse muß zu den anderen Linsen in einem exakten Verhältnis stehen. Damit möglichst viel Licht eingefangen werden kann, sollte der Linsendurchmesser so groß sein wie vernünftigerweise möglich. Die Ausführung all dessen ist sehr kostspielig; daher ist es verständlich, warum eine Präzisionskamera so teuer ist. Zum Beispiel kann eine der Kameras, die im Space Shuttle eingesetzt werden, aus über 240 Kilometer Höhe Aufnahmen von der Erdoberfläche machen, auf denen noch Objekte mit einem Durchmesser von nur 10 Metern erkennbar sind. Diese Kamera hat ein Objektiv mit acht Linsen und kostete neun Millionen Dollar.
Unsichtbares sichtbar machen
Man stelle sich einmal vor, was alles dazugehört, ein optisches System für ein Teleskop zu entwerfen, herzustellen und zu testen, mit dem wir in das unermeßliche, ehrfurchteinflößende Universum spähen können. Das Licht weit entfernter Sterne ist so schwach, daß es mit bloßem Auge meist nicht zu erkennen ist. Ein Teleskop fängt möglichst viel Licht dieser Sterne ein, bündelt es in einem Punkt und läßt so eine Abbildung entstehen.
Optische Teleskope bündeln schwache Lichtstrahlen gewöhnlich mit einem Konkavspiegel. Das berühmte Hale-Teleskop auf dem Mount Palomar (Pasadena, USA) hat beispielsweise einen Spiegel mit einem Durchmesser von fünf Metern und kann mehrere Milliarden Lichtjahre weit ins Universum spähen. So eindrucksvoll das Hale-Teleskop auch ist, es wurde doch mittlerweile von einem Teleskop auf dem Mauna Kea auf Hawaii in den Schatten gestellt. Dieses Teleskop verfügt über einen zehn Meter großen Spiegel und damit über eine viermal höhere Lichtstärke als das Teleskop auf dem Mount Palomar. Tatsächlich ist es so lichtstark, daß man damit „vom Mond aus das Licht einer Kerze sehen könnte“, wie Howard Keck sagte, der Präsident einer Stiftung, die 70 Millionen Dollar zur Unterstützung des Projekts zur Verfügung gestellt hat.
Eine Zeitlang richtete sich das Augenmerk der Astronomen auf ein andersartiges Teleskop: das 1,6 Milliarden Dollar teure HST (Hubble Space Telescope). Vom Space Shuttle ins All gebracht, kreist es in einer Umlaufbahn in 500 Kilometer Höhe. Dort, jenseits aller Störungen in der Erdatmosphäre, kann es so scharf sehen, daß man mit einer derartigen Auflösung theoretisch „aus 4 000 km Entfernung noch zwischen dem rechten und dem linken Scheinwerfer eines Autos unterscheiden könnte“, so die Zeitschrift Sky & Telescope. Um eine solch hohe Auflösung zu erreichen, mußte die Oberfläche des mit 2,4 Meter Durchmesser vergleichsweise kleinen Spiegels auf ein fünfhunderttausendstel Millimeter genau geschliffen werden. Zur großen Enttäuschung aller waren die ersten Bilder, die das HST übermittelte, unscharf — offensichtlich infolge eines Fehlers bei der Fertigung. „Ein sandkorngroßes Kunststoffteilchen brach während der Herstellung des Primärspiegels von der Führoptik ab, die den Schliff steuerte“, heißt es in einem Bericht der Zeitschrift New Scientist. „Das führte dazu, daß der Spiegel zu flach geschliffen wurde.“ Offenbar ist sogar die höchste Spitzentechnologie fehleranfällig!
Wenden wir uns nun vom Blick in die Ferne mit dem Teleskop dem Mikrokosmos zu, den uns das Mikroskop erschließt. Die ersten Mikroskope waren einfache Vergrößerungsgläser. Im 17. Jahrhundert kamen zusammengesetzte Mikroskope in Gebrauch, bei denen das von einer Linse erzeugte Bild von einer weiteren Linse vergrößert wird. Im allgemeinen bezeichnet man die erste Linse als Objektiv, weil sie auf das zu betrachtende Objekt gerichtet ist, und die zweite Linse nennt man Okular.
