Langhälse der afrikanischen Steppe
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Rhodesien
DAS höchste Tier der Welt — diese Auszeichnung genießt die Giraffe. Einer dieser Langhälse der afrikanischen Steppe mag eine Höhe von etwa sechs Metern erreichen. Sogar eine neugeborene Giraffe ist schon 1,80 Meter hoch! Ja, abgesehen von den Bäumen, sind diese Langhälse der trockenen Savanne Afrikas die höchsten Lebewesen der Erde.
Beim Anblick einer Giraffe fallen den meisten Menschen zuerst der sehr lange Hals und die dünnen langen Beine auf. Der Hals scheint in keinem Verhältnis zum übrigen Körper des Tieres zu stehen, aber diesen Eindruck erweckt weniger der lange Hals als das sehr kurze Rückgrat des Tieres.
Der lange Hals
Der Hals, der bei einem erwachsenen Tier 1,80 bis 2,40 Meter lang sein kann, hat die gleiche Zahl Halswirbel wie die übrigen Säugetiere, wie zum Beispiel das Flußpferd, nämlich sieben. Diese sieben Halswirbel sind natürlich im Verhältnis zu den Halswirbeln anderer Tiere sehr groß. Dennoch ist der Hals der Giraffe äußerst biegsam.
Beim Anblick der Giraffe kommt man zu dem Schluß, daß dieses Tier ein überaus starkes Herz haben muß, damit es das Blut bis ins Gehirn, am Ende dieses langen Halses, zu pumpen vermag. Und das Herz ist auch tatsächlich groß: Es kann bis sechzig Zentimeter lang sein, die Herzwände können siebeneinhalb Zentimeter dick sein, und sein Gewicht mag elf Kilogramm betragen! Auch der Herzschlag dieses großen Tieres ist ungewöhnlich: 150 bis 170 Herzschläge in der Minute im Vergleich zu etwa 72 bei einem erwachsenen Menschen.
Was die Menschen schon lange bewegt hat, ist die Frage, warum es bei der Giraffe nicht zu einer Gehirnblutung kommt, wenn sie den Kopf plötzlich nach unten schwingt, und warum ihr nicht schwindlig wird, wenn sie plötzlich den Kopf wieder hebt. Der Grund dafür sind Ventilklappen in den Arterien und Venen. Außerdem verfügt die Giraffe über ein schwammähnliches Netzwerk, das als „Wundernetz“ bezeichnet wird und das das Gehirn vor plötzlichem Blutandrang schützt. Dieses wunderbare Absperrorgan, das man mit einem Transformator vergleichen könnte, reguliert den Blutzufluß da, wo die Arterien in das Gehirn eintreten. Es verteilt das Blut in ein feines System von Blutgefäßen, durch die es schließlich ohne schädigenden Druck das Gehirn erreicht. Wirklich eine geniale Konstruktion!
Da die Giraffe einen so langen Hals hat, könnte man meinen, es wäre für sie ein leichtes, den Hals bis zur Erde zu neigen, aber dem ist nicht so. Die Muskeln und Bänder des Halses sind an den Fortsätzen der dorsalen Seite der Brustwirbel befestigt, und das erschwert es der Giraffe, mit dem Kopf den Boden zu erreichen, ohne die Vorderbeine zu spreizen oder sich auf die Knie niederzulassen. In dieser Stellung ist die Giraffe aber besonders in Gefahr, angegriffen zu werden. Wenn sie sich daher in diese Stellung begibt, um zu trinken oder Salz zu lecken, blickt sie zwischendurch immer wieder auf, um zu sehen, ob Gefahr droht.
Baumfresser der Savanne
Die erstaunliche Höhe der Giraffe ermöglicht es ihr, an das Futter heranzukommen, das ihr am besten schmeckt. Die Langhälse der afrikanischen Steppe äsen gern die obersten Zweige der dornigen Schirmakazien ab, die viereinhalb bis sechs Meter hoch werden können. Die Giraffe ist gut ausgerüstet, um sich von den schmackhaften Akazienblättern zu ernähren, denn sie vermag sie mit ihrer fünfundvierzig Zentimeter langen Zunge leicht abzurupfen. Stören sie denn die scharfen Dornen der Akazienbäume nicht? Offenbar machen sie ihr gar nichts aus, wahrscheinlich deshalb nicht, weil ihre Lippen vollständig behaart und auf der Innenseite rauh sind.