Damit das Mikroskop seinen Zweck erfüllt, muß es von einem winzigen Objekt möglichst viele Lichtstrahlen bündeln können. Dazu ist die Oberfläche der Objektivlinse nach außen gewölbt — etwa wie ein Pilzhut. Auch bei einem Durchmesser von nur einem Millimeter oder noch weniger muß die Oberflächenkrümmung auf ein tausendstel Millimeter genau sein.
Ob kleine Objekte sichtbar gemacht werden können, hängt interessanterweise nicht so sehr vom Instrument ab als vielmehr von dem zur Beleuchtung des Objekts verwendeten Licht. Je kleiner das Objekt ist, desto kürzer muß die Wellenlänge des verwendeten Lichts sein. Optische Mikroskope arbeiten mit sichtbarem Licht, weshalb sie nur Objekte sichtbar machen können, die wenigstens ein zehntausendstel Millimeter groß sind. Mit Hilfe der ersten Mikroskope gelang die Entdeckung, daß sich Pflanzen aus unzähligen Zellen zusammensetzen — das war damals eine umwälzende Erkenntnis. Heutzutage können Biologieschüler mit ihren Schulmikroskopen Einblick in die Welt der Bakterien und Blutzellen nehmen.
Noch kleinere Objekte macht das Elektronenmikroskop sichtbar. Wie sein Name schon sagt, werden anstelle sichtbarer Lichtstrahlen Hochspannungselektronenstrahlen auf Objekte gerichtet, die nur millionstel Millimeter groß sind. So lassen sich Viren und größere Moleküle sichtbar machen.
Wie ist das Atom oder der Atomkern aufgebaut? Um einen Einblick in diese Materie zu erhalten, werden Atome zertrümmert, und mit Hilfe von Computern läßt sich dann ein Bild von den Ergebnissen erstellen. Die mitunter kilometerlangen Anlagen zur Teilchenbeschleunigung — Synchrotrone, Zyklotrone usw. — sind also, wenn man so will, die größten und stärksten „Mikroskope“. Mittels dieser Geräte haben Wissenschaftler einen flüchtigen Blick auf die geheimnisvollen Kräfte werfen können, die das Universum zusammenhalten.
Das Sehvermögen — ein Wunder
Man mag jetzt denken, das menschliche Auge sei im Vergleich zu diesen komplizierten Geräten geradezu primitiv. Nun, es ist vielleicht vergleichsweise unkompliziert, aber auf keinen Fall primitiv! Die verschiedenen Lichtfarben stellen für das Auge kein Problem dar. Seine automatische Schärfeneinstellung funktioniert schnell und gut. Es kann dreidimensional sehen. Es kann zwischen Millionen von Lichtschattierungen und Farbabstufungen unterscheiden. Es kann zehnmal in der Sekunde ein neues Bild erstellen und übermitteln. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Das menschliche Auge ist ein Meisterwerk!
Wie dankbar sind wir doch für das Sehvermögen — ob mit oder ohne die Hilfe optischer Instrumente. Das zunehmende Wissen über große und kleine, sichtbare und unsichtbare Dinge hat sich in vieler Hinsicht nützlich ausgewirkt. Vor allem aber sollte die wunderbare Gabe des Sehvermögens, verbunden mit den Erkenntnissen aus der Wissenschaft der Optik, uns helfen, die Weisheit und Liebe dessen zu erkennen, der für all das gesorgt hat — der Schöpfer, Jehova Gott (Psalm 148; Sprüche 20:12).
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Der imposante Orionnebel in 1 300 Lichtjahren Entfernung
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Foto: NASA
Kleines Bild: Teleskop des Kitt-Peak-Observatoriums (Arizona, USA)
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Oben: Unterteil einer einzelnen Schuppe eines Mottenflügels; Vergrößerung im Elektronenmikroskop
Unten links: Bei 40 000facher Vergrößerung sind noch mehr Einzelheiten zu sehen, was veranschaulicht, daß allen Lebewesen ein ausgeklügelter Bauplan zugrunde liegt
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Oben und unten links: Outdoor Pictures
Unten rechts: Hookes zusammengesetztes Mikroskop aus „Micrographia“ (1665) von Robert Hooke
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Historical Pictures Service