Diese wiederkäuenden Langhälse der afrikanischen Steppe gehören zu den wenigen wildlebenden Tieren, die mit den Groß- und Kleinviehzüchtern nicht in Konflikt gekommen sind. Kühe und Schafe können nicht die Blätter an den Ästen hoher Bäume abfressen!
Obschon Blätter die Lieblingsnahrung der Giraffe sind, hält sie sich doch nicht gerne im tiefen Wald auf. Man findet sie daher in der trockenen Savanne, auch „Veld“ genannt. Ihre Vorliebe für offenes Gelände ist verständlich, wenn man bedenkt, wie hoch die Giraffe gebaut ist und wieweit sie sehen kann. „Die Giraffe hat die schärfsten Augen von allen auf dem Boden lebenden Tieren Afrikas“, schreibt der Zoologe George G. Goodwin; mit ihren Augen kann sie, ohne den Kopf zu drehen, in alle Richtungen sehen. Die Giraffe vermag somit eine drohende Gefahr schon früh zu erkennen und bringt sich rasch in Sicherheit. Man hat beobachtet, daß Löwen, die beabsichtigten, eine Giraffe zu reißen, ihr Vorhaben aufgaben, sobald sie merkten, daß die Giraffe sie gesehen hatte. Meistens gelingt es einem Löwen nur in einem bewaldeten Gebiet, eine Giraffe zu reißen, wo die Sicht der Giraffe durch die Bäume behindert war.
Faszinierende Eigenschaften
Dieses riesige Tier hat viele faszinierende Eigenschaften. Wenn die Giraffe galoppiert, erreicht sie eine Geschwindigkeit von über fünfzig Kilometern in der Stunde. Selbst wenn einige Bäume im Wege stehen, verlangsamt sie ihr Tempo nicht, sondern weicht ihnen aus, indem sie den Kopf unter die Zweige biegt und sich zwischen den Stämmen hindurchwindet. Die Giraffe ist so schnell, daß selbst ein Pferd sie nicht ohne weiteres einholen kann. Sie hat einen raumgreifenden Paßgang, so daß eine Bewegung entsteht, die als „graziös und rhythmisch beschwingt“ bezeichnet worden ist.
Bemerkenswert ist, wie die Giraffenkälbchen geboren werden: Sie fallen über anderthalb Meter tief bei der Geburt. In zoologischen Gärten hat man jedoch beobachten können, daß die Kälbchen keinen Schaden davontragen, sondern fünf Minuten nach der Geburt schon aufstehen und zwanzig Minuten später bereits Milch saugen können. Ein ausgewachsener Giraffenbulle wiegt 1,3 bis 1,8 Tonnen.
Für die Giraffen ist das Schlafen nicht ganz einfach, weil sie so hoch gebaut sind. Sie schlafen daher häufig im Stehen. Gelegentlich legen sie sich aber auch zum Schlafen nieder.
Die Giraffe hat ausdrucksvolle, große, dunkelbraune Augen, die von schwarzen Wimpern umsäumt sind. Am Kopf der Giraffe sitzen zwei Hörner. Solche Stirnzapfen besitzt nur die Giraffe. Sie bestehen ganz aus Knochen und sind etwa so hart wie das Elfenbein der Stoßzähne des Elefanten; die Hörner bleiben während des ganzen Lebens der Giraffe mit Haut überzogen. Die Giraffen haben mindestens zwei solche Stirnzapfen; gewisse Unterarten besitzen jedoch in der Mitte der Stirn auch einen dritten.
Eine weitere ungewöhnliche Eigenschaft dieser baumhohen Tiere ist ihr Blutdruck — etwa dreimal so hoch wie der des Menschen und der höchste in der Welt. Aber das ist nur eine der vielen Besonderheiten der Giraffen. Diese Langhälse der afrikanischen Steppe legen Zeugnis ab von einem genialen Schöpfer: „Denn seine unsichtbaren Eigenschaften werden ... deutlich gesehen, weil sie durch die gemachten Dinge wahrgenommen werden.“ — Röm. 1:20.